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E-Book, Deutsch, 477 Seiten, Format (B × H): 147 mm x 220 mm

Butler Die Herzen der Männer

Roman

E-Book, Deutsch, 477 Seiten, Format (B × H): 147 mm x 220 mm

ISBN: 978-3-608-11010-4
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Über eine Zeitspanne von drei Generationen und ebenso vielen Kriegen erkundet dieser Roman die Herzen der Männer: ihre Schwächen und Geheimnisse, ihre Bedürfnisse und Werte. Damit legt Nickolas Butler nach 'Shotgun Lovesongs' ein vielschichtiges und sensibles Epos über die Verletzungen, die Männer einander und anderen zufügen, vor.

In den Augen seines Vaters ist Nelson eine Enttäuschung. Wer will schon ein Kind, das weder Freunde noch Selbstbewusstsein besitzt? Je intensiver der verunsicherte Junge sich nach Zuwendung sehnt, desto stärker sondert sich der Vater ab, bis er irgendwann ganz aus dem Leben seines Sohnes verschwindet. Doch in einem Punkt hat er sich getäuscht. Nelson ist nicht allein. Jonathan, sein bester Freund aus dem Pfadfinderlager, ist das genaue Gegenteil von Nelson: bei allen beliebt, pragmatisch und mit einer unverwüstlichen Leichtigkeit ausgestattet. Was aber treibt jemanden wie Jonathan dazu, sich mit einem Außenseiter anzufreunden? Und stand Jonathan wirklich immer so rückhaltlos zu ihm? Das Leben im rauhen Wisconsin verlangt Nelson, Jonathan und dessen Familie Prüfungen ab, die Freundschaft und Loyalität auf eine harte Probe stellen.

Stimmen zum Buch

'Ein zärtliches, einfühlsames Buch – eine wunderbare Lektüre.'
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Weitere Infos & Material


1
DER SIGNALTROMPETER BRAUCHT keinen Wecker. In der modrig dumpfen Dunkelheit des Zeltes ertastet er mit seinen zierlichen Händen die Streichholzschachtel und streicht mit einem der blauen, schwefeligen Köpfe an der Schachtel entlang, bis das Streichholz Feuer fängt und das goldene Petroleumlicht der Laterne entfacht. Im nächsten Moment lodert der Docht wie eine Lunge, die in hellen Flammen steht. Der Trompeter gähnt und reibt sich den Schlaf aus den Augen. Im neu geschaffenen Licht sucht und findet er seine Brille und kann nun auch die vertrauten Einzelheiten seines Zeltes erkennen, sieht die Schatten, die in den Ecken lauern, und seine eigenen Habseligkeiten. Als er die Zeltklappe öffnet, schreit eine Eule vom Wipfel eines nahe stehenden Ahornbaumes herab. Der Junge zittert in der frühmorgendlichen Kälte. Ohne Schuhe und Strümpfe huscht er leichtfüßig über die ausgetretenen Pfade des Lagers. Am Waldrand zieht er sich die weiße Unterhose herunter und pinkelt schlotternd und in weitem Bogen in die unsichtbaren, hochgewachsenen, alles erduldenden Farnwedel. Es ist ein schönes Geräusch. Wie Regenwasser, das auf eine Zeltplane prasselt. Dann kehrt er wieder ins Zelt zurück, in dem es nun dank der Flamme der Coleman-Laterne sehr viel wärmer geworden ist. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, denn bis zum Morgengrauen ist es nicht mehr weit. Nelson, der in der Truppe aus dreißig Jungen der Jüngste ist, schläft allein. Seine Habseligkeiten sind ordentlich in kleine Haufen aufgeteilt: Socken, Unterwäsche, kurze Hosen, Bücher. Hemden und lange Hosen hängen an einer Leine, die er am Zeltpfahl in der Mitte befestigt hat. Morgens ist er dankbar dafür, allein zu sein. Abends jedoch hallen Lagerplatz und Wald vom leisen Gemurmel der anderen Jungen wider, man hört ihr helles Kichern und ihre nächtlichen Gespräche, und das erinnert ihn an seine eigene Einsamkeit. Es ist der fünfte Sommer, den er nun schon ins Camp Chippewa fährt, und der zweite Sommer, in dem er ein Zelt ganz für sich allein hat. Manchmal schleicht er sich um Mitternacht hinaus, um dem Schattentheater zuzuschauen, das die anderen Jungen mit ihren Taschenlampen veranstalten. Er hört zu, wie sie die Seiten ihrer Comichefte umblättern, wie sie mit der Plastikfolie ihrer Schokoladenriegel rascheln, und riecht den Rauch ihrer heimlich ins Lager geschmuggelten Zigaretten. Sein Vater hat ihm halbherzig angeboten, das Zelt mit ihm zu teilen, doch beiden, Vater und Sohn, wurde schnell klar, dass diese Geste letztendlich etwas Peinliches hatte. Nein, es war besser für Nelson, wenn er allein blieb. Vielleicht würde er irgendwann im Laufe der Woche noch einen Zeltnachbarn bekommen, einen anderen jungen Pfadfinder, der schlimmes Heimweh hat oder von den anderen ausgegrenzt wird und der nun eine Zuflucht braucht. Ein Junge, der versehentlich seinen Schlafsack eingenässt hat. Nelson würde bereit sein. Bereit, sein Hab und Gut auf eine Seite des Zeltes zu beschränken, bereit, ein zweites Feldbett aufzustellen, er würde hilfreich, freundlich, höflich, liebenswürdig und stets munter und vergnügt sein. Nun holt er einen aus Birkenrinde geflochtenen Korb aus seinem Zelt und trägt ihn zu der von rußvernarbten Steinen umgebenen Feuerstelle des Lagers. Es scheint fast so, als würde der Leinwandstoff der Zelte, an denen er vorübergeht, von den in die Nacht hinausbrandenden Schnarch- und Traumlauten leicht hin und her wogen. Am Himmel ergießt sich die Milchstraße über das Kronendach des Waldes – lauter winzige Löcher im Firmament, so funkelnd und violett wie Amethyste oder so blassblau wie das Herz eines Gletschers. An der Feuerstelle bückt er sich und hält seine zierlichen Hände über die Glut der letzten Nacht. Die Restwärme strahlt von seinen Handflächen ab und durchdringt die weichen Polster seiner Fingerspitzen. Er kniet sich hin, beugt sich über die Feuerstelle und bläst mit der Kraft seiner vom Trompetenspiel geübten Lunge in die Glut. Nach ein oder zwei Minuten geduldigen Pustens glimmt das Feuer in einem schläfrigen Rot. Er nimmt ein wenig getrocknetes Gras und ein paar Tannenzapfen aus dem Korb und legt den Zunder in die Kohlen. Dann bläst und bläst er, bis endlich das Feuer auflodert, in kleinen Flammen, wie die Blütenblätter einer urzeitlichen Orchidee, die sich nur des Nachts entfaltet. Der Zunder gerät in Brand, und jetzt greift er mit beiden Händen in den Korb, um mehr Zweige, mehr Tannenzapfen herauszuholen. Das Feuer steigt immer weiter in die Höhe. Er richtet sich auf, geschmeidig, hellwach, und macht sich daran, das Holz zu einem Tipi aufzuschichten, nimmt jetzt größere Zweige, bis das Feuer laut knistert und die Dunkelheit vor sich hertreibt, zurück in das Kronendach des Waldes, wo die Eule leise davonflattert, fort von den aufgewühlten Funken und den lodernden Tannenzapfen, deren Feuer sich weit in den frühmorgendlichen Himmel hinaufreckt. Nelson geht zu den Picknicktischen, um den verrußten, mit Asche und Teeröl überzogenen Teekessel zu holen. Er schüttelt ihn, hört jedoch kein Plätschern. Also geht er den ganzen weiten Weg bis zu seinem Zelt und kehrt mit einer schweren Feldflasche zu dem nun prasselnden Feuer zurück. Er füllt den Kessel und setzt ihn auf den Feuerrost, um das Wasser zum Kochen zu bringen. Dann erlaubt er es sich, endlich auszuatmen. Er war schon seit jeher gut darin, ein Feuer in Gang zu bringen. Nelson hat keine Freunde. Weder hier, im Camp Chippewa, noch zu Hause in Eau Claire, in seiner Nachbarschaft oder in der Schule. Es ist ihm bewusst, dass dies mit den Verdienstabzeichen zu tun hat, mit denen seine Schärpe gespickt ist – bislang sind es genau siebenundzwanzig, was ihm den Rang eines Stern-Pfadfinders verleiht. Es ist nicht unbedingt so, dass das Erringen von Abzeichen uncool ist, aber das Tempo und die Entschiedenheit, mit denen er seine Schärpe mit immer mehr Gewichten behängt hat, erwecken Neid, um nicht zu sagen Mitleid. Seine Unbeliebtheit hat möglicherweise auch mit seiner Brille zu tun, obwohl es genauso gut an seiner Unfähigkeit liegen könnte, einen Basketball zu dribbeln oder im Football einen gut gezielten Pass zu werfen – oder, was noch schlimmer ist, an der geradezu reflexartigen Geste, mit der er seinen Arm im Klassenzimmer in die Höhe schnellen lässt, um eine Frage zu beantworten. Nelson mag die Schule, ja, genießt sie sogar, strebt nach der Anerkennung seiner Lehrer, nach der wohltuenden Überraschung in ihren Gesichtern, wenn er mit irgendwelchen obskuren historischen Details aufwarten kann, die mit Intrigen im Rechtssystem oder selten vorkommenden Elementen des Periodensystems zu tun haben. Es gelingt ihm nicht, den Finger auf den wunden Punkt zu legen, auf diesen einen Bestandteil seiner Persönlichkeit, auf ebendieses Sosein, das er ändern müsste, um mehr Freunde zu gewinnen. Aber er wünscht sich sehnlichst, er könnte es. Wünscht sich, seine Vormittage und Nachmittage wären nicht auf einsame Spaziergänge durch die Flure der Schule beschränkt oder auf endlose Patience-Spiele an den verwaisten Tischen der Cafeteria. Andererseits, vielleicht ist das ja genau der Mensch, der er ist, und niemand sonst. Manchmal, wenn er sich mutig fühlt, geht er ganz in diesem Gedanken auf, stellt sich vor, er sei ein einsamer Wolf ohne Rudel, der durch die Welt wandert, so frei, wie man nur sein kann, ein autonomes Waldwesen. Bei der Party anlässlich seines dreizehnten Geburtstags saß er im Garten, an einem glühend heißen Sonntagnachmittag im Juni, und wartete auf die Ankunft der übrigen Mitglieder seiner Pfadfindertruppe, wartete darauf, dass sie mit ihren Luftgewehren und Mützen aus Waschbärenfell kommen würden und mit ihren Geschenken, deren Papier vom sommerlichen Schweiß ganz feucht geworden und an einigen Stellen vielleicht schon gerissen wäre. Am Abend zuvor hatte er es sich wider alles bessere Wissen erlaubt, die Stapel von Geschenken vor seinem geistigen Auge vorbeiziehen zu lassen: Bücher und Modellflugzeuge, Baseball-Sammelkarten und Süßigkeiten. Auf einem der Beistelltische stand ein riesiger Glaskrug mit Limonade, der so heftig in Schweiß ausgebrochen war, als würde er gerade einem brutalen Verhör unterzogen. Der Teller voller Törtchen mit Zuckerguss war bereits wieder im Kühlschrank verschwunden, nachdem er lange genug draußen gestanden hatte, um die unwillkommene Aufmerksamkeit zahlreicher Hornissen und Fliegen auf sich zu ziehen. Seine Mutter hatte ihm dabei geholfen, jedem einzelnen Jungen einen ganzen Monat im Voraus eine Einladung zu schicken. Doch der Nachmittag zog sich immer weiter in die Länge, und kein einziger Junge kam. Also nahm er sich seinen Bogen und verbrachte Stunden damit, einen Pfeil nach dem anderen in die grellen Primärfarben einer Zielscheibe zu...


Merkel, Dorothee
Dorothee Merkel lebt als freie Übersetzerin in Köln. Zu ihren Übertragungen aus dem Englischen zählen Werke von Edgar Allan Poe, John Banville, John Lanchester und Nickolas Butler.

Butler, Nickolas
Nickolas Butler, geboren 1979 in Allentown, Pennsylvania, wuchs in Eau Claire, Wisconsin auf. Er studierte an der University of Wisconsin und beim University of Iowa Writers' Workshop. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Im Herbst 2013 erschien sein Roman 'Shotgun Lovesongs'.

Nickolas Butler, geboren 1979 in Allentown, Pennsylvania, wuchs in Eau Claire, Wisconsin auf. Er studierte an der University of Wisconsin und beim University of Iowa Writers' Workshop. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Im Herbst 2013 erschien sein Roman 'Shotgun Lovesongs'.

Dorothee Merkel lebt als freie Übersetzerin in Köln. Zu ihren Übertragungen aus dem Englischen zählen Werke von Edgar Allan Poe, John Banville, John Lanchester und Nickolas Butler.

Nickolas Butler, geboren in Pennsylvania, lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Eau Claire, Wisconsin. Er ist Absolvent der University of Wisconsin und des berühmten Iowa Writer's Workshop. Nach "Shotgun Lovesongs" ist dies sein zweiter Roman bei Klett-Cotta.


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