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E-Book, Deutsch, 252 Seiten

Bürgin Muteki - ohne Gegner

Geschichten von japanischen Schwertschmieden und Schwertern

E-Book, Deutsch, 252 Seiten

ISBN: 978-3-7519-8597-0
Verlag: Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Es ist erstaunlich, dass die Namen von Japans Schwertschmieden über eine Zeitspanne von über tausend Jahren erhalten geblieben sind. Das zeugt vom hohen Stellenwert des nihonto, des japanischen Schwerts, in Japans Gesellschaft. Die besten Schmiede konnten bereits zu Lebzeiten während aller Epochen zu Ruhm und Ehre kommen, denn Japans Aristokratie und Kriegerkaste sah seit der Heian-Zeit (794-1185) in den Werken der herausragenden Schmiede nicht nur funktionale Waf­fen, sondern auch ästhetische Objekte.
Die nachfolgenden Geschichten vereinen fiktive und historische Figuren. Es ist die Intention, von einer repräsentativen Auswahl japanischer Schwertschmiede mehr zu überliefern als nur den Namen und ein paar Lebensdaten. Gleichzeitig ist es auch ein Versuch, die traditionelle Herstellung eines japanischen Schwertes nachvollziebar zu machen und in den Kontext des jeweiligen Schmiedes und seiner Zeit­epoche zu stellen. Daniel Bürgins fesselnde Geschichten erzählen vom Leben so berühmter Schwertschmiede wie Osafune Kanemitsu, Saburo Kunimune, Rai Kuniyuki, Awataguchi Kuniyoshi, Unju, Tatara Nagayuki und Japans berühmtesten Schwert­schmied aller Zeiten, Masamune Goro Nyudo.
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EDO-ZEIT, BUNKYU 1 (1861)
FUJIWARA KIYONDO ????
Er griff nach der fertig geschmiedeten Klinge und begann sie sorgfältig mit einer Mischung aus Lehm, Asche und pulverisiertem Sandstein zu bestreichen. Es gab noch andere Zutaten, aber die genaue Zusammensetzung war sein Geheimnis. Er hatte vor, das katana noch an diesem Tag zu härten. Sorgfältig trug er mit dem Spachtel vertikal zur Schneide eine dünne Lage seiner Mischung auf. Kiyondo legte sie so an, dass nach dem Abschrecken der erhitzten Klinge eine kleeblattförmige hamon, Härtelinie, entstehen sollte. Seine Gedanken waren abgelenkt. Das war nicht gut. Er sollte sich konzentrieren. Er hielt inne. Lieber mit der Arbeit noch warten, dachte er und den lästigen Gedanken etwas länger nachhängen, als einen Fehler zu machen. Im Moment konnte er seine Gedanken ohnehin nicht verdrängen. Wie schnell die Zeit verstrichen war. Es waren bereits sieben Jahre her, seit er seine Schmiede im Kanda-Distrikt von Edo bezogen hatte. Kaei 7 war ein Unglücksjahr gewesen. In Kanda hatte er einen Neuanfang als eigener Meister gesucht, obwohl seine Lehrzeit bei Kiyomaro nur eineinhalb Jahre gedauert hatte. Viel zu kurz. Bis zum Kanda Miyojin-Schrein war es nur ein fünfzehnminütiger Spaziergang. Einmal in der Woche besuchte er den zinnoberroten Schrein, um zu beten. Er war einer der drei Hauptschreine von Edo und für den Schutz des Haupttors des Tokugawa-Schlosses verantwortlich. Ausserdem brachten die Gottheiten des Schreins Glück im Geschäftsleben. Aus diesem Grund fanden sich im Kanda Miyojin täglich viele Besucher ein. Kiyondo war am Morgen ebenfalls dort gewesen. Sie machten vor dem grossen torii des Shinto-Schreins halt, verbeugten sich kurz und schlenderten dann zum Hauptgebäude, um sich den kami, den Gottheiten, zu zeigen. Beim Tempel angelangt, rüttelte Kiyondo heftig am dicken Seil, damit die zwei Schellen über seinem Kopf laut rasselten. Dann verneigte er sich zweimal, klatschte zweimal in die Hände, verbeugte sich ein weiteres Mal und verharrte in einem kurzen Gebet. Danach verbeugte er sich nochmals. Jede Woche war es der gleiche Ablauf. Er dankte für einen guten Geschäftsgang und betete, dass es der Seele seines unglücklichen Lehrmeisters gut gehen möge. Waren es bereits sieben Jahre, seit sich Kiyomaro mit dem Schwert das Leben genommen hatte? Kiyondo rechnete nach – von Kaei 7 (1854) bis Bunkyu 1 (1861) – tatsächlich. Die Zeit verfloss wirklich schnell, dachte er nochmals und schüttelte ungläubig den Kopf. Im Grossen und Ganzen konnte sich Kiyondo nicht beklagen. Das Schicksal hatte ihn recht gut behandelt. Vor allem in den letzten drei, vier Jahren. Schon von klein auf hatte er oft Glück gehabt. Es begann damit, dass ihn Saito Koichiro in jungen Jahren in dessen Familie von Schmieden adoptiert hatte. Zum Stolz seines Adoptivvaters zeigte Kiyondo im Umgang mit Hammer und Stahl von früh an Talent. Wenige Jahre später hatte er Saito Koichiro bereits überflügelt. Sie schmiedeten vor allem Werkzeuge für die Bauern, und seit Kiyondo erwachsen war, erhielt sein Adoptivvater mehr und mehr Aufträge. Im Geheimen hegte der junge Mann grössere Ambitionen. Er wollte Schwerter schmieden. Vor neun Jahren war er dann aus der Provinz Uzen1 nach Edo gezogen. Dank einer Empfehlung und zu seiner grossen Freude hatte ihn der berühmte Kiyomaro in seiner Schwertschmiede im Distrikt Yotsuya als Schüler aufgenommen. Kiyondo verstand es, mit dem oft betrunkenen exzentrischen Lehrmeister umzugehen. Ausserdem war er geschickt und lernte Kiyomaros Techniken schnell. Dieser war, ohne Zweifel, der beste Schmied in Edo, wenn nicht im ganzen Land. Wenn er nicht betrunken war. In kurzer Zeit hatte sich Kiyondo zu einem der besten Schüler gemausert. Er schmunzelte, wenn er daran dachte. Er mochte zwar adoptiert sein, doch das Schmieden war ihm in die Wiege gelegt worden. Kiyomaro hatte ihn oft als Stümper bezeichnet und seine Arbeiten vernichtend kritisiert. Je betrunkener er war, umso ausfälliger wurde er. Kiyondo sah jedoch den Respekt in den vom Sake geröteten Augen seines Lehrmeisters leuchten. Je härter er ihn kritisierte, je stärker leuchtete diese respektvolle Glut. Kiyondos erstes Lehrjahr war noch nicht einmal abgeschlossen, als sich die Welt auf einen Schlag veränderte. Nicht nur für ihn. Für ganz Japan. Vier kurofune, schwarze Kriegsschiffe aus Amerika, waren in die Bucht von Edo eingedrungen und bedrohten das Tokugawa-Shogunat. Zwei davon waren mit Dampf betrieben gewesen. Arrogant forderten die Barbaren Handelsbeziehungen oder sie würden die Stadt mit ihren Kanonen in Schutt und Asche legen. Inzwischen wusste Kiyondo, dass ihre Ankunft Spannungen unter den verschiedenen Fürstenhäusern freigelegt hatte, die vor dem unerwarteten Auftauchen der kurofune bereits im Verborgenen geschwelt hatten. Das Japan, in das er geboren wurde, begann aus dem Gleichgewicht zu fallen. Weniger als ein Jahr nach der Ankunft der amerikanischen Kriegsschiffe hatte sein Lehrmeister Selbstmord begangen. Kiyondo glaubte bis heute nicht, dass die kurofune mit dem Tod seines Lehrmeisters in Verbindung standen, obwohl in Yotsuya darüber spekuliert wurde. Kiyomaro war als bushi, Krieger, geboren. Der Sohn eines Samurai. Die Möglichkeit, dass seine Klingen in einem sich anbahnenden Krieg gebraucht würden, hätte seinen heissblütigen Lehrmeister eigentlich begeistern müssen. Vermutlich waren Kiyomaros Schulden der Grund für seinen Selbstmord gewesen. Ein Krieg war immer noch nicht ausgebrochen. Noch nicht. Am heutigen Augusttag des Jahres Bunkyu 1 wurde ein Bürgerkrieg zwischen dem bakufu, dem Tokugawa-Shogunat, und den kaisertreuen daimyos, Fürsten, aus dem Süden immer wahrscheinlicher. Das bakufu hatte zwar ein Handelsabkommen mit den Amerikanern unterzeichnet und somit die Bedrohung vorerst abgewehrt, doch nun drohte ein Bürgerkrieg. Kiyondo befürwortete den Fortschritt, war aber klug genug, dies für sich zu behalten. Viele Hitzköpfe waren mit dem Abkommen nicht einverstanden. Sonnojoi! – Verehrt den Kaiser, vertreibt die Barbaren! Er kannte die Parole. Sie wollten die Ausländer mit Gewalt wieder loswerden und gleichzeitig dem zweieinhalb Jahrhundert andauernden und geschwächten Tokugawa-Shogunat die Macht entreissen, um sie endlich wieder dem Kaiser zu übergeben. Kiyondo schüttelte den Kopf. Politik interessierte ihn nicht, und die Politik interessierte sich noch weniger für ihn. Er war nur wie ein Reiskorn auf dem Feld, als Einzelner unbeachtet und trotzdem allen Unwettern ausgeliefert. Der kaji betrachtete das beinahe vollendete katana in seiner Hand. Er hatte ein gutes Gefühl. Wie sehr sich das Land auch veränderte, ihm ging es heute besser als vor sieben Jahren. Seinem Gebet am Schrein hatte er einen Dank hinzugefügt. Dafür, dass er damals die schwere Verpflichtung, die durch Kiyomaros Tod für ihn entstanden war, angenommen hatte. Er war überzeugt, dass er heute nur deswegen erfolgreich katana schmieden konnte, weil er diese übernommen hatte. Nach Kiyomaros Tod hatten alle Schüler die Schmiede im Stich gelassen. Er hatte es nicht gekonnt und war geblieben. Seine Kollegen hatten auf ihn eingeredet. »Kiyomaro war ein Genie gewesen, sicher«, argumentierten sie damals. »Nicht umsonst hatte man ihn den ›Masamune von Yotsuya‹ genannt, ihn mit Japans berühmtesten Schwertschmied aller Zeiten verglichen. Aber er war auch ein Trinker und hatte Schulden. Für einen Auftrag zum Schmieden von dreissig katana hat er im Voraus eine Anzahlung erhalten. Wie Du weisst, hat er die Schwerter nicht geschmiedet, aber das Geld versoffen. Es wäre die lebendige Hölle«, versuchten sie Kiyondo zu überzeugen, »solche Verpflichtungen zu übernehmen. Mach Dich wie wir alle aus dem Staub. Du arbeitest ja erst knapp zwei Jahre für den Meister. Du wärst ein Idiot, wenn Du bleiben würdest.« Kiyondo hatte ihnen sorgfältig zugehört. Eigentlich hatten sie recht, aber … Je mehr sie auf ihn einredeten, desto sturer wurde er. Er war geblieben. Im Stillen hatte er später seinen Entscheid manchmal verflucht. Doch er hatte darauf geachtet, dass nie ein Wort des Zweifels oder des Zorns über seine Lippen kam. Kiyomaro hatte ihn in kürzester Zeit alles gelehrt, und er hatte es dankbar aufgenommen. Hatte der Meister bereits an seinen Selbstmord gedacht, als er ihn als Schüler aufnahm? Hatte er ihm deshalb seine Techniken so rückhaltlos weitergegeben? Was auch immer der Grund gewesen sein mochte – dank Kiyomaro durfte er sich heute einen angesehenen katana kaji nennen. Er wollte einer der Besten seiner Zeit werden. Sogar den Lehrmeister wollte er...


Bürgin, Daniel
Daniel Bürgin, geboren 1963 in Lenzburg (Schweiz), ging 1993 als Mitarbeiter einer international tätigen Firma nach Tokio, wo er sich 2001 selbstständig machte und auch heute noch lebt. 2006 erschienen von ihm unter dem Titel »Kwannon« Kurzgeschichten aus Japan. Im Jahr 2009 folgte ein hochgelobter Essayband über Japan mit dem Titel »Auf der Suche nach Ya­mato«, 2010 das Märchen »Die Teufelseiche«, illustriert von Peter Säuberli, und 2012 sein »Tokio - Fukushima Journal, Momentaufnahmen März/April 2011«.


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