Eichinger | Liebe und andere Neurosen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Eichinger Liebe und andere Neurosen

Essays

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-8412-2955-7
Verlag: Aufbau Digital
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



»Wer hätte gedacht, dass man sich lesend so gut über die Liebe unterhalten kann?« Johanna Adorján

»Katja Eichinger räumt auf. Mit viel Schrott, der in unseren Köpfen über die Themen Leben, Liebe, Tod vor sich hingammelt. Lesen Sie dieses Buch, es könnte Sie etwas intelligenter und lustiger machen.« Inga Humpe

»Katja Eichinger schreibt in ihrem sehr amüsanten Buch Dinge auf, die uns beide weit über das Lesen hinaus beschäftigen – morgens, mittags und abends.«      Frauke Finsterwalder & Christian Kracht

Das neue Buch der SPIEGEL-Bestseller-Autorin Katja Eichinger
Furiose Essays über die Liebe von einer der originellsten Stimmen der Gegenwart
Wen begehren wir? Und was erzählt unser Begehren über uns? Wie hängen Lust, Leidenschaft und Liebe zusammen? In ihrem neuen Band »Liebe und andere Neurosen« schreibt Katja Eichinger in zehn elektrisierenden Essays über das Wechselspiel zwischen Verlangen und Verunsicherung. Sie erzählt Familiengeschichten wie die ihrer Urgroßmutter, die ihre Leben lang unter dem Apfelbaum stand und von dem armen Handwerker träumte, den sie nicht heiraten durfte. Und sie erzählt von eigenen Begegnungen, in denen sich ihr das Wesen der Liebe offenbarte. Ein radikal vergnügliches Buch, geschrieben mit wachem Blick für die Magie und Macht von Liebe heute. Mit Fotografien von Christian Werner.
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Begehren oder Was dir auch gefallen könnte
Ich kann mich gar nicht entscheiden, ist alles so schön bunt hier. Nina Hagen, TV Glotzer (white punks on dope) Im Frühsommer 2020 fuhr ich mit einem Mietwagen die Autobahn von München in Richtung Norden. Der erste Lockdown war gerade zu Ende gegangen. Es war früh am Morgen. Außer mir kaum Autos auf der Fahrbahn. Der Mietwagen war so schön neu, und ich war ganz begeistert, wie problemlos er die hessischen Berge hinauffuhr. Das war doch mal was anderes als mein behäbiger alter Mercedes, mit dem ich jetzt schon so lange verheiratet bin und in dem ich die schönsten, aber auch die schwersten Autofahrten meines Lebens verbracht habe. In diesem Moment war ich so euphorisiert von meiner neu gewonnenen Freiheit und den schadstoffarmen Errungenschaften der Technik, ich spielte mit dem Gedanken einer automotiven Scheidung. Zu all den unbegrenzten Möglichkeiten, die hinter dem Autobahnhorizont auf mich warteten, könnte doch auch ein neuer Wagen gehören. Und damit auch ein neues Ich. Hochpoliert, ohne den ganzen schweren emotionalen Ballast im Kofferraum. Die Erinnerungen einfach ausradiert. Ich könnte dann einfach die Autobahn langfahren und wie Arnold Schwarzenegger in »Total Recall« sagen: »I zink I just had a labotomy.« In diesem Augenblick schien mir das wirklich toll. Mein Zukunfts-High fand ein jähes Ende, als ich das Straßenschild für die Autobahnausfahrt Niederaula sah. Erinnerungen kochten hoch. Und damit auch nervige 80er-Jahre-Ohrwürmer wie Nenas »99 Luftballons« (jetzt nicht so schlimm) oder Stings »Russians«, dessen Refrain »I hope the Russians love their children too« für immer in mein Hirn implantiert zu sein scheint (wirklich schlimm). Niederaula. Allein durch das Wort wurde mir klar, wie ultimativ lächerlich der Gedanke war, dass ich meine Erinnerungen einfach mit einem neuen Auto ausmerzen könnte. Waren sie doch auf einem tiefen zellulären, ja buchstäblich genetischen Level ein Teil von mir. Es ist nämlich so, Niederaula ist das nordhessische Dorf, aus dem meine Familie stammt. Die einzige Ausnahme war meine Großmutter, die an der deutsch-polnischen Grenze geboren wurde. Ansonsten kommt meine gesamte Verwandtschaft aus der näheren Umgebung von Niederaula. Der Hof, von dem meine Mutter stammt, wurde kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg im 17. Jahrhundert gebaut. Über hunderte von Jahren hat sich hier niemand wirklich vom Fleck bewegt und auch niemanden von einem anderen Fleck geheiratet. Erst mein Großvater erweiterte – gegen den Willen seines Vaters, wohlgemerkt – den Genpool, indem er in einer deutschlandweiten Zeitung eine Heiratsannonce aufgab und so meine Großmutter kennenlernte. Hat aber auch nicht viel genützt. Ich habe mal so einen Gen-Test für ethnische Abstammung gemacht. Ich habe wahrscheinlich die langweiligste DNA Deutschlands. Dass ich bei der Autobahnausfahrt Niederaula an Stings Russen und sentimental-politische Popsongs der 80er denken musste, lag daran, dass sich Niederaula und das dortige Fulda-Tal während des Kalten Krieges am Point Alpha befanden, einem zentralen Beobachtungsstützpunkt der US-Armee. Niederaula lag zwar in der BRD, aber die Grenze zur DDR war nur wenige Kilometer entfernt. Es war der westlichste Punkt des ehemaligen Sowjetblocks beziehungsweise der Staatengemeinschaft des Warschauer Pakts. Mit anderen Worten, Niederaula befand sich in unmittelbarer Nähe des westlichsten Abschnitts des antifaschistischen Schutzwalls, der die DDR gegen den kapitalistischen Imperialismus schützen und ihre Bewohner davon abhalten sollte, sich von der westlichen Konsumgesellschaft ausbeuten zu lassen. Und klar, weglaufen, also sich aus freiem Willen zwischen den unterschiedlichen politischen Systemen entscheiden, konnten sie so natürlich auch nicht. Am Point Alpha standen sich 40 Jahre lang Warschauer Pakt und NATO gegenüber und starrten sich feindselig an wie zwei Leute, die am Abend zuvor während einer Büroparty im Fotokopierraum betrunken Sex gehabt hatten. Mehr als 150 000 Soldaten und 4000 Panzer waren hier insgesamt stationiert gewesen. Die große Panzerschlacht im Fulda-Tal war eins der Szenarien, für das hier ständig geprobt wurde. Auch Düsenflieger, die jenseits der Schallgrenze über die Dörfer bretterten, gehörten zum Alltag. Ich kann mich erinnern, ich muss etwa vier Jahre alt gewesen sein, dass ich mit meinem Teddybären Brummi (der aber nicht brummen konnte) vorm Kindergarten stand und wieder so ein Düsenjäger über mich hinwegflog. Weil ich wusste, dass da wenige Sekunden später ein Höllendonner losbrechen würde, hielt ich Brummi die Ohren zu und wartete auf das Krachen im Himmel. Immer wenn das Krachen kam, tat das nicht nur in den Ohren, sondern im ganzen Körper weh. Kein Wunder, dass ich, als ich Jahre später als Austauschschülerin in den USA »Top Gun« mit Tom Cruise sah, den Film völlig abstoßend fand. War ich doch, im Gegensatz zu meinen amerikanischen Schulfreunden, mit dem Bewusstsein aufgewachsen, dass Krieg keine sonnenuntergangsgetränkte Heldenphantasie, sondern eine reale und permanente Bedrohung darstellte. Es war irgendeine meiner Cousinen während einer Familienfeier bei meinem Onkel, die mir kaugummikauend und erfasst von ihrer eigenen Wichtigkeit erklärte – es war wahrscheinlich Weihnachten 1983, kurz nach der Bestätigung des NATO-Doppelbeschlusses durch den deutschen Bundestag, bei der die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenwaffen besiegelt worden war –, dass, wenn es zu einem Krieg kommen würde, wir die Ersten wären, auf die die Atombombe fällt. Wir standen im Wohnzimmer meines Onkels, das nach seinem süßen Pfeifentabak roch. Ich war die Kleinste von allen Cousinen und Cousins und so dankbar, dass dieses Mädchen, das zum Schock aller Verwandten einen »Atomkraft? Nein danke« Button trug, überhaupt mit mir redete. Aber dass wir alle bald sterben würden, und zwar wir als Allererste, dass es so gar keine Hoffnung gab, das hat mich danach noch lange beschäftigt. Damals starb auch mein Cousin Reiner bei einem Motorradunfall. Ich hatte als Kind große Angst vor der Atombombe. Und dann bald auch vor dem Sauren Regen, Tschernobyl und dem Ende der Welt. Vor allem in Niederaula, dem heißesten Punkt des Kalten Krieges. Heute befindet sich ein wenig außerhalb von Niederaula das erste deutsche Logistikzentrum des US-amerikanischen Onlinehändlers Amazon. Das FRA1. Es wurde 1999 eröffnet. 2000 kam Amazon-Gründer und zweite reichste Person der Welt Jeff Bezos zu Besuch und hinterließ einen Handabdruck. Das FRA1 steht am Eichhof, und diese Adresse steht auch oft als Absender auf Amazon-Paketen. Ich freue mich dann immer, denn eine der wenigen Dinge, die ich über meinen 1943 verstorbenen Großvater weiß, ist, dass er in der Schule neben dem Sohn vom Eichhof gesessen hat. Ich weiß auch nicht, wer mir das erzählt hat und warum. Ganz in der Nähe vom Eichhof betreibt Amazon ein weiteres Logistikzentrum, das FRA3, das auf Mode spezialisiert ist. Insgesamt sollen 3500 Menschen in diesen beiden Zentren arbeiten. Fast so viele Menschen wie früher Panzer im Fulda-Tal stationiert waren. Mit Amazon kamen Logistikunternehmen nach Niederaula. Und mit ihnen viele, viele LKW. Im Mai, damals nach dem Lockdown, bin ich kurzerhand von der Autobahn abgefahren und wollte mir wieder einmal alles ansehen. Einfach mal durchfahren und schauen, wie es sich anfühlt. Seit der Beerdigung meines anderen Cousins – er hieß Bernd, war fast zwei Meter groß und fuhr ein riesiges Moto-Guzzi-Motorrad, verstarb dann aber an einem Gehirntumor – war ich nicht mehr da gewesen. Fast 16 Jahre war das her. Das Dorf war kaum wiederzuerkennen. Gleich hinter der neuen Autobahnabfahrt, in deren Nähe sich ein riesiger Parkplatz mit einem Meer aus LKW befand, war ein großer Gewerbegebiet mit verschiedenen Logistikunternehmen gebaut worden. Und auf diesem Gelände stand in mehrfacher Ausführung diese seltsame architektonische Erfindung des digitalen Zeitalters, die da heißt: Erfüllungszentrum. Ein Erfüllungszentrum haben Sie sicherlich schon einmal gesehen. Es sind diese riesigen, meist grauen, fensterlosen Kästen – anonyme Nicht-Gebäude, die meistens außerhalb von Städten oder mitten auf dem Land in der Gegend herumstehen. In den Erfüllungszentren werden Produkte gelagert, verpackt und verschickt. Sie sind mit einer Armee von LKW...


Werner, Christian

Der Berliner Fotograf Christian Werner (geb. 1977) arbeitet für nationale und internationale Zeitschriften wie das ZEITMagazin, 032c, SSENSE und Numéro.  Im Mittelpunkt seiner Arbeit stehen Langzeitprojekte, die in mehreren Büchern erschienen sind. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

www.christianwerner.org

Eichinger, Katja

Katja Eichinger studierte am British Film Institute und arbeitete als Journalistin in London, u. a. für »Vogue«, »Dazed & Confused« und die »Financial Times«. Nach ihrem Bestseller »BE«, der Biographie ihres verstorbenen Mannes Bernd Eichinger, erschien bei Blumenbar 2020 der Essayband »Mode und andere Neurosen«, der ebenfalls ein Bestseller wurde. Neben ihrer Arbeit als Autorin produziert Katja Eichinger Musik. Sie lebt in München und Berlin.


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