Becker | Soziologische Tricks | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 337 Seiten

Becker Soziologische Tricks

Wie wir über Forschung nachdenken können

E-Book, Deutsch, 337 Seiten

ISBN: 978-3-86854-451-0
Verlag: Hamburger Edition HIS
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Howard S. Becker erzählt auf persönliche und unterhaltsame Weise von Möglichkeiten, über Forschung nachzudenken und sie voranzutreiben. Dazu schöpft er aus seinem Erfahrungswissen. Die größten Feinde des soziologischen Denkens sind, so Howard S. Becker, Konventionen - soziale wie wissenschaftliche. Statt zu vertiefter Erkenntnis zu verhelfen, stehen sie ihr oft eher im Weg. Doch es gibt den einen oder anderen Trick, um Denkroutinen zu erkennen, zu überwinden oder zu umgehen. Wie kommen wir auf Ideen, wie an unsere Daten, welche Konzepte helfen uns weiter, wie machen wir unser Argument nicht nur nachvollziehbar, sondern verleihen ihm auch Überzeugungskraft? Becker versorgt uns mit Kniffen, die er und andere über die Jahre erprobt haben. Soziologische Tricks erlaubt es daher, Sozialforschung als Handwerk zu begreifen, ein Handwerk, das wie andere auch im fortwährenden Lösen von Problemen besteht. Becker arbeitet mit Beispielen, Geschichten und Modellen, an denen man sich orientieren kann, wenn man auf ein vergleichbares Problem stößt. Seine Tricks machen das Forschen freilich nicht zwingend leichter, denn es geht darum, Dinge anders oder aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, um neue Fragestellungen zu entdecken.

Howard S. Becker, 1928 geboren, wollte eigentlich kein Soziologe werden, sondern sein Geld damit verdienen, Jazzklavier zu spielen. Er hat dann beides gemacht und war Professor an der Northwestern University in Chicago und an der University of Washington in Seattle. Er ist bekannt für seine Studien über Außenseiter und Kunstwelten und gilt als einer der bedeutendsten Soziologen der Vereinigten Staaten.
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Weitere Infos & Material


Vorwort

Tricks

Ideen

Fallauswahl

Konzepte

Logik

Coda

Dank zur amerikanischen Ausgabe

Literaturverzeichnis

Thomas Hoebel
Auf wessen Seite steht Howard S. Becker?
Ein Nachwort

Zu den Autoren


Ideen
An der University of Chicago erlebte ich auch Herbert Blumer als Lehrer. Er war ein ehemaliger Footballspieler, groß, kräftig und imponierend, mit einer Stimme, die unpassend hoch und schrill wurde, wenn er sich über einen abstrakten theoretischen Sachverhalt erregte. Er lehrte Sozialpsychologie und seine spezielle Version der Methodologie. Dabei war ein Aspekt die gewohnheitsmäßige, geradezu obsessive Art und Weise, wie er unsere Aufmerksamkeit immer wieder auf die zugrunde liegenden Vorstellungen lenkte, mit denen sich Soziolog*innen den Phänomenen nähern, die sie untersuchen. Was glauben sie zu betrachten? Welchen Charakter hat es? Vor allem aber, betreiben sie angesichts dessen, wofür sie es halten, ihre Untersuchungen richtig, und berichten sie in einer Weise über ihre Erkenntnisse, die dem Charakter des Studienobjekts entspricht? Diesen Punkt betonte er oft und nachdrücklich: Man kann die empirische Welt nur durch ein Schema oder eine Vorstellung von ihr wahrnehmen. Die gesamte Handlung der wissenschaftlichen Untersuchung ist an dem ihr zugrunde liegenden Bild der empirischen Welt ausgerichtet und von ihm gestaltet. Dieses Bild legt die Auswahl und Formulierung von Problemen fest, die Bestimmung der Dinge, die als Daten betrachtet werden, die für die Sammlung der Daten benutzten Mittel, die zwischen den Daten gesuchten Arten von Beziehungen und die Formen, in denen Aussagen gemacht werden. Berücksichtigt man diese grundlegende und durchdringende Auswirkung, die von dem am Beginn der Studie stehenden Bild der empirischen Welt auf den gesamten Verlauf der wissenschaftlichen Untersuchung ausgeübt wird, so ist es lächerlich, dieses Bild zu ignorieren. Dieses zugrundeliegende Bild der empirischen Welt kann immer in der Form eines Sets von Prämissen bestimmt werden. Die den »Schlüsselobjekten«, aus denen das Bild zusammengesetzt ist, entweder explizit oder implizit zugeschriebene Beschaffenheit setzt diese Prämissen fest. Die unumgängliche Aufgabe echten methodologischen Vorgehens ist es, diese Prämissen zu bestimmen und einzuschätzen.15 Blumer wollte vor allem die Soziolog*innen dafür tadeln, dass sie ihre Arbeit auf Vorstellungen aufbauten, die in eklatantem Widerspruch zu dem standen, was die Menschen wussten, und ganz besonders dafür, dass sie mit Vorstellungen von der Gesellschaft arbeiteten, die dem widersprachen, was ihre tägliche Erfahrung ihnen über die Dinge sagte. Ich studierte bei Blumer und lernte durch eine Übung, zu der er uns drängte, wie wichtig das ist: Wir sollten beliebige zehn Minuten unserer eigenen Erfahrung nehmen und versuchen, sie zu erklären und zu verstehen, indem wir die aktuell gerade modischen Theorien der Sozialpsychologie anwandten. Wenn wir versuchten, beispielsweise die Reiz-Reaktions-Psychologie (die damals sehr populär war) auf so banale Tätigkeiten wie Aufstehen und Frühstücken anzuwenden, stellten wir fest, dass man die Reize nicht klar identifizieren und eindeutig mit den »Reaktionen« verknüpfen konnte. Wir begriffen sehr schnell, um was es ging. Keine verfügbare Theorie vermittelt einem die Worte und Ideen, die Vorstellungen, um der Vielzahl der Dinge gerecht zu werden, die man sieht und hört und fühlt und macht, während man all das erledigt, woraus das Leben besteht. Aber was machen wir, wenn wir den Gedanken akzeptiert haben, dass bei unseren üblichen sozialwissenschaftlichen Ideen etwas fehlt? Warum sind unsere Vorstellungen so mangelhaft? Wie können wir sie verbessern? Ich habe genau wie andere Studierende darunter gelitten, dass wir das Problem sahen, aber keine Lösung. An der Stelle ließ Blumer uns im Stich. Gnadenlos wies er auf das Versagen der Soziolog*innen hin, wenn es darum ging, mehr über das herauszufinden, was er »den hartnäckigen Charakter des sozialen Lebens als Prozess interagierender Identitäten« nannte. [Die erste Beobachtung ist], dass der Forscher fast per Definition keine unmittelbare Kenntnis des Bereichs des sozialen Lebens hat, den zu erforschen er beabsichtigt. Er ist selten Teilnehmer in jenem Bereich und gewöhnlich nicht in engem Kontakt mit den Handlungen und Erfahrungen der Leute, die in diesen Bereich einbezogen sind. Seine Position ist fast immer die eines Außenseiters; als solcher ist er deutlich begrenzt in seinem einfachen Wissen um das, was in dem betreffenden Lebensbereich vor sich geht. Dies ist keine Beschuldigung von Forschern; es ist eine einfache Beobachtung, die auf alle Menschen in ihrer Beziehung zu einem Lebensgebiet, das sie nicht genau durch persönliche Teilnahme kennen, Anwendung findet. Der Soziologe, der Verbrechen, Studentenunruhen in Lateinamerika oder politische Eliten in Afrika zu erforschen beabsichtigt, und der Psychologe, der es auf sich nimmt, den Drogenkonsum Heranwachsender, Erwartungen bei afroamerikanischen Schulkindern oder soziale Ansichten bei Delinquenten zu erforschen – beide sind ein Beispiel für das fast unausweichliche Fehlen intimer Kenntnis des betreffenden Lebensgebietes.16 Blumer hat diesen Gedankengang nie bis zu dem Punkt weiterverfolgt, dass er bestimmte Lösungen daraus ableitete. Er sagte uns nicht, was gute Ideen wären, um damit zu arbeiten, oder nur auf höchst abstrakter Ebene, oder wie wir solche Vorstellungen erzeugen könnten, außer dass wir uns Informationen aus erster Hand über den Bereich des gesellschaftlichen Lebens verschaffen sollten, für den wir uns interessierten. Das war natürlich nötig, aber es reichte uns nicht als Anleitung. In diesem Kapitel werde ich versuchen, diesem Mangel an Spezifizität abzuhelfen, ich werde die Vorstellungen diskutieren, die Sozialwissenschaftler*innen benutzen, werde schauen, woher sie kommen, und werde bestimmte Tricks vorstellen, um sie zu verbessern. Überzeugende Ideen
Wie gesagt: Blumer dachte, und ich denke es auch, dass die grundlegende Operation beim Studium der Gesellschaft – wir beginnen mit Vorstellungen und enden mit Vorstellungen – die Hervorbringung und Verfeinerung einer Vorstellung des Gegenstandes ist, den wir untersuchen. Wir erfahren ein bisschen (oder vielleicht ziemlich viel) über etwas, das uns interessiert. Auf der Grundlage dieses Bisschens konstruieren wir eine komplette Geschichte des Phänomens (oder stellen uns eine solche vor). Nehmen wir einmal an, ich wollte ein bestimmtes Stadtviertel untersuchen. Ich könnte damit anfangen, ein lokales statistisches Werk zu konsultieren (das Chicago Community Fact Book oder die Veröffentlichung der maßgeblichen Ergebnisse des Zensus), um zu sehen, was für Menschen in dem Viertel leben. Wie viele Männer? Wie viele Frauen? Wie alt sind sie? Wie ist ihr mittleres Bildungsniveau? Ihr mittleres Einkommensniveau? Mit diesen grundlegenden Informationen kann ich ein vollständiges, wenn auch provisorisches geistiges Bild dieses Viertels entwerfen – eine Vorstellung. Anhand der Zahlen zu Einkommen und Bildung kann ich entscheiden, dass es ein Arbeiter*innen-Viertel ist, und auf der Grundlage der Altersverteilung kann ich Überlegungen zu den Familienstrukturen anstellen, ob es ein Gebiet mit Ruheständler*innen ist oder vielen Menschen, die auf den Ruhestand zugehen, oder umgekehrt ein Gebiet mit vielen jungen Menschen in der Phase der Familiengründung. Wenn ich die Variablen race und ethnische Zugehörigkeit hinzufüge, wird mein Bild noch detailreicher. Mein Bild ist mehr als eine Zusammenstellung von Zahlen. Es enthält Details, die nicht in den Büchern und Tabellen stehen, die ich konsultiert habe, Details, die ich auf der Grundlage dessen, was diese Werke mir erzählt haben, erfunden habe. Das bringt uns zum zweiten Teil von Blumers Kritik an den Vorstellungen von Sozialwissenschaftler*innen: [Die zweite Beobachtung ist], dass trotz dieses Fehlens unmittelbarer Kenntnis der Forscher sich unbewusst irgendein Bild von dem Lebensbereich, den er erforschen will, machen wird. Er wird seine Anschauungen und Vorstellungen, die er schon hat, ins Spiel bringen, um sich ein mehr oder weniger klares Bild von dem Lebensbereich zu formen. In dieser Hinsicht ist er wie alle Menschen. Seien wir nun Laien oder Forscher, notwendigerweise betrachten wir jedes unbekannte Gebiet des Zusammenlebens durch Raster, die wir schon besitzen. Wir mögen keine unmittelbaren Kenntnisse des Lebens in delinquenten Gruppen haben oder in Gewerkschaften oder in gesetzgebenden Ausschüssen oder in dem Vorstand einer Bank oder in einem religiösen Kult, und dennoch entwickeln wir, wenn man uns einige wenige Stichworte gibt, mit Leichtigkeit brauchbare Bilder von solch einem Leben. Wie wir alle wissen, ist dies der Punkt, an dem Stereotype auftreten und die Kontrolle übernehmen. Wir alle haben als Gelehrte unseren Anteil an den allgemeinen Stereotypen, die wir benutzen, um ein uns unbekanntes Gebiet des empirischen sozialen Lebens zu betrachten.17 Nachdem ich diese ersten vorläufigen Fakten über das Viertel, das ich untersuchen will, zusammengetragen habe, »weiß« ich beispielsweise, in was für Häusern diese Menschen leben – ich kann sie fast wie auf einem Foto sehen: die säuberlich gestutzten Rasenflächen mit Plastikflamingos, die Möbel aus den Möbelhäusern, die...


Howard S. Becker, 1928 geboren, wollte eigentlich kein Soziologe werden, sondern sein Geld damit verdienen, Jazzklavier zu spielen. Er hat dann beides gemacht und war Professor an der Northwestern University in Chicago und an der University of Washington in Seattle. Er ist bekannt für seine Studien über Außenseiter und Kunstwelten und gilt als einer der bedeutendsten Soziologen der Vereinigten Staaten.


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