Bettighofer | Übertragung und Gegenübertragung im therapeutischen Prozess | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 187 Seiten

Bettighofer Übertragung und Gegenübertragung im therapeutischen Prozess

E-Book, Deutsch, 187 Seiten

ISBN: 978-3-17-040690-2
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Der Autor entwickelt praxisorientiert einen intersubjektiven und relationalen Ansatz, in dem ein modernes Konzept von Übertragung und Gegenübertragung dargestellt wird. So entsteht eine umfassende Sichtweise der bewussten und unbewussten Beziehung zwischen Therapeut und Patient. Zahlreiche Beispiele aus der Praxis verdeutlichen, wie Therapeut und Patient in gemeinsamer Interaktion zur Entstehung der jeweiligen Übertragungsbeziehung und zu Enactments beitragen. Das Buch zeigt bewährte Wege auf, Konflikte im Rahmen einer Beziehungskonflikttherapie wirkungsvoll zu bearbeiten. Es eröffnet neue Perspektiven, die therapeutische Beziehung zum Klienten mit Lebendigkeit, Natürlichkeit und Authentizität zu gestalten.
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1          Die hilfreiche Beziehung in der Psychoanalyse
Das wichtigste Anliegen der empirischen Psychotherapieforschung war es immer, die Effektivität von Psychotherapie nachzuweisen. Zugleich ging es um die Untersuchung der Wirksamkeit verschiedener Therapiemethoden im Hinblick auf die spezifische Störung und die Patientenpersönlichkeit. Diese Fragestellung wurde bald erweitert, und so ging man im Rahmen von Prozessuntersuchungen der Frage nach, warum Psychotherapie eigentlich wirkt und welches die entscheidenden Faktoren sind, auf denen diese Wirksamkeit beruht. Whitehorn und Betz (1960) konnten als erste hinsichtlich der Effektivität in der Behandlung von schizophrenen oder neurotischen Patienten zwei globale Therapeutentypen A und B unterscheiden. Nun waren es nicht mehr vorwiegend Patientenvariablen oder Merkmale der jeweiligen Therapiemethode, denen das Interesse der Forscher galt. Der Schwerpunkt verlagerte sich jetzt zunehmend auf die Untersuchung der Persönlichkeit des Therapeuten, deren Bedeutung für günstige Behandlungsverläufe allmählich erkannt wurde (Beutler et al. 1995). Diese Untersuchung einzelner Merkmale der Therapeutenpersönlichkeit war ein bedeutender Fortschritt hin zu einer differenzierteren Betrachtungsweise des therapeutischen Prozesses; sie war jedoch spätestens nach der großen Literaturübersicht von Beutler et al. (1995, s. a. Kächele 1992) in dieser Form nicht mehr zu halten. Insbesondere seit den Untersuchungen von Luborsky (1976, 1985) gilt die hilfreiche therapeutische Beziehung als der grundlegende und übergeordnete therapeutische Wirkfaktor, der weitaus mehr als einzelne Patienten-, Therapeuten- oder Methodenmerkmale über Erfolg oder Misserfolg von Behandlungen entscheidet (Kächele 1992, 2007, Orlinsky et al. 1995, Rudolf 1991). Es geht dabei im Wesentlichen um die Fähigkeit des Therapeuten, sich auf den jeweiligen Patienten einzustellen und zu ihm eine Beziehung aufzubauen, die dieser als therapeutisch hilfreich empfindet. Auf der Basis dieser Befunde konnte es nicht mehr als ausreichend angesehen werden, nur bestimmte als therapeutisch relevant geltende Interventionsstrategien wie beispielsweise Empathie, Kongruenz oder das Geben von Deutungen einzusetzen. Denn es kommt immer darauf an, dass auch der Patient ein bestimmtes Therapeutenverhalten als für sich und seine Entwicklung hilfreich empfindet. Obwohl das sehr eng mit der Störung und der Persönlichkeit des Patienten sowie mit bestimmten Merkmalen der Therapeutenpersönlichkeit zusammenhängt, kommt hier doch der Faktor der Interaktion zwischen beiden bestimmend hinzu. Ob eine hilfreiche und »heilende« (Frick 1996) Beziehung zwischen Therapeut und Patient entsteht, ist im Wesentlichen das Resultat eines interaktiven Prozesses zwischen ihnen (Luborsky et al. 1985). Neuere Metaanalysen haben ergeben, dass bezüglich der therapeutischen Effektivität »einige Therapeuten relativ unabhängig von der Behandlungsausrichtung bessere Ergebnisse als andere erzielen« (Wampold et al. 2018, S. 229). Manchen Therapeuten gelingt es auch, über verschiedene Störungsbilder hinweg konstant gute Ergebnisse zu erzielen. Es stellt sich die Frage, was diese erfolgreichen Therapeuten anders als machen die weniger erfolgreichen. Vielfach wurde empirisch bestätigt, dass die unterschiedliche Wirksamkeit von Therapeuten nichts mit der Therapiemethode zu tun hat, sondern mit der Fähigkeit des Therapeuten, mit den Patienten eine »therapeutische Allianz« (Gumz et al. 2018, Flückiger et al. 2015, Flückiger 2021) zu bilden. Die Psychotherapieforscher Wampold et al. (2015) fanden, »dass Therapeuten, die besser in der Lage sind, Allianzen mit Patienten zu formen, mit ihren Patienten zu besseren Ergebnissen in der Therapie kommen als andere Therapeuten« (S. 304). Zudem ist die Fähigkeit, über den gesamten Therapieprozess hinweg ein tragfähiges Arbeitsbündnis aufrechtzuhalten, von entscheidender Bedeutung. Diejenigen Therapeuten scheinen effektiver zu sein, die tragfähige Allianzen mit allen, auch mit schwierigen Patienten bilden und das tragfähige Arbeitsbündnis über die gesamte Therapie hinweg aufrecht halten können (a. a. O., S. 243, Wöller 2016). Sie schaffen es, Patienten länger in der Therapie zu halten und haben auch gute »interpersonelle Fähigkeiten, die insbesondere in schwierigen Therapiesituationen relevant sind« (Altmann et al. 2020, S. 445). Begriffe wie die therapeutische Allianz, die hilfreiche Beziehung oder das analytische Konzept des Arbeitsbündnisses (Greenson 1982a) stammen zwar aus verschiedenen Bereichen, sie beziehen sich jedoch alle auf etwas sehr ähnliches, nämlich einerseits auf das Bestehen einer emotionalen Bindung und andererseits auf eine mehr oder weniger explizite Einigung hinsichtlich der Ziele, Erwartungen und Vorgehensweisen in der Therapie. In diesem Zusammenhang weist die Psychotherapieforschung der letzten Jahre eindeutig nach, dass dabei die interpersonelle Kompetenz des Therapeuten der entscheidende Faktor ist, der es ihm ermöglicht, auch mit schwierigen therapeutischen Situationen konstruktiv umzugehen. Diese interpersonelle und kommunikative Kompetenz (Buchholz 2017) erwies sich auch als der entscheidende Prädiktor für den Therapieerfolg (Hermer 2012, Körner 2013) und ist unabhängig von der praktizierten Therapiemethode (Gumz 2020). Auch Lambert (2010) fand einen großen Einfluss hilfreicher zwischenmenschlicher Fähigkeiten, die es dem Therapeuten erlauben, auch schwierige Beziehungssituationen gut zu bewältigen. Für Strupp (1989) »ist die größte Herausforderung, der der Therapeut gegenüber steht, die geschickte Handhabung des Enactments, das ihn häufig in die Defensive treibt und Langeweile, Irritation, Ärger und Feindseligkeit hervorruft und ihn unter Druck setzt, sodass er sich auf eine Art verhält, die mit seiner Haltung als einfühlsamer Zuhörer und Erklärender nicht vereinbar ist« (S. 719, zit. n. Schore 2003, S. 126). Die Ergebnisse von Willutzki et al. (2013) zeigen ebenfalls, dass »das interpersonelle Funktionsniveau und interpersonale Merkmale einschließlich der nonverbalen Kommunikation innerhalb der Sitzungen am wichtigsten zu sein« (S. 431) scheinen. Die Psychoanalyse als therapeutische Behandlungsmethode hat sich seit ihren Anfängen intensiv mit der Frage befasst, wie eine hilfreiche Beziehung zwischen Therapeut und Patient hergestellt und über den gesamten therapeutischen Prozess hinweg aufrechterhalten werden kann. Sie hat dem Aspekt der therapeutischen Beziehung immer schon einen zentralen Stellenwert eingeräumt. So hat Freud mit seinen Empfehlungen (1913), dem Patienten »Zeit zu lassen« (S. 473), einen »moralisierenden« (S. 474) Standpunkt zu vermeiden und stattdessen den Standpunkt »der Einfühlung« (S. 474) einzunehmen, eine Grundhaltung und eine Art des Zuhörens beschrieben, die für die Entwicklung einer hilfreichen Beziehung eine unverzichtbare Grundbedingung ist und die heute allgemein als einer der wesentlichen therapeutischen Wirkfaktoren gilt. Will (2010) beschreibt aus unserer heutigen Perspektive diejenigen psychoanalytischen Kompetenzen, die für die Gestaltung und Aufrechterhaltung einer konstruktiven Beziehung zum Patienten notwendig sind. Auch anderen psychotherapeutischen Methoden ist daran gelegen, einen hilfreichen Kontakt zum Patienten herzustellen. In der Gesprächspsychotherapie (Biermann-Ratjen, Eckert, Schwartz 1997) geht man davon aus, dass die durch Empathie getragene Grundbeziehung, die der Therapeut zum Patienten herstellt, von diesem im Sinne eines guten Objekts introjiziert und somit zur Grundlage für eine positivere Einstellung zu sich selbst wird. In der Verhaltenstherapie wurde die positive therapeutische Beziehung über lange Zeit rein instrumentell als positiver Verstärker eingesetzt. Erst neuere Entwicklungen verfolgen einen differenzierteren Umgang mit der Beziehung zwischen Therapeut und Patient (Sachse 2006). Grawe (1995) hält es für eine wichtige Voraussetzung wirksamer psychotherapeutischer Arbeit, dass im Rahmen der sog. »Problemaktualisierung« (S. 136) die pathologischen Beziehungsmuster und neurotischen inneren Schemata des Patienten in der Beziehung zum Therapeuten aktualisiert werden, und kommt damit dem analytischen Übertragungsbegriff ziemlich nahe. Die Aufgabe des Therapeuten sieht sie infolgedessen darin, sich gezielt um eine »komplementäre« (Grawe et al., 1994, S. 782) oder bedürfnisorientierte Beziehungsgestaltung (Caspar 2015) zu bemühen, die dem Patienten hinsichtlich der »wichtigsten erschlossenen positiven Ziele des Patienten« (Grawe et al., S. 782) eine neue und korrektive Erfahrung vermittelt. Damit bleibt sie letztlich bei einem instrumentellen Gebrauch der therapeutischen Beziehung und vertritt einen direktiven Ansatz, wie er in ähnlicher Form auch schon in der Geschichte der Psychoanalyse von Alexander und French (1946) beschrieben worden war, der allerdings als manipulativ galt und deshalb umstritten war – aus zeitgenössischer Sicht möglicherweise zu Unrecht (Melcher 2013, Walter 2010). Im Gegensatz dazu besteht der originäre und emanzipatorische Beitrag der Psychoanalyse zur Gestaltung einer hilfreichen Beziehung zwischen Therapeut und Patient nicht in der gezielten Beeinflussung,...


Dipl.-Psych. Siegfried Bettighofer ist Psychoanalytiker (DPG), Dozent, Lehranalytiker und Supervisor bei der Münchner Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse MAP e.V. (DGPT) und arbeitet in eigener Praxis in Augsburg.


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