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E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Caspar Wir Datensklaven

Wege aus der digitalen Ausbeutung | Manifest für mehr Freiheits- und Gleichheitsrechte / Wie wir eine demokratische Digitalisierung und informationelle Integrität erreichen können

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-8437-2970-3
Verlag: Ullstein Ebooks
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



In den globalen Datengesellschaften zählen Informationen über Handeln, Denken und Fühlen der Menschen. Individualität wird massenhaft und systematisch ausgebeutet, wir werden zur Ressource einer digitalen Effizienzrevolution. Das ist gut fürs Geschäft der Datenkraken, die immer mächtiger werden. Und es nutzt Staaten, die Daten zur sozialen Steuerung und Kontrolle, bis hin zur Unterdrückung einsetzen.
Johannes Caspar zeigt, dass Demokratie, Freiheit und Solidarität auf der Kippe stehen. Doch wir können etwas dagegen tun. Es gilt, Künstliche Intelligenz menschengerecht einzusetzen sowie soziale Plattformen und Dienste grundlegend zu demokratisieren. Informationelle Integrität für die Menschen und digitale Souveränität für demokratische Staaten müssen zentrale Werte werden. Der Autor diskutiert aktuelle EU-Regulierungsansätze zur Digitalisierung. Darüber hinaus entwirft er Wege, wie wir die Datenherrschaft künftig abstreifen können.
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DAS PROFIL
Lost in Supermarket
Stellen Sie sich vor, Sie sind auf dem Weg in ein Einkaufszentrum am Stadtrand. Auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt stellt sich Ihnen ein jüngerer Mann in den Weg und versucht, Sie in ein Gespräch zu verwickeln. »Drüben auf der anderen Straßenseite gibt es viel günstigere Angebote, lassen Sie sich das nicht entgehen«, raunt er Ihnen verschwörerisch zu und drückt Ihnen einen bunten Prospekt in die Hand. Sie sind überrascht, wollen eigentlich nicht, greifen aber dennoch zu. Immerhin gelingt es Ihnen, wortlos weiterzugehen. Am Eingang zum Supermarkt sehen Sie, wie sich eine Traube von Menschen bildet. Offenbar keine Kunden, denn alle blicken in Ihre Richtung. Sie reden durcheinander, sodass Sie zunächst nicht verstehen, worum es geht. Aus dem Stimmengewirr dringen Markennamen hervor, die aktuell auf Ihrem Einkaufszettel stehen. Sie hören den Produktnamen des Futters für Ihren Hund, einen Golden Retriever, aber auch den Titel des aktuellen Buch-Bestsellers mit Tipps gegen das Rauchen, den Sie schon immer mal lesen wollten. Sie sollten wirklich etwas gegen Ihre Nikotinsucht unternehmen. Ein Mann in einem Monteur-Overall drängt sich an Sie heran und schlägt Ihnen vor, einen Treppenlift in Ihr Zweifamilienhaus einzubauen. Das kommt definitiv zu spät, denn Ihr alter Schwiegervater ist gestern Abend gestorben. Der Herr im dunklen Anzug, der aus der Gruppe hervortritt, ist da schon besser informiert und spricht Ihnen sein Beileid aus. Dass Sie sich automatisch dafür bedanken, war wohl ein Fehler. Denn nun preist er Ihnen wortreich die Vorzüge seiner Sargkollektion an. Er hat ein österreichisches Modell in Eiche mit 20 Prozent Rabatt auf Lager. Durch ein aufklappbares Oberteil mit Scharnieren könnten Sie sich von Ihrem Schwiegervater persönlich verabschieden. Sie sind in diesem Moment froh, dass sich Ihre Frau um das Bestattungsinstitut und die Trauerfeier kümmert. Diese Entscheidung müssen Sie nicht treffen, gerade nicht hier und jetzt. Die aufkommende Erleichterung darüber, dass die Treppe in Ihrem Haus so bleiben kann, wie sie ist, verdrängen Sie aus Scham gleich wieder. Endlich betreten Sie den Supermarkt. Die Tür schließt sich hinter Ihnen und dezente Musik umgibt Sie. Endlich Ruhe. Das hatten Sie nicht erwartet. Der Markt ist fast menschenleer. Ein Mann in einem weißen Kittel begrüßt Sie mit Ihrem Namen und erklärt Ihnen, dass er Sie bei Ihrem Einkauf begleiten wird. Gern hätten Sie darauf verzichtet, aber Sie wollen nicht unhöflich sein. Der Mann geht vor Ihnen her und bittet Sie, ihm zu folgen. Offenbar ist er gut informiert, denn er weiß, welche Waren Sie suchen. Er hat ein Klemmbrett in der Hand und vermerkt auf einer Liste, was Sie in Ihren Einkaufswagen legen und was Sie sich etwas länger anschauen. Manchmal macht er Sie auf Sonderangebote aufmerksam, die wirklich günstig sind. Nachdem Sie Ihren Wagen gefüllt haben und zum Zahlen an der Kasse stehen, überkommt Sie ein Gefühl der Dankbarkeit. Schön, dass man sich so kümmert. Der Mann führt mittlerweile im Hintergrund ein Gespräch mit einer Dame im Business-Kostüm. Er übergibt ihr die Zettel von seinem Klemmbrett, mit denen sie flink hinter einem Regal verschwindet. Als Sie Ihren Einkaufswagen über den Parkplatz schieben, müssen Sie sich den Weg durch die Menschen bahnen, die dort immer noch stehen. Offenbar haben sie auf Sie gewartet. Das Wort »Kaffee«, das erst leise, dann immer klarer und schließlich stakkatoartig aus dem vielstimmigen Chor an Ihre Ohren dringt, lässt Sie aufhorchen. In der Tat, den haben Sie ganz vergessen. Das wird garantiert zu Hause Ärger geben. Sie verstauen die Waren im Kofferraum und gehen schnellen Schrittes noch einmal zurück in den Markt. Sie können Ihren Augen nicht trauen: Alles dort hat sich verändert. Sie stehen vor langen Regalen ausschließlich mit Kaffee: Instantkaffee, Vakuumverpackungen, Kaffeebohnen, gemahlener Kaffee, Kaffeekapseln, Espresso, Cappuccino und sogar Kaffee aus Malz und Roggen. Am Eingang begrüßt Sie eine Frau, bereit, Sie durch den Laden zu führen. Auf Ihren hilflosen Blick hin antwortet sie: »Herzlich willkommen. Sie sind hier, weil Sie spezielle Bedürfnisse haben. Wir haben auf Ihr Profil geboten und den Zuschlag bekommen. Wir haben für Sie bezahlt, und nun sind wir für Sie da. Wir haben auf Ihren persönlichen Besuch gewartet und werden Ihre Wünsche erfüllen.« Sie schließen die Augen. Ihnen ist schwindelig. Sie fühlen sich, als hätten Sie die Kontrolle verloren. In der Profiling-Gesellschaft
Diese kurze Episode aus dem Supermarkt stammt nicht aus einer paranoiden Traumwelt oder einer düster-depressiven Geschichte von Franz Kafka. Eigentlich entspricht sie der Realität. Sie überträgt bloß die Vermarktungsstrategien der Welt des Onlineshoppings auf die analoge Welt des Einkaufsmarkts. Beide Welten sind für sich genommen real. Längst ist die Trennung zwischen virtueller und analoger Welt nicht mehr aufrechtzuhalten. Videokameras in Geschäften und Supermärkten dienen nicht nur dazu, Diebstähle zu verhindern – sie können auch Gesichter von Kunden für Marketingzwecke analysieren. Wer interessiert sich für das eine oder das andere Produkt? In Sekundenbruchteilen wird der Kunde nach Alter, Geschlecht und Stimmung analysiert und mit entsprechenden Botschaften aus den Monitoren versorgt.7 Auch das Indoor-Tracking über das Smartphone während des Besuchs im Einkaufszentrum zeigt: Längst ist die digitale Durchleuchtung von Konsumenten nicht mehr auf den Onlinebereich beschränkt. Virtuelle und reale Welt wachsen auf der Jagd nach unseren Daten immer enger zusammen. Ist es dann eigentlich egal, ob wir vor Ort einkaufen oder im Internet? Keineswegs, der Unterschied ist nach wie vor gewaltig. Es ist der Unterschied zwischen einer Knochensäge und einem Laserskalpell. Das klassische Marketing über Werbung schießt mit einer großen Streuung um sich. Menschen sehen an der Straßenecke das Plakat mit dem Fitnessdrink oder auf dem Screen in der U-Bahn-Station den Spot mit schönen Reisezielen. Dass jeder vor Ort das Gleiche vorgeführt bekommt, eint die Menschen in ihren Alltagserfahrungen und schafft Transparenz. Die Vor-Ort-Werbung oder die Werbung in Funk und Fernsehen betreffen Frauen und Männer, Junge und Alte, Reiche und Arme gleichermaßen. Sie ist offen, direkt und hat eine egalisierende Wirkung auf die Konsumenten auf ihrem Weg durch den Tag. Dieses System ist jedoch alles andere als effizient. Eine Sportstudentin etwa interessiert sich nicht für die gleichen Produkte wie ein 70-jähriger Schachspieler. Aus der Perspektive der Werbeindustrie erscheint die gleiche Botschaft hier als Geldverschwendung. Jedenfalls dann, wenn es möglich ist, Informationen zielgenau dahin zu lenken, wo sie auf ein gesteigertes Interesse stoßen. Ein neues Turnschuhmodell und ein Kräuterlikör wirken auf Menschen unterschiedlich attraktiv. Werbung verfolgt das Ziel der differenzierten Ansprache. Ein guter Verkäufer, der sein Produkt an die Leute bringen will, wird sich daher zunächst darüber Gedanken machen, wer eigentlich vor ihm steht. Je besser die Einschätzung des Gegenübers, desto erfolgreicher das Verkaufsgespräch. Erfolg für den Absatz basiert auf dem Wissen über die Einzigartigkeit potenzieller Kunden und Kundinnen. Die Welt des digitalen Marketings ist daher eine Welt persönlicher Profile. Sie funktioniert durch Überwachung. Das Besondere: Nur ein sehr geringer Teil der Informationen, zum Beispiel Geschlecht, Aussehen und ungefähres Alter, lassen sich offen im direkten Kontakt erheben. Der größte Teil wird mehr oder weniger heimlich durch das Ausspähen des Gegenübers gewonnen: Wohnort und Herkunft, soziale Kontakte eines Freundeskreises und von Geschäftsbeziehungen, Hobbys und Interessen, Ausbildung und Arbeit, Einkommensklasse, Beziehungsstatus, Krankheiten und Behinderungen, körperliche Funktionen, sexuelle Orientierung, politische oder religiöse Überzeugungen, Standort- und Bewegungsdaten, Konsumgewohnheiten und Kaufabsichten – all dies ist über Kontakte in der analogen Welt gewöhnlich nicht zugänglich. Jeder Verkäufer, der vor ihm stehende Kunden über deren sexuelle Präferenzen und politische Ansichten auszufragen versucht, wird wissen, dass sich Parfüms oder Versicherungen so nur schwer verkaufen lassen. Im Internet jedoch werden diese Informationen von Personen systematisch von Webseitenbetreibern, Werbe- und Medienanbietern, App-Entwicklern, Onlinevermarktern und -Plattformen erhoben und gesammelt. Die globalen Datenanbieter bekommen die Daten frei Haus durch die bei ihnen angemeldeten User. Im Übrigen erfolgt die Überwachungswerbung über sogenannte Cookies. Das sind Datensätze, die auf den Endgeräten beim Besuch von Webseiten gespeichert werden. Die Informationen lassen sich aber auch über die Einstellungen im Browser erfassen. Dies geschieht dann über einen gerätespezifischen Fingerabdruck, der sich aus dem verwendeten Betriebssystem, der Bildschirmauflösung, verwendeten Treibern oder installierten Schriftarten ergibt und eine Identifizierung der einzelnen Nutzerinnen und Kunden ermöglicht.8 Dadurch...


Caspar, Johannes
Prof. Dr. Johannes Caspar, geboren 1962, hat Jura studiert, zu Jean Jacques Rousseau promoviert und sich für die Fächer Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Rechtsphilosophie habilitiert. 2009 bis 2021 war er Hamburgischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit. Von 2015 bis 2021 hat er die unabhängigen deutschen Datenschutzbehörden der Länder im Europäischen Datenausschuss in Brüssel vertreten. Mit seiner Arbeit hat er für den Datenschutz europa- und weltweit Standards gesetzt. So ist er gerichtlich und außergerichtlich gegen Datenschutzverstöße etwa von Google Street View, Facebook, WhatsApp und H&M vorgegangen und hat den Datenschutz bei Spracherkennungsprogrammen verbessert. Laut der englischsprachigen Wochenzeitung Politico gehörte Johannes Caspar 2020 zu den 28 einflussreichsten Persönlichkeiten in Europa.
Aktuell lehrt und forscht der Jurist an der Universität Hamburg und arbeitet als freier Autor.

Prof. Dr. Johannes Caspar, geboren 1962, hat Jura studiert, zu Jean Jacques Rousseau promoviert und sich für die Fächer Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Rechtsphilosophie habilitiert. 2009 bis 2021 war er Hamburgischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit. Von 2015 bis 2021 hat er die unabhängigen deutschen Datenschutzbehörden der Länder im Europäischen Datenausschuss in Brüssel vertreten. Mit seiner Arbeit hat er für den Datenschutz europa- und weltweit Standards gesetzt. So ist er gerichtlich und außergerichtlich gegen Datenschutzverstöße etwa von Google Street View, Facebook, WhatsApp und H&M vorgegangen und hat den Datenschutz bei Spracherkennungsprogrammen verbessert. Laut der englischsprachigen Wochenzeitung Politico gehörte Johannes Caspar 2020 zu den 28 einflussreichsten Persönlichkeiten in Europa.
Aktuell lehrt und forscht der Jurist an der Universität Hamburg und arbeitet als freier Autor.


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