Centeno Garcia | Das Seminar als Denkschule | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 120 Seiten

Centeno Garcia Das Seminar als Denkschule

Eine diskursbasierte Didaktik für die Hochschule

E-Book, Deutsch, 120 Seiten

ISBN: 978-3-8463-5265-6
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Diskursorientierte Lehre

Seminare gehören zum Kerngeschäft der Hochschullehre, besonders in geistes-, kultur- oder sozialwissenschaftlichen Studiengängen. Und wie kein anderes Lehrformat sind sie von der aktiven Beteiligung der Studierenden abhängig.

Das Seminar ist der Ort, an dem der wissenschaftliche Diskurs erlebbar wird. Hier kann man verstehen, was es bedeutet, gemeinsam zu denken, professionelle Wissensarbeit zu leisten.

Der Band stellt den Diskurs ins Rampenlicht und entwickelt daraus eine diskursbasierte Seminardidaktik. Denn das Format des geistes- und sozialwissenschaftlichen Seminars ist ein Erprobungsraum par excellence für wissenschaftliche Denk- und Handlungsmuster.

Ein Buch für alle, die sich in Ihren Seminaren lebhafte Debatten wünschen.
Centeno Garcia Das Seminar als Denkschule jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Vorwort 7
1 Einleitung 9
2 Die Kunst der Auseinandersetzung 12
21 Der Diskurs – Bedeutung und Herausforderung 12
22 Diskurs und Wissenschaft 17
23 Diskurs und Lernen 20
24 Diskurs und Lehre 26
25 Diskurs und Gesellschaft 28
3 Lernort Seminar 31
31 Das Seminar – Einheit von Forschung und Lehre in neuem Licht? 31
32 Entwicklung der Studierenden oder: Worüber wir uns nicht wundern sollten 34
33 Herausforderung für Lehrende 39
34 Den Charakter des Seminars bestimmen 40
4 Gerüst einer Seminardidaktik 47
42 Ziele setzen, die steuern helfen und Flexibilität erlauben 48
42 Denkkultur entwickeln 53
43 Themen erschließen 55
44 Textarbeit als Dreh- und Angelpunkt 58
45 Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der Studierenden stärken 61
46 Kooperatives Lernen ist nicht einfach nur Gruppenarbeit 65
47 Selbständigkeit ermöglichen und einfordern 68
48 Feedback und immer wieder Feedback 71
5 Ideenbörse 76
51 Mit Wikis den Diskurs erproben 78
52 Lesen, Sprechen, Schreiben gestuft trainieren 85
53 Mit eigenen Studien wissenschaftlich denken lernen 92
54 Durch Reflexion zu professioneller Beratungsfähigkeit 99
55 Durch wissenschaftliches Arbeiten einen Leitfaden erarbeiten 106
6 Zum Abschluss 113
7 Literatur 114


[31] 3     Lernort Seminar
„Der größte Feind guter Seminardidaktik ist die Routine und der hinter ihr stehende Glaube, jedes Seminar müsse gleich sein.“ (Kruse, 2012, S. 99) Sie halten ein Seminar? Wunderbar! Denn das eröffnet Ihnen meist einen großen Gestaltungspielraum. Das Seminar ist seit über 200 Jahren eine omnipräsente Unterrichtsform und entzieht sich dennoch oder gerade deshalb der Systematisierung. Vom Lektürekurs bis zum Projekt- oder Forschungsseminar begegnet es uns in den unterschiedlichsten Auslegungsformen und ist doch in seinem Kern relativ invariant. In jedem Fall handelt es sich um einen Ort des gemeinsamen Denkens und Arbeitens, der durch die offene Interaktion der Beteiligten, sowohl Lehrender als auch Studierender, lebendig wird. Es ist daher naheliegend, das Seminar vom Diskurs her zu denken. Ihm ein enges didaktisches Korsett zu verpassen, hieße, es in seinen Möglichkeiten als Ort der Fachsozialisation unnütz einzugrenzen. In diesem Kapitel soll es darum gehen, tragende Säulen guter Seminargestaltung herauszuarbeiten. Das Seminar zu entwickeln und in Bezug auf die Anforderungen innerhalb eines konkreten Studiengangs bzw. Moduls zu adaptieren heißt aber auch, sich seinen Charakter bewusst zu machen. 3.1    Das Seminar – Einheit von Forschung und Lehre in neuem Licht?
Lange Zeit war das Seminar didaktisch nicht regulierter Raum. „Zum Glück!“, mögen Sie denken und gleichzeitig das [32] hochschuldidaktische Qualitätsmanagement im Nacken spüren. Definitorischer Konsens besteht lediglich darin, dass es sich um eine Lehrveranstaltung an einer Hochschule handelt, bei der die Teilnehmenden unter wissenschaftlicher Anleitung bestimmte Themen erarbeiten (Duden, 2018). Für ein gutes Seminar gibt es kein Rezept. „Das Seminar ist gelebte, nicht verordnete Hochschuldidaktik“, so Kruse (2012, S. 89), der die Effizienz dieses Lehrveranstaltungsformates zwar nie untersucht, aber ebenso wenig in Zweifel gezogen sieht. Michael Schneider und Maida Mustafic (2015) versuchen sich indes an einer evidenzbasierten Orientierungshilfe und führen die Erkenntnisse empirischer Lehr-Lern-Forschung bezogen auf die verschiedenen Lehrveranstaltungstypen zusammen. Die dort für das Seminar federführenden Hilger et al. (2015) können zwar keine Studie zum Thema Effektivität im Allgemeinen bieten, jedoch zahlreiche Befunde, die sich mit den Grundideen des Traditionsformats decken. Studierende werden mit wissenschaftlicher Wissensgewinnung vertraut gemacht, indem sie sich selbsttätig, aber begleitet Themen erarbeiten. Vermutlich war das Seminar der Prototyp für Humboldts Idee von der Einheit von Forschung und Lehre. Gleichzeitig war die Einrichtung von Seminaren an deutschen Universitäten ein maßgeblicher Katalysator für die Institutsentwicklung der sich formenden Fachdisziplinen. Ausgestattet mit eigenem Budget und ausgerichtet auf die methodische Erschließung bildeten sie den Kernbereich der Fachentwicklung. Im Kontext der europaweite Vereinheitlichung von Studiengängen und -abschlüssen sowie des Constructive Alignment (u.a. Biggs & Tang, 2011) erweist sich das Seminar jedoch wegen seiner Offenheit als sperrig. Es lässt sich nicht in der Logik streng abgezirkelter Kompetenzen und standardisierter Wissensvermittlung fassen, ebenso wenig in der enggeführten Abstimmung von Lernzielen, Lehr-Lernaktivitäten und Prüfungen des Constructive Alignments. Das Seminar folgt dem Prinzip des exemplarischen Lernens und behandelt meist eng umgrenzte Themen. Es eröffnet Raum für Auseinandersetzung, [33] die wiederum die Studierenden vor komplexe Anforderungen stellt. Wissen bzw. Verstehen wird im Diskurs erzeugt. Im Seminar gibt es folglich nicht das Wissen, das die Studierenden aufnehmen können, um es dann im Rahmen von Prüfungsleistungen wieder von sich zu geben. Anfangs durch den Filter des dozentenseitigen Forschungswissens, später eigenständig rekonstruieren sie Erkenntnisse und bilden ein eigenes Verständnis, eigene Positionen aus. Lernen im Seminar ist das Erzeugen von Verstehensweisen, die im Diskurs abzusichern sind. Verstehen umfasst eine ganze Reihe epistemischer Vorgänge: beurteilen, vergleichen, kontrastieren, Zusammenhänge herstellen, betonen, verbinden, begründen. Die erforderlichen Kompetenzen werden konkret und eingebettet in die fachliche Auseinandersetzung erworben. Das hat allerdings häufig zur Folge, dass die eigene Kompetenzentwicklung von den Studierenden weder bewusst wahrgenommen wird noch dass sie konkret benennen können, was genau sie gelernt haben und wozu das gut ist. Die Auslieferung von Wissen per Lehrbuch oder Skript scheint da deutlich einfacher. Das erklärt auch die oft geäußerte Sehnsucht nach Handouts oder Zusammenfassungen durch die Lehrperson. Vielleicht kennen Sie das: Sie erleben eine produktive Seminardiskussion. Es gibt eine Kontroverse, die durch Argumente gestützt ist. Positionen bilden sich heraus. Und dann am Ende die Frage an Sie: Aber was genau ist jetzt richtig? Die Unschärfen des Seminars, seinen Bruch mit schulischen Mustern sowie die Verantwortung für das eigene Denken und Kompetenzentwicklung müssen Studierende erst aushalten lernen. Sie müssen jedoch auch lernen, dass es nicht reicht, nur eine Meinung zu haben. Denn Offenheit ist nicht Beliebigkeit. „Wissenschaftliches Denken beginnt dort, wo ich bereit bin, meinem eigenen Denken zu trauen, es zu explizieren, auf die Meinungen anderer zu beziehen und (meine) Resultate in den wissenschaftlichen Diskurs einzubringen.“ (Kruse, 2005, S. 72) Wenn Roth (2015) feststellt, „Bildung braucht Persönlichkeit“, dann wird das am Lernort Seminar besonders deutlich. [34] 3.2    Entwicklung der Studierenden oder: Worüber wir uns nicht wundern sollten
Studierende sind Individuen in Ausbildung, die sich mit ganz unterschiedlichen Zielen und Motiven für einen Studiengang bzw. ein Seminar entschieden haben. Manche haben schon zukünftige Beschäftigungsmöglichkeiten im Blick, andere gehen vorerst eigenen Bildungsinteressen nach und orientieren sich erst spät, wie weit man auf dem Arbeitsmarkt damit kommt. Und es gibt diejenigen, die zunächst nur eine Übergangslösung suchen. Die Motivationspsychologie legt nahe, dass Menschen umso effizienter und motivierter arbeiten bzw. lernen, je klarer Ihre Zielvorstellung ist. Zumindest sollte das, was sie tun, für sie bedeutsam sein – eine Herausforderung im Seminar, denn erstens lässt sich nicht immer eine direkte Verwertbarkeit ableiten. Zweitens sind die Ziele der Teilnehmenden genau wie die von ihnen dem Seminar und seinen Lerngegenständen zugeschriebenen Bedeutungen sehr individuell. Das heißt für die Lehre: • Stecken Sie Rahmenziele ab, die die Kompetenzentwicklung der Studierenden fokussieren und offen genug für individuelle Schwerpunktsetzung sind. • Planen Sie Zeit für die Auseinandersetzung mit Zielen und für ausreichend Feedback ein. • Geben Sie Anregungen für den Transfer des Gelernten in einer möglichen zukünftigen Praxis. Die meisten beginnen ihr Studium mit Anfang 20, relativ kurz nach dem Schulabschluss. Damit befinden sie sich nach dem Konzept der Entwicklungsphasen von Havinghurst (1976) im späten Jugendalter. Diese Phase von 16 bis 23, teilweise darüber hinaus, ist von der Loslösung vom Elternhaus, der Suche nach dem eigenen Platz in der Gesellschaft und dem Ausbilden einer beruflichen Identität gekennzeichnet (dazu auch Brendel, Hanke & Macke, 2019, S. 75ff.). Das sind alles Lernprozesse, die Energie binden und in engem Zusammenhang mit der Persönlichkeitsentwicklung stehen. Wir haben es also [35] entwicklungspsychologisch meist mit noch nicht Erwachsenen zu tun. Das heißt für die Lehre: • Verankern Sie den Aufbau eines professionellen Selbstverständnisses als Teil der Persönlichkeitsentwicklung in den Kompetenzzielen. • Behandeln Sie Studierende wie angehende, erwachsene Fachkolleginnen und Fachkollegen, nach dem Motto „Zeige mir nicht, wer ich bin, sondern wer ich sein könnte“, wundern Sie sich aber nicht über unerwachsenes Verhalten. • Integrieren Sie regelmäßig bewusst Feedback und Peer-Feedback bezogen sowohl auf die studentische Kompetenzentwicklung als auch auf den gemeinsamen Arbeitsprozess. Die Aufnahme eines Studiums bedeutet in Teilen einen Bruch mit vertrauten Vorstellungen, die schulisch oder bei Studierenden mit Berufserfahrungen durch die Praxis geprägt sind. Das betrifft zum einen das Wissenschaftskonzept, zum anderen eine ganze Reihe von Herangehensweisen, die aus anderen Kontexten scheinbar vertraut sind und daher nicht mehr hinterfragt werden, beispielsweise das Lesen, Fragen, Begründen, Verfassen von Texten etc. Zwar liegen zu diesen Aspekten keine umfassenden Studien vor, aber einzelne Untersuchungen zeigen, dass es einflussreiche Diskrepanzen gibt zwischen dem, was Studierende mitbringen, und dem, was sich im akademischen Kontext als Standard herausgebildet hat und von Lehrenden erwartet wird (u.a. Müller, 2011). So ist beispielsweise das schulische Konzept wissenschaftlichen Wissens durch eine Ausrichtung auf Eindeutigkeit im Sinne von richtig oder falsch geprägt. Zudem wird Wissen oft als etwas Statisches verstanden. Dagegen ist es aus wissenschaftlicher Perspektive selbstverständlich, dass unterschiedliche Erklärungsansätze oder Theorien nebeneinander existieren, ja miteinander konkurrieren können. Wissenschaftliches Wissen...


Centeno Garcia, Anja
Dr. Anja Centeno García ist eine freiberufliche Dozentin und Trainerin aus Dresden.

Dr. Anja Centeno García ist eine freiberufliche Dozentin und Trainerin aus Dresden.


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