Breyer-Mayländer | Ein Quantum Wahrheit | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 324 Seiten

Breyer-Mayländer Ein Quantum Wahrheit

Postfaktischer Populismus als Herausforderung für unsere repräsentative Demokratie

E-Book, Deutsch, 324 Seiten

ISBN: 978-3-7460-8558-6
Verlag: Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Welche Folgen hat das veränderte Mediennutzungs- und Informationsverhalten?
Wie stark spielen Fakten eine Rolle bei der Meinungsbildung?
Was bedeutet es, wenn redaktionelle Medien generell dem Establishment zugerechnet werden?
Welche Rolle spielt die Wissenschaft in postfaktischen Zeiten?
Wo endet Bürgernähe und wo beginnt Populismus und wann ist er postfaktisch?
Das Ergebnis der Bundestagswahl 2017 wurde von vielen diskutiert, denn für die nächsten vier Jahre wird die Bundespolitik auch von einer Gruppierung geprägt, die in einigen Sachthemen wie der Klimapolitik Positionen bezieht, die wenig mit der Faktenbasis zu tun haben. Dabei kommt der relative Wahlerfolg der AfD nicht wirklich überraschend und die postfaktische Haltung der Parteiakteure und der Wählerschaft sind keineswegs ein Phänomen, das nur auf diese Gruppierung begrenzt ist. Bei einigen Sachthemen scheinen die Fakten gegenüber Emotionen und der gefühlten Wahrheit mehr und mehr ins Hintertreffen zu geraten. Auch die Informationswege haben sich verändert und die Möglichkeit, Fehlinformationen in Echtzeit zu verbreiten, erschwert nicht nur Polizeieinsätze, sondern birgt auch die Gefahr der politischen Fehlinformation. Die einen sehen in klassischen redaktionellen Medien die "Lügenpresse" der etablierten Parteien und des Establishments, während andere wiederum die "Fake News" in sozialen Medien als Problem für eine tatsachenorientierte Sachdiskussion identifizieren. Allein die Schwierigkeiten bei der Diskussion und Vorbereitung eines Gesetzes, dass die willentliche Verbreitung von Falschinformationen unterbinden soll, zeigen, dass es nicht einfach ist, zwischen freier Meinungsäußerung als Grundprinzip freier, demokratischer Gesellschaften und gezielter Desinformation zu differenzieren. Meinungsbildung und die Suche nach der Wahrheit bei einzelnen Sachverhalten waren schon immer ein komplexer Prozess, der durch die Resonanzräume und Echokammern von sozialen Medien und Communities und gezielte, teilweise verdeckte Kampagnen nicht übersichtlicher geworden ist. Diese Veränderungen bilden die Kulisse für eine neue Form von postfaktischem Populismus.

Dieses Buch beschreibt, wie sich der politische Kommunikations-, Informations- und Meinungsbildungsprozess verändert hat. Es zeigt die Zusammenhänge auf und analysiert die Herausforderungen und Perspektiven für Verwaltung, Politik, Medien und die Gesellschaft für eine funktionsfähige Willensbildung in der repräsentativen Demokratie.
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Kapitel 2:
Meinungsbildung in der Mediendemokratie –
Wie kommen wir zu unserer Meinung?
Beim einen oder anderen Kritiker der „postfaktischen“ Tendenzen in der öffentlichen Diskussion kann man den Eindruck gewinnen, dass die unterschiedliche Bewertung und Einsortierung von Fakten bereits als falsch abgelehnt wird. Aber das wäre zu einfach. Wir werden hoffentlich immer im gesellschaftlichen Diskurs unterschiedliche Meinungen und Bewertung von Fakten haben, damit man im Austausch der Argumente gute Lösungen entwickeln kann. Eine gemeinsame Faktenorientierung bedeutet nicht, dass am Ende alle einer Meinung sind oder politisch dieselben Forderungen vertreten. Der französische Präsidentschaftskandidat der Sozialisten im Wahljahr 2017, Benoit Hamon, gewann zum Beispiel die innerparteilichen Auseinandersetzungen mit linken Positionen wie einem Plädoyer für eine 32-Stunden-Woche und der Forderung nach einem Grundeinkommen.32 Mit demselben Kenntnisstand der wirtschaftlichen Lage Frankreichs zu Beginn des Jahres 2017 hätte man aber auch andere Forderungen verknüpfen können, die diesen diametral entgegenstehen. Beispielsweise hätte das die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, die Lockerung des Kündigungsschutzes sein können, da man die bisherigen Regelungen als zu starr empfinden und darin ein Hemmnis für Neueinstellungen sehen kann. Oder man hätte die Erhöhung des Renteneintrittsalters zum Abbau der Defizite in den Sozialkassen etc. diskutieren können. Wie also entstehen Meinungen und Einschätzungen in der Politik? Und auf welche Art findet die Meinungsbildung in Parlamenten und Gremien statt? Erinnern Sie sich noch an die Diskussion über die neuen gesetzlichen Regelungen zur Sterbehilfe, die im November 2015 im Deutschen Bundestag ihren Abschluss fanden? Bei diesem von Ethikkommissionen und externen Beratern vorbereiteten Thema hatten sich die Abgeordneten entschieden, den sonst üblichen faktischen Fraktionszwang aufzuheben. Somit entstanden völlig neue Konstellationen, da Abgeordnete unterschiedlicher Fraktionen miteinander in Austausch traten. Dies wirkte sich nicht nur auf die Diskussionskultur aus, sondern auch auf das Ergebnis. Am Ende wurden drei unterschiedliche Vorschläge von den fraktionsübergreifendenden Teams zur Abstimmung gestellt.33 An dieser Stelle könnte man jetzt darüber diskutieren, ob dieses Vorgehen einer bewusst offenen Diskussion nicht den Vorabsprachen überlegen ist, die normalerweise in den einzelnen Fraktionen stattfinden. Es ist jedoch im parlamentarischen Alltag durchaus ein Effizienzvorteil, dass bei der Vielzahl der unterschiedlichen politischen Themen und Entscheidungen die jeweiligen Fachexperten der Fraktionen die Detaildiskussion prägen und nicht jede und jeder Abgeordnete bei jedem Thema von Grund auf die Diskussion mitbegleitet.34 Bemerkenswert ist aber nicht nur der Punkt des fehlenden Fraktionszwangs, bzw. in abgeschwächter Form der fehlenden Fraktionsdisziplin, sondern die Kultur der Entscheidungsvorbereitung. Es fand eine durchaus kontroverse Diskussion statt, die auch eine öffentliche Wirkung hatte und wahrgenommen wurde. Es gab also Diskussionen, es gab auch Zuspitzungen, es gab sogar persönliche Profilierungen bei den einzelnen Gruppierungen, es fehlte jedoch der direkte Angriff, die Herabsetzung des „gegnerischen“ Vorschlags oder gar der „gegnerischen“ Person. Das Hauptargument vieler politisch Aktiver, dass die Zuspitzung zwischen den Fraktionen und der Streit unterschiedlicher politischer Lager notwendig seien, damit Demokratie, die ja vom Mitmachen lebe, auch interessant bleibe, kann also hier nicht als Gegenargument angeführt werden, da es eine ausreichende Abgrenzung gab. Ohnehin sehen Kritiker die deutschen Bürger als eher etwas zu konsensorientiert. Der Publizist Hugo Müller-Vogg formuliert es wie folgt: „Politik ohne allzu scharfe Akzentuierung, ohne allzu heftigen Streit und ohne sich unversöhnlich gegenüberstehende Lager kommt der deutschen Mentalität auch deshalb entgegen, weil die meisten Menschen sich scheuen, politisch Farbe zu bekennen. Die Deutschen sind eher bereit, über ihr Sexualleben zu sprechen als über ihre parteipolitischen Präferenzen.“35 Unabhängig davon, wie man vor dem Hintergrund der persönlichen Einstellung das Endergebnis der Diskussion um Sterbehilfe bewertet, zeigt das Beispiel doch, dass eine Entscheidungsvorbereitung durch eine offene Diskussion möglich ist und hier am Ende mit drei Alternativen eine echte Entscheidungssituation für alle Abgeordneten vorlag. Wenn man die politische Diskussion in Deutschland aufmerksam verfolgt, kann man mitunter den Eindruck gewinnen, dass diese abschließende Abstimmung über unterschiedliche Varianten von Entscheidungswegen nicht zum Allgemeingut der Politik gehört. Sitzungen in unterschiedlichen Gremien werden in der Regel so vorbereitet, dass nach einer Sachverhaltsdarstellung vielleicht noch eine generelle Aussprache erfolgt, bevor abgestimmt wird. Am Ende wird dann meist die vonseiten der Exekutive, oder in kommunalen Gremien, die laut Gemeindeordnung meist selbst der Exekutive zugeordnet werden, die von der Verwaltung erstellte Beschlussempfehlung als einzige Variante zur Abstimmung gestellt. Dabei gilt es nicht nur in der Politik seit Roosevelt als Königsweg,36 wenn unterschiedliche Teams Vorschläge unterbreiten. Gerade in anderen gesellschaftlichen Bereichen wie im Management gilt in vielen Fällen der Grundsatz, dass ein Thema erst dann die Entscheidungs- bzw. Beschlussreife in der Diskussion erreicht hat, wenn es mehr als eine Meinung dazu gibt. Der komplexe Prozess der Meinungsbildung Wie aber entsteht eine Meinung? Der Prozess der Meinungsbildung ist außerordentlich komplex. Allein, wenn man das kognitionspsychologische oder neurowissenschaftliche Methodenspektrum nimmt und gewissermaßen mit dem Werkzeugkoffer der Informationsverarbeitung im Gehirn und der dazugehörigen Speicherfähigkeit die Entscheidungsfindung analysiert, ergeben sich viele Detailthemen.37 Wir speichern vorwiegend die Informationen, die wir (auch bei politischen Themen) mit einem „positiven“ oder „negativen Affekt“ verbinden. Besonders spannend ist aus wissenschaftlicher Sicht die Frage, wie Menschen mit neuen Informationen umgehen, die ihren bisherigen Vorstellungen oder Überzeugungen widersprechen. Hier können zwei unterschiedliche Motivationen zum Tragen kommen: Nach den „accuracy goals“ möchten Menschen gerne ein sachlich richtiges Bild von einem Sachverhalt bekommen und zweifeln daher sowohl bisherige Erkenntnisse und auch neue Informationen an. Gemäß der „directional goals“ suchen Menschen nach Informationen, die ihre bisherigen Überzeugungen stützen, um Widersprüche und Abweichungen (Inkonsistenzen) in ihrem Weltbild zu verhindern. Dieses Streben kann „durchaus auf Kosten der Realitätsnähe der eigenen Vorstellungen gehen“.38 Da wir Menschen im Normalfall uns nicht zu jedem Detailthema eine differenzierte Meinung bilden können und daher nicht alle Informationen auswerten, treffen wir im Alltag grobe Abschätzungen. Wir beurteilen andere Menschen mitunter nach ihrem Äußeren oder ihrer Sprechweise, oder wir schließen bei Politikerinnen und Politikern aus deren Parteizugehörigkeit auf ihre Haltung zu bestimmten Fragen. Diese Fähigkeit erfolgreich richtige Abschätzungen vorzunehmen und mit begrenztem Wissen Entscheidungen zu treffen, nennt man wissenschaftlich formuliert Heuristik; ein Prinzip, das die Menschheit insgesamt sehr erfolgreich anwendet.39 Im Negativfall kann es gerade im Hinblick auf die politische Willensbildung auch zu groben Stereotypen und Vorurteilen führen. „Manche Menschen vertreten ganz offen starke, meist negative Meinungen über bestimmte Gruppen: „Liberale hassen unser Land“, „Christen sind wissenschaftsfeindliche Fanatiker“, „Schwarze Männer sind aggressiv“, „Alte Leute sind langweilig“ und so weiter. Solche intoleranten Menschen treffen Entscheidungen, die auf ihren Vorurteilen basieren. Aber selbst, wenn man sich sehr bemüht, Klischees zu vermeiden, hat man unbewusste Vorurteile und Vorlieben. Jeder ist ein Kind seiner Kultur und Erziehung, dem kann man sich nicht entziehen; man übernimmt implizit Urteile aus Märchen und Mythen, aus Büchern, Filmen und Spielen, von Eltern, Spielkameraden, Lehrern und Zeitgenossen.“40 Seit der Jahrtausendwende wurde von den Medien- und Sozialwissenschaften eine zunehmende Medienorientierung der Politiker festgestellt. Die Medialisierung von Politik oder, wie es auch gerne benannt wird, die Mediendemokratie.41 Die Heuristiken, d. h. den Umgang mit Informationen als Grundlage für die Bildung einer Meinung, kann man sehr gut anhand der Rezeption, das heißt sowohl anhand der Nutzung als auch der Wahrnehmung von Medien und Medienmarken nachvollziehen. Der Umstand, dass ein und derselbe Inhalt je nach Medienmarke unterschiedlich wahrgenommen wird, zeigte sich in Deutschland bei den Übertragungen der Kandidatenduelle im...


Breyer-Mayländer, Thomas
Prof. Dr. Thomas Breyer-Mayländer ist Professor für Medienmanagement und Prorektor für Marketing und Organisationsentwicklung an der Hochschule Offenburg.
Er beendete sein erstes Studium Verlagswirtschaft Verlagsherstellung an der Hochschule der Medien mit einem Abschluss als Diplom-Wirtschaftsingenieur (FH) mit einer Diplomarbeit über Rahmenbedingungen für Zeitungsverlage in der Tschechischen Republik. Sein zweites Studium der Informationswissenschaft an der Universität Konstanz schloss er als Diplom-Informationswissenschaftler mit einer Arbeit bei dem Informationsethiker Rainer Kuhlen über die Rolle von Zeitungen und Verlage in der digitalen Medienwelt ab. Seine nebenberufliche Promotion erfolgte am Institut für Journalistik der Universität Dortmund.
Nach mehr als fünfjähriger Tätigkeit außerhalb des Hochschulbereichs, u.a. beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger und einer Geschäftsführertätigkeit in der Zeitungsbranche, erfolgte mit 30 Jahren die Berufung als Professor für Medienmanagement. Thomas Breyer-Mayländer hat neben seiner Hochschultätigkeit eine Reihe weiterer Funktionen wie z. B.: Leiter des Steinbeis-Beratungszentrums "Leadership in Science and Education", Stadtrat und Fraktionsvorsitzender, Mitglied im Kuratorium der Stiftervereinigung der Presse e.V. Autor zahlreicher Fachbücher zum Thema Kommunikation und Management.
Seine Lehr- und Arbeitsgebiete sind u. a.: Öffentlichkeitsarbeit, Krisenkommunikation und Krisenmanagement sowie Competitive Intelligence.


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