Butler | Unterm Lagerfeuer | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Butler Unterm Lagerfeuer

Stories

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-608-10756-2
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Nickolas Butler erzählt in seinen Geschichten von einer Welt, die rauh, kalt und gefährlich ist, aber auch ein Sehnsuchtsort der großen Liebe und Freundschaften. Im Heartland der USA gibt es nicht viele Menschen, aber die haben es in sich. Sie bringen ihre Kettensäge zur Party mit und stellen ihre Liebe beim Tauchgang unter einer meterdicken Eisdecke auf die Probe. Eine demente Polizistin in Rente lässt illegale Hundekämpfe auffliegen und aus einem Ölmagnaten und seinem Entführer, der ihn aus Rache zwingt Rohöl zu trinken, werden vielleicht doch noch Freunde.
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DIE KETTENSÄGEN-SOIREE
Sie hatten in einer verlassenen alten Kirche der Pfingstgemeinde Unterschlupf gefunden, hoch oben über einem Fluss auf den Felsenklippen. Sobald heftiger Regen über die Kirche hereinbrach, hallte es in ihrem Innern laut von den Wassertropfen wider, die durch das undichte Dach in die aufgestellten Metalleimer fielen. Und war der Boden unter den hölzernen Dielen erst einmal getrocknet, rasselten unzählige Klapperschlangen ihre Maracas in die Hitze hinaus und erst nachts trat Stille ein. Manchmal besuchte ich sie im Frühling, wenn die Klapperschlangen träge und sonnenhungrig wurden. Dann umstellten wir die Kirche, bewaffnet mit Macheten und Harken, und färbten das gelbe Gras rot. Es war ein herrlicher Ort. Die Kirche war verfallen, aber ihr Garten erstreckte sich in jede Himmelsrichtung über unzählige Hektar. Umherziehende Hippies und Leute, die per Anhalter unterwegs waren, kannten Bear und Luna und das alte Gotteshaus mit den Löchern im Dach. Sie kamen und schlugen dort ihre Zelte auf und erledigten irgendwelche anfallenden Arbeiten, und im Gegenzug bekamen sie Gesellschaft und kostenlose Verpflegung. Aber ich kannte Bear noch von der Highschool. Damals waren wir immer mit denselben Mädchen zusammen gewesen. Jedes Jahr zur Wintersonnenwende veranstalteten sie eine Art Fest. Sie nannten es Kettensägen-Soiree, denn jeder brachte eine Kettensäge mit, durch deren Einsatz genug Feuerholz zusammenkam, um die zugige Kirche während des gesamten Winters zu heizen. Am Tag einer solchen Party gingen wir frühmorgens mit einer Flasche Whiskey oder Brandy ausgerüstet in den Wald und zersägten das abgestorbene Holz, das wir dort auf dem Boden fanden, und auch die »Witwenmacher« – tote Äste, die noch an den Bäumen hingen und jederzeit herabfallen konnten. Wir benutzten Schlitten, um das Holz zurück zur Kirche zu bringen. Um das Gotteshaus herum gab es verschiedene Arbeitsstationen: Manche spalteten das Holz zu Scheiten, andere trugen die Scheite ein paar Schritte weiter, um sie dort anzuhäufen, und wieder andere schichteten sie zu dichtgefügten, säuberlichen Stapeln zusammen. Am Tag der Wintersonnenwende schien es immer, als sei die Sonne viel zu schwer, um sich noch über den Horizont zu erheben. Doch während der wenigen hellen Stunden arbeiteten wir hart und unter den zahlreichen Kleidungsschichten, die wir trugen, brach uns der Schweiß aus. Überall war das Geräusch der Kettensägen zu hören. Und später, am Abend, wurde dann ein Spanferkel über dem Feuer geröstet und ein Fass Bier aufgemacht und es gab ein Lagerfeuer und immer spielte jemand Gitarre oder Mundharmonika und irgendeine spindeldürre Frau sang den Sternen etwas vor, mit durchdringender, trauriger Stimme. Die letzte Kettensägen-Soiree, auf der ich war, ist schon Jahre her, noch bevor Shelly und ich geheiratet haben und bevor Samuel geboren wurde. Damals war ich mit einer Krankenschwester namens Nancy zusammen. Sie arbeitete in der Geburtshilfeabteilung der Klinik, hatte kräftige blonde Haare, die sie immer zu einem Zopf geflochten trug, und roch nach Babypuder und Seife. Ich glaube, ich war in sie verliebt. Ich genoss es immer, sie abends nach ihrer Arbeit auszufragen, und sie erzählte mir dann von den Babys, die an diesem Tag geboren worden waren. Die Zwillinge und Drillinge, die seltenen Zwitter, die Totgeburten, die Schönen und die schon Verkrüppelten. Sie rauchte selbstgedrehte Zigaretten und ich habe sie noch genau vor Augen, wie sie nur mit einem T-Shirt bekleidet an meinem Küchentisch saß, mit nackten, muskulösen Beinen, auf dem Stuhl zu einem Schneidersitz verschränkt. Ihre Finger drehten Dutzende von Zigaretten und manchmal auch Joints. Morgens, bevor sie zur Arbeit ging, waren ihre Haare noch offen und schienen das Sonnenlicht in sich zu speichern wie Glasfaserkabel. Damals fuhr ich einen Pick-up-Truck, einen alten Toyota mit rostiger Ladefläche. Während meiner Highschoolzeit hatte ich das Auto aufgebockt und die Stoßstangen durch dicke schwarze Rohre ersetzt. An jenem Morgen brachen wir noch vor Sonnenaufgang zur Kirche auf, Nancy und ich, mit einer Thermoskanne Kaffee und meiner alten Husqvarna-Kettensäge auf der Ladefläche. Unterwegs rauchten wir eine Zigarette nach der anderen. Durch die einen Spaltbreit geöffneten Fenster drang die Kälte ein, während uns gleichzeitig die heiße Luft der Heizung entgegenwehte. Oft blies sie mir einen, wenn ich am Steuer saß. Ihr blonder Kopf wippte in meinem Schoß auf und ab, während ich versuchte, die Augen offen und das Auto zwischen den gelben Straßenmarkierungen zu halten. Ich erinnere mich noch genau an jenen Morgen, daran, wie ihr Kuss danach schmeckte und wie die Sonne über den Hügeln und den Talfurchen aufging. Nancy mochte Sex. Während ich mit ihr zusammen war, geschah es oft genug, dass wir unsere Liebe ganz offen zur Schau stellten, auch wenn ich nie wirklich mit ihr mithalten konnte und wusste, dass uns das irgendwann einmal auseinanderbringen würde. Wir hatten Sex im Lastenaufzug des Krankenhauses und auf dem Hubschrauberlandeplatz oben auf dem Gebäude und einmal auch im Leichenschauhaus im Keller. Aber dort hatten wir vorzeitig abbrechen müssen, weil ich mir einbildete, inmitten all dieser leblosen Stille ein Geräusch gehört zu haben. Sie hatte sich auf der Sitzbank des Pick-ups wieder aufgesetzt und den Deckel von der Thermoskanne geschraubt. Der heiße Dampf beschlug das Beifahrerfenster. »Und, wie ist Luna denn so?«, fragte sie. Das war nicht immer ihr Name gewesen. Und ich hatte Nancy auch nicht erzählt, dass sie und ich einmal ein Liebespaar gewesen waren, früher, als sie noch Shelly hieß, und dass Bear sie mir weggenommen hatte, auch wenn ich wusste, dass man das eigentlich so nicht sagen konnte. Dass Leute nicht einfach so aus einer Liebesbeziehung entführt werden. Und ich wusste auch, dass Luna mich damals, als ich mit ihr zusammen war und sie noch Shelly hieß, nicht stürmisch, nicht wild genug fand und dass wir ohnehin nicht für immer zusammengeblieben wären. Ich beschloss, Nancy die Wahrheit zu sagen. »Luna und ich waren mal zusammen«, sagte ich und starrte geradeaus auf die unter uns verschwindende Straße. »In der Highschool. Wir waren zwei Jahre lang ein Paar. Damals hieß sie noch Shelly. Sie und Bear hatten irgend so ’ne Umbenennungszeremonie oder so was.« Ich schwieg einen Moment. »Unsere Geschichte damals, das war nur Kinderkram.« »Und wann hattest du vor, mir das zu erzählen?«, fragte Nancy und verschränkte die Arme. »Ich hab’s dir doch gerade erzählt«, antwortete ich. »Warum habt ihr euch getrennt?«, fragte sie mit scharfer Stimme. »Sie hat was mit Bear angefangen«, sagte ich ausdruckslos. »Ich hab sie zusammen erwischt.« Daraufhin schwieg sie eine Weile und schlürfte ihren Kaffee. Nancy hatte wunderschöne Finger – ich wurde es nie müde, ihre Hand zu halten oder zuzuschauen, wie sie eine Tasse oder ein Weinglas zwischen ihren Fingern hielt. Ihre perfekten Nägel, ihre langen, kräftigen Finger. »Menschen können echt grausam zueinander sein«, sagte sie schließlich. Und dann lehnte sie sich auf der Sitzbank an mich, legte ihren Kopf auf meine Schulter und reichte mir den Kaffeebecher. Wir waren noch weit von der Kirche entfernt und es fühlte sich gut an, so zu fahren, ihr Körper eng an meinen gepresst, während die Landschaft an uns vorüberflog: die Falken auf den Telefonmasten, die zugefrorenen, unter ihren Eismänteln unsichtbar dahinströmenden Flüsse, die Pferde, die düster und feierlich auf ihren Weiden standen. Nach der Highschool sah ich Bear nur noch selten. Nur bei diesen Kettensägenpartys und manchmal auch im Frühling, wenn der Saft in die Ahornbäume stieg und er jemanden brauchte, der ihm dabei half, ihn zu goldenem Sirup einzukochen. Wir kamen besser miteinander klar, wenn es irgendeine Arbeit zu erledigen gab oder wenn wir danach ein Bier miteinander tranken oder uns einen Joint teilten. Dann konnten wir über das sprechen, womit wir gerade beschäftigt waren, und mussten nicht von alten Zeiten reden. Ich interessierte mich nicht mehr für die Vergangenheit oder glaubte das zumindest. Trotzdem war er immer noch irgendwie Teil meines Lebens, genau wie Luna. Es ist oft gar nicht so leicht, der Schwerkraft unserer Kindheit zu entkommen. Die Kirche war groß und weiß und wirkte dort oben auf dem Steilhang wie ein unmöglicher Außenposten Gottes. Auf dem Hof vor der Kirche rannten Hunde umher. Sie fingen an zu bellen, als wir uns dem Gebäude näherten. In der Luft lag der Geruch von Holzrauch, und ich weiß noch, wie Nancy die Beifahrertür zuschlug und dann ihre Augen schloss und mit fröhlicher Stimme sagte: »Ich bin jetzt schon ganz glücklich hier. Ich mag diesen Ort.« Wir hielten uns an den Händen und gingen auf das Kirchenportal zu. Genau in diesem Augenblick öffnete Bear die großen Flügeltüren und stand mit einem Mal vor uns. Sein Bart war lang und schwarz, seine Augen glitzerten blau und seine Wangen hatten vom vielen Arbeiten im Freien Farbe bekommen. Ich spürte, wie Nancy meine Hand nicht mehr ganz so fest drückte wie vorher. Ich stellte Bear und Nancy einander vor und wir gingen in die Kirche, in der es wärmer war, als ich es von irgendeiner früheren Gelegenheit in Erinnerung hatte. Es roch nach Kaffee und Schweiß und Hunden und Holzrauch und Tabak. Luna stand an der Spüle und ich konnte ihre Hände sehen, mit denen sie ein paar Rüben wusch, und sie sahen älter aus als ihr Gesicht und die Fingernägel waren ganz kurz und brüchig. Sie hob den Kopf und begrüßte uns und schließlich kam sie auch zu uns herüber und umarmte uns vorsichtig und...


Merkel, Dorothee
Dorothee Merkel lebt als freie Übersetzerin in Köln. Zu ihren Übertragungen aus dem Englischen zählen Werke von Edgar Allan Poe, John Banville, John Lanchester und Nickolas Butler.

Butler, Nickolas
Nickolas Butler, geboren 1979 in Allentown, Pennsylvania, wuchs in Eau Claire, Wisconsin auf. Er studierte an der University of Wisconsin und beim University of Iowa Writers' Workshop. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Im Herbst 2013 erschien sein Roman 'Shotgun Lovesongs'.

Nickolas Butler, geboren 1979 in Allentown, Pennsylvania, wuchs in Eau Claire, Wisconsin auf. Er studierte an der University of Wisconsin und beim University of Iowa Writers' Workshop. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Im Herbst 2013 erschien sein Roman 'Shotgun Lovesongs'.

Dorothee Merkel lebt als freie Übersetzerin in Köln. Zu ihren Übertragungen aus dem Englischen zählen Werke von Edgar Allan Poe, John Banville, John Lanchester und Nickolas Butler.

Nickolas Butler, geboren 1979 in Allentown, Pennsylvania, wuchs in Wisconsin auf. Er studierte u.a. beim University of Iowa Writer's Workshop. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Im Herbst 2013 erschien sein Roman "Shotgun Lovesongs".


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