Becher / Kintzinger | Merowinger und Karolinger | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 167 Seiten

Becher / Kintzinger Merowinger und Karolinger

E-Book, Deutsch, 167 Seiten

ISBN: 978-3-534-71424-7
Verlag: wbg Academic in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Das Frankenreich unter den Merowingern und Karolingern, auf ehemals römischem Territorium entstanden, wuchs in die Rolle der dominierenden Macht im westlichen Europa hinein. Dabei entwickelte es Strukturen, die beispielhaft für benachbarte Regionen werden sollten. Ohne das Vorbild des Frankenreiches wären viele Entwicklungen im Mittelalter kaum vorstellbar: die Christianisierung, die karolingische Kultur, die Ausbildung mittelalterlicher Herrschaftsstrukturen wie das Lehnswesen und die Grundherrschaft, das Kaisertum.
Matthias Becher, einer der wichtigsten Historiker der fränkischen Epoche, beschreibt anschaulich Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden bedeutenden Dynastien und wie sie mit ihren jeweiligen Mitteln Herrschaft, Kultur und Institutionen des mittelalterlichen Europa schufen.
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II.    Strukturen des Frankenreiches
1. Die ideellen Grundlagen königlicher Macht
Angesichts der Zerstrittenheit der Merowinger überrascht ihre fast drei Jahrhunderte währende Herrschaft über das Frankenreich. Warum konnten sie sich so lange halten, auf welchen Grundlagen beruhte ihre Macht? Bis vor kurzem wurde diese Frage mit einem Verweis auf das sogenannte Königsheil beantwortet. Besonders die deutsche Forschung war der Meinung, man könne aus den Quellen einen Anspruch der Merowinger erschließen, von einem Stiergott abzustammen und über magische Kräfte zu verfügen. Außerdem habe diese Vorstellung auch über die Christianisierung hinaus in der Idee weitergelebt, das „Königsheil“ sei für das Wohlergehen des Volkes unverzichtbar. Das äußere Zeichen dieser Magie seien die langen, gelockten Haare der Merowinger gewesen, die als Symbol ihrer besonderen Fruchtbarkeit verstanden worden seien. Dagegen lässt sich einwenden, dass die angebliche Abstammung der Merowinger von einem Stiergott erst relativ spät bezeugt ist, nämlich durch die Chronik des sogenannten Fredegar um 660. Zudem ist dieser Bericht deutlich von antikem Bildungsgut beeinflusst und sollte die Dynastie möglicherweise sogar verunglimpfen. Das lange Haar der Merowinger galt den Zeitgenossen zwar als sicheres Zeichen ihrer Zugehörigkeit zur Königsfamilie, aber der sakrale Bezug ist keineswegs zwingend. Vielmehr erweist es sich bei näherem Zusehen als vieldeutiges Zeichen, denn es symbolisierte in Spätantike und Frühmittelalter ganz allgemein eine exklusive Stellung in der Gesellschaft. Möglich sind sogar alttestamentarische Bezüge der merowingischen Haartracht. Weder die tierisch-göttliche Abstammung noch die langen Haare können daher als sichere Indizien germanisch-heidnisch-sakraler Vorstellungen gelten, die bei den Merowingern weit über ihre Christianisierung hinaus wirksam gewesen seien. Auf der sicheren Seite ist man daher, wenn man statt der heidnisch-germanischen die christlich-römischen Grundlagen der merowingischen Königsherrschaft seit Chlodwig betont. Das Christentum stabilisierte die herrschaftliche Ordnung, da die Christen im König die irdische Spitze der von Gott gewollten Ordnung sahen. Für die Galloromanen und auch für die zahlreichen Krieger fränkischer oder anderer Herkunft war es vermutlich wichtig, dass Childerich und Chlodwig nicht nur fränkische Könige waren, sondern auch römische Ämter und Funktionen innehatten. Besonders spektakulär war dabei Chlodwigs Ernennung durch den Kaiser zum Konsul und Patrizius im Jahr 508. Um Erwartungen ihrer galloromanischen Untertanen zu entsprechen, imitierten die Merowinger bis weit ins 6. Jahrhundert hinein Formen der kaiserlichen Repräsentation, auch wenn Ostrom im Laufe der Zeit an Bedeutung für die Galloromanen verlor. 2. Die realen Grundlagen königlicher Macht
Die Stellung des Königs in der ‚Verfassung‘ des Reiches lässt sich folgendermaßen beschreiben: „Die rechtliche Grundlage für die königliche Herrschaft ist die auf dem Bann beruhende Befehlsgewalt, lateinisch als regnum, imperium, potentia oder auch maiestas bzw. mit dem lateinisch-germanischen Rechtswort als bannus oder bannum bezeichnet“ (KAISER, Merowingerreich, S. 87). Der König besetzte die wichtigen kirchlichen und weltlichen Ämter, befehligte das Heer und führte das, was wir Außenpolitik nennen. Außerdem verfügte er über die fiskalischen Einnahmen und erließ die Gesetze. Früher postulierte die Forschung eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz der Volksversammlung, sprach sogar von ‚Volksrecht‘ und ‚Königsrecht‘, doch ist diese Ansicht überholt. Keine seiner Aktivitäten und schon gar nicht die als Gesetzgeber entwickelte der König allein, wie ein absoluter oder autokratischer Herrscher. Vielmehr beriet er sich immer mit den Großen des Reiches, entweder mit einer größeren Zahl im Rahmen einer Volksversammlung oder mit einer kleineren Gruppe von ihnen an seinem Hof. Damit war dem Anspruch nach das Volk, der populus, immer an seinen Entscheidungen beteiligt. Die Hauptanforderung an den König war an sich die Wahrung des Friedens nach innen und außen. Dies lässt sich zum einen auf spätantik-christliche Vorstellungen über den Herrscher und seine Aufgaben zurückführen. Auf der anderen Seite kollidierte dieser Anspruch mit der bisher bei den Franken üblichen Gewohnheit, das eigene Recht mittels Sippen- oder Familienfehden zu wahren. Daher konnten die Könige Frieden nur in ihrem unmittelbaren Umkreis durchsetzen. Der ‚Königsfriede‘ galt für den König selbst und alle Personen, Sachen und Orte, die dem Herrscher nahestanden bzw. ihm gehörten, insbesondere für seine Gefolgschaft. Der König konnte auch bestimmte Personen oder Gruppen in seinen Schutz nehmen, so vor allem die Kirchen, die sogenannten Schwachen oder Armen, Witwen, Waisen, Kaufleute, Juden und Orientalen. Ein Verstoß gegen den Königsfrieden wurde als Treubruch (infidelitas) und als Hochverrat im römisch-rechtlichen Sinne (crimen maiestatis) behandelt und mit der Konfiskation des Vermögens bestraft. Doch jeder König musste diesen Königsfrieden immer wieder neu durchsetzen, was angesichts der agonalen Grundstruktur der adligen Kriegsgesellschaften schwer genug war. Das merowingische Königtum beruhte wirtschaftlich zunächst vor allem auf dem königlichen fiscus, dem Krongut. Gemeint sind damit die verschiedenen, über fast das gesamte Reich verstreuten königlichen Landgüter. Zwischen Königs- und Staatsgut wurde in der damaligen Zeit nicht unterschieden. Man nimmt an, dass die merowingischen Könige hier die unmittelbaren Erben der römischen Kaiser gewesen sind und dass die merowingischen fisci auf römisches Staatsland – auch in römischer Zeit wurde das Wort fiscus gebraucht – zurückgingen. Sicherlich gilt das nicht immer und in jedem Fall. Die Merowinger werden zum einen kaum das gesamte römische Staatsland in ihre Hand gebracht haben und zum anderen da und dort darüber hinausgegriffen haben. Eine nähere Bestimmung ist auch deshalb schwierig, weil die Merowinger anders als die römischen Kaiser Teile des fiscus verschenkten und zugleich ebenso wie diese ihre Güter durch Konfiskationen auch erweiterten. Der Schwerpunkt der merowingischen fisci befand sich in Nordgallien, insbesondere in der Gegend von Paris. Die einzelnen fisci waren auf villae publicae bzw. villae regales hin konzentriert. Die größeren unter ihnen dienten auch als zeitweilige Residenzen der Könige (palatia), als Gutshöfe oder auch als Stützpunkte für die Jagd. Daneben gab es kleinere Orte, vici, in denen die Masse der abhängigen Bauern und Knechte lebte, die den betreffenden fiscus bewirtschafteten. Eine weitere klassische Einnahmequelle des römischen Staates waren die Steuern. An dieses Steuersystem knüpften die Merowinger ebenfalls an. Die wichtigste spätantike Steuer war die annona, die für Heer und Verwaltung zu leistende Naturalabgabe. Berechnet wurde diese auf der Grundlage der abstrakten Steuereinheiten des iugum und des caput. Das iugum, übersetzt ‚das Joch‘, war auf den Landbesitz zu entrichten, wobei die Steuerhöhe nicht nur von der Größe, sondern auch von der Güte des Bodens abhing. Das caput erfasste als Kopfsteuer den Menschen vor allem hinsichtlich seiner (land-)wirtschaftlichen Leistungskraft: So entsprachen einem Mann zwei Frauen; auch Tiere wurden bei der Berechnung berücksichtigt. Beide Steuerarten zusammen ergaben die Steuersumme einer civitas. Wichtig waren auch die als munera bezeichneten Dienst- und Arbeitsleistungen, die zusammen mit den Arbeitsleistungen der Kolonen für ihre Herren als Vorläufer der mittelalterlichen Frondienste gelten. Davon und von außerordentlichen Steuern, nicht aber von den normalen Steuern waren die hohen Beamten, die Aristokratie und die Kirchen befreit. Die wichtigsten indirekten Steuern waren die Zölle, und zwar vor allem die Binnenzölle. Steuern und Abgaben In seinen Grundzügen blieb das römische Steuer- und Abgabensystem auch in merowingischer Zeit erhalten. An die Stelle der Kaiser waren die fränkischen Könige getreten, die nunmehr die Höhe der Steuern bestimmten, neue Steuern einführten, bestehende reduzierten oder ganz erließen. Auch unter den Merowingern blieb die civitas mit ihrem Umland, dem pagus, der normale Steuerbezirk, doch wurden mehrere civitates bisweilen auch zu größeren Einheiten zusammengefasst. Die Amtsträger des Königs, insbesondere duces und comites, waren für die lokale Steuererhebung verantwortlich. Ihnen untergeordnet waren die eigentlichen Steuereinnehmer, die exactores und vicarii. Der Kurialenstand trat im Zusammenhang mit der Steuer nicht mehr in Erscheinung, doch blieb das Prinzip der Steuerhaftung bestehen, das nun die eben genannten nachgeordneten Steuereinnehmer traf. Die...


Becher, Matthias
Matthias Becher ist Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Bonn.

Kintzinger, Martin
Martin Kintzinger ist Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Westfälische Wilhelms-Universität Münster.

Matthias Becher ist Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Bonn.Martin Kintzinger ist Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Westfälische Wilhelms-Universität Münster.


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