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E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Bauer Fühlen, was die Welt fühlt

Die Bedeutung der Empathie für das Überleben von Menschheit und Natur

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-641-27313-2
Verlag: Blessing
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die Welt scheint aus den Fugen. Extreme Unwetter, Hitzewellen, neue Gefahren für die menschliche Gesundheit: Klimawandel und Corona-Pandemie sind Folgen des rücksichtslosen Umgangs der Menschheit mit der Natur. Hinzu kommen gesellschaftliche Spaltungstendenzen und immer neue internationale Krisenherde. Warum sehen wir keinen Aufbruch zur Bewahrung der Welt, obwohl wir um den Abgrund wissen, auf den wir zusteuern? Wir haben aufgehört zu fühlen, was die Welt fühlt, so die Diagnose des Arztes, Psychiaters und Neurowissenschaftlers Joachim Bauer. Mensch und Natur haben sich voneinander entfremdet. Zivilisation und Kultur sind Errungenschaften, hinter die niemand zurückwollen kann. Joachim Bauers These: Für die Bewahrung unserer Welt ist die Wiederherstellung einer empathischen Beziehung zu unserer natürlichen Umwelt zwingend erforderlich. Denn Menschen können nur retten, was sie lieben.
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2    WIE ALLES BEGANN Über den Ursprung menschlicher Zivilisation und ihre Auswirkungen auf die Empathie Die Beziehung zwischen Mensch und Natur gleicht den Szenen einer Partnerschaft, die in Schwierigkeiten geraten ist: Die beiden Beteiligten vermuten, dass sie sich – vor langer Zeit – wohl einmal geliebt haben müssen, woran sie sich manchmal nur noch schwach und wehmütig erinnern. Inzwischen hat sich das Zusammenleben jedoch zu einer Abfolge heftiger Auseinandersetzungen entwickelt, die zwar immer wieder von Momenten gegenseitiger Treueschwüre unterbrochen werden, denen kurze Zeit später dann aber neue schwere Konflikte folgen. Wiederholte Trennungsversuche sind gescheitert. Beide Partner sind inzwischen aneinander erkrankt. Langsam beginnt sich die Erkenntnis breitzumachen, dass das weitere Zusammenleben auf einen gemeinsamen Untergang hinauslaufen könnte. Da beschließen die beiden, an den Ort zurückzukehren, an dem sie sich einst kennengelernt und ineinander verliebt hatten, den sie, nachdem die Konflikte begonnen hatten, die seither ihr Zusammenleben prägen, dann aber verlassen hatten. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Das Ziel der Rückkehr an den Ort, an dem alles begann, kann aber ein lohnender Versuch sein, sich zu erinnern und Revue passieren zu lassen, was den Wandel vom gemeinsamen Glück zum Dauerzustand ständigen Aneinander-Leidens bewirkt hat. Eine solche Rückkehr an den Ausgangspunkt der Schwierigkeiten möchte ich, in unserem Falle mit Blick auf die Beziehung von Mensch und Natur, in diesem Kapitel unternehmen. Sesshaftwerdung (»Neolithische Revolution«): Beginn der Entfremdung zwischen Mensch und Natur Eine Rückkehr an den Ausgangspunkt der Schwierigkeiten zwischen Mensch und Natur bedeutet die Rückkehr in eine Zeit der Menschheitsgeschichte, in welcher die Natur für den Menschen ein ständig präsentes, ständig gefühltes Gegenüber war und in der Pflanzen und Tieren bis zu einem gewissen Grade Personeneigenschaften zugemessen wurden. Wann und wie hat sich unsere Sicht auf die Natur von einem ehemals empathischen Blick zu einer unempathisch kühlen Betrachtungsweise gewandelt, ähnlich wie im Falle des eingangs erwähnten Paares? Es scheint erst der inzwischen weit fortgeschrittenen Entfremdung des modernen Menschen von seiner natürlichen Welt bedurft zu haben, um die Natur wieder als ein bedeutsames Gegenüber wahrzunehmen, um sie in gewisser Weise wie eine Person zu sehen, die man vermissen und deren Fehlen einen ernsthaft krank werden lassen kann, die den Menschen, wenn sie ihn umgibt, aber auch gesund machen und beglücken kann. Dass die Natur als »Gegenüber« des Menschen nicht nur eine Ansammlung von biologischen Apparaten, sondern in ihrer systemischen Gesamtheit ein Wesen ist, das fühlt und reagiert, ist uraltes menschliches Wissen. Dass manche dieses Wissen für überholt und für romantischen Unsinn halten, ist eine der vielfältigen Ursachen der globalen Katastrophe, der wir uns nähern. Das begreifen seit einigen Jahren auch allmählich die Wissenschaften. Menschheit und natürliche Welt waren über Hunderttausende von Jahren durch gegenseitige Empathie miteinander verbunden. Dankbarkeit, Respekt und Demut gegenüber der Natur finden sich, wie auch viele Untersuchungen zeigen, nicht nur bei zahlreichen heute noch existierenden indigenen Völkern. Sie finden sich auch bei vielen Menschen aus vermeintlich fortschrittlichen Industriestaaten. Ein heiliger Respekt vor der Natur und ein Wissen darüber, dass die Verweigerung dieses Respekts einen gefährlichen Absturz des Menschen nach sich ziehen kann, zeigt sich bereits in den ältesten Mythen der Menschheitsgeschichte. Die Gründe dafür, dass Menschen die Natur als ein empathisches Gegenüber wahrnehmen, sind bei einem Blick zurück nicht schwer zu verstehen: Was unsere evolutionären Vorfahren der Natur als Sammler – und zu einem späteren Zeitpunkt dann auch als Jäger – entnehmen konnten, wurde ihnen einst frei gegeben. Ohne Gegenforderungen zu stellen, gab die Natur jedem Menschen, was er oder sie brauchte, um zu überleben. Die Erfahrung, von der Natur ohne Gegenleistung beschenkt zu werden, beschränkte sich nicht nur auf unsere Vorfahren. Sie widerfährt auch uns. Es genügt, drei Stunden pro Woche im Wald zu verbringen, um nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch die objektive Gesundheit des modernen Menschen messbar zu verbessern. Metaphysik, Romantik? Nein, Wissenschaft. Die beglückende Erfahrung, in der Natur ein empathisches Gegenüber zu haben, das den Menschen bedingungslos beschenkt, ist Realität. Menschen, die dieses Glück erfahren, verhalten sich nicht nur gegenüber ihresgleichen, sondern auch gegenüber der Natur empathischer, fühlen sich für die Natur verantwortlich und setzen sich für ihren Erhalt ein. Auch dies sind Erkenntnisse, die wir wissenschaftlichen Studien verdanken.45 Dass uns eine tiefe, wenn auch von vielen nicht eingestandene empathische Beziehung mit unserer Umwelt verbindet, erklärt auch Folgendes: Laut einer internationalen Untersuchung fühlen sich mehr als 30 Prozent aller heute lebenden Menschen aufgrund der von ihrem Lebensstil ausgehenden Belastungen gegenüber der Natur schuldig. Doch Schuldgefühle helfen nicht weiter, eher das Gegenteil ist zutreffend. Die innige Verbindung, die unsere Spezies mit der natürlichen Welt einst verband, zeigt sich, wie bereits erwähnt, auch bei etlichen indigenen Völkern. Tiere sind in vielen (glücklicherweise) noch existierenden vorzivilisatorischen Kulturen selbst dann, wenn sie den Menschen als Nahrungsquelle dienen, Lebewesen auf Augenhöhe. In vielen indigenen Gesellschaften wird das Wissen bewahrt und weitergegeben, wonach dem Menschen ernste Konsequenzen drohen, wenn Tieren der partnerschaftliche Respekt verweigert wird. Eines von vielen schönen Beispielen ist eine Sage, die bei den in der subarktischen Tundra im Norden Labradors lebenden Innu erzählt wird. Ein Teil ihrer Ernährung bildet das Fleisch der von ihnen erlegten Karibus, einer Elchart. Ein im Lebensraum der Innu liegender hoher Berg, den die Innu »Caribou House« (Haus der Karibu) nennen, ist der Sage zufolge der Sitz des Obersten aller Elche. Nachdem, so die Sage, ein Teil der Innus unter den Elchen einst ein übles Gemetzel angerichtet und dabei auch die Jagdrituale nicht beachtet hatte, waren die Tiere plötzlich gänzlich verschwunden. Der reale Grund für das Verschwinden dürfte gewesen sein, dass die Innu den Tierbestand überjagt hatten. Der Sage zufolge hatte jedoch der Chef aller Elche seine Untergebenen ins »Caribou House«, also in den Berg, zurückgerufen. Die Innu erlitten eine Hungersnot. Erst nachdem sie im Rahmen von Ritualen ihre Reue bekundet hatten, entließ das oberste der Tiere seine Artgenossen wieder aus dem Berg.46 Die Sage zeigt sehr schön, wie Mythen bei genauer Betrachtung fast immer einen realen Kern enthalten. Der Grund, warum Mythen einst von ihren Schöpferinnen oder Schöpfern erdichtet wurden, ist meistens eine versteckte Lehre, die den Nachkommen mitgegeben werden soll. Berichte von Ethnologen, Anthropologen und Kulturforschern sind reich an Erzählungen über die, wie ich es nennen möchte, »empathische Magie«, die der Begegnung zwischen Mensch und Tier bei vorindustriell lebenden Völkern innewohnt. Dieser Magie kann sich auch der moderne Mensch nicht entziehen, wenn er sich auf eine Begegnung einlässt und sich die Zeit dafür nimmt. Wer hat nicht gefühlt, dass wir, wenn wir einen Elefanten, einen Menschenaffen oder einen klugen Hund vor uns haben, einem Mit-Geschöpf in die Augen blicken und dass wir dann, wenn dieses Tier unwürdigen Bedingungen ausgesetzt sein sollte, unsrerseits seinem fragenden Blick ausgesetzt sind? Inder aus dem Umfeld der Nayaka-Dynastie betrachten Elefanten als Urverwandte des Menschen, denen sie eine dem Menschen ähnliche Intelligenz zuschreiben. Identifikationen zwischen Mensch und Tier betreffen viele weitere Tierarten, neben Elefanten auch Wale, Delfine und einige gejagte Landtiere. Die Anthropologin Margaret Lantis berichtete von arktischen Jägern, die beim Baden und Schwimmen bewusst die Bewegungen von Walen imitieren. Ihren Respekt vor den Tieren brächten sie unter anderem auch dadurch zum Ausdruck, dass sie erjagte Tiere, wenn sie an Land gebracht würden, mit einem Glas mitgebrachten Süßwassers und weiteren Ritualen des Respekts begrüßten. Auch die Anthropologin Charlotte Coté, selbst Angehörige eines indigenen, an der Nordwestküste Kanadas lebenden Stammes, beschreibt die Beziehung ihrer Volksgruppe zu Tieren als geprägt von Respekt und Dankbarkeit. Dem Fühlen der Tiere werde gar etwas »Heiliges« zugesprochen.47 Wer, alleine im Meer schwimmend, die Einkreisung durch eine Gruppe von Delfinen und ihre ganz offensichtlich intendierte liebevoll fürsorgliche Kontaktaufnahme erleben konnte, dem wird deutlich, dass Menschen, welche die Möglichkeit einer empathischen Beziehung zwischen Mensch und Tier bestreiten, an einer Störung der Weltwahrnehmung leiden. Tatsächlich wird die Begegnung mit Tieren erfolgreich zur Behandlung psychisch traumatisierter Menschen eingesetzt. Ich werde niemals den Blick der Tiere vergessen, als ich als junger Arzt und Forscher am National Institute of Health in Bethesda (Maryland, USA) in einer Abteilung, in der am HI-Virus geforscht wurde, einen Vortrag hielt. Bei dieser Gelegenheit ließ ich mir von einem Tierpfleger die riesigen Käfige der Menschenaffen zeigen. Der Tierpfleger berichtete mir, keiner seiner Kollegen sei psychisch in...


Bauer, Joachim
Prof. Dr. med. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Arzt und Psychotherapeut. Nach erfolgreichen Jahren an der Universität Freiburg lehrt und arbeitet er heute in Berlin. Für seine Forschungsarbeiten erhielt er den renommierten Organon-Preis. Er veröffentlichte zahlreiche Sachbücher, u. a. »Warum ich fühle, was du fühlst«. Zuletzt erschienen bei Blessing/Heyne der SPIEGEL-Bestseller »Selbststeuerung – Die Wiederentdeckung des freien Willens« (2015), »Wie wir werden, wer wir sind – Die Entstehung des menschlichen Selbst durch Resonanz« (2019) und »Fühlen, was die Welt fühlt« (2020).


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