Emeis / Schlögl-Flierl | Phosphor | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 14, 224 Seiten

Reihe: Stoffgeschichten

Emeis / Schlögl-Flierl Phosphor

Fluch und Segen eines Elements

E-Book, Deutsch, Band 14, 224 Seiten

Reihe: Stoffgeschichten

ISBN: 978-3-96238-813-3
Verlag: oekom verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



»Phosphor ist das Nadelöhr des Lebens.« Isaac Asimov

Als Phosphor 1669 entdeckt wurde, war die Aufregung groß: Auf der Suche nach dem »Stein der Weisen« destillierte der Alchemist Hennig Brand Urin und erhielt eine Substanz, die im Dunkeln leuchtete und die Menschen in Staunen versetzte.

Mittlerweile sind die meisten Geheimnisse des Phosphors entschlüsselt, doch seine Faszination hat das Element bis heute nicht eingebüßt: Phosphor spendet Leben, kann aber auch den Tod bringen. Als Bestandteil von Pestiziden oder Brandbomben wirkt er tödlich, als essenzieller Nährstoff versorgt er alle Lebewesen mit Energie. Noch! Denn abbaubares Phosphat ist selten geworden, und Recyclingverfahren sind zwar erforscht, werden aber noch zu wenig genutzt, sodass Phosphor zunehmend verloren geht.

Das Buch erzählt die Geschichte eines ambivalenten Elements, von dessen Tragweite nur wenige wissen.
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Kapitel 1 Die Doppelgesichtigkeit des Phosphors aus theologischer Sicht Kerstin Schlögl-Flierl Phosphor ist ein sehr ambivalentes Element. Auf der einen Seite ist es lebensspendend, auf der anderen Seite bringt es Tod und Zerstörung. Genau diese Doppelgesichtigkeit des Phosphors hat mein Interesse als katholische Theologin erregt, als das Thema im Wissenschaftszentrum Umwelt der Universität Augsburg von meinem Kollegen Stefan Emeis vorgestellt wurde. Schon in der Wahl des Titelbildes für das Workshop-Plakat zeigte sich diese interdisziplinäre Zugangsweise, denn es wurde kein Bild eines Alchemisten gewählt, sondern ein Kupferstich des französischen Illustrators und Malers Gustave Paul Doré (1832–1883), der damit 1866 John Milton’s Paradise Lost illustriert hatte (Abbildung 1). Auf diesem Bild erkennt man ein herabstürzendes Wesen und am oberen Bildrand die Gestirne, die im dunklen Hintergrund glänzen. Links unten erahnt man die Erde, über der die Wolkendecke reißt. Ein Lichtstrahl geht von oben nach unten auf die Erde, in dessen Dunstkreis beziehungsweise Strahlen sich das Wesen nach unten bewegt. Folgende Blankverse des epischen Gedichtes Paradise Lost hat Doré mit dieser Darstellung verbildlicht: »Als ihn sein Stolz vom Himmel ausgestoßen / Mit seinem ganzen Heer rebellischer Engel, / Mit deren Hilfe er sich selbst getrachtet / Hoch über Seinesgleichen zu erheben, / Ja, mit dem Allerhöchsten sich zu messen, / Wär’ er dawider. Mit ehrgeizigem Ziel / Heillos begann er Krieg im Himmel, Kampf / Gen Gottes einzigen Thron und Monarchie: / Ein eitler Schlag. Denn der Allherrscher schleudert / Als Feuerbrand ihn häuptlings aus dem Himmel, / Gestürzt, gesengt, hinunter grausig tief / Ins bodenlose Nichtsein; dort zu wohnen / In Ketten von Demant und Feuerqualen, / Der Allmacht in die Schranken durfte fordern.« (Milton, 1968/2008, S. 45–58) Nach dem Fall von Adam und Eva kommt Satan, aufgewiegelt durch die höllische Schlange, als Hauptakteur des Epos Paradise Lost in den Fokus. Seine Strafe – den Sturz – hat der Kupferstecher hier dargestellt. Was hat dies nun mit dem Stoff Phosphor zu tun? Dazu hilft ein Blick auf die Begriffsgeschichte des Stoffes, vor allem der theologischen. Abbildung 1   Illustration für Paradise Lost von Gustave Paul Doré. Quelle: Gunnar.offel/Wikimedia Allgemeine und theologische Begriffsgeschichte
Phosphor kommt von dem griechischen Wort Phosphoros (??s?????), auch Phosphorus, und heißt übersetzt »Lichtbringer« oder »Lichtträger«. Als Lichtbringer wird auch die römische Gottheit Lucifer (lux ist das Licht) bezeichnet. In der Antike ist Lucifer zunächst der Name für den Morgenstern Venus (Felber 2005). In der griechischen Mythologie heißt der Morgenstern dagegen Eosphoros oder Heosphoros, die griechische Göttin Hekate wird unter anderem als Lichtbringerin benannt. Das Morgengestirn erkannte man schon im Altertum als Planeten, der nach der Liebesgöttin Aphrodite (im Römischen die Venus) benannt wurde. Der Lichtbringer im christlichen Kontext war zunächst der positiv besetzte Lucifer, erst später wurde daraus der Teufel beziehungsweise Satan. Weder findet sich in der Bibel etwas zur Entstehung oder Geburt des Teufels noch zur Erschaffung der Engel. Diese Leerstelle haben antike Jüd*innen und Christ*innen mit parabiblischen Erzählungen gefüllt (Brüning/Vorholt 2018).1 Auch der Sturz des Lucifers beziehungsweise Satan als gestürzter Engel war in der damaligen Zeit ein bekannter Topos. Als Lichtträger genügte Lucifer die Gottähnlichkeit nicht, er strebte die Gottgleichheit an. Da er seine Eigenliebe über die Liebe zu Gott stellte, wurde er verbannt. So kam es zum Sturz aus dem Himmel in die Hölle, wo Lucifer zum Herrn der Finsternis wurde. Dieser Mythos findet sich vor allem in außerkanonischen jüdischen Schriften, wie zum Beispiel dem Henochbuch (Henochbuch 6, 1–7, 10, 4–6; Leimgruber 2010). Blickt man auf verwandte Texte in der Bibel, so fällt außerdem eine Stelle im Prophetenbuch Jesaja auf, in welcher der Sohn der Morgenröte, Helal, wegen Hochmuts in den Abgrund stürzt (Jesaja 14, 12–15). Hier gibt es also eine Analogie zum Lucifer-Mythos, die man auch in weiteren Texten beobachten kann.2 Sie geben uns einen Hinweis darauf, wie der Lucifer-Mythos entstand und wie er den Begriff Phosphor und dessen Entdeckungsgeschichte geprägt hat. Exegetische Einblicke und Rezeption
Zu Beginn des Christentums war Lucifer noch nicht negativ besetzt. Lucifer war sogar ein beliebter Taufname, beispielsweise von Lucifer von Calaris, der 371 n. Chr. verstarb. Auch Christus selbst wurde in der Bibel als Phosphorus, das griechische Äquivalent zu Lucifer, bezeichnet, beispielsweise in der Verteidigung des christlichen Glaubens im zweiten Petrusbrief, wo Christus als der aufgehende Morgenstern in den Herzen der Menschen attribuiert wird.3 Wie wenig Phosphorus ursprünglich negativ besetzt war, zeigt sich beispielsweise an einem Hymnus von Hilarius von Poitiers (315–367): »Du Lichtesspender, leuchtend hell, / aus deines Lichtes reinem Quell / ergießt sich, wenn die Nacht vollbracht, / des Tages strahlenreiche Pracht. / Der Welt ein wahrer Morgenstern (tu verus mundi lucifer), / nicht jener Stern, der klein und fern, / verkündend uns das nahnde Licht, / mit schwachem Schein das Dunkel bricht: / Nein, heller als der Sonne Glanz, / uns selbst Licht und Tag so ganz, / gibst du die tiefste Seele kund, / durchleuchtend unsres Herzens Grund.« (Hilarius von Poitiers 1909)4 Erst nach und nach wurde der Lichtbringer beziehungsweise Lucifer mit Satan in Verbindung gebracht und es kam zu der uns heute geläufigen Polarisierung. Aber wie kam es zu dieser Verschiebung? In Jesaja beispielsweise lesen wir von einem Sturz vom Himmel in die Unterwelt: »Wie bist du vom Himmel gefallen, / strahlender, du Sohn der Morgenröte. Wie bist du zu Boden geschmettert, / du Bezwinger der Nationen. Du aber hattest in deinem Herzen gesagt: / Den Himmel will ich ersteigen, hoch über den Sternen Gottes / meinen Thron aufrichten. Ich will mich niedersetzen auf dem Versammlungsberg, / im äußersten Norden. Ich will über Wolkenhöhen emporsteigen, / dem Höchsten will ich mich gleichstellen. Doch in die Unterwelt wirst du hinabgestürzt, / in die tiefste Grube.« (Jesaja 14, 12–15) Blickt man auf die Bibelübersetzungen durch die Zeit hindurch, wird der Name Helal in der Septuaginta zunächst als Heosphoros (griechisch für Morgenstern), in der Vulgata dann Lucifer (römisch für Morgenstern) genannt. Noch deutlicher wird dies durch die Relektüre der Jesaja-Stelle mit Ezechiel. Die Passage erzählt vom Herrscher von Tyros, der einen vermessenen Anspruch auf Göttlichkeit erhoben hat: »Da habe ich dich entweiht, entfernt vom Berg der Götter, / und dich zugrunde gerichtet, du beschirmender Kerub, / weg aus der Mitte der feurigen Steine. Hochmütig war dein Herz geworden, / weil du so schön warst. / Du hast deine Weisheit vernichtet, / verblendet vom strahlenden Glanz. / Ich stieß dich auf die Erde hinab. / Den Blicken der Könige gab ich dich preis, damit sie dich alle begaffen. Du hast durch deine gewaltige Schuld, / durch Unrecht bei deinem Handelsgeschäft deine Heiligtümer entweiht. So ließ ich mitten aus dir Feuer hervorbrechen. / Das hat dich verzehrt. / Vor den Augen all derer, die dich sahen, / machte ich dich zu Asche auf der Erde.« (aus Ezechiel 28, 1–19) Es handelt sich um eine Geschichte, die von der Würdestellung sowie vom Sturz eines gottnahen, übermenschlichen Wesens berichtet, das aber an der eigenen Pracht zu Fall kommt beziehungsweise daran zugrunde geht. Hier verändert sich das Bild von Lucifer. Die Warnung vor dem Hochmut wurde zu seinem durchgängigen Motiv, wodurch Lucifer als Gegenbild zu Christus gezeichnet wurde, der sich entäußerte, also sein Leben aufgab.5 Folglich gilt in der weiteren christlichen Rezeptionsgeschichte der Hochmut als Kardinalsünde des Teufels, sekundiert von Neid. Das sehen wir beispielsweise in den Texten von Augustinus (354–430), der die Antithese von Hochmut und Demut, von Lucifer und Christus, zu einer zentralen Achse seiner Betrachtung macht: »Denn derjenige, der sich Gott gleich machen wollte, obgleich er es nicht war, fiel und aus einem Engel wurde ein Teufel […]. Daher preist der Apostel jenen so: Da er in der Gestalt Gottes war, hielt er es für keinen Raub, Gott gleich zu sein […].« (Augustinus 1954, 17, 16) Wer immer also Gott gleich sein will, in diesem Fall Lucifer, wird untergehen. Dagegen entäußert Jesus sich selbst und wird erhöht. Auch der Kirchenvater Hieronymus (347–420) teilt diese Ansicht: »Und es ist nicht verwunderlich, wenn die Dämonen, die in der Luft leben, himmlische genannt werden sollen, wenn auch die Schrift ihnen den Beinamen Vögel des Himmels gibt, die zwar nicht im Himmel, aber in der Luft fliegen. Denn auch der Teufel wird zu einem Engel des Lichts verwandelt, wenn er nachahmt ein Stern zu sein. Und der Erlöser sieht diesen gleichsam als Blitz vom Himmel fallen(d). Und moralisch wird von diesem gleichsam wie von einem großen Stern gesagt: Auf diese Weise ist Lucifer gefallen, der sich früh erhob.« (nach Hieronymus 1963, 10, 34, 60–66) Beide Textstellen zeigen, dass die Verschiebung erst langsam im Laufe der ersten nachchristlichen Zeit einsetzt. Die Erzählung aus Jesaja...


Emeis, Stefan
Stefan Emeis ist apl. Professor für Meteorologie in Köln und arbeitet am Karlsruher Institut für Technologie zu Stadtklima und Windenergie. Er ist Mitglied im Wissenschaftszentrum Umwelt (WZU) der Universität Augsburg.

Schlögl-Flierl, Kerstin
Kerstin Schlögl-Flierl hat den Lehrstuhl für Moraltheologie (Theologische Ethik) an der Universität Augsburg inne. Sie arbeitet zu bio- und umweltethischen Themen und ist Mitglied des WZU und des Zentrums für Interdisziplinäre Gesundheitsforschung der Universität Augsburg. Seit Mai 2020 ist sie zudem Mitglied des Deutschen Ethikrats.


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