Beevor | Russland | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 672 Seiten

Beevor Russland

Revolution und Bürgerkrieg 1917-1921

E-Book, Deutsch, 672 Seiten

ISBN: 978-3-641-29905-7
Verlag: C.Bertelsmann
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



»Ein Meisterwerk der Geschichtsschreibung und zugleich eine schmerzliche Lektion für die Gegenwart« (Daily Telegraph)
Beklemmend aktuell mutet die Geschichte Russlands von 1917 bis 1921 an - vom Zusammenbruch des Zarenreichs über die Oktoberrevolution bis zum Bürgerkrieg zwischen »Roten« und »Weißen« -, als sich auch auf dem Boden der Ukraine im Kampf um Vorherrschaft und Einflusssphären brutalste Gewalt entlädt. Gestützt auf eine Fülle neuester Archivfunde, zeichnet Antony Beevor ein ebenso dichtes wie weitgefasstes Panorama dieser welthistorischen Epoche mit einer kaum überschaubaren Zahl an Kombattanten, die sich auf einem Terrain von Warschau bis Wladiwostok, vom Polarkreis bis zu den Grenzen des Osmanischen Reiches gegenüberstanden. In seiner eindringlichen Gesamtschau dieser Jahre erweist sich Beevor erneut als fesselnder Erzähler, der die komplexen und monströs blutigen Ereignisse mit großer epischer Kraft ordnet und aus einer Vielzahl von Perspektiven lebendig werden lässt.Mit zahlreichen Abbildungen und Karten.

Antony Beevor, Jahrgang 1946, ist mit seinen in zahlreiche Sprachen übersetzten Büchern weltweit der erfolgreichste Autor zu historischen Themen. Er wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Wolfson History Prize, dem Samuel-Johnson-Preis und dem Pritzker Literature Award, und 2017 für seine Verdienste in den Adelsstand erhoben. Auf Deutsch sind von ihm die Bestseller erschienen: »Stalingrad« (1999), »Berlin 1945 - Das Ende« (2002), »Der Spanische Bürgerkrieg« (2006), »D-Day« (2010), »Der Zweite Weltkrieg« (2014), »Die Ardennen-Offensive 1944« (2016) und »Arnheim« (2019).
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Vorwort
Im Januar 1902 berichtete der Herzog von Marlborough seinem Cousin ersten Grades Winston Churchill brieflich von einem Hofball, an dem er in Sankt Petersburg teilgenommen hatte. Marlborough äußerte seine Verwunderung über die anachronistische Vornehmheit, in der der Zar von ganz Russland sich zu gefallen schien. Er beschrieb Nikolaus II. als einen »freundlichen und liebenswürdigen Mann, der versucht, die Rolle eines Autokraten zu spielen«.1 Der Empfang sei all der pomphaften Pracht von Versailles würdig gewesen. »Für fast dreitausend Personen wurde Abendbrot serviert. Der Eindruck, den es macht, so viele Menschen gleichzeitig Platz nehmen zu sehen, ist schwer zu beschreiben. Du kannst aber die Großartigkeit der Veranstaltung erahnen, wenn ich Dir sage, dass die Gäste von insgesamt etwa zweitausend Dienern bedient wurden, unter denen sich neben Kosaken und Mamelucken auch Läufer [Lakaien] wie im England des 18. Jahrhunderts befanden, mit riesigen Straußenfederhüten auf dem Kopf. In jedem Raum befand sich eine Regimentskapelle, damit überall, wohin immer der Zar sich begeben mochte, die Nationalhymne gespielt werden konnte. […] Es gab noch eine weitere Ehrengarde, deren Aufgabe es offenbar war, fünf Stunden lang ununterbrochen die Schwerter zu präsentieren.«2 Als Marlboroughs junge Ehefrau Consuelo Vanderbilt den Zaren bei einem späteren Abendessen fragte, ob es möglich sei, in Russland die Demokratie einzuführen, antwortete er: »In der Entwicklung unserer nationalpolitischen Einrichtungen sind wir zweihundert Jahre hinter Europa zurück. Russland ist immer noch eher asiatisch als europäisch und braucht darum eine autokratische Regierung.«3 Marlborough war auch über die Eigenheiten der Garderegimenter erstaunt, die das Militärsystem beherrschten. »Der Großherzog Wladimir, der einem Teil der Armee vorsteht, lässt sich die Rekruten vorführen. Männer mit Stupsnase kommen in das von Kaiser Paul, der eine Stupsnase besaß, geschaffene Pawlowski-Regiment.«4 Etikette, Protokoll und Bürokratie waren nicht nur am Hof, sondern auch in der Kaiserlich Russischen Armee archaisch. Hauptmann Archie Wavell, der spätere Feldmarschall, stellte als junger Offizier der Black Watch[1] bei einem Einsatz in Russland kurz vor dem Ersten Weltkrieg fest, dass selbst Stabsoffiziere Angst hatten, Initiative zu ergreifen. Als »Beispiel für den Konservativismus der russischen Armee« nannte er »die Gepflogenheit [der Soldaten], das Bajonett stets auf dem Gewehr befestigt zu tragen«.5 Dies ging auf einen Befehl zurück, den Marschall Suworow Ende des 18. Jahrhunderts gegeben hatte, nachdem eine russische Kolonne in einen Hinterhalt geraten und vernichtet worden war. Russische Offiziere betrachteten es als Schande, ohne Uniform gesehen zu werden. Ein Dragonerhauptmann, der Wavell über die Gepflogenheiten in der britischen Armee befragte, konnte nicht glauben, dass deren Offiziere außerhalb des Dienstes Zivilkleidung trugen und in der Öffentlichkeit keine Schwerter mit sich führten. »Aber dann haben die Leute doch keine Angst vor Ihnen«,6 platzte er heraus. Ein zaristischer Offizier hatte auch das Recht, jedem seiner Soldaten zur Strafe ins Gesicht zu schlagen. Wavell war nicht überrascht zu erfahren, dass die russische Intelligenzija die Herrscher als »bürokratische Unterdrücker« betrachtete; »sie misstraute der Polizei und verachtete die Armee«.7 Nach den demütigenden Katastrophen des Russisch-Japanischen Krieges von 1904/05 und dem an den Teilnehmern von Pater Georgi Gapons friedlichem Protestmarsch zum Winterpalast im Januar 1905 verübten Massaker hatte sie den Respekt vor dem Regime und den Streitkräften verloren. »Russland schwenkte über Nacht nach links«, schrieb Nadeschda Lochwizkaja unter ihrem Pseudonym »Teffi«. »Unter den Studenten kam es zu Unruhen, Arbeiter streikten. Selbst alte Generäle schnaubten, wenn die Rede darauf kam, wie unwürdig das Land regiert wurde; sie kritisierten auch den Zaren scharf.«8 Als Gegenleistung für seine großen Privilegien wurde vom Adel erwartet, dass er seine Söhne der Armee als Offiziere und der Verwaltung in Sankt Petersburg als Beamte zur Verfügung stellte. Und die dreißigtausend Grundbesitzer sollten durch lokale »Landeshauptmänner« die Ordnung auf dem Lande aufrechterhalten. Die Befreiung der Leibeigenen 1861 hatte wenig zur Verbesserung von deren verzweifelter Lage beigetragen. »Unsere Landbevölkerung lebt unter schrecklichen Bedingungen und ohne organisierte medizinische Versorgung«, schrieb Maxim Gorki. »Die Hälfte aller Bauernkinder stirbt, bevor sie fünf Jahre alt sind, an Krankheiten. Fast alle Frauen auf dem Dorf leiden an Frauenkrankheiten. Die Dörfer verfaulen infolge von Syphilis; sie sind in Elend, Unwissenheit und Verwilderung versunken.«9 Die Frauen litten auch unter der Gewalttätigkeit ihrer Männer, vor allem wenn diese betrunken waren. Die Vorstellung, der derbe russische Bauer könnte Teil einer unwiderstehlichen militärischen Dampfwalze werden, war eine Illusion. In Friedenszeiten wurden drei von vier jungen Bauern aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt. Die Offiziere klagten über die Einstellung der Wehrpflichtigen, die während des Ersten Weltkriegs eintrafen. In einem Bericht der 2. Armee heißt es: »Es ist erbärmlich, kommt aber ziemlich häufig vor, dass sich die unteren Dienstgrade selbst Wunden zufügen, um dem Kampf zu entgehen. In vielen Fällen ergeben sie sich dem Feind.« Der Bericht bezeichnete sie als »ordinäre Muschiks«: »Sie starren gleichgültig, blöde und finster vor sich hin, statt ihrem Kommandeur fröhlich und vergnügt in die Augen zu schauen.«10 Im Grunde verhielt sich der russische Bauer in Uniform gemäß der Taktik, die die britische Armee als »stupide Unverschämtheit« zu bezeichnen pflegte. Selbst aufgeklärte Angehörige der Oberschicht und des Adels fürchteten die »finsteren Massen« und ihre gelegentlichen Ausbrüche furchtbarer Gewalt, zu denen es etwa bei dem nach ihrem Anführer Jemeljan Pugatschow benannten Bauernaufstand von 1773 gekommen war. »Bewahre uns Gott vor einem russischen Aufstand, sinnlos und erbarmungslos!«, schrieb Alexander Puschkin.11 Während der Unruhen und Brandschatzungen, die 1905 auf die Katastrophen des Russisch-Japanischen Krieges folgten, bestand die einzige Hoffnung der Gutsbesitzer darin, dass der örtliche Gouverneur Truppen aus einer der zahlreichen Garnisonsstädte entsenden würde. Die berühmt-berüchtigte Bemerkung, die Karl Marx und Friedrich Engels im Kommunistischen Manifest über die »Idiotie des Landlebens« gemacht haben, womit sie auch die Leichtgläubigkeit, Apathie und Unterwürfigkeit der Bevölkerung meinten, hatte auch über die Bauerndörfer hinaus ihre Berechtigung. Das Leben in kleinen Provinzstädten konnte fast genauso verblöden. Satiriker wie Saltykow-Schtschedrin und Gogol blickten unter die trübe Oberfläche des stehenden Gewässers. Saltykow, ironischerweise ein Lieblingsautor Lenins, beschwor auch »die verheerende Wirkung der legalisierten Sklaverei auf die menschliche Seele«,12 eines Phänomens, das sowohl in der zaristischen als auch in der sowjetischen Ära zu beobachten war. Leo Trotzki machte dafür die geistige Zwangsjacke der orthodoxen Kirche verantwortlich. Er behauptete, eine Revolution werde nur dann möglich sein, wenn das Volk von den »Ikonen und Kakerlaken« des Heiligen Russlands genug habe. Bemühungen um eine Bodenreform führten nur in einigen Gebieten zu Ergebnissen. Im Unterschied zum Landbesitz von Graf Dmitri Scheremetew, dem großen Magnaten des 19. Jahrhunderts, der rund 760000 Hektar mit etwa dreihunderttausend Leibeigenen besaß,13 waren die meisten Ländereien klein und verarmt. Selbst wenn sie es gewollt hätten, hätten nur sehr wenige Gutsbesitzer es sich leisten können, die Wohnverhältnisse zu verbessern oder auch nur die einfachste Form der Mechanisierung einzuführen. Viele sahen sich stattdessen gezwungen, ihren Besitz zu verkaufen oder zu verpfänden. Die persönlichen Beziehungen wurden zunehmend künstlich und angespannt. Die ärmeren Bauern blieben Analphabeten, was bedeutete, dass sie sowohl von den Dorfältesten als auch von den Getreidehändlern ausgebeutet und von vielen Grundbesitzern, die ob ihres Machtverlusts voller Ressentiments waren, schlecht behandelt wurden. Unterwürfige Pächter, die sich vor ihren adligen Herren verneigten, nutzten infolgedessen jede Gelegenheit, sie zu betrügen, sobald jene ihnen den Rücken kehrten. Die Abwanderung in die Städte beschleunigte das Wachstum der Arbeiterklasse, des Proletariats, das die Marxisten als Vorhut der Revolution betrachteten. Die Einwohnerzahl von Sankt Petersburg, die um die Jahrhundertwende nur gut eine Million betrug, stieg bis Ende 1916 auf mehr als drei Millionen. Die Arbeitsbedingungen in den Fabriken waren haarsträubend, und sie waren gefährlich. Die Arbeiter wurden von den Eigentümern als austauschbar angesehen, da so viele Bauern darauf warteten, ihren Platz einzunehmen. Es gab kein Streikrecht...


Beevor, Antony
Antony Beevor, Jahrgang 1946, ist mit seinen in zahlreiche Sprachen übersetzten Büchern weltweit der erfolgreichste Autor zu historischen Themen. Er wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Wolfson History Prize, dem Samuel-Johnson-Preis und dem Pritzker Literature Award, und 2017 für seine Verdienste in den Adelsstand erhoben. Auf Deutsch sind von ihm die Bestseller erschienen: »Stalingrad« (1999), »Berlin 1945 – Das Ende« (2002), »Der Spanische Bürgerkrieg« (2006), »D-Day« (2010), »Der Zweite Weltkrieg« (2014), »Die Ardennen-Offensive 1944« (2016) und »Arnheim« (2019).


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