Burger / Zumsteg | Brenner 1: Brunsleben. Brenner 2: Menzenmang | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 576 Seiten

Burger / Zumsteg Brenner 1: Brunsleben. Brenner 2: Menzenmang

Roman

E-Book, Deutsch, 576 Seiten

ISBN: 978-3-312-00617-5
Verlag: Nagel & Kimche
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Hermann Burger wollte in seinem auf vier Bände angelegten Roman „Brenner“ die Lebensgeschichte des „verhinderten Tabakfabrikanten“ und Zigarren-Connaisseurs Hermann Arbogast Brenner erzählen. Der erste Band „Brunsleben“ ist zu seinem literarischen Vermächtnis geworden; Burger starb – einen Tag vor Erscheinen des Romans – am 28. Februar 1989 an einer Überdosis Medikamente. Der denkwürdige Schlusssatz dieses ersten Bandes lautet: „Zu Asche sollt ihr werden, denn nirgendwo steht verbrieft, der Mensch habe ein Anrecht auf ein Quentchen Glück.“ Nach den Romanen „Schilten“ und „Die Künstliche Mutter“ ist die Tetralogie „Brenner“ das epische Hauptwerk des Autors aus der Schweiz – oder, wie er im Stil des Tabakunternehmens lieber sagen würde: sein Masterpiece.
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1  LEONZBURG-COMBRAY,
ELEGANTES MADURO
  Mein Name ist Hermann Arbogast Brenner, ich bin ein Abkömmling der berühmten Cigarren-Dynastie Brenner Söhne AG im aargauischen Stumpenland. Doch habe ich selbst mit der Fabrikation nichts mehr zu tun, das wie die gesamte Branche in einer tiefen Krise steckende Unternehmen mit immerhin noch 360 Angestellten wird von meinem Cousin zweiten Grades Johann Caspar Brenner geleitet, der zunächst als Nationalrat der Liberalen Partei des Kantons Luzern – denn Pfeffikon, Pfäffike, liegt bereits im katholischen Gau, nordwestlich von Menzenmang –, seit vergangenem Herbst als Ständerat eine glänzende politische Karriere teils vor, teils hinter sich hat, und es ist nicht ausgeschlossen, dass er noch den Sprung in den Bundesrat schafft. Ein Brenner unter den sieben Landesvätern, vielleicht als Vorsteher des Volkswirtschafts-Departements, zweifellos der Höhepunkt unserer Familiengeschichte. Da mein Abervetter, Förderer und Freund zugleich ein geheimer Connaisseur der schönen Literatur ist, pflegt er freilich immer, öppe die, wieder darauf zu verweisen, dass der Untergang der Buddenbrooks mit dem Senatorenamt von Thomas Buddenbrook verknüpft sei, hier wie dort sei die dritte die kritische Generation. Ich sehe, sagte er mir neulich im Büro des Stammhauses, im Augenblick keine Möglichkeit, noch einen genealogischen Ast höher zu klettern, und würde selbstverständlich, steuerte das Geschäft einem Kladderadatsch entgegen – du weißt schon, Dubslav von Stechlins Ausdruck am Wahltag auf der Fahrt nach Rheinsberg –, wohl auch als Politiker unhaltbar. Man kann nicht die Prinzipien der freien Marktwirtschaft, gar in der Schweiz, vertreten und gleichzeitig 360 Angestellten den blauen Brief franco Domizil schicken; das Schallwort übrigens, das er anstelle von «Bankrott» oder «faillissement» verwendete, ist aus «klatsch» über «kladatsch» entstanden und gab auch einer renommierten satirischen Zeitschrift den Namen, welche 1848 aus der Taufe gehoben wurde und 1944 die stehende Wendung «nomen est omen» wahr machte, man bezeichnet damit einen klirrenden Fall ebenso wie eine Aufregung oder einen Skandal, und ein skandau im tau war ja in der Tat, dass im Januar 1982 die Firma Weber Söhne AG in Menzenmang einging nach 144 traditionsreichen Jahren, gegründet als heimzigarri anno 1838 vom Strumpfmacher und ehemaligen Verleger Samuel Weber. Man denke nur an so populäre Marken wie den Rio Grande oder Webstar rund. Die Fusion mit Brenner Söhne AG führte denn auch dazu, dass sich der letzte Mohikaner dieses Familienunternehmens, Samuel Weber V., mit der Armeepistole erschoss, weil er seinem Vater am Sterbebett in die Hand versprochen hatte, ein Debakel dieser Art um jeden Preis zu vermeiden. Und siehst du, sagte mir Johann Caspar, als wir ins sogenannte Musterzimmer hinüberwechselten, wo die vom vielen Proberauchen leicht verbräunte Cuba-Karte hängt, diese Insel mit dem langgezogenen Vogelkopf und den beiden Scheren Yucatan und Florida, welche den Golf von Mexiko bilden, mit den klassischen Anbaugebieten Oriente, Remedios und Partido, mit der Semivuelta und der royalen Vuelta Abajo, die Webersche Liquidation, die im Suizid meines Branchenkollegen Sämi, der übrigens bei uns den Posten eines Betriebsleiters bekommen hätte, ihren traurig-makabren Höhepunkt fand, hat uns nur gerade so viele Marktanteile gebracht, dass wir ein Jahr lang die ständig sinkende Produktionshöhe von 130 Millionen Stumpen, Cigarren und Cigarillos konstant halten konnten. Das sind die wahren Fakten. Da kann ich dich im Grunde nur beneiden. Du residierst auf dem Chaistenberg im Schlossgut Brunsleben, bist dank der Tabakrente bis ans Ende deiner Tage versorgt mit sämtlichen Delikatessen unseres Gewerbes und stellst, inspiriert vom Pneuma der Cohiba, manufakturistisch deinen Kindheits- und Stumpenroman her, kannst genüsslich beschreiben, worum wir täglich kämpfen müssen. Dein Epos, ein Stimulans, das nie ein Kleber mit der Warnung des Bundesamtes für Gesundheitswesen verunzieren wird, ist, sofern wir den nuklearen Omnizid noch etwas hinauszögern können, selbst dann noch auf dem Markt, wenn wir «futschibus» sind. Ich weiß nicht, ob mein Cou-Cousin, der übrigens rechtzeitig diversifiziert hat und ins Velogeschäft eingestiegen ist, da nicht etwas zu schwarz, zu oscuro sieht und dem für dritte Unternehmergenerationen typischen Zweckpessimismus huldigt. Gewiss, die Gründer sind die Landerwerber und Architekten, die Söhne, welche die Firma in eine Aktiengesellschaft überführen, die stolzen Bewohner des Baus, die Enkel haben es dann oft nur noch mit Reparaturen zu tun, aber so viel Kaufmannsinstinkt besitze ich noch in meinen späten Brunslebener Jahren, dass ich der «Brennerei», ein Kosename, der sich vom ursprünglichen Tabaktrinken herleitet, eine intakte Kreditwürdigkeit bis über das hundertjährige Jubiläum hinaus garantiere, denn geraucht wird allemal, bleibt nur die Frage, was, wo gepafft wird, kann man ruhig harren, böse Menschen haben nie Cigarren. Ich werde mit diesen bescheidenen Blättern vom Grumpen bis zum Geizen das Meinige dazu beitragen, dass man das Kind nicht mit dem Bad ausschüttet und just in unserer schnelllebigen Zeit erkennt, wie himmelweit der Unterschied zwischen einem reflexartig aus dem Päckchen gezogenen Glimmstengel und einer Por Larrañaga ist, vom Sucht- zum kontemplativen Genussverhalten, das dürfte die Devise sein, allein der teer- und nikotingesättigte Filter – de pariser – des nervös im Ascher zerquetschten Stummels müsste dem Kettenraucher drastisch vor Augen führen, dass er es bei der Parisiennes oder Marlboro, um x-eine Marke zu nennen, nicht mit einem reinen Naturprodukt, sondern mit einem karzinomfördernden Giftspender zu tun hat. Er muss ja seinem tief im Unbewussten verankerten Selbstvernichtungs-Schuldgefühl zufolge die Kippe abtöten, mit dem Absatz auf der Straße einer Werre gleich zertreten, während die Cigarre bereits nach zwei Dritteln gelassen beiseite gelegt wird und eines natürlichen Todes stirbt, indem sie zu atmen aufhört. Eine Tobajara Reales, Cruz das Almas, Bahía, Brasil entfaltet ein derartig würziges Bouquet, dass sie nicht inhaliert zu werden braucht, Nase und Gaumen sind vollauf befriedigt. Das, lieber Johann Caspar Brenner, ist die Zukunft, der Havanna-Import in der Schweiz stieg von 3,8 Millionen Stück in den siebziger Jahren bis 1988 auf 5,6 Millionen, unser Land weist den weltweit höchsten Pro-Kopf-Verbrauch auf, und wenn ich statistisch nüchtern «pro Kopf» sage, passe ich mich der Fasson der Corona und Panatela und Trabuco an, samt und sonders chopfsigarre. Die Kopfcigarre, dies mein Werbevorschlag, für Köpfe, eine Montecristo Nummer 1 mit Brandende und handgeformter Kuppe ist eine Sache des Geistes und des Sentiments und nicht des hektischen Verbrauchs. Wie hieß doch der Spruch, den mein Großvater Hermann Brenner in seiner Wirtschaft Waldau aufgehängt hatte: Tabakpflanzen und die Reben hat der Herrgott uns gegeben, wenn wir weise sie gebrauchen, darfst du trinken und auch rauchen. Dies möchte ich zu bedenken und zu kosten geben, bevor ich mich, soeben mit dem Zuschneiden einer Hoyo de Monterrey des Dieux beschäftigt, die ich dem Gabun-Cabinet entnehme, wo sie das Aroma mit ihren Schwestern austauscht, die von einem gelbseidenen Band zu einem halben Halbrad gebündelt werden, Flor Extrafina, dem Körper des Elegantes-maduro-Kapitels zuwende, der engen Nachbarschaft von Brunsleben, Menzenmang und Gormund mit Leonzburg-Combray. Zuvörderst wird der geneigte Leser darüber aufzuklären sein, weshalb und wie die nie ganz aus ihrem mittelalterlichen Dämmerschlaf aufwachende, besonders an Hochsommertagen still vor sich hin brütende Bezirksstadt an den Ufern des Aabachs und zu Füßen des Schlossbergs zu ihrem Proustschen Beinamen kommt. Es war mein Logis- und Brotgeber Jérôme von Castelmur-Bondo, der mich bei einem unserer vorabendlichen Tabakskollegien in seinem Fumoir oder Turmzimmer auf die Ähnlichkeit der mittelländischen Landschaft des Aargaus mit der normannischen bei Proust aufmerksam machte. Wir saßen wie immer im Dämmerlicht der metertief ausgebuchteten Biedermeiernische unter den grandguignolhaft gezackten, altkarmesinenen Lambrequins, die wie das Fragment eines gerafften Piccolo-Theatervorhangs oder wie geschürzte Moulin-Rouge-Dessous wirken, freilich durch und durch papieren. Der Emeritus, im Dorf Bruns schlicht de profässer, bequem hingestreckt auf dem Louis-treize-Fauteuil mit dem blassrot gestickten Palazzo-Bondo-Muster, dessen Lehne man mittels gezahnter Eisenbögen verstellen kann, hinter und über ihm das verblichene Maisgelb der Wand mit einem Gehänge von Säbeln, Kokarden und goldbronzierten Epauletten, darunter die rotweiße Ehrenschnur und die Bauchbinde eines Vorfahren, der im 18. Jahrhundert in den Diensten eines Neapolitanischen Regimentes stand, ich meinerseits schräg vis-à-vis auf einem rahmweißen Louis-quinze-Sessel, mit dem Rücken zum ehemaligen Cigarrenschrank seines Vaters, in dem heute, quasi habanoid konserviert, die kostbaren Erstausgaben von Rilke, Thomas Mann und Proust stehen, Letztere in Pergament gebunden, und auf dessen unterstem Tablar in samtenen Schmucketuis die Orden liegen, Officier de la Légion d’Honneur, fünf Kreuze, das silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, die Medaille der Karls-Universität Prag und, allerdings verschlossen, das von Bundespräsident Karl Carstens überreichte Bundesverdienstkreuz, ich erinnere mich noch, auch mein Kurzzeitgedächtnis beginnt nachzulassen, an den Wortwechsel mit dem Chauffeur, der seinen Corps-Diplomatique-Mercedes, von der Staatskarosse zum Flaggschiff,...


Burger, Hermann
Hermann Burger, geboren 1942 in Aarau/Schweiz, studierte Germanistik und promovierte mit einer Arbeit über Paul Celan. Bereits als Student debütierte er 1967 mit der Gedichtsammlung Rauchsignale. Sein vielbeachteter erster Roman Schilten erschien 1976. Burger war außerdem Privatdozent für Neuere Deutsche Literatur und Feuilletonredaktor. Sein literarisches Werk wurde vielfach ausgezeichnet. 1989 starb Hermann Burger auf Schloss Brunegg im Aargau an einer Überdosis Medikamente.

Hermann Burger, geboren 1942 in Aarau/Schweiz, studierte Germanistik und promovierte mit einer Arbeit über Paul Celan. Bereits als Student debütierte er 1967 mit der Gedichtsammlung Rauchsignale. Sein vielbeachteter erster Roman Schilten erschien 1976. Burger war außerdem Privatdozent für Neuere Deutsche Literatur und Feuilletonredaktor. Sein literarisches Werk wurde vielfach ausgezeichnet. 1989 starb Hermann Burger auf Schloss Brunegg im Aargau an einer Überdosis Medikamente.


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