Behrens | "Eugens Steppe" | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 162 Seiten

Behrens "Eugens Steppe"

Eine Parabel

E-Book, Deutsch, 162 Seiten

ISBN: 978-3-8442-3626-2
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



"Ich rede von diesen beschissenen Versuchungen überall in diesem Deutschland, von den Dingen, die dir dein Hirn verkleben … du wirst nachgeben und das macht mich so wütend! Du wirst den Verlockungen erliegen und glauben du hättest hier eine Heimat gefunden. Geh' zurück, geh' in dein wahres Leben."

Wo endet Migration und wo beginnt Heimat?
Eugen Schreiber kommt aus Kasachstan nach Deutschland, um hier seinen Traum von einem besseren Leben zu verwirklichen. Doch trotz eines deutschen Passes, ist der junge Russlanddeutsche ein Fremder in diesem Land. Als Unterqualifiziertem bleiben ihm nur schlecht bezahlte Helferjobs. Weil er in Kasachstan Umgang mit Pferden hatte, stellt ihn ein Schmied als Helfer ein. Mit seinem Chef arbeitet Eugen in den verschiedenen Reitställen und lernt die Lebenswelt der unterschiedlichsten Menschen und ihrer Pferde kennen, eine absurde Gegenwelt zum Wohnheim, in dem Eugen lebt. Dort erfährt er das Gefühl der Isolation, da er sich weder als Asylant empfindet, noch wirkliche Anknüpfungspunkte in seiner neuen deutschen Heimat findet. Eugen steigert sich zunehmend in den Glauben hinein, dass nur der materielle Erfolg seine seelische Zufriedenheit herbeiführen kann, ihn hier endlich heimisch werden lässt.
In Tagträumen - Starrungen - erinnert sich Eugen an die ihm vertraute Welt in Kasachstan, zu der auch die Frau seines Bruders gehört. Eine Seelenverwandte, ein uneingelöstes Versprechen … schmerzende Erinnerungen aus einer archaischen Welt.
Als Eugen feststellt, dass er durch die harte körperliche Arbeit seine Wünsche nicht erfüllen kann, beschließt er, seinen erfolgreichen Cousin Arthur und dessen Frau Irina zu besuchen. Eine Entscheidung, die ihn erkennen lassen wird, wozu er wirklich fähig ist.
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Kapitel Zwei
Schnell ging das mit dem Treffen. Der Sachbearbeiter hatte ihm noch den Hinweis gegeben, dass er, wenn er es ernst meine mit der Arbeit, sofort dort anrufen solle, schließlich finge ja nur der frühe Vogel den Wurm. Verabredet haben sie sich an dem einzigen Platz in der Stadt, den Eugen bereits kennt. Er hatte sich gut vorbereitet: frische Sachen angezogen, sich restlos gesäubert, rasiert, ein bisschen Deo. Der erste Eindruck sagt alles. Eugen will ihn auf jeden Fall Chef nennen, obwohl er sich am Telefon sehr jung angehört hat. So ein dienstbeflissenes „Chef“ macht gleich deutlich, dass er es ernst meint mit dem Job und keine Probleme bereitet. Den Zettel mit der Telefonnummer schiebt er in seine Jackentasche und verlässt das Einkaufscenter über die Rolltreppe zur U-Bahn. Im Eingangsbereich des Bahnhofs überlegt er, wie er die nächste halbe Stunde rumkriegen will, denn vor drei würde das nichts, hatte ihm der Chef gesagt. Sein Hunger schickt ihn auf die Suche. Die Bahnhofsbäckerei beeindruckt durch ihr Äußeres und wirkt mit der kathedralenähnlichen Schallkulisse der Vorhalle noch prachtvoller. Aufwendige Buntglasscheiben in geschliffenem Edelstahl eingefasst, daneben, durch unbehauenen Naturstein abgegrenzt, große Türflügel, mit Kupferblech beschlagen. Im Innenraum hängen antike, messingfarbene Lüster mit original italienischem Kristallglaseffekt. Alles sehr würdevoll. Hinter der Theke mit den belegten Brötchen sitzt eine offensichtlich minderjährige Bedienung. Sie hat etwas von einer Madonna, jedenfalls ihre Haltung. Auf einem Hocker sitzend, liest sie angestrengt in einem Frauenmagazin. Eugen setzt sich mit einem Kaffee an einen rustikal gehaltenen, schweren Holztisch. Vernarbte Holzbohlen … Welch' rotes Farbenspiel, wenn sein Vater mit dampfendem Wasser das Blut abwusch. Regelmäßig zerlegten sie zu Hause Schweine auf der großen Arbeitsplatte im Schuppen hinter dem Stall. Sogar die kleinsten brauchbaren Bestandteile wurden geschnitten, gewurstet, gekocht. Alles feucht, warm und rot auf dem Tisch. Eugen verweilt in diesem sinnlichen Gefühl und beobachtet die gereizten Kunden in der Warteschlange. Wenn er mit dem Messer in die weiße, abgebrühte Haut eindringt oder die Innereien auf dem Tisch reinigt, wenn er den Ekel in den Gesichtern der eiligen Esser sieht. Wie schockiert sie wären, diese Uhrenbetrachter, beim Anblick von all dem Blut, das Eugens bisheriges Leben begleitet hat. Als Notwendigkeit des Überlebens, nicht der des Überflusses. Und von all den tierischen Körperteilen, die seine 'Fleischeslust' im Zaum gehalten haben. Diese Sinnlichkeit des Fleisches würde, in Erinnerung an das, was durch den Magen geht, die vergessliche Kundschaft etwas empfänglicher machen für den faszinierenden Ekel. Eugen ist plötzlich ganz erschrocken über sein ungerechtes Urteil. Während er sich innerlich bei den Passanten entschuldigt, geht ein Schwarzer von Tisch zu Tisch, um Teller und Besteck auf einen Rollwagen zu räumen. Wenn der Mensch sich über die Tiere erheben will, ist es besser, der Tisch bleibt sauber und man bezahlt ganz zivilisiert. Essensreste gibt er in einen extra dafür bereitgestellten Plastiksack. Ein Obdachloser schaut zu Eugen rüber, um dann mit einem Blick zu verfolgen, wie George (er trägt ein Namensschild an seiner Schürze) seine Arbeit verrichtet. An einem Tisch mit zwei Frauen geschieht George, wie dieser glaubt, ein kleines Missgeschick, aber tatsächlich ist es sehr viel schwerwiegender: Die beiden Frauen unterhalten sich sehr angeregt, weshalb ihnen im ersten Moment entgeht, dass George einen großen Kuchenrest, der auf einem Teller etwas abseits am Rande des Tisches steht, in den Plastiksack wirft. Wahrscheinlich hat er schon öfter größere Stücke entsorgt. Die Blonde mit dem sandfarbenen Kaschmir-Pullover bemerkt es zuerst und weist ihre Freundin, die eine zum Haarreif hochgeschobene Sonnenbrille trägt, diskret flüsternd darauf hin, dass George ihren Kuchen weggeschmissen hat. Diese stellt ihn zur Rede, was sich als wenig hilfreich erweist, da er die deutsche Sprache nur sehr lückenhaft beherrscht. Er scheint jedoch zu ahnen, dass es sich um den Kuchenrest handeln muss. Eilig greift er in den Sack und stellt das Stück, auf einem neuen Teller darreichend, vor sie auf den Tisch. Das Ganze quittiert er mit einem Lächeln. Mit einem freundlichen Gesichtsausdruck und vermutlich nicht gespielter Gelassenheit dreht sich die Ältere fragend in die Runde, um sich des Publikums für ihren folgenden Monolog zu versichern und beginnt mit ihrem Auftritt. Sie fände es ja gut, dass die Kulturen zusammenwachsen, dass wir voneinander lernen können, jeder die Chance bekommt, die er verdient (und hier hebt sie leicht den Zeigefinger), wie man es ja in den Castingshows immer wieder erleben könne. Doch der Erfolg kommt nur, wenn man bereit ist zu lernen, sich zu öffnen für neues Wissen. George müsse noch viel lernen (jetzt schaut sie ihn liebevoll an und wendet sich dann wieder dem Publikum zu), angefangen bei der Sprache, den Hygienevorschriften und außerdem würde es auch nicht schaden, die Benimmkultur des Gastgeberlandes zu studieren. Aber das würde schon was mit ihm, dem George, dafür hätte sie ein Näschen. Keiner klatscht. Verunsichert, weil er fast nichts verstanden hat, dreht sich George zur Filialleiterin um. Die kommt auch schon von der Kasse herbeigeeilt. Die kurzen blonden Haare geben ihrem aufgedunsenen Gesicht keine Chance und die Vermutung liegt nahe, dass sie selbst ihre beste Kundin ist. Sie spielt mit der Rechten am Schlüsselband und streichelt mit der Linken immer wieder den Button, der über ihrem wogenden Busen prangt und sie als 'Storemanager' ausweist. So, wie sie es in unzähligen Seminaren gelernt hat, nimmt sie gleich eine devote Haltung vor den beiden ein und entschuldigt sich mehrmals, ganz bemüht, die Ehre der Filiale zu retten. Dann bietet sie eine Wiedergutmachung an und gesteht, dass der 'Foodassistant' erst seit Kurzem hier arbeite, deshalb müsse man ein bisschen Geduld mit ihm haben. Anschließend wendet sie sich an George und weist ihn mütterlich darauf hin, dass er demnächst zuerst fragen muss, bevor er abräumen kann. Er nickt hastig und schiebt, beobachtet von allen Anwesenden, seinen Wagen zum nächsten Tisch. Die Madonna hinter der Theke, widmet sich wieder ihrer Zeitung. Im Weggehen hört Eugen die Filialleiterin noch sagen, dass sie sich schon ein wenig verantwortlich fühle für den armen Kerl, denn immerhin würde er ja arbeiten und stehe auf der guten Seite, nicht wie die Anderen, die nur herumlungern und Drogen verkaufen. Sie weist dabei mit ihrem Arm, bedeutungsschwanger wie eine Walküre, auf die andere Seite des Bahnhofs. Wie gut, dass er hier auf der richtigen Seite steht, denkt Eugen. Und auch das mit der Arbeit hat er verstanden. Wie spät ist es? Fünf vor drei! Er rennt aus der Bäckerei zum Parkplatz. Während er mit einem nadelnden Gefühl im Brustkorb rennt, fällt ihm ein, dass sie gar nicht besprochen haben, wie sie sich erkennen wollen. Am Telefon ging alles so schnell. Resigniert stellt Eugen fest, dass es immer dasselbe ist mit seinen Terminen und Abmachungen: darauf bedacht, nicht unangenehm aufzufallen, vermeidet er es, Fragen zu stellen oder ist so fasziniert von seinem Gegenüber, dass er den Überblick verliert. Er kommt nicht drum herum sich auf den Bahnhofsparkplatz zu begeben, um einen chefähnlichen Mann zu suchen und selber wie ein Arbeitssuchender auszusehen. Er meint sich an 'neuer Parkplatz' zu erinnern, aber da stehen nur parkende PKW' s. Mit beiden Füßen auf dem neuen Bordstein wartet er und lässt die Fahrzeuge an sich vorbeiziehen. Dabei blickt er fragend in jedes hinein und nötigt den jeweiligen Fahrer zum flüchtigen Tritt auf das Gaspedal. Ein großer, roter Kastenwagen fährt langsam auf den Parkplatz. Schon ein neueres Modell, das kann er an der Form des Kühlergrills erkennen. Das müsste der Chef sein. Ja, ja genau: großer, roter Kasten! Er geht dem Fahrzeug entgegen, stockender Verkehr, kurzes Hupen. Der Chef hinter der Scheibe winkt Eugen zu sich und öffnet, indem er sich weit zur Beifahrerseite hinüberstreckt, die Sicherung des Türschlosses. Eugen eilt auf die offene Türseite zu. „Bist du der vom Arbeitsamt? Haben wir telefoniert?“ Eugen nickt. „Na, dann spring mal rein! Bevor die mich hier noch aus dem Wagen zerren oder abschleppen.“ Der Tonfall klingt etwas genervt, doch die Stimme seines Chefs ist so wie am Telefon. Er ist nur jünger als erwartet, vielleicht so um die dreißig. Dieser Eindruck entsteht wohl durch das volle schwarze Haar. Volles Haar macht Männer jünger und so unberechenbar, wie kleine Jungs, die immer irgendetwas aushecken und nicht erwachsen werden wollen. Dazu ein blauer Overall, der wie ein riesiger Strampelanzug aussieht. Eugen fühlt sich gut. Er hat einen Spielkameraden gefunden und springt in den Wagen. Im Inneren des Fahrzeugs bemerkt Eugen sofort einen starken Geruch. Kein Gestank, wie jene diesen Geruch nennen würden, die immer zuerst alles einordnen kategorisieren und Wertigkeiten festlegen, statt sich einfach dem Ungewohnten hinzugeben. Eben jenen, denen der Moment verwehrt sein wird, den eigenen, verschütteten Eindrücken nachzuspüren oder sich dieser Eindrücke zu erinnern: Momente in denen sie sich...


Behrens, Christian
Geboren im westfälischen Beckum und aufgewachsen in der Nähe von Dortmund, ist der heutige Lebensmittelpunkt des Handwerkers und Lehrers in Dänemark, an der Grenze zu Flensburg.

Geboren im westfälischen Beckum und aufgewachsen in Dortmund, lebte Christian Behrens danach lange Jahre in Dänemark. Heute ist der Lebensmittelpunkt des Handwerkers und Lehrers in der Nähe von Flensburg.


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