Blauth / Rydryck / Schneider | Freundschaft in den Texten und Kontexten des Neuen Testaments | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 30, 214 Seiten

Reihe: NET – Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie

Blauth / Rydryck / Schneider Freundschaft in den Texten und Kontexten des Neuen Testaments

Eine Festschrift für Stefan Alkier zum 60. Geburtstag

E-Book, Deutsch, Band 30, 214 Seiten

Reihe: NET – Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie

ISBN: 978-3-7720-0144-4
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Freundschaft gilt vielfach als Motor und Movens frühchristlicher Gemeinschaftsbildung. Auch die Beziehung zwischen Jesus und seinen Schülern wird häufig, insbesondere in religionspädagogischen und liturgischen Kontexten, als Freundschaft gedeutet. Dabei werden nicht selten moderne Konzepte der Freundschaft an die Texte des Neuen Testaments herangetragen. Allerdings stellt eine breit angelegte Untersuchung freundschaftsbezogener Diskurse, Konzepte und Praktiken in den Text- und Lebenswelten des Neuen Testaments, auch vor dem Hintergrund des relational turn, ein Desiderat der neutestamentlichen Forschung dar. Der vorliegende Band füllt nun diese Lücke und untersucht Konzepte und Praktiken der Freundschaft in den Texten und Kontexten des Neuen Testaments aus unterschiedlichen fachlichen und methodischen Perspektiven. Die Beiträge verknüpfen dabei die neutestamentlichen Texte mit aktuellen Freundschaftsdiskursen in Universität, Kirche und Gesellschaft.
Blauth / Rydryck / Schneider Freundschaft in den Texten und Kontexten des Neuen Testaments jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


TEIL 1: HERMENEUTIK DER FREUNDSCHAFT

Michael Schneider (Frankfurt) – Jesus und seine Freunde. Aspekte des Freundschaftsdiskurses im Neuen Testament

Michael Rydryck (Frankfurt) – Freundschaft als Haltung und Praxis. Soziale und politische Aspekte von Freundschaft in den Text- und Lebenswelten des Neuen Testaments

Dominic Blauth (Frankfurt) – "Freunde sind wie Sterne." Freundschaft als Hermeneutik der Konstellation

TEIL 2: ENTWÜRFE DER FREUNDSCHAFT

Kristina Dronsch (Berlin) – Ziemlich beste Freunde. Theophilus und die Gottesfreundschaft im Lukasevangelium

Sylvia Usener (Frankfurt) – Der ideale Freund in der griechischen Tragödie und seine Spuren im Neuen Testament

Tobias Nicklas (Regensburg) – "An diesem Tag aber wurden Herodes und Pilatus Freunde". Interpretation und Imagination in der Rezeptionsgeschichte von Lk 23,12

Thomas Paulsen (Frankfurt) – Die Bedeutung der Freundschaft in der Philosophie Epikurs

Werner Kahl (Frankfurt) – Gottesgebet und Freundesnot. Lk 11,1–3 und seine Parallelen

Eckart Reinmuth (Rostock) – Recht der Freundschaft


Freundschaft als Haltung und Praxis
Soziale und politische Aspekte von Freundschaft in den Text- und Lebenswelten des Neuen Testaments Michael Rydryck 1 „Wem der große Wurf gelungen…“ – Freundschaft als mentales Modell1
In einem ZDF-Interview beantwortete der CSU-Politiker Horst Seehofer die Frage „Gibt es überhaupt so etwas wie Freundschaft unter Politikern?“ mit einem ebenso lakonischen wir resigniert wirkenden „Nein“.2 Vergleichbar skeptisch äußerte sich Seehofer in einem Interview mit dem Donaukurier.3 Auch Seehofers antiker Politiker-Kollege Marcus Tullius Cicero teilte diese Skepsis: Itaque verae amicitiae difficillime reperiuntur in iis qui in honoribus reque publica versantur; ubi enim istum invenias qui honorem amici anteponat suo? So erklärt es sich, dass man wahre Freundschaft nur schwer bei Männern antrifft, die hohe Ämter innehaben oder überhaupt im öffentlichen Leben stehen. Denn wo findet sich wohl der Mann, der unter diesen Umständen dem Freund das Ehrenamt eher gönnt als sich selbst?4 Das politische Feld in Antike und Gegenwart scheint besonders affin für Konkurrenz-, Rivalitäts- und Streitbeziehungen zu sein, die Freundschaftsbeziehungen stören, beenden oder deren Aufbau und Fortbestehen nachhaltig erschweren: quodsi qui longius in amicitia provecti essent, tamen saepe labefactari, si in honoribus contentionem incidissent; pestem enim nullam maiorem esse amicitiis quam in plerisque pecuniae cupiditatem, in optimis quibusque honoris certamen et gloriae; ex quo inimicitias maximas saepe inter amicissimos exstitisse. Und falls einige die Freundschaft noch länger hätten aufrechterhalten können, käme es doch öfter zum Bruch, wenn sie in Konkurrenz um ein Amt geraten. Die schlimmste Pest, die Freundschaften bedroht, ist nämlich bei der Mehrzahl die Geldgier, gerade bei den Besten aber der Wettstreit um Ehre und Ruhm, woraus schon oft die bittersten Feindschaften zwischen engsten Freunden entstanden sind.5 Nicht nur diese lebensweltliche Beobachtung Ciceros oder die in der gegenwärtigen Politik gebrauchte Klimax „Feind, Todfeind, Parteifreund“6 scheint der Skepsis gegenüber Freundschaften im politischen Feld recht zu geben, denn es mangelt nicht an Beispielen für Konkurrenz, Rivalität und zerbrochene Freundschaften in der Politik: Die noch bestehenden Bande der Freundschaft unter den Gefährten von Alexander dem Großen zerrissen endgültig im Kampf um dessen Nachfolge. Die politische Freundschaft zwischen Gnaeus Pompeius Magnus und Gaius Julius Caesar wandelte sich nach dem Tod Julias, durch die Konkurrenz um den Führungsanspruch in der res publica und durch die wachsende Polarisierung innerhalb der Führungsschicht in eine offene Rivalität. Der nicht zuletzt in dieser Rivalität begründete Bürgerkrieg entzweite die langjährigen Waffengefährten Caesar und Titus Labienus. Die Parteifreundschaft zwischen Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble erlitt irreparable Friktionen in der CDU-Spendenaffäre. Die Parteifreunde Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder entzweiten sich unwiderruflich in ihrem Streit um den Führungsanspruch in der SPD. Die Liste ließe sich erweitern. Indes gilt es vor dem Hintergrund des Scheiterns all dieser Freundschaften festzuhalten, dass etwas nur dann zerbrechen kann, wenn es zuvor Bestand hatte. Zudem lassen sich ohne Weiteres auch Gegenbeispiele finden: Trotz anhaltender äußerer Kritik hält die Männerfreundschaft zwischen Gerhard Schröder und Vladimir Putin bis auf den heutigen Tag. Auch Helmut Kohl und Michail Gorbatschow blieben nach ihren Interaktionen im Kontext der deutschen Wiedervereinigung freundschaftlich verbunden. Augustus und Marcus Vipsanius Agrippa waren Freunde seit ihrer gemeinsamen Schulzeit und blieben es in der Zeit der Bürgerkriege und dem beginnenden Principat. Caesar war mit Antipater, dem Vater von Herodes dem Großen, freundschaftlich verbunden. Und schließlich schlossen Lk 23,12 zufolge Pontius Pilatus und Herodes Antipas, die zuvor eine Feindschaftsbeziehung verbunden hatte, Freundschaft im Kontext des Prozesses gegen Jesus.7 Auch diese Liste ließe sich mit Beispielen aus Antike und Gegenwart ergänzen. Wie lässt sich diese Diskrepanz in der Wahrnehmung von Freundschaft im politischen Feld erklären? Die Antwort verweist auf einen zentralen hermeneutischen Aspekt im Freundschaftsdiskurs: Freundschaft ist ein mentales Modell. Es war Ludwig Wittgenstein, der die hermeneutische Grundlegung mentaler Modelle formuliert hat: „Wir machen uns Bilder der Tatsachen. Das Bild stellt die Sachlage im logischen Raume, das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten vor. Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit. Den Gegenständen entsprechen im Bilde die Elemente des Bildes. Die Elemente des Bildes vertreten im Bild die Gegenstände. Das Bild besteht darin, daß sich seine Elemente in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten. Das Bild ist eine Tatsache. Daß sich die Elemente des Bildes in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten stellt vor, daß sich die Sachen so zu einander verhalten. Dieser Zusammenhang der Elemente des Bildes heiße seine Struktur und ihre Möglichkeit seine Form der Abbildung. Die Form der Abbildung ist die Möglichkeit, daß sich die Dinge so zu einander verhalten, wie die Elemente des Bildes. Das Bild ist so mit der Wirklichkeit verknüpft; es reicht bis zu ihr. Es ist wie ein Maßstab an die Wirklichkeit angelegt.“8 Bereits Seneca weist in De beneficiis darauf hin, dass Wohltaten (beneficia), die ja zugleich Anzeichen und Ausdruck der Freundschaft sind, mentaler Art sind: Eodem animo beneficium debetur, quo datur, et ideo non est neglegenter dandum: sibi enim quisque debet, quod a nesciente accepit; ne tarde quidem, quia cum omni in officio magni aestimetur dantis voluntas, qui tarde fecit diu noluit; In derselben Gesinnung wird eine Wohltat geschuldet, wie sie erwiesen wird, und deswegen darf man sie nicht gedankenlos erweisen: sich schuldet nämlich ein jeder, was er von einem Menschen ohne dessen Wissen erhalten hat; auch nicht langsam, denn – da ja doch bei jeder Gelegenheit hoch gewertet wird des Gebenden Wille – wer langsam gegeben hat, wollte lange nicht geben;9 Non potest beneficium manu tangi: res animo geritur. Multum interest inter materiam beneficii et beneficium; itaque nec aurum nec argentum nec quicquam eorum, quae pro maximis accipiuntur, beneficium est, sed ipsa tribuentis voluntas. Nicht kann eine Wohltat mit der Hand berührt werden: es handelt sich um einen seelischen Vorgang. Groß ist der Unterschied zwischen dem Gegenstand einer Wohltat und einer Wohltat; daher ist weder Gold noch Silber, noch irgend etwas von den Dingen, die für die wichtigsten gehalten werden, eine Wohltat, sondern eben gerade der Wille dessen, der gewährt.10 Freundschaft existiert als mentales Modell. Modellcharakter haben auch die literarischen Konzepte von Freundschaft, die in Antike und Gegenwart formuliert wurden. Modelle aber sind zeit- und kulturgebundene Akte der Positionierung.11 Diskrepanzen in der Wahrnehmung von Freundschaft sind daher nicht zuletzt modell- und kulturbedingt.12 Freundschaft entspringt und partizipiert an der Wirklichkeit, Freundschaft prägt Wirklichkeit, konkrete Gestalt gewinnt sie jedoch in mentalen Modellen, in denen Praktiken, Normen, Emotionen, Erfahrungen und Ideale der Freundschaft konvergieren. Mentale Modelle sind dementsprechend keine beliebigen Konstruktionen, sondern müssen sich im Sinne Wittgensteins an der Wirklichkeit messen lassen. Mentale Modelle sind darüber hinaus geeignet, Praktiken zu prägen, Erfahrungen bzw. Emotionen zu deuten und Normen zu reflektieren. In diesem Sinn gestalten mentale Modelle von Freundschaft Wirklichkeit. Im Diskurs über historische und gegenwärtige Ausprägungen von Freundschaft ist es unabdingbar, die Modellhaftigkeit von Freundschaftskonzepten sowie deren kulturelle Bedingtheit zu erkennen und anzuerkennen. Kulturbedingt sind entsprechend auch die Praktiken, Kommunikationsformen und sozialen Funktionen von Freundschaft, auf die sich die mentalen Modelle beziehen. Freundschaft ist keine überzeitliche, transkulturelle anthropologische Gegebenheit, sondern das zeit- und kulturgebundene mentale Modell einer sozialen und kulturellen Beziehungspraxis. Gegenüber substantialistischen Fragen nach „der“, nach „wahrer“ bzw. „echter“ Freundschaft ist daher hermeneutische Zurückhaltung geboten, führen sie doch nicht selten in die Aporie: „Gibt es wahre Freundschaft unter Menschen? Davon ist die Antike, davon ist auch die Moderne überzeugt. Die Sehnsucht nach Freundschaft sitzt tief, nicht nur bei Kindern: Gibt es unter Männern, unter Frauen, zwischen Mann und Frau eine Liebe, die nicht von Sexualität beherrscht wird, sondern von Solidarität? Ohne Konkurrenz zur Elternliebe, zur Kinderliebe, zur ehelichen Liebe? Gibt es eine Wahlverwandtschaft, die auf Freiheit, Anteilnahme und Zuneigung beruht, aber keine Einbuße am eigenen Glück bedeutet, sondern eine Steigerung des Lebens? Weder die Antike noch die Moderne wollen vom Glück solcher Freundschaft lassen;“13 Thomas Söding stellt dieses Modell von Freundschaft seinem Aufsatz Freundschaft mit Jesus voran. Er stellt darin die These einer Antike und Moderne umgreifenden Konzeption von Freundschaft...


Dominic Blauth ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Evangelische Theologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität.

Dr. Michael Rydryck ist Referent für Studium und Lehre am Fachbereich Evangelische Theologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität.

Dr. Michael Schneider ist Leiter des Dekanats am Fachbereich Evangelische Theologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität.


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