Dehnen | Grenzüberschreitende Verhandlungen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 11, 300 Seiten

Reihe: Arbeit - Interessen - Partizipation

Dehnen Grenzüberschreitende Verhandlungen

Wie Akteursdynamiken und institutionelle Umwelten Internationale Rahmenvereinbarungen beeinflussen

E-Book, Deutsch, Band 11, 300 Seiten

Reihe: Arbeit - Interessen - Partizipation

ISBN: 978-3-593-42246-6
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Fast 25 Jahre nach dem Abschluss der ersten Internationalen Rahmenvereinbarung bleibt die Frage offen, weshalb solche Vereinbarungen in Unternehmen mit Gewerkschaften geschlossen werden und inwieweit diese Erwerbsregulierung prägen. Veronika Dehnen untersucht den Einfluss von unterschiedlichen Akteuren und zeigt Kriterien auf, mit welchen der Nutzen der Vereinbarungen bewertet werden kann.
Dehnen Grenzüberschreitende Verhandlungen jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Inhalt

1. Einleitung
1.1 Ausgangslage und Problemstellung
1.2 Aufbau der Arbeit

2. Verhandelte transnationale Erwerbsregulierung: Zum aktuellen Forschungsstand
2.1 Grenzüberschreitende Rahmenvereinbarungen - Definition, Verbreitung und historische Entwicklung
2.1.1 Definition und Verbreitung von Grenzüberschreitenden Rahmenvereinbarungen
2.1.2 Historische Entwicklung von Formen grenzüberschreitender Erwerbsregulierung
2.2 Forschungsperspektiven auf Grenzüberschreitende Rahmenvereinbarungen
2.2.1 Der Einfluss von Akteursdynamiken und institutionellen Umwelten auf Internationale Rahmenvereinbarungen
2.2.2 Erklärungsmodelle aus anderen Forschungsbereichen transnationaler Erwerbsregulierung
2.3 Zwischenfazit: Grenzüberschreitende Rahmenvereinbarungen als Instrumente transnationaler Erwerbsregulierung

3. Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes und methodisches Vorgehen der Untersuchung
3.1 Akteursstrategien und Aushandlungsprozesse?
3.1.1 Machtbeziehungen und Interessen im Aushandlungsprozess
3.1.2 Theoriegeleitete Annahmen zu den Aushandlungsprozessen
3.2 Institutionelle Einflüsse auf die Verhandlungen und die Entscheidungen der Akteure
3.2.1 Institutionen und Akteure im soziologischen Neo-Institutionalismus und im "Rational Choice"-Institutionalismus
3.2.2 Die Rolle von Institutionen auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen
3.2.3 Theoriegeleitete Annahme zum Einfluss von Institutionen
3.3 Untersuchungskonzept und methodisches Vorgehen der Untersuchung
3.3.1 Methodisches Vorgehen der standardisierten Auswertung
3.3.2 Methodisches Vorgehen bei der qualitativen Auswertungder Aushandlungsprozesse

4. Standardisierte Auswertung der Grenzüberschreitenden Rahmenvereinbarungen
4.1 Strukturelle Eigenschaften der Unternehmen und Gremien der Beschäftigtenvertretung
4.2 Hypothesen der Untersuchung
4.2.1 Verwendete Analyseverfahren
4.3 Statistische Analyse von Internationalen Rahmenvereinbarungen und transnationalen Rahmenabkommen
4.3.1 Akteurskonstellationen bei der Unterzeichnung, Umsetzung und Überwachung von Grenzüberschreitenden Rahmenvereinbarungen
4.3.2 Einflussfaktoren für den Grad der Beteiligung von Europäischen Betriebsräten
4.3.3 Unterschiede in den Inhalten der Grenzüberschreitenden Rahmenvereinbarungen
4.4 Zusammenfassung der Ergebnisse

5. Auswertung der Strategien der Globalen Gewerkschaftsverbände und der Unternehmensfallstudien
5.1 Strategien der Globalen Gewerkschaftsverbände in Bezug auf Internationale Rahmenvereinbarungen
5.2 Fallstudie: SERVICE
5.2.1 Die Verhandlungen einer Internationalen Rahmen-vereinbarung beim Unternehmen SERVICE
5.2.2 Einordnung der Unternehmensfallstudie in die Ergebnisse
der standardisierten Auswertung?
5.3 Fallstudien: STEEL und BAU
5.3.1 Die Verhandlungen einer Internationalen Rahmenvereinbarung beim Unternehmen STEEL
5.3.2 Die Verhandlungen einer Internationalen Rahmenvereinbarung beim Unternehmen BAU
5.3.3 Einordnung der Unternehmensfallstudien in die Ergebnisse der standardisierten Auswertung?
5.4 Fallstudien: MASCH und AUTO
5.4.1 Die Verhandlungen einer Internationalen Rahmenvereinbarung beim Unternehmen MASCH
5.4.2 Die Verhandlungen einer Internationalen Rahmenvereinbarung beim Unternehmen AUTO
5.4.3 Einordnung der Unternehmensfallstudien in die Ergebnisse der standardisierten Auswertung?
5.5 Fallstudien: TEXTIL und CAR
5.5.1 Die Verhandlungen eines transnationalen Rahmenabkommens beim Unternehmen TEXTIL
5.5.2 Die Verhandlungen eines transnationalen Rahmenabkommens beim Unternehmen CAR
5.5.3 Einordnung der Unternehmensfallstudien in die Ergebnisse der standardisierten Auswertung
5.6 Zusammenfassung der Fallstudienanalyse

6. Zusammenfassung und Ausblick
6.1 Zentrale Ergebnisse der Analyse
6.1.1 Europäische Betriebsräte im Spannungsfeld transnationaler Erwerbsregulierung
6.1.2 Inhaltliche Schwerpunkte der Grenzüberschreitenden Rahmenvereinbarungen
6.2 Theoretische Implikationen
6.3 Schlussbemerkungen

Abkürzungsverzeichnis
Literatur
Dank
Anhang


1. Einleitung
1.1 Ausgangslage und Problemstellung
In den letzten Jahrzehnten haben im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung verstärkt Internationalisierungsprozesse von Unternehmen stattgefunden, die eine Neuausrichtung der Wertschöpfungsketten mit sich brachten. Im Gegensatz zur Internationalisierung der Unternehmen ist der Bereich der Arbeit viel stärker lokal und national verankert geblieben (Bair/Gereffi 2000). Erst nachdem die Entwicklung von globalen Wertschöpfungsketten und die Entstehung von multinationalen Konzernen (MNKs) auch negative Auswirkungen auf die Arbeits-, Beschäftigungs- und Partizipationsbedingungen mit sich brachten, wurde auf Seiten von Regierungen, Nicht-Regierungsorganisationen (= Non-Governmental-Organisation, NGOs) und auch gewerkschaftlichen Akteuren die Regulierung der Arbeits-, Beschäftigungs- und Partizipationsbedingungen innerhalb der MNKs vorangetrieben (siehe auch Brandl 2006: 139ff.). Auf internationaler Ebene waren vor allem die OECD-Guidelines for multinational companies und die Übertragung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) auf Unternehmen die politisch weit reichendsten Initiativen, die Ende der 1990er Jahre entwickelt wurden. Daneben ist innerhalb der MNKs selbst, auf Grundlage der politischen Initiativen, der Bereich Corporate Social Responsibility (CSR) entstanden, der sich an unterschiedlichen Sozialstandards ausrichtet und vor allem auf freiwillige Selbstverpflichtungen (= Codes of Conduct, CoCs) der Unternehmen setzt.
Von den Gewerkschaften ist das Thema der grenzüberschreitenden Erwerbsregulierung in multinationalen Konzernen seit Beginn des 21. Jahrhunderts wieder verstärkt bearbeitet worden, nachdem bereits in den 1970er Jahren erste Initiativen zur Regulierung von Arbeits-, Beschäftigungs- und Partizipationsbedingungen in MNKs über gewerkschaftliche Netzwerke gestartet worden waren (siehe auch Müller u.a. 2004; Pries 2010: 189ff.). Als gewerkschaftliches Instrument wurden sogenannte Internationale Rahmenvereinbarungen (IRVs) geschaffen, die als gemeinsame Vereinbarung zwischen Unternehmen und Globalen Gewerkschaftsverbänden (= Global Union Federations, GUFs) verbindliche Mindestarbeitsstandards für die Unternehmen definieren sollten.
Parallel zu den Entwicklungen auf der internationalen politischen und gewerkschaftlichen Ebene hat sich in Europa durch die Europäische Union, vor allem seit den 1980er Jahren, die supranationale Ebene der Erwerbsregulierung etabliert. So wurde etwa mit der Richtlinie über Europäische Betriebsräte (EBRs) ein supranationales Vertretungsorgan für Beschäftigte der europäischen Standorte eines Unternehmens geschaffen. Daneben wurden eine Reihe weiterer Richtlinien zu den Partizipationsbedingungen von Beschäftigten verabschiedet (zum Beispiel die Informations- und Konsultationsrichtlinien oder die Richtlinie zur Europäischen Aktiengesellschaft) und Initiativen zum Sozialdialog auf europäischer Ebene in Gang gesetzt. Besonders die EBRs als supranationale Informations- und Konsultationsgremien waren dabei auch Bestandteil vieler wissenschaftlicher Studien. Diese haben gezeigt, dass sich neben EBRs, die bis heute reine Informationsgremien darstellen, in der Praxis auch EBRs finden, die ihre Informations- und Konsultationsrechte nutzen, und solche, die sich die Rolle von Verhandlungspartnern erarbeitet haben (zum Beispiel Gilson/Weiler 2008; Hauser-Ditz u.a. 2010; Kotthoff 2006). So wurden im Verlauf der letzten 15 Jahre in einigen Unternehmen auch Europäische Rahmenabkommen (= European Framework Agreements, EFAs) zu unterschiedlichen Themen vereinbart, an denen auch EBRs, neben oder anstelle der Europäischen Gewerkschaftsverbände (= European Industry Federations, EIFs), beteiligt waren. Einige dieser EBRs konnten sich nicht nur hinsichtlich ihrer eigenen Handlungsfähigkeit weiterentwickeln, sondern haben auch den europäischen Rahmen als Handlungsfeld verlassen. Einen globalen Bereich, in dem auch einige Europäische Betriebsräte mitarbeiten, stellen die oben genannten IRVs dar. Außerdem haben EBRs und auch andere Gremien der Beschäftigtenvertretung eigene Abkommen mit Unternehmen vereinbart, die sich mit internationalen Mindestarbeitsstandards befassen. Diese Abkommen werden im Folgenden als transnationale Rahmenabkommen bezeichnet. Es finden sich in der Praxis also unterschiedliche Formen von Vereinbarungen, die zum Ziel haben, die Arbeits-, Beschäftigungs- und Partizipationsbedingungen in MNKs zu regeln. Diese Vereinbarungen betreffen unterschiedliche Themen und sind durch unterschiedliche Akteursdynamiken gekennzeichnet. Einen Gegenstand dieser Vereinbarungen bilden internationale Mindestarbeitsstandards, die im Folgenden als Grenzüberschreitende Rahmenvereinbarungen (GRVs) bezeichnet werden.
Die Grenzüberschreitenden Rahmenvereinbarungen (IRVs und auch transnationale Rahmenabkommen) weisen unterschiedliche räumliche Bezüge, Akteure und rechtliche oder normative Grundlagen auf (siehe auch Pries 2010). Es stellt sich daher die Frage, durch welche Initiativen die Arbeits-, Beschäftigungs- und Partizipationsbedingungen von Beschäftigten in MNKs tatsächlich reguliert werden können. Führen diese unterschiedlichen Handlungsfelder zu einer Fragmentierung der Erwerbsregulierung? Oder ermöglicht gerade das Zusammenspiel der unterschiedlichen Akteure, räumlichen Bezüge und rechtlichen oder normativen Grundlagen eine wirksame Umsetzung von wesentlichen Arbeits-, Beschäftigungs- und Partizipationsrechten für die Beschäftigten?
Diese Kernfragen finden sich auch in der Debatte um die Wirkung von IRVs wieder. Ursprünglich als Instrument der GUFs gedacht, haben sich Akteursdynamiken bei den IRV-Verhandlungen entwickelt, bei denen neben globalen und lokalen Gewerkschaften auch Europäische Betriebsräte und Weltbetriebsräte (WBRs) beteiligt worden sind. Wie solche unterschiedlichen Akteursdynamiken bei IRV-Verhandlungen entstehen und welchen Einfluss diese auf die Verhandlungen haben, bleibt empirisch in dieser Arbeit zu klären. IRVs sollen dazu dienen, Arbeits-, Beschäftigungs- und Partizipationsbedingungen von Beschäftigen in multinationalen Konzernen auf Grundlage von Mindestarbeitsstandards zu regulieren. Durch die Beteiligung von EBRs - als supranationale Gremien der Beschäftigtenvertretung - an Internationalen Rahmenvereinbarungen werden zwei Regulierungsarenen mit unterschiedlichen Traditionen miteinander verbunden, die in der folgenden Arbeit weiter beleuchtet werden sollen. Während Europäische Betriebsräte mittels einer europäischen Richtlinie rechtlich verankert sind, kommen die Initiativen zu IRVs aus der angelsächsisch geprägten Tradition, freiwillige Verhaltenskodizes von Unternehmen mit gewerkschaftlichen Strategien zu verbinden. Inhaltlich konzentrieren sich IRVs auf Mindestarbeitsstandards, die zu einem Großteil für den europäischen Raum nicht unmittelbar relevant sind und darüber hinaus keine rechtliche Grundlage besitzen. Trotzdem zeigen sich zum einen empirisch unterschiedliche Akteurskonstellationen bei den Verhandlungen über IRVs, denen sich andererseits auch transnationale Rahmenabkommen hinzugesellen, die alleine durch Europäische Betriebsräte mit Unternehmen abgeschlossen wurden. Es stellt sich daher folgende forschungsleitende Frage für die eigene Untersuchung:
Welchen Einfluss haben die unterschiedlichen Akteurskonstellationen, die damit einhergehenden Strategien der kollektiven Akteure und die Einbettung der Akteure in institutionelle Umwelten auf die Aushandlungen von Grenzüberschreitenden Rahmenvereinbarungen?
Die forschungsleitende Frage bezieht sich somit auf zwei Aspekte der Aushandlungsprozesse. Zum einen geht es um die Frage nach der Verbindung und Kooperation der oben dargestellten Initiativen und Akteure und damit um die Akteursdynamiken bei den Verhandlungen. Warum kommt es in den Aushandlungsprozessen zu unterschiedlichen Akteurskonstellationen und wie beeinflussen diese den Verlauf und das Ergebnis der Verhandlungen? Da sich die unterschiedlichen Akteure, aber auch Regulierungen und Normen auf unterschiedliche räumliche Ebenen und Regulierungsarenen beziehen, muss zur Beantwortung der Frage nach der Ausgestaltung der Aushandlungsprozesse neben den Akteuren und den Aushandlungssituationen auch beleuchtet werden, wie die Aushandlungsprozesse in unterschiedliche institutionelle Umwelten eingebettet sind. So stellt sich auch die Frage, welche Rolle der Einfluss von Institutionen auf nationaler sowie europäischer und internationaler Ebene bei den Aushandlungsprozessen spielt.
Das Entstehen von unterschiedlichen Grenzüberschreitenden Rahmenvereinbarungen und ihre Einbettung in den größeren Rahmen der transnationalen Erwerbsregulierung kann somit nur durch die Analyse der Aushandlungsprozesse erklärt werden. Erst wenn die Strategien und Interessen der beteiligten Akteure sowie der Einfluss von unterschiedlichen Institutionen auf das Akteurshandeln analysiert worden sind, können die Ergebnisse der Aushandlungen in die nachgelagerte Debatte um die Wirkungsmacht dieser Instrumente eingeordnet werden. Entsprechend wird die eigene Untersuchung die Verhandlungen von IRVs und transnationalen Rahmenabkommen in den Mittelpunkt rücken und aus zwei Perspektiven betrachten. Einerseits wird die Beteiligung von unterschiedlichen Gremien der Beschäftigtenvertretung sowie deren Kooperation dargestellt. Der Schwerpunkt wird dabei besonders auf EBRs, neben den GUFs, gelegt, da diese in vielen Fällen an den IRV-Verhandlungen beteiligt waren und auch eigene transnationale Rahmenabkommen abgeschlossen haben. Um die forschungsleitende Frage nach der Ausgestaltung der Aushandlungsprozesse beantworten zu können, wird in der vorliegenden Untersuchung auf die Entstehung unterschiedlicher Akteursdynamiken - und damit auf die Akteurskonstellationen und die Strategien der kollektiven Akteure - eingegangen als auch der Blick auf die Institutionen und institutionellen Erwartungen gelenkt, die das Handeln der Akteure strukturieren und beeinflussen.
Mittels verschiedener Forschungsmethoden sollen in dieser Arbeit die Aushandlungsprozesse zum Abschluss von IRVs und transnationalen Rahmenabkommen auf formaler und faktischer Ebene analysiert werden. Damit sollen die theoretischen Annahmen überprüft werden, dass Aushandlungsprozesse von den Strategien unterschiedlicher Akteure definiert werden und dies innerhalb institutioneller Umwelten geschieht. Die Akteure agieren demnach nicht ausschließlich strategisch, sondern werden in spezifischen Akteurskonstellationen bei den Verhandlungen von unterschiedlichen institutionellen Eingebettetheiten und Normen beeinflusst. Dazu sollen über die Analyse der Aushandlungsprozesse selbst die Strategien und Interessen der beteiligten Akteure erfasst werden. Dazu wird ein zweischrittiges Analyseverfahren angewandt, das sowohl die formalen Rahmenbedingungen und Akteurskonstellationen als auch die tatsächlichen Aushandlungsprozesse und die dabei auftretenden Akteursdynamiken analysiert.
Neben der Verknüpfung unterschiedlicher Forschungsstränge zur grenzüberschreitenden Erwerbsregulierung mit der Forschung über Internationale Rahmenvereinbarungen ist es ein weiteres Ziel der Untersuchung, zwei theoretische Forschungstraditionen in einem theoretischen Modell miteinander zu verbinden. Wie in Kapitel 2 näher dargestellt wird, gibt es sowohl in der IRV-Forschung als auch in angrenzenden Forschungsbereichen theoretische Konzepte, die eine Verschränkung zwischen institutionellen Einflüssen und strategischen Entscheidungen von Akteuren herstellen. Diese Verbindung soll auch den theoretischen Rahmen der vorliegenden Untersuchung bilden, bei der davon ausgegangen wird, dass die Unterschiede zwischen den Akteursdynamiken nur dann vollständig erklärt werden können, wenn sowohl strategische Entscheidungen der kollektiven Akteure selbst als auch deren Einbettung in institutionelle Erwartungsstrukturen aus ihrer Umwelt betrachtet werden (nach Di Maggio/Powell 1983; Hoffman 1999). Die institutionellen Umgebungen werden als externe Einflüsse auf strategische Entscheidungen der Akteure in ein Aushandlungsmodell (nach Walton/McKersie 1991; Walton u.a. 1994) integriert, um unterschiedliche Gründe für die Verabschiedung und Umsetzung, aber auch die Akteursdynamik bei Verhandlungen von IRVs und transnationalen Rahmenabkommen analysieren zu können.
Um die Ursachen für diese unterschiedlichen Akteurskonstellationen erfassen zu können, werden die Gremien der Beschäftigtenvertretung und die Unternehmen als kollektive Akteure untersucht. Da die Aushandlungsprozesse zwischen den Akteuren, vor allem innerhalb der Gremien der Beschäftigtenvertretung, von intraorganisationalen Abstimmungen geprägt werden, bietet es sich an, beide Dimensionen der Aushandlungen in die Analyse mit einzubeziehen.

1.2 Aufbau der Arbeit
Nach der Einleitung wird in Kapitel 2 zunächst wird auf die historische Entwicklung und die wissenschaftliche Diskussion über IRVs eingegangen. Dabei wird ein Überblick über IRVs und transnationale Rahmenabkommen gegeben und eine Erweiterung des Forschungsfeldes vorgeschlagen. Daneben werden Forschungsergebnisse zu anderen Bereichen der grenzüberschreitenden Erwerbsregulierung aufgezeigt (zum Beispiel aus der CSR-Forschung, der Forschung über gewerkschaftliche Netzwerke oder aus der EBR- und WBR-Forschung), welche die Zusammenhänge zwischen diesen Formen und den Verhandlungen über GRVs verdeutlichen sollen. Ferner dient das Kapitel dazu, die Verhandlungen über IRVs und transnationale Rahmenabkommen in das Modell transnationaler Erwerbsregulierung (Pries 2010) einzuordnen. Es soll dann auch die Auswertung der Inhalte der Abkommen sowie der Strukturdaten jener Unternehmen strukturieren helfen, die solche Abkommen abschließen.
In Kapitel 3 wird ein eigenes theoretisches Modell zur Beantwortung der eingangs formulierten Forschungsfrage vorgestellt. Dabei werden Anknüpfungspunkte zwischen der Aushandlungstheorie von Walton und McKersie (1991; Walton u.a. 1994) in Verbindung mit dem Aspekt der Machtbeziehungen (Bacharach/Lawler 1980) und dem Einfluss von Institutionen und institutionellen Erwartungen (Hoffman 1999) vorgestellt. Das eigene Theoriemodell sieht eine Rahmung der Aushandlungsprozesse, inklusive der damit verbundenen Strategien der beteiligten Akteure, durch unterschiedliche nationale, europäische und globale Institutionen vor.
In Kapitel 4 werden die Inhalte der Abkommen und Strukturdaten von Unternehmen und Gremien der Beschäftigtenvertretung auf formaler Ebene in Bezug auf die theoretischen Überlegungen analysiert. In diesem Kapitel liegt die Konzentration ausschließlich auf standardisierten Daten aller Unternehmen, die entweder eine IRV oder ein transnationales Rahmenabkommen mit ihrem Europäischen Betriebsrat abgeschlossen haben. In Abgrenzung zu anderen Arbeiten über Internationale Rahmenvereinbarungen, die sich lediglich mit Abkommen beschäftigen, an denen GUFs als Unterzeichner beteiligt waren, wird im Folgenden zwischen IRVs - als eben solche Vereinbarungen zwischen GUFs und Unternehmen - und transnationalen Rahmenabkommen - als Vereinbarungen ohne Beteiligung einer GUF - unterschieden, ebenso wie beide Vereinbarungsformen untersucht werden sollen. In einem ersten Schritt werden dazu die standardisierten Daten über die formalen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den GRVs mit Hilfe einer statistischen Analyse der Vereinbarungstexte und der Strukturdaten von Unternehmen, GUFs und EBRs für alle Vereinbarungen bis Ende 2010 geprüft und ausgewertet.
In Kapitel 5 wird die Kategorisierung unterschiedlicher formaler Akteurskonstellationen aufseiten der Gremien der Beschäftigtenvertretung ebenfalls dazu genutzt, um die Unternehmensfallstudien einzuordnen. Um die tatsächlichen Akteursdynamiken bei den Aushandlungen als auch bei der Umsetzung und Kontrolle der Grenzüberschreitenden Rahmenvereinbarungen zu erfassen, wurden sieben Unternehmensfallstudien durchgeführt. Neben den Fallstudien werden in Kapitel 5 auch die Strategien der einzelnen GUFs in Bezug auf Internationale Rahmenvereinbarungen, aber auch in Bezug auf die Kooperation mit nicht-gewerkschaftlichen Gremien vorgestellt. In Erweiterung der bisherigen IRV-Forschung werden die Strategien unterschiedlicher Gremien der Beschäftigtenvertretung sowie die Kooperationen zwischen den Gremien analysiert. Das abschließende Kapitel 6 fasst die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung zusammen.

2. Verhandelte transnationale Erwerbsregulierung: Zum aktuellen Forschungsstand
Dieses Kapitel führt in den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ein. Dabei werden im Teilkapitel 2.1 zunächst Grenzüberschreitende Rahmenvereinbarungen definiert und sowohl ihre heutige Verbreitung als auch ihre historische Entwicklung dargestellt. Daran schließt sich im Teilkapitel 2.2 ein Überblick über die Forschungsperspektiven hinsichtlich der unterschiedlichen Formen grenzüberschreitender Erwerbsregulierung an. Neben Studien, die sich aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven mit dem Forschungsgegenstand IRV beschäftigt haben, werden auch solche zu anderen Aspekten grenzüberschreitender Erwerbsregulierung diskutiert, die Anknüpfungspunkte zur Forschungsfrage der vorliegenden Untersuchung bieten. Zur Beantwortung der Frage, wie Aushandlungsprozesse von IRVs und transnationalen Rahmenabkommen zustande kommen und welche Faktoren diese Prozesse beeinflussen, kann auf zwei unterschiedliche empirische Untersuchungsfelder, neben der IRV-Forschung, zurückgegriffen werden. Dies ist erstens die sozialwissenschaftliche Diskussion über die Verbreitung von freiwilligen Selbstverpflichtungen in MNKs, die vor allem der Frage nachgeht, ob Unternehmen solche Verpflichtungen lediglich als öffentlichkeitswirksames Instrument verstehen, um sich als sozial verantwortlich Handelnde zu präsentieren, oder ob diese Verpflichtungen geeignet sind, Arbeits-, Beschäftigungs- und Partizipationsbedingungen zu regulieren. Indem auf die Ergebnisse dieser Studien zurückgegriffen wird, stellt sich auch für die Verhandlungen von GRVs die Frage nach den Interessen und Strategien, die multinationale Konzerne, aber auch Gremien der Beschäftigtenvertretung mit dem Abschluss solcher Vereinbarungen verfolgen. Zweitens existiert eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Studien aus dem Forschungsfeld der industriellen Beziehungen, die sich mit anderen grenzüberschreitenden Gremien der Beschäftigtenvertretung und grenzüberschreitenden Aushandlungsprozessen beschäftigt. Diese Arbeiten bieten einerseits Anknüpfungspunkte, um Akteurskonstellationen für Verhandlungen über IRVs zu untersuchen und diese mit transnationalen Rahmenabkommen zu vergleichen. Ebenso ermöglichen sie es, konkrete Aushandlungsprozesse zwischen Gremien der Beschäftigtenvertretung und Unternehmensleitungen, zum Beispiel bei Europäischen Rahmenvereinbarungen, theoretisch zu erfassen. Das Ziel dieses Kapitels lautet daher insgesamt, die eigene Forschungsfrage in die bereits bestehenden Forschungsstränge einzubetten. Darüber hinaus sollen wichtige Begriffe und Typologien erklärt werden, auf die sich die vorliegende Untersuchung stützen wird. Das Kapitel wird mit einer ersten theoriegeleiteten Einordnung der Verhandlungen von GRVs in das größere Set transnationaler Erwerbsregulierung (nach Pries 2010) abschließen. Wie die Diskussion des Forschungsstandes aufzeigen wird, erscheint es sinnvoll, GRVs und ihre Aushandlungen hinsichtlich unterschiedlicher Dimensionen, wie zum Beispiel ihrer Regelungsgegenstände, den beteiligten Akteuren oder der räumlichen Reichweite, einzuordnen (Teilkapitel 2.3). Dadurch soll auch eine analytische Trennung von handlungstheoretischen und institutionalistischen Erklärungsmodellen zu GRVs erreicht werden, um im weiteren Verlauf der eigenen empirischen Untersuchung die Akteursdynamiken und die institutionelle Einbettung der Aushandlungen präzise untersuchen zu können.

2.1 Grenzüberschreitende Rahmenvereinbarungen - Definition, Verbreitung und historische Entwicklung
2.1.1 Definition und Verbreitung von Grenzüberschreitenden Rahmenvereinbarungen
Die vorliegende Untersuchung rückt die Akteursdynamiken und den Einfluss von institutionellen Umwelten in den Mittelpunkt, um auf diese Weise die Aushandlungsprozesse von Grenzüberschreitenden Rahmenvereinbarungen zu analysieren. Wie bereits angesprochen, finden sich neben Internationalen Rahmenvereinbarungen, die von den GUFs entwickelt wurden, auch weitere transnationale Rahmenabkommen von anderen Gremien der Beschäftigtenvertretung, so dass das vorliegende Buch die Forschung zu IRVs mit der Analyse von inhaltlich-ähnlichen Vereinbarungen erweitert, die unter anderen Akteurskonstellationen verabschiedet wurden. Daher wurde für die Abkommen in der eigenen Untersuchung der Oberbegriff Grenzüberschreitende Rahmenvereinbarungen (GRVs) gewählt. Dieser umfasst sowohl Internationale Rahmenvereinbarungen, die von anderen Autorinnen und Autoren anhand des Kriteriums der Unterschrift durch mindestens eine GUF definiert werden, als auch transnationale Rahmenabkommen, die sich inhaltlich an den IRVs orientieren, aber von anderen Gremien der Beschäftigtenvertretung unterzeichnet wurden. Grenzüberschreitende Rahmenvereinbarungen werden daher in der eigenen Untersuchung als grenzüberschreitende, formale Abkommen auf Unternehmensebene verstanden, die von Unternehmensleitungen und von mindestens einem Gremium der Beschäftigtenvertretung unterzeichnet wurden. Aushandlungspartner können gewerkschaftliche Gremien, wie GUFs, EIFs oder nationale Gewerkschaften, aber auch betriebliche Gremien (Europäische Betriebsräte oder Weltbetriebsräte) darstellen. In Abgrenzung zu anderen Formen der transnationalen Erwerbsregulierung, wie zum Beispiel einseitigen Selbstverpflichtungen, umfassen GRVs nur Texte, die auch von Gremien der Beschäftigtenvertretung unterzeichnet wurden. Darüber hinaus beziehen sich alle GRVs auf die IAO-Kernarbeitsnormen und sind grenzüberschreitend für mehrere oder auch sämtliche Standorte des jeweiligen Unternehmens gültig. Der inhaltliche Bezug auf die IAO-Kernarbeitsnormen kann entweder Hauptgegenstand der Vereinbarung sein oder nur einen Aspekt, neben anderen Regelungsobjekten der Erwerbsregulierung, darstellen.
Internationale Rahmenvereinbarungen, als eine Form von GRVs, werden, in Anlehnung an die Definition anderer Autorinnen und Autoren, als globale Vereinbarungen zwischen einer oder auch mehreren GUFs und dem Management von multinationalen Konzernen definiert (siehe auch Schömann 2012: 202-205). In ihren Inhalten schaffen sie einen internationalen Rahmen an Mindestarbeitsstandards, auf die sich das Unternehmen verpflichtet. Der Großteil der Internationalen Rahmenvereinbarungen orientiert sich inhaltlich an den Kernarbeitsnormen der IAO. Daneben verweisen die Inhalte der Internationalen Rahmenvereinbarungen vor allem auf weiche Aushandlungsthemen der Arbeitsorganisation, wie zum Beispiel Gesundheits- und Sicherheitsstandards oder Chancengleichheit (siehe zum Beispiel Hammer 2005; Sobczak 2007). Neben GUFs können auch andere Gremien der Beschäftigtenvertretung an der Aushandlung, Unterzeichnung, Umsetzung und Kontrolle von IRVs beteiligt sein (was im Teilkapitel 2.2.1 weiter ausgeführt werden wird). Da es sich bei IRVs nicht um definitorisch eindeutig normierte Abkommen handelt, orientieren sich auch die verschiedenen GUFs an ihren eigenen Definitionen von Internationalen Rahmenvereinbarungen. So akzeptiert zum Beispiel der Internationale Metallgewerkschaftsbund (IMB, heute IndustriALL) nur solche IRVs, die alle acht IAO-Kernarbeitsnormen beinhalten, während die globale Dienstleistungsgewerkschaft (= Union Network International bzw. Internationaler Zusammenschluss der Dienstleistungsgewerkschaften, UNI) IRVs als solche globalen Abkommen definiert, die sich mindestens auf die Kernarbeitsnormen zur Vereinigungsfreiheit und zu dem Recht auf Kollektivverhandlungen beziehen (siehe auch Platzer/Müller 2009). Anknüpfend an stärker theoretisch fundierte Überlegungen versteht Pries (2010) IRVs als eine Art weltweiter Basistarifvertrag:
"Internationale Rahmenabkommen können zunächst als eine Art weltweiter Basistarifvertrag zwischen der Leitung eines internationalen Unternehmens und einer internationalen Gewerkschaftsföderation (Global Union Federation, GUF) verstanden werden. Es handelt sich bei den IRVs aber aus zumindest drei Gründen nur ›um eine Art Tarifvertrag‹. Erstens sind auf der Arbeitnehmerseite sehr häufig sowohl die konzernbezogene Arbeitnehmervertretung […] als auch die für das jeweilige Unternehmen zuständige GUF als Akteure und Unterzeichner in den Abschluss eines IRVs einbezogen. Dagegen werden Tarifverträge grundsätzlich zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften […] abgeschlossen […]. Die zweite Einschränkung bezieht sich auf die formalrechtliche Basis und die damit gegebenen Möglichkeiten einer juristischen Einklage der Bestimmungen von IRVs. Tarifverträge unterliegen jeweils nationalen Gesetzgebungen, in der EU auch europäischen Rechtsbestimmungen. Für die IRVs sind aber keine völkerrechtlichen oder grenzüberschreitenden Rechtsnormen vorhanden, auf die sich eine der vertragszeichnenden Seiten im Streitfall beziehen könnte. Drittens schließlich sind die Übergänge zwischen (1) einseitigen Unternehmenserklärungen […], an deren Formulierung die entsprechenden Arbeitnehmervertretungen in irgendeiner Form (z.B. Anhörung) beteiligt waren, (2) unternehmensbezogenen Vereinbarungen zwischen Konzernleitung und Arbeitnehmervertretung […] und (3) Rahmenvereinbarungen zwischen einer GUF und einer Konzernleitung weitgehend fließend." (Pries 2010: 207f.)
Der Definition von Pries (2010: 207f.) folgend, handelt es sich bei transnationalen Rahmenabkommen um unternehmensbezogene Abkommen zwischen der Unternehmensleitung und der Arbeitnehmervertretung, dies also in einem weiteren Sinn, als dies bei IRVs der Fall ist. Diese existieren anstelle oder auch parallel zu IRVs und einseitigen Selbstverpflichtungen in den Unternehmen.
Da sich die Definitionen von Internationalen Rahmenvereinbarungen und ihre Abgrenzung zu anderen GRVs (wie oben angesprochen) sowohl auf institutioneller Seite als auch auf jener der Forschung unterscheiden, sind genaue Angaben über die quantitative Verbreitung von Internationalen Rahmenvereinbarungen leider nicht zu ermitteln. Als Anhaltspunkt für die Zahl der IRVs kann die offizielle Internetseite des Zusammenschlusses der GUFs (www.globalunions.org) genutzt werden, die alle ihr bekannten IRVs auflistet. Die Liste kann jedoch nicht als vollständig gelten, da keine Verpflichtung von Seiten der multinationalen Konzerne oder der GUFs besteht, ihre Internationalen Rahmenvereinbarungen dort aufzuführen. Die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit der Verbreitung von IRVs befassen, berufen sich jedoch u.a. auf diese Datengrundlage (siehe zum Beispiel Platzer/Müller 2009; Pries 2010; Schömann u.a. 2008a). Demnach wurden - nach eigenen Recherchen - 87 IRVs bis März 2012 abgeschlossen, die auf der Internetseite der GUFs gelistet werden (siehe auch Anhang). Jedoch hat beispielsweise auch UNI ein Abkommen mit mehreren Unternehmen der Zeitarbeitsbranche CIETT abgeschlossen, das in der eigenen Untersuchung als ein einziges Abkommen gewertet wird, während andere Autorinnen und Autoren dieses für eine Vielzahl von Abkommen halten, da mehrere Unternehmen unterzeichnet haben (nämlich Adecco, Kelly Services, Manpower, Olympia Group, Randstad und USG People). Darüber hinaus gibt es einige Unternehmen, die mehr als eine IRV abgeschlossen haben (zum Beispiel Danone).
Neben der grundlegenden Feststellung, dass es sich bei IRVs um grenzüberschreitende Vereinbarungen zwischen GUFs und multinationalen Konzernen handelt, haben sich zahlreiche sozialwissenschaftliche Studien mit der Verbreitung und inhaltlichen Ausgestaltung der IRV-Texte beschäftigt. Diese begnügen sich jedoch vorwiegend damit, die unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkte der Texte und deren Vorgaben bezüglich Umsetzung und Kontrolle der Vereinbarungen darzustellen (zum Beispiel Hammer 2005; Platzer/Müller 2009; Schömann u.a. 2008a). Die Studien zur Verbreitung von IRVs zeigen ebenfalls wieder die Problematik der Abgrenzung von Internationalen Rahmenvereinbarungen zu anderen GRVs auf. Während die Abgrenzung zwischen ausgehandelten IRVs und einseitigen Codes of Conduct (CoCs) mittels der Analyse der Texte möglich ist (siehe Schömann u.a. 2008a), gestalten sich die definitorischen Abgrenzungen zwischen unterschiedlichen GRVs schwieriger. Sowohl der Bericht der EU-Kommission zur Verbreitung von transnationalen Texten (Commission of the European Communities 2008) als auch die Autorinnen und Autoren um Telljohann (2009b) schlagen eine Abgrenzung von IRVs zu anderen transnationalen Texten bezüglich ihrer räumlichen Reichweite vor und unterscheiden zwischen Internationalen Rahmenvereinbarungen und Europäischen Rahmenabkommen (EFAs). Bei einer Unterscheidung hinsichtlich der räumlichen Reichweite der Abkommen bleiben jedoch zwei Definitionsprobleme offen. Erstens gibt es eine Reihe von Unternehmen, die eine IRV abgeschlossen haben, in ihren Geschäftsbereichen aber lediglich in Europa tätig sind, während zweitens auch EFAs existieren, die sich in ihren Inhalten hauptsächlich an den IAO-Kernarbeitsnormen und damit am internationalen Rahmen orientieren (Carley 2002; Müller u.a. 2011). In der vorliegenden Untersuchung wird daher vorgeschlagen, nicht die Beteiligung von GUFs als formalen Unterzeichnern der Abkommen als einziges Merkmal zu definieren, sondern genereller zwischen verhandelten GRVs von Gremien der Beschäftigtenvertretung und Unternehmensleitungen und einseitigen Selbstverpflichtungen von multinationalen Konzernen zu unterscheiden. Auf diese Weise ist es möglich, die unterschiedlichen Akteursdynamiken und institutionellen Einbettungen sowohl von IRVs mit transnationalen Rahmenabkommen zu vergleichen, als auch Unterschiede innerhalb der Gruppen von IRVs und transnationalen Rahmenabkommen zu erfassen.
2.1.2 Historische Entwicklung von Formen grenzüberschreitender Erwerbsregulierung
Um die gegenwärtige wissenschaftliche und (gewerkschafts-)politische Diskussion über IRVs und transnationale Rahmenabkommen verstehen zu können, wird im Folgenden ein kurzer Überblick über die historische Entstehung dieser Abkommen gegeben. Diese sind in ihrer Akteursdynamik und hinsichtlich der institutionellen Einbettung der Aushandlungsprozesse nur nachzuvollziehen, wenn sie in den größeren Kontext unterschiedlicher, grenzüberschreitender Formen der Erwerbsregulierung eingeordnet werden. IRVs, als Instrument der GUFs, sind nur eine Form von gewerkschaftlichen Regulierungsstrategien in multinationalen Konzernen. Daneben haben sich auch andere Handlungsformen entwickelt, die sowohl auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen wie auch auf verschiedenen normativen oder rechtlich-regulierten Bestimmungen fußen. Dazu zählen unter anderem die Entwicklungen auf europäischer Ebene mit dem Ausbau supranationaler Erwerbsregulierung durch EBRs oder auch die Europäische Aktiengesellschaft, ebenso wie die Entstehung globaler Formen der Beschäftigtenvertretung durch gewerkschaftliche Netzwerke oder Weltbetriebsräte. Schömann u.a. (2012) bezeichnen dieses Zusammenspiel unterschiedlicher Formen grenzüberschreitender, gewerkschaftlicher Aktivitäten als "transnational collective bargaining" (Boni 2012: 8). Darunter fassen sie sämtliche europäische Entwicklungen in Sachen Sozialdialog, Koordinierung der Tarifpolitik und Entwicklung europäischer Informations- und Konsultationsgremien sowie gerade auch den Bereich der transnationalen Unternehmensvereinbarungen. Platzer und Müller (2009: 18ff.) sprechen in diesem Zusammenhang von der Entwicklung einer globalen Mehrebenenstruktur, in die unterschiedliche kollektive Akteure eingebunden sind. Die Vernetzung der gewerkschaftlichen und auch betrieblichen Akteure kann dabei formaler Natur sein, indem sich beispielsweise europäische und globale gewerkschaftliche Dachorganisationen aus einzelnen nationalen Gewerkschaften gegründet haben; die Vernetzung kann aber auch in Form projekt- oder unternehmensbezogener Kooperation erfolgen. Unter die zweite Kategorie fallen die Verhandlungen über IRVs und transnationale Rahmenabkommen. Neben diesen räumlichen Ebenen bietet sich bei der Betrachtung grenzüberschreitender Akteure und Prozesse auch eine Zuordnung nach Regulierungsformen an, wie etwa den Aushandlungsarenen, dem Regulierungsmodus oder der Konfliktregulierung. Das Zusammenspiel dieser Dimensionen der transnationalen Erwerbsregulierung, wie sie Pries (2010: Kap. 3) vorschlägt, ermöglicht es, ein einzelnes Element der Erwerbsregulierung (wie zum Beispiel die Verhandlungen über GRV) kontrolliert in die Gesamtsystem transnationaler Erwerbsregulierung einzuordnen (siehe Teilkapitel 2.3).
Historisch betrachtet sind Internationale Rahmenvereinbarungen als Reaktion der GUFs auf eine zunehmende Internationalisierung multinationaler Konzerne seit den 1980er Jahren zu verstehen. Sie entstanden im Zuge der Neupositionierung der globalen gewerkschaftlichen Dachverbände, die auch mit einer organisationalen Restrukturierung der ehemaligen internationalen Berufssekretariate einherging. Diese hielten die Rechte der Beschäftigten in MNKs durch freiwillige Initiativen der Unternehmen allein nicht ausreichend geschützt. Vielmehr war es der politische Wille der gewerkschaftlichen Gremien, für die Beschäftigten der Unternehmen weltweit Mindestarbeitsstandards zu sichern. Die Verhandlungen über solche Standards mit den Unternehmen selbst waren eine Reaktion auf die stockenden politischen Prozesse innerhalb der IAO und ergänzten damit parallele politische Initiativen, wie etwa die OECD-Guidelines for multinational companies oder die IAO-Kernarbeitsnormen (siehe auch Platzer/Müller 2009; Pries 2010). Darüber hinaus entstanden vor allem bei in der Textilbranche tätigen Unternehmen freiwillige Selbstverpflichtungen (Codes of Conduct), bei denen die Gewerkschaften nur als ein möglicher Akteur neben Nicht-Regierungs-Organisationen auftraten (siehe auch Miller 2008). In der wissenschaftlichen und auch der gewerkschaftspolitischen Diskussion gelten die Codes of Conduct jedoch nicht als sonderlich wirkungsvoll, da sie keine nennenswerten Verbesserungen der Arbeits-, Beschäftigungs- und Partizipationsbedingungen ergeben (zum Beispiel Miller 2008; Schömann u.a. 2008b). Vielmehr werden solche Initiativen häufig als reines PR-Instrument bewertet. In der sozialwissenschaftlichen Forschung findet sich eine Reihe von Studien, die auf den rein legitimatorischen Charakter von Codes of Conduct von Seiten der Unternehmen verweisen (zum Beispiel Hiß 2006; Preuss u.a. 2009). Entsprechend lautete die Motivation der GUFs, sich als Verhandlungspartner für Unternehmen zu etablieren und mittels gewerkschaftlicher Strukturen vor Ort die Umsetzung der Standards zu gewährleisten. Jedoch kann auch bei dieser Form der Regulierung die Frage gestellt werden, ob der Verhandlungscharakter der Vereinbarungen allein ausreicht, um von einem PR-Instrument der Unternehmen hin zu einer tatsächlichen Verbesserung von Arbeits-, Beschäftigung- und Partizipationsbedingungen zu gelangen. IRVs haben sich in den GUFs daher nicht als singuläres Instrument entwickelt, sondern sind verbunden mit der oben bereits erwähnten organisationalen Restrukturierung und dem Aufbau von anderen unternehmensbezogenen Strategien.
Die GUFs arbeiten heute unter dem Dach der internationalen Gewerkschaftskonföderation zusammen (ITUC), einem 2006 aus Vorgängerorganisationen hervorgegangenen Zusammenschluss. Die GUFs ersetzten im Jahr 2002 die bereits seit 1889 existierenden internationalen Berufssekretariate, deren Funktionen besonders durch die ersten Globalisierungswellen und die sich vertiefende EU-Integration in den 1960er Jahren an Bedeutung gewannen (siehe auch Platzer/Müller 2009: 90ff.). Während sich die internationalen Berufssekretariate anfangs entlang unterschiedlicher Berufsgruppen organisierten, richteten sie sich später mehr an Branchen und Sektoren aus. Diese Fokussierung hat der Großteil der GUFs übernommen, um auf die unterschiedlichen Problemlagen von Beschäftigten der verschiedenen Branchen und Sektoren reagieren zu können. Bis 2012 existierten unterschiedliche GUFs für die Branchen Metall und Maschinenbau (IMB), Chemie, Energie und Bergbau (Internationale Föderation der Chemie-, Energie-, Bergbau- und Fabrikarbeitergewerkschaft, ICEM) sowie für Textil und Bekleidung (Internationale Textil-, Bekleidungs- und Lederarbeitervereinigung, ITBLAV), bevor diese drei vormals eigenständigen GUFs im Juni 2012 zu einer gemeinsamen Dachorganisation (IndustriALL) auf globaler und europäischer Ebene fusionierten.
Neben der organisationalen Neuausrichtung der GUFs hat sich auch die gewerkschaftliche Politik neu organisiert. Hauptfunktionen der GUFs sind die Entwicklung von Strategien zur Unterstützung der nationalen und lokalen Gewerkschaften, Solidaritätsarbeit bei lokalen Konflikten sowie die internationale gewerkschaftliche Bildungsarbeit (siehe auch Croucher/Cotton 2009: 8ff.). In den Bereich der Unterstützung der nationalen und lokalen Gewerkschaften fallen auch die Verhandlungen über IRVs und die Gründung internationaler gewerkschaftlicher Netzwerke in multinationalen Konzernen.


Veronika Dehnen promovierte an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Universität Bochum.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.