Downing | Frühstück mit Scot | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 216 Seiten

Downing Frühstück mit Scot

Roman

E-Book, Deutsch, 216 Seiten

ISBN: 978-3-86300-012-7
Verlag: Männerschwarm, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Scot lebt bei Sam und Ed, zwei Schwulen, die kaum damit gerechnet haben, sich eines Tages um ein Kind kümmern zu müssen, noch dazu um ein Kind wie Scot. Denn der zeigt Vorlieben, die eher zu einem Mädchen passen würden: Make-up, Parfüm und singende Haarbürsten. Auch wenn er sie mit seinem Verhalten oft in den Wahnsinn treibt, erkennen Sam und Ed an seinen Problemen, wie sehr sie selbst sich längst der Umgebung angepasst haben, und sie nehmen zusammen mit Scot den Kampf um die Selbstbehauptung auf.
Frühstück mit Scot, 2007 von Larie Lynd wundervoll verfilmt, ist alles andere als ein Kinderbuch. Der Autor erzählt vom scheinbar idyllischen Leben der weißen Mittelschicht in Neuengland. Nachbarn, Freunde, Lehrer, alle müssen sich in der Auseinandersetzung mit Scot bewähren.
"So klein er auch war, und so hoch die Räume waren, Scot hatte es doch geschafft, die Temperatur zum Kochen zu bringen. Das ist sein Talent, er ist ein Katalysator."
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4
Am letzten Freitag im August, dem Tag, an dem Julie starb, hörte Sam auf sich zu rasieren. Helen, Julies Schwester, rief aus Troy an und sagte, es werde zunächst einmal keine Trauerfeier geben. Sie hatte mit einem Rechtsanwalt und einem Sozialarbeiter gesprochen, und auch mit ihrer Mutter, die im Altersheim lebte. Sie würden Scot ins Ferienlager bringen, bis wir sein Zimmer renoviert hätten. Sam meinte, «Sie würden ihn uns faxen, wenn das möglich wäre. Armes Kind.» Armes Kind, genau. Ich war die eine Hälfte des Empfangskomitees und übernahm die Aufgabe, unsere Freunde und Nachbarn zu informieren und ihre kleinlichen Vorurteile und vielleicht auch moralische Entrüstung zu besänftigen. Von allen Seiten kam jedoch nur Zustimmung, und diejenigen, die selbst Kinder hatten, waren die Schlimmsten. Joan Koester, die ein Stück die Straße hinunter wohnte, sprach für die Gemeinschaft der Gebärfreudigen. «Willkommen in unserer Welt. Hoffentlich hattet ihr nicht vor, in den nächsten acht Jahren ins Kino oder in ein gutes Restaurant zu gehen. Dich und Sam hat’s erwischt. Für Greg und mich ist das eine echte Genugtuung. Wir können demonstrieren, wie tolerant wir euch gegenüber sind, und außerdem gibt es viele Gründe für Schadenfreude!» Sam war fest entschlossen. Den ganzen Sonntag über vereinbarte er Doppelsitzungen mit seinen Patienten, um dadurch Überstunden anzusparen, die er bei Bedarf abfeiern konnte. Vielleicht hätte ich mich von seiner klaglosen Pflichterfüllung anstecken lassen, aber sein Bart, der in Grau und Schwarz wucherte, war mir eine Warnung. Sam musste ihn bereits stutzen. Es würde einer dieser kurzen, gepflegten Bärte werden. Er sah plötzlich älter aus und, ich gestand mir das nur ungern ein, schicker. Sam verwandelte sich in einen adretten Mann mittleren Alters. Am Montag verließ Sam das Haus um sechs Uhr morgens. Ich schlief noch bis sieben, na ja, es wurde acht. Er hatte eine reichlich nüchterne Nachricht auf dem Küchentisch zurückgelassen: Treffen mit Barbara um sechs (Anwalt). Ich las die Nachricht ein paarmal, und schon war es halb neun. Zu dieser Zeit stand Nula an der Ecke Garden Street / Appian Way und zündete sich eine Zigarette an. Sie rauchte sie neuerdings nur noch zur Hälfte, selbst ihre geliebten Zigaretten machten ihr keine Freude mehr. Währenddessen überlegte ich, ob ich Kaffee kochen sollte. Bevor sie beschloss, nicht länger auf mich zu warten und allein zum Büro zu gehen, warf Nula einen letzten Blick auf ihre Schweizer Armee-Uhr. Sie bewunderte die Schweizer, weil sie für alles überhöhte Preise verlangten. Darin war sie einer Meinung mit Marco, Eigentümer und Herausgeber von Figura, dem Monatsmagazin für Baukunst, das fast jeden Monat von einer Redaktion von siebzig Italienern und dreieinhalb Amerikanern produziert wurde, ungleich verteilt zwischen Mailand und Cambridge. Marco liebte es, die Amerikaner durch die Drohung in Angst zu versetzen, die englischsprachigen Beiträge von Genf aus betreuen zu lassen. Mit dieser Drohung beantwortete er jeden Vorschlag, einen Beitrag über Kunstwerke von amerikanischen Ureinwohnern ins Magazin aufzunehmen. «Genf. Beschweren sich die Schweizer vielleicht, weil in der Scala nicht gejodelt wird? Nein! Sie kaufen teure Eintrittskarten und stärken ihre Hemden und ziehen an den Amerikanern vorbei, die in einer langen Schlange für Last-Minute-Tickets zum halben Preis anstehen, für Plätze im dreizehnten Rang. Drücke ich mich klar aus? Ich will von euren Totempfählen und Grabhügeln im Landesinnern nichts hören. In Genf gibt es einen weltberühmten See, und die Leute verschleudern freudig einen Wochenlohn für eine Handtasche. Da kann man Geschäfte machen!» «Wie recht er hat», sagte Nula, als Marco sich entschuldigt hatte und versprach, ein paar Italiener rauszuschmeißen und die Klappstühle in den amerikanischen Büros durch Modelle aus einem Katalog für Industriedesign zu ersetzen. «Er sollte wirklich ein Büro in den Alpen eröffnen», erklärte sie, «nur Nazis mögen solche Stühle.» Nula wäre dagegen, dass wir Scot behielten. Ich kam eine Stunde zu spät zur Arbeit, was in Nulas Zeitrechnung anderthalb Stunden bedeutete, denn sie rechnete von dem Moment an, wenn sie das Haus verließ. Sie saß am einen Ende der beiden Klapptische, die wir irgendwie zu einem Schreibtisch zusammengeschoben hatten. Marco weigerte sich, das Dachgeschoss der Kolonialstil-Villa, in der sich unser Büro befand, zu möblieren oder auch nur eine Klimaanlage einbauen zu lassen. Nula trug ein viel zu großes Hemd aus gelber Seide. Sie war klein und dünn, und es sah meistens so aus, als trüge sie die Sachen ihres Vaters. Allerdings müsste ihr Vater dann Ludwig XIV. gewesen sein. «Vielleicht muss ich Sam verlassen», sagte ich. Nula kämpfte sich energisch durch zwei Papierstapel und sortierte sie in einen Pultordner. «Schau dir an, was das Fax alles ausgespuckt hat», sagte sie. Es handelte sich um die Korrekturabzüge eines Artikels über das Dome Projekt, den eine von Marcos italienischen Freundinnen verfasst hatte. Als ich einen der zusammengeklappten schwarzen Metallstühle aufstellte, gab mir Nola eine alte Ausgabe der Zeitschrift als Sitzpolster. «Sam hat gesagt, wir sollten lieber Kissen hineinlegen», erklärte sie. «Diese Stühle ruinieren unsere Wirbelsäulen.» Sam half vielen von unseren Freunden. Er renkte nicht nur ihre Wirbelsäulen wieder ein, sondern oft auch ihr Leben. Er arbeitete nicht nach der klassischen Methode, obwohl er all die plötzlichen Bewegungen und ruckartigen Verrenkungen beherrschte, die das Knochengerüst wieder ins Lot brachten und eingeklemmte Nervenbahnen befreiten. Die meisten Menschen, die zu ihm kamen, hatten kaputte Rücken und störrische Versicherungen, denen seine Gebühren nicht gefielen. Sie bezahlten lieber viel Geld für Chirurgen, die Wirbel zerhackten oder Nerven verletzten, bis die Versicherten dann ohne Überweisung zu Sam nach Cambridge humpelten. Es gibt zwei Sorten von Chiropraktikern, die Linientreuen und die Pragmatiker. Ich habe mir das nicht ausgedacht. Man könnte sagen, Sam sei selbst für einen Pragmatiker ziemlich pragmatisch. Manche der Linientreuen legten Wert darauf, auch nicht das kleinste bisschen vom rechten Weg abzuweichen, und ich hielt sie für die Arier der Orthopädie. Sie bekämpften den Zusatz von Fluor im Trinkwasser und glaubten, die Theorie bakterieller Infektionen sei vom örtlichen Apotheker erfunden worden. Zahlenmäßig waren die Linientreuen den Pragmatikern unterlegen, die am liebsten alles miteinander kombinierten und zusammenrührten. Sam hatte zwar eine linientreue Ausbildung absolviert, aber er hatte auch in Biologie promoviert, wusch mit Bleichmitteln, ließ seine eigenen Röntgenaufnahmen regelmäßig durch Computer- und Kernspintomografie gegenchecken und kaufte Tee in Chinatown. In den Kategorien der Chiropraktiker war Sam eine verrückte Moulinette mit diversen Aufsätzen. Er hatte nun einmal eine andere Arbeitsweise. Er sprach mit seinen Patienten über die Ursachen ihrer Schmerzen, und sein langjähriger Partner Jeremy warnte ihn vor solchem «ausufernden Interesse an der Krankengeschichte». Mit anderen Worten: Jeremy behandelte 135 Patienten pro Woche, Sam schaffte nicht einmal 100. Jeremy wollte, dass Sam sich wie ein richtiger Arzt verhielt. Er kaufte für sie beide die gleichen Arztkittel und mietete Praxisräume in einem klassischen Backsteinhaus voller zugelassener Optiker und Fußpfleger. Es war ein wunderschönes Haus am Harvard Square, eine alte Fabrik zur Hemdkragen-Herstellung. Als Sam sich jedoch eine Vitrine für seine Sammlung heilkräftiger Tees bauen ließ, die er und seine Patienten tranken, inhalierten und in ihr Badewasser schütteten, entschloss sich Jeremy, in einer Ambulanz der öffentlichen Gesundheitsfürsorge zu arbeiten. Sam hörte auf, rotes Fleisch, weißen Zucker und abgepackte Snacks zu essen, und eine Zeit lang hatte ich Angst, als Nächstes käme das Bleichmittel auf die Rote Liste. Nula meinte jedoch, es gebe keinen ernsten Grund zur Sorge, solange Sam sich nicht weigerte, gebratenes Hähnchen zu essen. Diese Teesachen hatten ihrer Meinung nach nichts mit Homöopathie zu tun. Es waren Hausmittel. Sie wusch ihre Haare in Sams «Kamille spezial», und gemeinsam mit Sam bearbeitete sie mich, ab und zu eine Ingwer-Limonen-Packung aufzulegen, um meiner schuppigen Haut etwas Gutes zu tun. Und nachdem er achtzehn Monate in der trüben Brühe gesetzlicher Krankenpflege geschmort hatte, fand Jeremy den Weg zurück zu Sams Praxis, und seinen Arztkittel ließ er zu Hause. Ich mochte Jeremy. Er war genauso skeptisch wie ich, aber doppelt so impulsiv, und dadurch nahm er mir öfters die Arbeit ab, Sam selbst beleidigen zu müssen. Aber was sollten wir mit Scot? Ich konnte darin keine Wertsteigerung unserer Partnerschaft erkennen. Nula lief hin und her und kramte in den Ecken herum. Schließlich kam sie mit ein paar Jute-Mappen zurück und zog die Kappe von einem schwarzen Filzstift herunter. Notiert, sortiert und etikettiert: das Dome Projekt in all seiner Schönheit. «Um diese Leiche kümmern...


Michael Downing wurde in den Berkshires im Norden Neuenglands geboren. Nach seinem Abschluss am Harvard College in 1980 arbeitete er als Redakteur für das italienische Kunstmagazin FMR und verschiedene andere Zeitschriften. Sein Werk umfasst mehrere Theaterstücke, Romane und Sachbücher. "Frühstück mit Scot" ist seine erste Übersetzung in die deutsche Sprache.


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