David / Perceval | Nahaufnahme Luk Perceval | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 312 Seiten

David / Perceval Nahaufnahme Luk Perceval

Gespräche mit Luk Perceval

E-Book, Deutsch, 312 Seiten

ISBN: 978-3-89581-393-1
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Seit 2011 hat Thomas David den Regisseur bei der Arbeit beobachtet und in ausführlichen
Gesprächen zu Leben und Werk befragt. Die Nahaufnahme beleuchtet Percevals Anfänge
als Schauspieler und Regisseur und seinen Werdegang vom Künstlerischen Leiter des
Antwerpener Het Toneelhuis über die Jahre an der Berliner Schaubühne bis zu seinem
Wechsel als Leitender Regisseur an das Hamburger Thalia Theater.
Perceval berichtet von seiner Kindheit auf dem elterlichen Lastschiff in Flandern, seinem
künstlerischen Werdegang sowie der allmählichen Hinwendung zur Yogapraxis und deren
Einfluss auf seine Theaterarbeit.
Die Begleitung des gesamten Probenprozesses seiner Inszenierung von Shakespeares
Macbeth gewährt umfassende Einblicke in die besondere Arbeitsweise des Regisseurs.
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Macbeth Spuren im Sand: Dokumentation eines Probenprozesses DER TEXT Hamburg, 29. März 2011 Shakespeares Macbeth ist 1606 entstanden, das Stück ist voller topical allusions, die es fest in seiner Zeit verankern. Worin liegt die Zeitgenossenschaft dieses Stückes, das du bereits 2004 in Antwerpen inszeniert hattest? Dazu muss ich erklären, was mich grundsätzlich an Shakespeare interessiert. Ich habe ihn bereits auf der Schauspielschule für mich entdeckt. 1977 habe ich bei einem Szenenstudium Jago gespielt. Trotz des existierenden Zeitabstands kamen mir Shakespeares Stücke sehr gegenwärtig vor. Inzwischen habe ich viele Stücke von ihm inszeniert, und im Laufe der Jahre habe ich mir immer häufiger die Frage gestellt: Was ist das eigentlich, warum fasziniert mich Shakespeare immer wieder? Und das hat teilweise mit dem zeitlichen Abstand zu tun, denn dadurch rückt die Wirklichkeit oder der poetische Kern dieser Stücke näher an uns heran. Das, was ich als Shakespeares poetischen Kern bezeichnen würde, ist die Tatsache, dass Shakespeare eigentlich immer mit den Urängsten spielt und in diesem Sinne zeitlos ist. Warum ich 2011 noch einmal Macbeth inszenieren möchte, hat aber auch damit zu tun, dass ich von der Ruhrtriennale das Angebot bekommen habe, etwas im Rahmen des Themas »Buddhismus« zu machen – ein Thema, das mich seit Jahren sehr beschäftigt, weshalb ich die Einladung gern angenommen habe. Ich habe zunächst erst einmal an offensichtliche Stoffe wie Hermann Hesses Siddhartha gedacht. Ich habe angefangen, No-Theaterstücke zu lesen, aber das sind natürlich eher Stoffe, die kaum dramatisch, sondern eher beschreibend sind, in denen sich mir deshalb kein dramatischer Konflikt enthüllt, der sich irgendwie entwickeln würde. Von diesen offensichtlichen Stoffen bin ich dann ziemlich schnell zu anderen Texten gekommen, die auf den ersten Blick aber gar nicht unbedingt buddhistisch sind. Das ist nämlich eine wichtige Frage: Was ist überhaupt buddhistisch? Ich habe mich schließlich daran erinnert, dass innerhalb der tibetanisch-buddhistischen Tradition Shakespeare als ein Bodhisattva gilt – also als ein Weiser, der andere inspiriert, die Buddha-Philosophie zu realisieren, sich ihrer bewusst zu werden. Im Grunde könnte man unter diesem Aspekt also jedes Stück von Shakespeare nehmen, weil er sich eigentlich in fast jedem Stück mit der Vergänglichkeit auseinandersetzt – mit dem buddhistischen Thema schlechthin. Die buddhistische Philosophie sagt, dass man versuchen muss, Frieden zu finden – Frieden zu stiften in der Welt, indem man Frieden mit sich selber findet. Frieden mit sich selber findet man aber erst in dem Moment, in dem man seine eigene Sterblichkeit, seine Angst vor der Vergänglichkeit akzeptiert: indem man nicht ständig in einem Konflikt mit sich selber lebt, sondern versucht, sich durch Meditation bewusst zu werden, wie man in einer Art von Überlebensinstinkt, Überlebenstrieb ständig in einem Krieg mit der Welt und mit sich selber lebt. Dieser Gedanke war für mich sofort die Tür zu Shakespeare, denn in welchem seiner Stücke kommt dies nicht vor? Egal, ob in Richard III., Richard II., King Lear oder Hamlet: Überall sieht man Helden, die sich mit dem Tod auseinandersetzen – mit der Tatsache, dass ihr ganzes Leben darauf beschränkt ist, nach der Macht zu greifen oder irgendeine Macht abzusichern, um schließlich einen der berühmten Sätze zu sagen, die Shakespeare am Ende dann immer schreibt. »Life … is a tale / Told by an idiot«, wie es in Macbeth heißt: Eine Zeile, auf die auch deine Bearbeitung hinzuführen scheint. » … a tale / Told by an idiot, full of sound and fury / Signifying nothing.« … Ich wurde dann von der Ruhrtriennale eingeladen, mir die Spielorte anzuschauen, und als ich die Zeche Zweckel in Gladbeck sah, die mir sofort als ein ganz toller Spielort erschien, hatte ich gleich die Vorstellung einer schottischen Burg mit hohen Fenstern. Ich stand in der Halle und dachte: Das Stück, das man hier eigentlich spielen müsste, ist Macbeth. Die Idee, Macbeth zu inszenieren, hat sich also ganz konkret aus der Beschaffenheit des Spielortes ergeben? Ja. Ich dachte dann: Wie lässt sich das Stück zusammenfassen? Da ist dieser Typ, der traumatisiert aus dem Krieg zurückkehrt – etwas, das in den meisten kritischen Analysen von Macbeth erstaunlicherweise gar nicht thematisiert wird: Das Stück beginnt mit der Beschreibung, wie Macbeth sich Köpfe abhackend, Körper durchschneidend den Weg zum Sieg erkämpft hat. Er reitet dann nach diesem schrecklichen Krieg nach Hause und begegnet unterwegs den Hexen: eine Szene, die in meinen Augen der Szene in Hamlet ähnelt, in der der junge Hamlet dem Geist seines toten Vaters begegnet. Das sind für mich Projektionen. Ich glaube weder an Geister noch an Hexen, aber ich finde es interessant, dass die Hexen etwas aussagen, das Macbeth sich wünscht oder ersehnt, vor dem er sich jedoch fürchtet. Er weiß nämlich, dass er einen Mord begehen muss, um König zu werden. Der Ursprung dieser Furcht ist jedoch Macbeths Kriegsangst: Wenn man aus dem Krieg kommt, dann traut man dem Frieden nicht mehr und weiß, dass der Überlebenstrieb immer dazu führen kann, dass jemand anders die Waffe schneller zieht als man selbst. Die einzige Logik, die Macbeth gegen dieses Trauma schützen kann, ist, selbst König zu werden. Dann hat er den Überblick, dann bestimmt er, wer in seine Nähe kommen darf und wer nicht. Macbeth weiß, dass er jemanden umbringen muss, um das zu erreichen. Aber in dem Moment, in dem er das tut, besiegelt er auch seinen eigenen Tod, weil er mit dem Mord am König auch die natürliche Ordnung zerstört, die ihm einen natürlichen Schutz bietet. Indem er diesen Schutz zerstört, unterschreibt er seinen eigenen Todesbefehl und geht den ersten Schritt der Selbstdestruktion. Du glaubst nicht an Geister. Du glaubst nicht an die Zauberkraft von Hexen, was man zu Shakespeares Zeit durchaus noch tat. Shakespeare, andererseits, wusste nichts über den Buddhismus: Wie erklärt es sich, dass sein Werk seit vier Jahrhunderten den unterschiedlichsten Interpretationen standhält? Shakespeare kannte den Buddhismus nicht, er spielt in seinen Texten aber sehr oft mit nihilistischen Gedanken. »Ashes to ashes, dust to dust«: Er kommt sehr oft auf dieses Thema zurück – nicht nur in Macbeth. Shakespeare war sehr mit dem relativen Schauspiel des Lebens beschäftigt, und ich bin davon überzeugt, dass ihn dies unter anderem zeitlos und universell macht. Als emotionaler und ritualer Autor steht er uns näher als Aischylos zum Beispiel oder als Goethe, bei dem zwar das gleiche Gedankengut vorkommt wie bei Shakespeare, allerdings viel mehr verkopft. Shakespeare erzählt den Nihilismus immer auf einem sehr sinnlichen Weg, oft über den Weg des Gruselns. Er nimmt zum Beispiel eine Hauptfigur, bei der sich die meisten von uns denken können: Oh Gott, was wäre, wenn ich in dessen Schuhen stünde? Was wäre, wenn ich Othello wäre und meine Frau würde mich betrügen? Oder mein bester Kumpel würde mir sagen, dass sie mich betrügt? Shakespeare nimmt oft Situationen, in denen der König ein Stellvertreter des Zuschauers ist. Im Fall von Macbeth ist es ein Albtraum, in den sich der Zuschauer hineindenkt: Dieser Albtraum ist bevölkert von Ängsten, von Krieg, vom Verlust eines Kindes, von etwas, dass oft in unseren Träumen vorkommt: dass man etwas tut, das sich nicht mehr rückgängig machen lässt. Macbeth ist von einem Ehrgeiz getrieben, der in Selbstzerstörung mündet, darin sehe ich auch Parallelen zu heute: Man denkt sofort an Gaddafi, an Ceausescu, man denkt sofort an John F. Kennedy – an Leute, die von einem Ehrgeiz getrieben sind, irgendwann auf die höchste Position zu kommen und dann glauben, ihr ganzes Leben abgesichert zu haben – sich selbst, die eigene Familie, alles. Aber einmal auf dieser Position gelandet, wird die Einsamkeit unerträglich. Und vor diesem Aspekt – dass aus einem Schutzreflex ein Störungsreflex wird und dass wir der existentiellen Einsamkeit nicht entkommen – haben wir alle Angst. Das Buddhistische an dem Stück ist gewissermaßen, dass Macbeth die absolute buddhistische Antithese verkörpert: Macbeth zeigt einen Menschen, der überhaupt keinen Abstand mehr zu sich selber hat, der nicht erkennen kann, dass das, wovon er abhängig ist, in Wirklichkeit seine Ängste sind, und nur noch von diesen Ängsten gelebt wird. Interessant ist, dass diese Ängste in der Personifizierung von Frauen auftreten: Nicht nur in der Figur der Lady Macbeth, sondern auch in Form der drei Hexen. Diese Weiblichkeit ist eine Naturkraft, die Macbeth nicht unter Kontrolle hat und die für ihn bedrohlich ist. Die Hexen durchschauen Macbeths Sehnsüchte, aber sie durchschauen ihn auch in seinem Schicksal, in dem Absturz, den sie vorhersagen. Shakespeare erzählt oft, dass die Natur dem Menschen die Gewalt über sein eigenes Leben entreißt. Er kann zwar kein Buddhist gewesen sein, aber dies alles ist...


Thomas David, geb. 1967, studierte Anglistik und Kunstgeschichte in Hamburg und London und schreibt seit Mitte der neunziger Jahre für Zeitungen und Magazine. Arbeit als Redakteur, Autor zahlreicher Radio-Features. Letzte Buchveröffentlichung: Philip Roth (2013). Er lebt in Hamburg.
Luk Perceval, geboren 1957, ist ein belgischer Theaterregisseur.
Er studierte Schauspiel am Koninklijk Conservatorium in Antwerpen und arbeite anschließend als Schauspieler. 1984 gründete er die freie Theatergruppe "Blauwe Maandag Companie", für die er auch inszeniert. 1997 wird Perceval künstlerischer Leiter von "Het Toneelhuis" in Antwerpen. Seine Inszenierung Schlachten! in Co-Produktion mit dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg und den Salzburger Festspielen wurde beim Berliner Theatertreffen zur "Inszenierung des Jahres 2000" gewählt. Mit einer Reihe herausragender Inszenierungen an deutschen Theatern machte sich Perceval in den folgenden Jahren als Regisseur einen Namen, u. a. Der Kirschgarten von Tschechow (2001), Traum im Herbst von Jon Fosse (2001), Das kalte Kind von Marius von Mayenburg (2002), Andromache nach Racine (2003), Othello (2003) und Turista von Mayenburg (2005) sowie die Operninszenierungen Tristan und Isolde (2004) und Die Sache Makropulos (2005).
Ab der Spielzeit 2005/06 war Luk Perceval vier Jahre Hausregisseur an der Berliner Schaubühne, bevor er zur Spielzeit 2009/2010 als Regisseur und Oberspielleiter an das Thalia Theater in Hamburg wechselte.



"Ich bin auf der Suche nach einem menschlichen Theater. Einem Theater, das nicht nur zeigt, wie monströs der Mensch ist, aber gleichzeitig auch, wie sehr er auf der Suche ist nach Liebe, nach Schutz. Und wie verletzbar und angreifbar der Mensch ist. Und wie wir eigentlich alle in unseren Sehnsüchten, in unseren Ängsten gleich sind. Wir sind alle Kinder von Vater und Mutter, also in dem Sinn ist das eine ewige archaische Ursituation." Luk Perceval


Weiter Infos finden Sie unter:

lukperceval.info


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