E-Book, Deutsch, 180 Seiten
Regionen der Geschichte / Ragioni della storiaFestschrift für / Scritti in onore di Helmut Alexander
E-Book, Deutsch, 180 Seiten
ISBN: 978-3-7065-6298-0
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Seit 30 Jahren stellt die Zeitschrift 'Geschichte und Region/Storia e regione' einen kritischen und originellen Orientierungs- und Bezugspunkt in der regionalgeschichtlichen Literatur Tirols dar. Mit ihrer thematisch breiten, interdisziplinären Ausrichtung und methodisch innovativen Ansätzen ist sie eine etablierte Alternative und Ergänzung zur klassischen Landesgeschichte. Eine Besonderheit ist die Zweisprachigkeit der Zeitschrift (deutsch-italienisch), die sich als Kontaktstelle und Scharnier zwischen der italienischen und österreichisch-deutschen Forschungslandschaft begreift. Mit einem neuen, erweiterten Konzept versteht sich die Zeitschrift verstärkt als Forum für vergleichende Regionalgeschichte des mittleren Alpenraumes und versucht, das oft geforderte Desiderat eines Vergleichs neuer regionalgeschichtlicher Studien ein Stück weit umzusetzen.
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INHALT
Andrea Bonoldi/Hans Heiss/Stefan Lechner
Editorial / Editoriale
Erika Kustatscher
Topographie und politische Integration im Zeichen des Bundes von Thron und Altar. Chancen einer kirchlichen Historiographie in Tirol im 19. Jahrhundert
Andrea Leonardi
La ricerca in ambito storico-economico: terreno di confronto tra Innsbruck e Trento. Considerazioni su mezzo secolo di collaborazione
Andrea Bonoldi
Storia delle Alpi e storia economica: tendenze e protagonisti negli ultimi cinquant'anni
Michael Gehler
Begriffe und Entwicklungen zur Hintergrunderfassung von Landes- und Regionalgeschichte in Europa
Wolfgang Meixner
Prolegomena zu einer Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte des Bundeslandes Tirol im 20. Jahrhundert
Hans Heiss
Helmut Alexander – Der bodenständige Erneuerer. Hommage an ein Vorbild und einen Freund
Publikationsverzeichnis von / Elenco delle pubblicazioni di Helmut Alexander
Editorial
Wie lange bleiben Erkenntnisse, Interpretationen und Deutungen in den Geschichtswissenschaften tragfähig und wirksam? Ihre Haltbarkeit ermisst sich gewiss an ihrer Plausibilität, sie wird bestimmt von soliden Quellengrundlagen und Argumenten, aber auch von Faktoren wie Themen- und Forschungskonjunkturen. Weitere bestimmende Elemente sind das institutionelle und akademische Umfeld von Forschung. Seine Netzwerkbildung, seine Bedeutung als Legitimations- und Erinnerungsgemeinschaft beeinflussen wesentlich den Bestand von Erkenntnissen. Wie Pierre Bourdieu aufgewiesen hat, prägen neben der wissenschaftlichen Grundlage von Forschung auch ihre Distributions- und Zirkulationssphäre die Verbreitung von Paradigmen. Neben der Qualität und Zahl von Publikationen sind Prozesse der Loyalität zwischen Historiker*innen, die Fähigkeit zur Vernetzung und Vermarktung mitverantwortlich für die Dauerhaftigkeit von Forschungserträgen. Helmut Alexander war in den gut 25 Jahren seiner wissenschaftlichen Vita Activa kein großer Promotor seiner selbst. Er legte Arbeiten von Rang und Qualität vor, verwahrte sich aber gegen jede Form der Selbstvermarktung. Das Auffächern des wissenschaftlichen Pfauenrads war nicht seine Sache, vielmehr blickte er skeptisch auf Kolleg*innen, bei denen aus seiner Sicht Forschungsleistung und Außenwirkung in einem problematischen Verhältnis zueinander standen und die Gloriole oft die Realität überstrahlte. Selbstüberhöhung lag ihm auch deshalb fern, da er seit Mitte der 1990er Jahre über ein klar umrissenes Forschungsprogramm verfügte, dem er unbeirrt folgte. Zudem machten ihn fundiertes Arbeiten und Termintreue zum gesuchten Kooperationspartner in und außerhalb des wissenschaftlichen Circuits. Helmut Alexander hat der regionalen Wirtschafts-, Zeit- und Kirchengeschichte wichtige Grundlagen vermittelt, deren Erträge und Anregungen bis heute weiterwirken. Im Herbst 2015 hat eine jäh zuschlagende Erkrankung seine wissenschaftliche Produktionskurve leider gestoppt und dies zu einem Zeitpunkt, da die Realisierung bedeutender Vorhaben näher rückte. Seine Untersuchungen zu Sigismund Waitz (1864–1941), dem aus Brixen stammenden Kleriker, Wegbereiter der Christlichsozialen Tirols und späteren Erzbischof von Salzburg, führten Kirchen-, Zeit- und Sozialgeschichte in einen eindrucksvollen Zusammenhang. Landesgeschichte und überregionale Verflechtungen verbanden sich im Blick auf die Waitz-Vita ebenso wie Biografie und Strukturen. Das jüngst von Benedikt Stuchtey ein wenig emphatisch betonte Potenzial biografischen Zugangs trifft auf Alexanders Waitz-Forschungen exakt zu: „Historische Akteure, eingebunden in sie determinierende Strukturen, aber ausgestattet mit freiem Willen, bilden die Möglichkeiten und Grenzen globaler Verbindungen ab, schaffen diese oder beenden sie und stellen sich dank ihrer Mobilität und eigener Agency gleichsam in mehreren Räumen zur Verfügung.“ Der Einschnitt der Erkrankung war für Helmut Alexander, seine Partnerin Lioba, seinen Sohn Sebastian und den Familienkreis ein harter Schlag, den auch Freunde und Bekannte bestürzt registrierten. Sein erzwungener Rückzug aus der Forschung blieb aber auch für Historiker*innen nördlich und südlich des Brenners nicht ohne Folgen. In einer Phase, in der Landes- und Regionalgeschichte Tirols zunächst noch langsam, bald aber spürbar an Reputation im universitären Betrieb einbüßten, war das Verstummen seiner unaufdringlichen wie autoritativen Stimme auch in dieser Hinsicht ein gravierender Ausfall. Dennoch: Helmut Alexander bleibt der Repräsentant einer modernisierten wie multidisziplinären Landesgeschichte, deren Anliegen er kraft Herkunft und Ausbildung mit Überzeugung vertrat. Daher war es für die Herausgeber und die Redaktion von Geschichte und Region / Storia e regione ein Anliegen, den Wissenschaftler und Freund anlässlich seines 65. Geburtstags in Person und Arbeit zu würdigen. Wir waren darum bemüht, für eine kleine, aber gehaltvolle Festschrift Beiträge zu gewinnen, die Alexanders Meriten ebenso in den Vordergrund rücken wie die Aufgaben einer vielfältig offenen Regionalgeschichte des zentralen Alpenraums. In diesem Band begleiten einen biografischen Aufriss zur persönlichen und wissenschaftlichen Vita des Jubilars Beiträge in deutscher und italienischer Sprache, die Kernanliegen von Geschichte und Region / Storia e regione aufgreifen, vor allem aber die verbindenden Aktivitäten Alexanders veranschaulichen. So verfolgt Erika Kustatscher, die Direktorin des Diözesanarchivs Brixen, die Anfänge einer wissenschaftlichen Geschichtsschreibung innerhalb der Diözese Säben-Brixen um 1830, in der Persönlichkeiten wie Franz Anton Sinnacher und Georg Tinkhauser als Wegbereiter beeindruckende Grundlagenwerke vorlegten. Die von ihnen ausgearbeiteten Diözesan-Topografien waren substanzielle Beiträge zum Aufbau der Historie als wissenschaftlicher Disziplin in regionalem Maßstab. Topografie erwies sich als wichtige Alternative zu lediglich linearem Erzählen, da zum diachronen Ansatz ein synchroner hinzutrat: So wurde auch der Vielfalt von Faktoren Rechnung getragen und Geschichte in ihrer ganzen Komplexität entfaltet. Die Bearbeiter, vor allem Ludwig Rapp, erlagen nicht der Gefahr, durch schematische Bearbeitungsmethoden den Diözesansprengeln ein gemeinsames Muster gleichsam überzustülpen, sondern sie blieben in Hinblick auf die Ergebnisse der jeweiligen Individualität verpflichtet. Sie nutzten das staatlich vorgegebene Konzept als Chance, um die regionale Kirchengeschichtsschreibung, fernab von theoretischer Durchdringung, einer entschiedenen Entwicklung zuzuführen – unabhängig von den akademischen Lehrern dieses Faches am Seminar. Der Beitrag kommt dem Interesse Alexanders an Fragen der Geschichtsschreibung und -theorie ebenso entgegen wie kirchenhistorischen Schwerpunkten. Die wissenschaftlichen Beziehungen zwischen den Universitäten Innsbruck und Trient haben sich seit bald 50 Jahren entfaltet und gefestigt, wobei Andrea Leonardi, Doyen der Wirtschaftsgeschichte am Dipartimento di Economia in Trient, von Beginn an als wichtiger Mittler fungierte. Leonardi beschreibt den Aufbau einer Zusammenarbeit vor allem im Feld der Wirtschaftsgeschichte, die nicht durchwegs leicht fiel, aber von guten Erträgen begleitet war. Die Veranstaltung gemeinsamer Seminare und Konferenzen, die Publikation von Sammelbänden, vor allem aber die gemeinsame Definition von Forschungsschwerpunkten waren wichtige Formen des Austausches zwischen der Oenipontana und dem weit jüngeren, aber dynamischen Pendant im Süden. Dass die Weiterentwicklung der Beziehungen und geteilter Forschungsvorhaben wünschenswert wäre, ist ein Grundanliegen nicht nur von Leonardi, dessen Impulse, große Darstellungen, Organisations- und Vermittlungsleistungen wegweisend waren. Die Zusammenschau, der Vergleich und der Blick auf die Verflechtungen zwischen dem nördlichen und südlichen Tirol sowie dem Trentino erschließen Zentralthemen des gesamten Alpenraums. Die historische Alpenforschung der letzten 50 Jahre steht im Mittelpunkt des Überblicks von Mitherausgeber Andrea Bonoldi, der gleichfalls am Dipartimento di Economia di Trento lehrt. Die von Francois Bergier vor 50 Jahren formulierten Desiderate im Hinblick auf eine erneuerte Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Alpenraumes wurden in wesentlichen Teilen eingelöst, nachdem in großen Tagungen 1973 und 1985 zentrale Forschungsfragen definiert worden waren. Die um 1970 noch fragmentierte, wenig systematische Geschichte des Alpenraums wurde dem Paradigma „Historischer Alpenforschung“ zugeordnet, das sich als fruchtbar erwies und in großen Darstellungen etwa von Paul Guichonnet, später von Jon Mathieu gipfelte. Bald aber folgte im Zuge perspektivischer Erweiterung der Geschichtswissenschaften um das Jahr 2000 eine Fülle neuer Fragestellungen, deren hohe Anregungsfunktion wirkungsvoll war, aber auch neue Forschungsleistungen erforderte. Bonoldi beschreibt die Herausbildung einer „Historischen Alpenforschung“, die, längst vielseitig aufgefächert, zahlreiche Disziplinen der Geschichtswissenschaften miteinander verknüpft. Obwohl sich Themen und Methoden systematisch ausgeweitet haben, steht die Bearbeitung zahlreicher Forschungsfelder erst am Anfang. Eine allgemeine Begriffsdefinition zu Landes- und Regionalgeschichte unternimmt Michael Gehler, seit 2006 Leiter des Instituts für Geschichte an der Universität Hildesheim, der bereits vor 30 Jahren in einem einflussreichen Aufsatz in Geschichte und Region / Storia e regione die Agenden einer Geschichte „überschaubarer Räume“ definierte. Sein Entwurf stellt sich vor allem der Frage, welcher Epochenbegriff heute „Zeitgeschichte“ zukommt, ob früher selbstverständliche Definitionen heute noch tragfähig und angemessen sind. Gehler fordert nachdrücklich zur Berücksichtigung älterer Zeitschichten auf und plädiert für eine gegenwartsnahe Geschichte ohne Berührungsängste mit Aktualität. Der Wandel in den Begriffen Region und Regionalismus, aber auch die grundsätzlich gestärkte Rolle von Nationalstaaten stehen im Zentrum des Beitrags. Schließlich widmet sich Gehler dem neueren Feld einer historischen Europäistik auch auf der Grundlage eigener Befassung mit diesem...