Wie feministischer Aktivismus gelingt
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-218-01248-5
Verlag: Kremayr & Scheriau
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Österreich im Jahr 2020. Es ist nach wie vor viel zu tun. Mit dem vorliegenden Handbuch liefert das F*VB gemeinsam mit internationalen Aktivist*innen und Autor*innen das Know-how für künftige Initiativen und inspiriert zu politischem Handeln. In klarsichtigen Essays entwerfen Expert*innen anhand des F*VB-Forderungskatalogs, neuester Forschungsergebnisse und fundierter Erfahrung Visionen für eine gerechtere Gesellschaft.
Flankiert werden sie von Vertreter*innen vieler Einrichtungen und Initiativen wie HeForShe, #keinenmillimeter, dem Schweizer Frauen*streik oder Sorority sowie persönlichen Statements von Aktivist*innen wie Margarete Stokowski, Alexandra Stanic, Nicole Schöndorfer oder Madeleine Darya Alizadeh (dariadaria). Feminists of the world, unite!
Autoren/Hrsg.
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2017: „WIR ERHEBEN UNSERE STIMMEN.“ DIE ENTSTEHUNG DES FRAUEN*-VOLKSBEGEHRENS – ERZÄHLT VON DREI INITIATORINNEN
Agnes Roth-Gritsch, Eva-Maria Titz, Lena Jäger Ein Wohnzimmer voller Frauen* im November 2016 in Wien Josefstadt – so beginnt die Geschichte des Frauen*Volksbegehrens. Wohl keine der vielen Frauen*, die an diesem Abend zusammenkamen, hatte damals wohl eine Vorstellung davon, dass zwei Jahre später eine halbe Million Menschen die daraus entstandenen Forderungen unterschrieben. Wir jedenfalls nicht. Wie in fünf Monaten aus einer Idee ein Volksbegehren entstand Es war der 18. November 2016. Im Vorfeld des Treffens hatten die Obfrauen* von „Sorority“, einem Verein zur branchenübergreifenden Frauen*vernetzung, in der dazugehörigen Facebook-Gruppe eine Diskussion über ein mögliches neues Frauenvolksbegehren gestartet. Sie fragten, wer sich vorstellen könne, mitzuarbeiten. Quasi als Wiederaufnahme des Frauenvolksbegehrens, das 20 Jahre zuvor stattgefunden hatte und dessen Forderungen ja immer noch nicht umgesetzt waren. Mehr als 30 Frauen* folgten der Einladung. Was sie einte, war der Wunsch nach öffentlicher Diskussion und echter Veränderung. Bei diesem ersten Kennenlernen war Zeit, dass jede Einzelne ihre persönlichen Beweggründe für ihr Kommen nannte. Bei vielen war es die Neugier, die sie hergebracht hatte, Wut und Enttäuschung lagen in der Luft. Der Schock über die Wahl Donald Trumps am 8. November 2016 zum amerikanischen Präsidenten saß allen in Mark und Bein. Auf nationaler Ebene war es die Sorge um die bevorstehende Bundespräsidenten-Wahl. Der rechtsnationale Backlash war spürbar groß und wir wussten noch nicht, dass Nobert Hofer bei der Wahl des Bundespräsidenten am 5. Dezember 2016 Alexander van der Bellen unterliegen würde. Vor diesem Hintergrund waren wir uns einig: Wir müssen etwas tun. Die Aufbruchstimmung war spürbar und riss mit. Mut und Hoffnung wuchsen an diesem Abend bei jeder einzelnen Mitstreiterin*. Gemeinsam stärkten wir unseren Glauben daran, durch Aktivismus – wenn schon nicht die Welt, dann doch zumindest Österreich – zu verändern. Netzwerke wurden aktiviert und Einladungen ausgesprochen. Bei unserem nächsten Treffen am 7. Jänner 2017 waren wir bereits über 50 Frauen*. Eine neue Bewegung hatte begonnen und die Entscheidung war gefallen: Wir ziehen das durch. Es wird ein neues Frauenvolksbegehren geben. Wir arbeiteten an diesem Tag bereits in verschiedenen Arbeitsgruppen, die sich thematisch aufteilten. Das Fundament bildeten die Forderungen. Darüber hinaus braucht ein Volksbegehren ein großes Netzwerk, einen soliden Zeitplan und ein sicheres Budget sowie eine mitreißende Kommunikationsstrategie und sichtbaren Aktivismus. Zu all diesen Punkten wurde an diesem Tag ein erstes Mal intensiv gearbeitet und diskutiert. In den folgenden zwei Wochen entstand unsere Arbeitsstruktur, die mit leichten Modifikationen für das gesamte Projekt hielt. Fünf Arbeitsschwerpunkte wurden entwickelt: Aktivismus, Budget, Kommunikation, Legal und Netzwerk. Rund um diese Arbeitsschwerpunkte bildeten sich Teams, deren Leiter*innen das Orga-Team formten, das sich mit wenigen Ausnahmen über eineinhalb Jahre hinweg bis zum Oktober 2018 jeden Montagabend zum Orga-Jour fixe traf. Dieses erste neunköpfige Orga-Team trug in den ersten vier Monaten entscheidend dazu bei, dass aus der Neuauflage des Frauenvolksbegehrens von 1997 unser Frauen*Volksbegehren wurde. Sie sind die Initiator*innen: Teresa Havlicek, Hanna Herbst, Lena Jäger, Therese Kaiser, Miriam Mitschka, Agnes Roth-Gritsch, Viktoria Spielmann, Karin Stanger, Eva-Maria Titz. Die Teams waren unterschiedlich groß und wurden von ihren Leiter*innen autonom aufgebaut. Montags wurden Ergebnisse vorgestellt und Probleme besprochen. Entscheidungen wurden basisdemokratisch getroffen, was die Sitzungen lang und diskussionsreich gestaltete. Das Team Budget wurde von Agnes Roth-Gritsch übernommen und bis zur Veröffentlichung unserer Forderungen im Wesentlichen von ihr alleine bestritten. Team Netzwerke lag in der Verantwortung von Viktoria Spielmann, die in Abstimmung mit einzelnen Personen einen großen Verteiler der wichtigsten Bündnis-Organisationen für das Frauen*Volksbegehren erstellte. Das Team Legal wurde von Eva-Maria Titz und Miriam Mitschka aufgebaut und war verantwortlich für die Erstformulierung der Forderungen, die Struktur des Vereins sowie alle rechtlichen Fragen. Dieses Team hatte von Beginn an drei weitere feste Mitglieder und wuchs nach unserem ersten öffentlichen Auftreten sehr schnell auf etwa 20 Mitglieder an. Im Team Kommunikation arbeiteten ursprünglich Teresa Havlicek, Therese Kaiser, Karin Stanger und Hanna Herbst an einer Corporate Identity des Frauen*Volksbegehrens. Lena Jäger hatte als Lead des Teams Aktivismus, aus dem später die Aktionistas* des F*VBs wurden, in der Erarbeitungsphase noch wenig zu tun und klinkte sich daher in die verschiedensten Gruppen ein, vor allem in die Kommunikation und die Erstellung der Forderungen. In der Zwischenzeit war ein regelmäßiger Austausch mit den Frauen* rund um das erste Frauenvolksbegehren entstanden. Es war geplant, dass sie am 28. April 2017 anlässlich ihres 20-jährigen Jubiläums eine Pressekonferenz geben würden. Sie luden uns dazu ein, und wir beschlossen, diesen Termin zu unserem ersten öffentlichen Auftritt zu machen. Wir arbeiteten auf Hochtouren und im Stillen. Vor diesem Tag sollten keine Informationen an die Öffentlichkeit gelangen. Gar kein so einfaches Unterfangen, regelmäßig arbeiteten zwischen 15-20 Frauen* an unserem Projekt, auf den internen Verteilern waren es zeitweise sogar um die 50 Personen. Die Ansprüche, die wir an uns stellten, waren hoch. Der neunköpfige Kern hatte einander vorher nicht gekannt, das machte das gemeinsame Arbeiten auf Hochdruck nicht immer leicht. Wir mussten viel in kurzer Zeit schaffen und waren oft nicht einer Meinung. Eines stand aber von Beginn an außer Frage, nämlich, dass wir mit unserem Frauen*Volksbegehren auch ein klares Zeichen für eine neue, inklusive, intersektionale Frauen*bewegung in Österreich setzen wollten, der sich alle, die wollten, anschließen konnten. Hier liegt auch der Ursprung unseres Namens und unserer bewussten Schreibweise: Frauen*Volksbegehren. Ebenso einig waren wir uns darüber, dass ein Volksbegehren, das für die Gleichstellung von Geschlechtern eintritt, so partizipativ wie möglich gestaltet werden sollte. Wir fühlten uns als die kleine und homogene Gruppe, die wir waren, nicht autorisiert, Forderungen aufzustellen, die die strukturelle Benachteiligung der Hälfte der österreichischen Bevölkerung aufzeigen und am Ende beseitigen wollen. Uns war es wichtig, Expert*innen hinzuzuziehen, wir erstellten daher einen Fragebogen mit drei Fragen, den wir österreichweit an ca. 50 Frauen*organisationen verschickten. Herzstück war die Frage nach drei gewünschten Forderungen für ein mögliches neues Frauen*Volksbegehren. Erstmals traten wir dadurch mit unserer Initiative an die Öffentlichkeit. Die retournierten Fragebögen zeigten deutlich die vielfältigen Fragestellungen frauen*politischer Arbeit. Alle Antworten, die uns erreichten, wurden ausgewertet, kategorisiert und geclustert. In beinahe täglichen Arbeitstreffen, die in kleinerer und größerer Besetzung stattfanden, entstanden daraus die ersten Forderungen, die schließlich am 21. April 2017 in einem Plenum von 18 Frauen* final beschlossen wurden. Die erste Fassung hatte 15 Forderungen, die sich in jeweils fünf Forderungen der Bereiche Arbeit und Wirtschaft, Familie und Gesundheit, Gesellschaft und Politik gliederten. Parallel dazu entstand ein Logo und rundherum eine erste, zarte Corporate Identity, ein Finanzplan und unser erste Erfolgsgeschichte: die Crowdfundingkampagne, in der sich unser partizipativer Charakter widerspiegelte. Von Beginn an sollte klar sein, dass diese politische Bewegung von vielen getragen wurde und alle eingeladen waren, sich uns anzuschließen. Starttermin war die Pressekonferenz am 28. April 2017. Wir legten als Mindestsumme 100.000 Euro fest. Für uns war klar: Nur, wenn wir dieses erste Ziel schaffen und genügend Unterstützer*innen finden würden, hätte unser Projekt Sinn. Ein Volksbegehren braucht breite Unterstützung oder gehört eingestampft. Für uns war diese Kampagne unsere erste Feuerprobe und wir bestanden sie erfolgreich.2 Der 28. April 2017 – Von jetzt an gibt es kein Zurück Es gibt verschiedene Tage und Momente im Leben eines Menschen, die als Erinnerungen immer präsent bleiben. Für uns Initiatorinnen* ist das sicherlich der 28. April 2017. Früh am Morgen trafen wir uns im Café Wirr. Es gab viel zu tun. Wir hatten alle klare Rollen und einem Drehbuch zu folgen. Direkt vor dem Start der Pressekonferenz gingen wir mit unserer Website, den Social Media-Kanälen und unserem Herzstück – der Crowdfunding-Kampagne auf Startnext – online. Von einer Sekunde auf die andere wuchs der Druck auf jede* von uns. Wir hatten eine Entscheidung gefällt und die letzten Wochen intensiv auf diesen Moment hingearbeitet. Schlagartig wurde uns klar: Es...