Essomba | Bildungsvorstellungen im ‚interkulturellen Doppelblick’ | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 42, 320 Seiten

Reihe: Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag

Essomba Bildungsvorstellungen im ‚interkulturellen Doppelblick’

Eine Studie über deutsche Romane der Goethezeit und frankophon afrikanische Romane

E-Book, Deutsch, Band 42, 320 Seiten

Reihe: Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag

ISBN: 978-3-8288-6576-1
Verlag: Tectum
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Die Literatur vergangener Epochen lässt immer auch den Blick auf den Kontext ihrer Entstehung zu, auf die jeweils vorherrschenden Verhältnisse und gesellschaftlichen Widersprüche. Mit der Zusammenführung ausgewählter Romane aus der deutschsprachigen Literatur der Goethezeit und frankophon afrikanischer Literatur der kolonialen und nachkolonialen Ära geht Henri Essomba der Frage nach, wie dort die spezifischen Bildungsprobleme, die in den jeweiligen Gesellschaften durch den Übergang zu „modernen“ Lebensverhältnissen entstanden, behandelt werden. Gemäß dem von der ‚Ecole de Hanovre‘ – einem von afrikanischen Germanisten in ihren Hannoverschen Dissertationen und Habilitationsschriften – entwickelten Konzept einer interkulturellen Literaturwissenschaft, werden die aus sehr unterschiedlichen Kulturen stammenden Texte durch Essomba wechselseitig neu kontextualisiert: Mit ‚interkulturellem Doppelblick’ liest der kamerunische Germanist die Texte afrikanischer Autoren im Lichte von Texten der deutschen Literatur und diese aus afrikanisch literarischer Perspektive.
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Einleitendes Das Thema der vorliegenden Untersuchung, „Bildungsvorstellungen in der deutschen Literatur der Goethezeit und der frankophonen afrikanischen Literatur der kolonialen und nachkolonialen Zeit“, kann in mehrfacher Hinsicht problematisch erscheinen. Zum Einen dadurch, dass es eine Auseinandersetzung mit Texten afrikanischer Literatur im Rahmen einer Wissenschaft unternimmt, die institutionell der deutschen Literatur gewidmet ist, zum anderen dadurch, dass es versucht, einen Zusammenhang zwischen Texten der Weimarer Klassik und Texten aus der Entstehungsphase einer frankophonen afrikanischen Literatur herzustellen. Darum ist es angebracht, vor Eintritt in die Untersuchung dieser Texte das wissenschaftstheoretische Konzept darzulegen, das ihr Fundament darstellt. Dabei handelt es sich um das an der Universität Hannover entwickelte Konzept einer interkulturellen Germanistik aus einer postkolonialen afrikanischen Perspektive. I.Das interkulturelle ‚Doppeltblicken‘ der Ecole de Hanovre Mit seinem Mitte der 1980er Jahre in der ZEIT veröffentlichten Artikel „Warum Afrikaner Goethe lesen sollen“ setzte der an der Universität Hannover tätige Literaturwissenschaftler Leo Kreutzer einen Reflexionsprozess in Gang, der sich bei der Einbeziehung engagierter junger afrikanischer Forscher, die bei ihm promovierten oder sich habilitierten, so weiterentwickelte, dass er die Gestalt einer wissenschaftlichen Schule annahm.2 Diese Schule gilt in der afrikanischen Germanistik heute als „Ecole de Hanovre“3. Das Verdienst der Ecole de Hanovre liegt in dem Entwurf eines Konzepts für eine im postkolonialen Afrika zu betreibende interkulturelle Germanistik, das afrikanische Germanisten in die Lage versetzt, ihre Beschäftigung mit deutscher Literatur zu legitimieren. Dieses Konzept einer afrikanischen interkulturellen Germanistik entstand als Reaktion auf das Konzept einer interkulturellen Germanistik des Bayreuther Germanisten Alois Wierlacher4, in dem es darum geht, durch eine multiperspektivische Hermeneutik die Innenperspektive der Germanistik von einer Außenperspektive befruchten zu lassen. Wierlachers Konzept weist nach Auffassung eines Mitbegründers der „Ecole de Hanovre“, Norbert Ndong, „ethnozentrische“ Züge auf. Um einem Ethnozentrismus dieser Art zu entgehen, bemüht sich das hannoversche Konzept, Grundlagen für eine dem Auslandsgermanisten im Allgemeinen und dem afrikanischen Germanisten im Besonderen gerecht werdende Interkulturalität zu entwerfen. Unter Interkulturalität versteht Norbert Ndong die „Integration fremdkultureller Literatur in eine interkulturelle Germanistik“5, im Falle einer afrikanischen Germanistik als „Erforschung und Vermittlung deutscher und afrikanischer Literatur zugleich“6. Norbert Ndong stellt sich den interkulturell operierenden Literaturwissenschaftler als Agenten einer Kommunikation zwischen afrikanischer und deutscher Literatur vor. Der Literaturwissenschaftler fungiert hier als Dolmetscher und/oder Mittler zwischen beiden Literaturen, deren Begegnung er akzentuierend und steuernd organisiert und inszeniert. Damit bringt er zwei Literaturen in ein Verhältnis von Frage und Antwort. Das auf diese Weise inszenierte Gespräch ermöglicht einen Austausch von Wahrnehmungen und Erkenntnissen über die jeweilige Gesellschaft.7 Um dieses Konzept durchführen zu können, werden literarische Texte aus der deutschen und der afrikanischen Literatur nach thematischen Gesichtspunkten ins Gespräch gebracht. „Das Eigene“ und das „Fremde“ werden mit Hilfe eines methodisch „doppeltblickenden“ Verfahrens neu kontextualisiert: Das Eigene wird ‚im Lichte‘ des Fremden gesehen, das Fremde aber zugleich ‚im Lichte‘ des Eigenen.8 Das in der Ecole de Hanovre erarbeitete Konzept einer interkulturellen Literaturwissen­schaft in Afrika lädt den afrikanischen Germanisten ein, sich in Forschung und Lehre an der Debatte über die Entwicklung seiner Gesellschaft zu beteiligen. Es schlägt ihm eine an diesem Ziel orientierte „doppeltblickende“ Arbeitsmethode vor, welche darin besteht, bei der Wahrnehmung deutscher literarischer Texte als Zeugnisse deutscher gesellschaftlicher Verhältnisse und bei der Auseinandersetzung mit ihnen die eigenen Bewandtnisse nicht aus den Augen zu verlieren. Nach diesem Konzept sollte es dem afrikanischen Germanisten darum gehen, mit aus den Erfahrungen der eigenen Gesellschaft entwickelten Fragestellungen an deutsche Texte heranzugehen. Ein „Doppeltblicken“ soll beim Umgang mit dem Fach Germanistik die Selbstbestimmung sowohl der Fragestellungen als auch des theoretischen und methodischen Instrumentariums fördern, mit dem die Erkenntnisinteressen verfolgt werden. Das Bestehen von zwei Forschungsorientierungen mit klar definiertem theoretischen Rahmen innerhalb des in Hannover entstandenen und in Afrika südlich der Sahara betriebenen Konzepts einer interkulturellen Literaturwissenschaft zeigt, dass sich die Germanistik in Afrika tatsächlich als eine ‚Entwicklungswissenschaft‘ profilieren kann. Die – chronologisch gesehen – erste Forschungsrichtung ist mit ihrer hermeneutischen Untersuchungsmethode darum bemüht, in der deutschen Literatur reflektierte Fehlentwicklungsprozesse zum Vorschein zu bringen und die dort als Alternativen skizzierten Modelle einer dezentriert nachhaltigen Entwicklung herauszuarbeiten.9 Die zweite Forschungsorientierung, diskursanalytisch verfahrend, steht in einer komplementären Beziehung zur ersten. Ihr Programm besteht darin, Diskurse zu entmystifizieren, die den asymmetrischen Charakter der Beziehung der Afrikaner zu Deutschland und zu Europa bzw. zum „Westen“ allgemein legitimieren und die eine Apathie bzw. Resignation der Afrikaner bezüglich eigener Entwicklungschancen verursachen. Sie ist darum bemüht, Mechanismen und Begriffe aufzuspüren und in der Geschichte zurückzuverfolgen, welche in Europa die Diskurse über den Anderen generieren und sie dort als ‚zeitlose‘ und essentielle Bestandteile der Kategorisierung der Menschheit erscheinen lassen. Diese Forschungsrichtung richtet ihre Aufmerksamkeit auf deutsche Texte über den Anderen, welche sie als Ort wahrnimmt, wo – als Beispiel eines europäischen Diskurses – der deutsche Diskurs über den Anderen zur Sprache komme. Sie begreift literarische Texte als intrakulturelle Kritik an herrschenden Verhältnissen und insofern als Strategien der Konstruktion von Gegendiskursen innerhalb ein und derselben Kultur, erblickt mithin in ihnen ein Medium, wodurch die inneren Widersprüche von Kulturen erkennbar werden.10 Diese beiden im Konzept einer interkulturellen Germanistik der Ecole de Hanovre angelegten Forschungsrichtungen weisen insofern Gemeinsamkeiten auf, als sie sich bei der Auseinandersetzung mit deutschen literarischen Texten von eigenen afrikanischen Erkenntnis- und Entwicklungsinteressen leiten lassen. Die beiden Forschungsrichtungen beabsichtigen, mit dem Aufdecken deutscher Fehlentwicklungsprozesse und innerer Widersprüche die aus einer afrikanischen Perspektive zur Selbstverständlichkeit gewordene Hypostasierung europäischer Gesellschaftsverhältnisse abzubauen, welche das afrikanische Entwicklungsprogramm auf ein nachholendes Erreichen des materiellen Entwicklungsniveaus des „Westens“ reduziert. Eine Freisetzung und Mobilisierung geistiger Kräfte Afrikas zugunsten einer „hausgemachten“ Entwicklung wird von ihnen dadurch angestrebt, dass sie die Entwicklungswege westeuropäischer Gesellschaften mit ihren Höhen und Tiefen, mit ihren Stärken und Schwächen, mit ihren Triebkräften und inneren Widersprüchen zum Vorschein bringen und reflektieren. Sie streben danach, bei den Afrikanern die Einsicht zu fördern, dass die Voraussetzungen für die nachhaltige Entwicklung einer Gesellschaft in ihr selbst stecken. Nach der Legitimierung der in der vorliegenden Untersuchung unternommenen Zusammenführung deutscher und afrikanischer literarischer Texte ist die Frage nach einem möglichen Zusammenhang zwischen einer frankophonen afrikanischen Literatur und der deutschen Literatur der Goethezeit zu klären. Fast zwei Jahrhunderte trennen die Goethezeit von der kolonialen beziehungsweise nachkolonialen Zeit im frankophonen Afrika. Mindestens sechstausend Kilometer trennen Deutschland von den Ländern des frankophonen Afrika. Zu dieser räumlich-zeitlichen Distanz kommt noch die Tatsache, dass die Literatur im Deutschland der Goethezeit eine sehr lange und reiche Geschichte hinter sich hat, deren Höhepunkt sie zudem darstellt, während eine schriftliche Literatur im kolonialen und nachkolonialen frankophonen Afrika ihre ersten Schritte macht. Des Weiteren kommt hinzu, dass die deutschen Autoren der Goethezeit in ihrer Muttersprache ­schreiben und sich literarischer Gattungen bedienen, die aus der eigenen literarischen Tradition stammen. Im Gegensatz zu ihnen schreiben die afrikanischen Autoren in einer Fremdsprache und bedienen sich darüber hinaus aus Europa importierter Gattungen. All diese Unterschiede scheinen zu der Annahme zu führen, die beiden hier zusammengeführten Textgruppen hätten nichts miteinander zu tun. Afrika und die Goethezeit In seiner 1997 veröffentlichten Hannoverschen Habilitationsschrift11 hebt Kokora Michel Gnéba aus Côte d’Ivoire, eine der Galionsfiguren der afrikanischen Germanistik, die Bedeutung Goethes und der Goethezeit für die Dritte Welt bzw. für afrikanische Länder hervor. Eine Bedeutung, die er nicht, wie Léopold Sédar...


Henri ESSOMBA, Jahrgang 1971, ist Dozent für Übersetzungswissenschaft an der Advanced School of Translators and Interpretors (ASTI) der University of Buea (Kamerun). Er studierte an seiner Heimatuniversität Yaoundé (Kamerun) und an der Leibniz-Universität Hannover Germanistik sowie an der Ecole normale supérieure de Yaoundé Pädagogik und Erziehungswissenschaft und schloss dieses Studium ab mit einem DIPES II (Diplom für Gymnasiallehrer). Mit dieser Studie über Bildungsvorstellungen in der deutschen Literatur der Goethezeit und der frankophonen afrikanischen Literatur promovierte er an der Ruhr-Universität Bochum.


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