Blättner / Waller | Gesundheitswissenschaft | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 278 Seiten

Blättner / Waller Gesundheitswissenschaft

Eine Einführung in Grundlagen, Theorie und Anwendung

E-Book, Deutsch, 278 Seiten

ISBN: 978-3-17-035015-1
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Wie entsteht Gesundheit? Um darauf Antworten zu finden, befasst sich die Gesundheitswissenschaft mit der Frage, wie Gesundheit definiert werden kann, mit Risiken, Ressourcen und Bewältigungsstrategien sowie ihrer ungleichen Verteilung in der Bevölkerung.
Die überarbeitete 6. Auflage dieses bewährten Standard-Lehrbuchs verschafft Studierenden aller mit gesundheitswissenschaftlichen Fragen befassten Fachrichtungen einen fundierten Überblick über die grundlegenden Theorien und ihre Anwendung.
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2          Gesundheits- und Krankheitskonzepte
  2.1       Sichtweisen auf Gesundheit
2.1.1     Kontextabhängigkeit von Gesundheitsdefinitionen
Das Adjektiv ›gesund‹ hat im Deutschen etymologisch die Bedeutung von ›stark‹, ›unverletzt‹ und ›nicht erkrankt‹. ›Krank‹ steht in einer Bedeutungsverbindung mit ›schwach‹, ›gekrümmt‹, ›leidend‹ und ›schlecht‹. In dem Begriff Gesundheit schwingt historisch die Idee körperlicher Kraft und Unversehrtheit mit, die z. B. für körperliche Arbeit, für kämpferische Auseinandersetzungen oder für die Anstrengungen einer Geburt wichtig sein könnten. So wie sich Lebensbedingungen verändert haben, wäre zu erwarten, dass ›gesund‹ gegenwärtig stärker von der Idee psychosozialer Unversehrtheit, innerer Stärke und Wohlgefühl getragen wäre; Eigenschaften, die z. B. für das Bewältigen der Arbeitsbedingungen nicht nur im Dienstleistungsbereich, für die Deeskalation sozialer Konflikte in Alltagssituationen, für die Anstrengungen der Übernahme gesellschaftlich bedeutender Funktionen oder für die mentalen Anforderungen an Flexibilität und Mobilität angesichts der Globalisierung notwendig wären. Die Bedeutung von Gesundheit könnte von Lebensbedingungen und damit gesellschaftlichen Entwicklungen im jeweiligen historischen Kontext abhängig sein. In einem klinischen Wörterbuch (Pschyrembel 2007, S. 685) wird Gesundheit im engeren Sinn definiert als das subjektive Empfinden des Fehlens körperlicher, geistiger und seelischer Störungen oder Veränderungen oder auch als ein Zustand, in dem Erkrankungen und pathologische Veränderungen nicht nachgewiesen werden können. Krankheit (Pschyrembel 2007, S. 1038) wird in seiner Bedeutung unterteilt in 1.  Störungen der Lebensvorgänge, die subjektiv empfunden werden oder objektiv feststellbar sind, 2.  sozialrechtlich als regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der eine Heilbehandlung notwendig macht oder eine Arbeitsunfähigkeit begründet, und 3.  eine definierbare Einheit typischer beschreibbarer Erscheinungen im Sinne einer bestimmten Erkrankung. Interessant ist, dass die Definition von Gesundheit eine subjektive Sicht als Alternative zur objektiv feststellbaren Abwesenheit von Krankheit zulässt, die Definition von Krankheit aber nicht. Krankheit wird demgegenüber auch im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Funktionen (Arbeitsfähigkeit) betrachtet, Gesundheit aber nur auf das Individuum bezogen. In einem gesundheitswissenschaftlichen Wörterbuch steht unter dem Eintrag Gesundheit »Abwesenheit von Krankheit« (Haisch et al. 1999, S. 156) und weiter heißt es, dass modernere Definitionen eher »ganzheitlich« seien und auf »Salutogenese bezogen, aber dafür schlecht operationalisiert«. Hierin wird der Bedarf nach Messbarkeit des Konstrukts Gesundheit deutlich. Krankheit wird als körperliche und psychische Veränderungen in akut oder chronisch unterteilt (Haisch et al. 1999, S. 232). Ein soziologisches Wörterbuch könnte sich demgegenüber z. B. auf die Definition von Parsons (1968, S. 344) beziehen, der Gesundheit als den »Zustand der optimalen Leistungsfähigkeit eines Individuums für die Erfüllung der Aufgaben und Rollen, für die es sozialisiert wurde« betrachtete. Damit wird bereits deutlich: Eine allgemein gültige, anerkannte wissenschaftliche Definition von Gesundheit gibt es nicht. Vielmehr scheint für die Definition der wissenschaftliche oder gesellschaftliche Kontext ausschlaggebend zu sein, von dem aus sie versucht wurde. Die Art der Definition von Gesundheit scheint mehr über den Blickwinkel auszusagen, von dem auf Gesundheit gesehen wird, als über den Gegenstand selbst: Für die Epidemiologie muss Gesundheit messbar, für die Klinik Krankheit prinzipiell behandelbar sein. Gesellschaftlich sind mit dem jeweiligen Status des Gesundseins oder Krankseins Rechte und Pflichten verbunden. Gesundheit wird manchmal als Gegensatz zu Krankheit, manchmal als eigene Qualität, manchmal als objektiv feststellbar und manchmal als subjektives Empfinden definiert. Gesundheit scheint in ihrer Bedeutung für den betrachtet zu werden, der sie definiert, weniger für den, der gesund oder nicht gesund ist. Becker (1992a) hat sich mit der grundlegenden Frage beschäftigt, warum es wichtig ist, sich mit allgemeinen Modellvorstellungen von Gesundheit und Krankheit zu befassen. Er führt dazu aus: •  »Allgemeine Modellvorstellungen sind unverzichtbar, wenn es darum geht, Verfahren zur Diagnostik von Gesundheit und Krankheit zu entwickeln […] •  Die allgemeinen Vorstellungen über Gesundheit und Krankheit entscheiden maßgeblich darüber, welche Art von ätiologischer Forschung bevorzugt betrieben wird. So legt beispielsweise ein biomedizinisches Krankheitsmodell die Suche nach genetischen, biophysischen oder biochemischen Krankheitsursachen nahe. •  Aus den ätiologischen Modellvorstellungen leiten sich die favorisierten Methoden der Behandlung und Prävention ab. Dominiert ein einseitiges Modell, so werden auch die in Betracht gezogenen Behandlungs- und Präventionsmaßnahmen einseitig ausfallen. •  Den allgemeinen Modellvorstellungen kommt auch eine eminente berufsständische Bedeutung zu. Die Interpretation von Krankheit im Sinne des biomedizinischen Leitbildes legt nahe, dass ausschließlich Mediziner zur Behandlung legitimiert sind. Integrative biopsychosoziale Krankheitsmodelle verpflichten hingegen zur interdisziplinären Zusammenarbeit bei der Erforschung, Behandlung und Prävention von Krankheiten« (1992a, S. 92). Entsprechend der möglichen Unterschiedlichkeit des Kontextes sind die Definitionsversuche zahlreich. Von Troschke (1978) hat einige dieser Definitionen zusammengetragen (auch Faltermaier 2005, Blaxter 2004). Definitionsversuche lassen sich unter anderem danach unterscheiden, ob sie aus einer wissenschaftlichen Disziplin stammen oder ob sie Aspekte verschiedener Disziplinen berücksichtigen. Nach Göckenjan (1991, S. 15) lassen sich die verschiedenen Gesundheitsdefinitionen nach folgenden drei Kategorien ordnen: 1.  Gesundheit als Wertaussage, 2.  Gesundheit als Abgrenzungskonzept, 3.  Gesundheit als Funktionsaussage. In die erste Kategorie fallen alle Definitionen, die Gesundheit mit positiven Assoziationen verknüpfen, wie z. B. die häufig zu lesende Aussage ›Gesundheit ist das höchste Gut‹. Die zweite Kategorie ›Gesundheit als Abgrenzungskonzept’ meint vor allem die Abgrenzung von Krankheitssymptomen oder Leiden. In der dritten Kategorie schließlich werden Aussagen zur Gesundheit als Funktionsaussagen formuliert: Gesundheit ist Leistungsfähigkeit in körperlicher, vor allem aber in sozialer Hinsicht, d. h. die Möglichkeit, die eigenen Rollen auszufüllen. Anderson (1984, S. 63ff.) hatte eine andere Einteilung der verschiedenen Gesundheitsdefinitionen vorgeschlagen: »Es ist durchaus nicht einfach, die Annahmen oder Parameter der verschiedenen Begriffe zu unterscheiden und daher unterschiedliche Definitionen zu kategorisieren. Jedoch treten als Hauptdimensionen, in denen sich die Begriffe unterscheiden, hervor: Gesundheit als Folge oder als Produkt, als Potenzial oder als Fähigkeit, als ein Prozess; Gesundheit als etwas, das von Einzelmenschen erfahren oder von außenstehenden Beobachtern, im speziellen Medizinern, bestimmt wird; Gesundheit als fixer Zustand oder dynamisches Verhältnis; Gesundheit als Attribut eines Elementes im Menschen wie körperliche Fitneß, oder als Eigenschaft der gesamten Person, die soziale, geistige, emotionale und physische Aspekte darstellt« (Anderson 1984, S. 64; vgl. auch Bengel und Belz-Merk 1990). In Anlehnung an Faltermaier (2005, S. 1; vgl. Faltermaier und Kühnlein 2000) lassen sich Gesundheitsdefinitionen auch danach unterscheiden, •  auf welche Dimensionen sie sich beziehen, d. h. ob sie nur körperliche, auch psychische oder auch soziale Dimensionen von Gesundheit betrachten, •  ob sie Gesundheit am Wohlbefinden, am Aktionspotenzial (Handlungsfähigkeit, Leistungsfähigkeit, Arbeitsfähigkeit) oder am weitgehenden Fehlen von Störungen (Beschwerden, Schmerzen, Probleme, Krankheit, Rollenerfüllung) festmachen und •  ob sie...


Prof. Dr. Beate Blättner lehrt Gesundheitsförderung an der Hochschule Fulda und forscht im Public Health Zentrum Fulda zu Prävention und Gesundheits-förderung u. a. in der stationären Pflege, in der Kommune oder im Betrieb.

Prof. Dr. Dr. Heiko Waller M. Sc. lehrte Sozialmedizin und Gesundheitswissenschaft und war Leiter der Sektion Gesundheitssoziologie und Sozialmedizin im Zentrum für Angewandte Gesundheitswissenschaften der Universität Lüneburg.


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