Bertram / Schopenhauer | Über das Geistersehen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 108 Seiten

Bertram / Schopenhauer Über das Geistersehen

aus "Parerga und Paralipomena"

E-Book, Deutsch, 108 Seiten

ISBN: 978-3-7504-5582-5
Verlag: Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Arthur Schopenhauers Versuch, das Geistersehen und andere übersinnliche Phänomene als Ableitung spezifischer Merkmale des Traumes idealistisch statt spirituell zu deuten. Eine Abhandlung aus Schopenhauers umfangreichem Werk, das Albert Einstein mit der Bezeichnung "wunderbare Schriften" würdigte. (Albert Einstein "Mein Weltbild":" ...was uns besonders Schopenhauers wunderbare Schriften gelehrt haben.")
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Sie treten alsdann auf, wie schon gesagt, als ein Wahrträumen, zunächst nur der unmittelbaren Umgebung, dann in weiterem Kreise und immer weiter, bis dasselbe, in den höchsten Graden des Hellsehns, alle Vorgänge auf Erden, wohin nur die Aufmerksamkeit gelenkt wird, erreichen kann, mitunter sogar in die Zukunft dringt. Mit diesen verschiedenen Stufen hat die Fähigkeit zur pathologischen Diagnose und zum therapeutischen Verordnen, zunächst für sich und abusive für Andere, gleichen Schritt. Auch beim Somnambulismus im ursprünglichen und eigentlichsten Sinne, also dem krankhaften NACHTWANDELN, tritt ein solches Wahrträumen ein, hier jedoch nur für den unmittelbaren Verbrauch, daher bloß auf die nächste Umgebung sich erstreckend; weil eben schon hiermit der Zweck der Natur, in diesem Fall, erreicht wird. In solchem Zustande nämlich hat nicht, wie im magnetischen Schlaf, im spontanen Somnambulismus und in der Katalepsie, die Lebenskraft, als vis medicatrix, das animale Leben eingestellt, um auf das organische ihre ganze Macht verwenden und die darin eingerissenen Unordnungen aufheben zu können; sondern sie tritt hier, vermöge einer krankhaften Verstimmung, der am meisten das Alter der Pubertät unterworfen ist, als ein abnormes Übermaß von Irritabilität auf, dessen nun die Natur sich zu entladen strebt, welches bekanntlich durch Wandeln, Arbeiten, Klettern, bis zu den halsbrechendesten Lagen und den gefährlichsten Sprüngen, alles im Schlafe, geschieht: da ruft denn die Natur zugleich, als den Wächter dieser so gefährlichen Schritte, jenes rätselhafte Wahrträumen hervor, welches sich hier aber nur auf die nächste Umgebung erstreckt, da dieses hinreicht, den Unfällen vorzubeugen, welche die losgelassene Irritabilität, wenn sie blind wirkte, herbeiführen müßte. Dasselbe hat also hier nur den negativen Zweck, Schaden zu verhüten, während es beim Hellsehn den positiven hat, Hilfe von außen aufzufinden: daher der große Unterschied im Umfang des Gesichtskreises. So geheimnisvoll die Wirkung des Magnetisierens auch ist, so ist doch soviel klar, daß sie zunächst im Einstellen der animalischen Funktionen besteht, indem die Lebenskraft vom Gehirn, welches ein bloßer Pensionär oder Parasit des Organismus ist, abgelenkt, oder vielmehr zurückgedrängt wird zum organischen Leben, als ihrer primitiven Funktion, weil jetzt daselbst ihre ungeteilte Gegenwart und ihre Wirksamkeit als vis medicatrix erfordert ist. Innerhalb des Nervensystems, also des ausschließlichen Sitzes alles irgend sensibeln Lebens, wird aber das organische Leben repräsentiert, und vertreten durch den Lenker und Beherrscher seiner Funktionen, den sympathischen Nerven und dessen Ganglien; daher man den Vorgang auch als ein Zurückdrängen der Lebenskraft vom Gehirn zu diesem hin ansehn, überhaupt aber auch Beide als einander entgegengesetzte Pole auffassen kann, nämlich das Gehirn, nebst den ihm anhängenden Organen der Bewegung, als den positiven und bewußten Pol; den sympathischen Nerven, mit seinen Gangliengeflechten, als den negativen und unbewußten Pol. In diesem Sinne nun ließe sich folgende Hypothese über den Hergang beim Magnetisieren aufstellen. Es ist ein Einwirken des Gehirnpols (also des äußeren Nervenpols) des Magnetiseurs auf den GLEICHNAMIGEN des Patienten, wirkt demnach, dem allgemeinen Polaritätsgesetze gemäß, auf diesen REPELLIEREND, wodurch die Nervenkraft auf den andern Pol des Nervensystems, den innern, das Bauchgangliensystem, zurückgedrängt wird. Daher sind Männer, als bei denen der Gehirnpol überwiegt, am tauglichsten zum Magnetisieren; hingegen Weiber, als bei denen das Gangliensystem vorwaltet, am tauglichsten zum Magnetisiertwerden und dessen Folgen. Wäre es möglich, daß das weibliche Gangliensystem eben so auf das männliche; also auch repellierend, einwirken könnte; so müßte, durch den umgekehrten Prozeß, ein abnorm erhöhtes Gehirnleben, ein temporäres Genie, entstehn. Dies ist nicht ausführbar, weil das Gangliensystem nicht fähig ist, nach außen zu Wirken. Hingegen ließe sich wohl als ein, durch Wirken UNGLEICHNAMIGER Pole auf einander, attrahierendes Magnetisieren das BAQUETT betrachten, so daß die mit demselben, durch zur Herzgrube gehende, eiserne Stäbe und wollene Schnüre, verbundenen sympathischen Nerven aller umhersitzenden Patienten, mit vereinter und durch die anorganische Masse des Baquetts erhöhter Kraft wirkend, den einzelnen Gehirnpol eines jeden von ihnen an sich zögen, also das animale Leben depotenzierten, es untergehn lassend in den magnetischen Schlaf Aller; - dem Lotus zu vergleichen, der Abends sich in die Flut versenkt. Diesem entspricht auch, daß, als man einst die Leiter des Baquetts, statt an die Herzgrube, an den Kopf gelegt hatte, heftige Kongestion und Kopfschmerz die Folge war (Kieser, Tellurism., erste Aufl. Bd.I. S.439.). Daß, im SIDERISCHEN Baquett, die bloßen, unmagnetisierten Metalle die selbe Kraft ausüben, scheint damit zusammenzuhängen, daß das Metall das Einfachste, Ursprünglichste, die tiefste Stufe der Objektivation des Willens, folglich dem Gehirn als der höchsten Entwickelung dieser Objektivation, gerade entgegengesetzt, also das von ihm Entfernteste ist, zudem die größte Masse im kleinsten Raum darbietet. Es ruft demnach den Willen zu seiner Ursprünglichkeit zurück und ist dem Gangliensystem verwandt, wie umgekehrt das Licht dem Gehirn: daher scheuen die Somnambulen die Berührung der Metalle mit den Organen des bewußten Pols. Das Metall- und Wasserfühlen der hiezu Organisierten findet ebenfalls darin seine Erklärung. - Wenn, beim gewöhnlichen, magnetisierten Baquett, das Wirkende die mit demselben verbundenen Gangliensysteme aller um dasselbe versammelten Patienten sind, welche, mit vereinter Kraft, die Gehirnpole herabziehn; so gibt Dies auch eine Anleitung zur Erklärung der Ansteckung des Somnambulismus überhaupt, wie auch der ihr verwandten Mitteilung der gegenwärtigen Aktivität des zweiten Gesichts, durch Anstoßen der damit Begabten unter einander, und der Mitteilung, folglich der Gemeinschaft, der Visionen überhaupt. Wollte man aber von der obigen, die Polaritätsgesetze zum Grunde legenden Hypothese über den Hergang beim aktiven Magnetisieren eine noch kühnere Anwendung sich erlauben; so ließe sich daraus, wenn auch nur schematisch, ableiten, wie, in den höhern Graden des Somnambulismus, der Rapport so weit gehen kann, daß die Somnambule aller Gedanken, Kenntnisse, Sprachen, ja aller Sinnesempfindungen des Magnetiseurs teilhaft wird, also in seinem Gehirn gegenwärtig ist, während hingegen sein WILLE unmittelbaren Einfluß auf sie hat und sie so sehr beherrscht, daß er sie fest bannen kann. Nämlich bei dem jetzt gebräuchlichsten Galvanischen Apparat, wo die beiden Metalle in zweierlei durch Tonwände getrennte Säuren eingesenkt sind, geht der positive Strom, durch diese Flüssigkeiten hindurch, vom Zink zum Kupfer und dann außerhalb derselben, an der Elektrode, vom Kupfer zum Zink zurück. Diesem also analog ginge der positive Strom der Lebenskraft, als Wille des Magnetiseurs, von dessen Gehirn zu dem der Somnambule, sie beherrschend und ihre, im Gehirn das Bewußtsein hervorbringende Lebenskraft zurücktreibend zum sympathischen Nerven, also der Magengegend, ihrem negativen Pol: dann aber ginge derselbe Strom von hier weiter in den Magnetiseur zurück, zu seinem positiven Pol, dem Gehirn desselben, woselbst er dessen Gedanken und Empfindungen antrifft, deren dadurch jetzt die Somnambule teilhaft wird. Das sind freilich sehr gewagte Annahmen: aber bei so durchaus unerklärten Dingen, wie die, welche hier unser Problem sind, ist jede Hypothese, die zu irgend einem, wenn auch nur schematischem, oder analogischem Verständnis derselben führt, zulässig. Das überschwänglich Wunderbare und daher, bis es durch die Übereinstimmung hundertfältiger, glaubwürdigster Zeugnisse bekräftigt war, schlechthin Unglaubliche des somnambulen Hellsehns, als welchem das Verdeckte, das Abwesende, das weit Entfernte, ja, das noch im Schoße der Zukunft Schlummernde offen liegt, verliert wenigstens seine absolute Unbegreiflichkeit, wenn wir wohl erwägen, daß, wie ich so oft gesagt habe, die objektive Welt ein bloßes Gehirnphänomen ist: denn die auf Raum, Zeit und Kausalität (als Gehirnfunktionen) beruhende Ordnung und Gesetzmäßigkeit desselben ist es, die im somnambulen Hellsehn in gewissem Grade beseitigt wird. Nämlich in Folge der Kantischen Lehre von der Idealität des Raumes und der Zeit begreifen wir, daß das Ding an sich, also das allein wahrhaft Reale in allen Erscheinungen, als frei von jenen beiden Formen des Intellekts, den Unterschied von Nähe und Ferne, von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft nicht kennt; daher die auf jenen Anschauungsformen beruhenden Trennungen sich nicht als absolute erweisen, sondern für die in Rede stehende, durch Umgestaltung ihres Organs im Wesentlichen veränderte Erkenntnisweise, keine unübersteigbare Schranken mehr darbieten. Wären hingegen Zeit und Raum absolut real und dem Wesen an sich der Dinge...


Schopenhauer, Arthur
Arthur Schopenhauer, deutscher Philosoph, geb. 22. Februar 1788 in Danzig, gest. 21. September 1860 in Frankfurt am Main


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