Flynn | Companions – Der letzte Morgen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Flynn Companions – Der letzte Morgen

Roman

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-641-25185-7
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Kalifornien in der nahen Zukunft: Aufgrund einer fatalen Epidemie steht der US-Bundesstaat unter Quarantäne. Niemand darf raus, die sozialen Kontakte beschränken sich auf Social Media und E-Mails. Dann gelingt der Firma Metis Corporation ein genialer Coup - das Bewusstsein Verstorbener wird in Roboter hochgeladen, und diese »Companions« leisten den eingesperrten Menschen völlig risikofrei Gesellschaft. So weit, so gut. Die Realität sieht anders aus: Die meisten Companions erwartet kein sorgenfreies Leben, sondern sie werden wie Sklaven in den Häusern der Reichen gehalten. Eine von ihnen ist Lilac, die als junges Mädchen ermordet und gegen ihren Willen zur Companion wurde. Als Lilac eines Tages die Flucht gelingt, macht sie sich auf die Suche nach ihrem Mörder. Eine ebenso abenteuerliche wie faszinierende Reise durch das Amerika der Zukunft beginnt ...

Katie M. Flynn studierte in San Francisco und Los Angeles. Inzwischen arbeitet sie als Autorin, Lektorin und Pädagogin. Sie wurde für ihre Kurzgeschichten bereits mehrfach ausgezeichnet, bevor sie mit »The Companions« ihr Romandebüt vorlegte. Die Autorin lebt und arbeitet in San Francisco.
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LILAC
San Francisco, Kalifornien Dahlia ruht sich während der planmäßigen Pause auf dem Bett aus und sucht ihre Haare nach Spliss ab. Sie entdeckt ein beschädigtes Haar, schürzt konzentriert die Lippen und reißt es entzwei. Dann lässt sie die lange Kette von Zellen los. Schimmernd wie Narrengold tänzelt und kreiselt das Haar auf den Teppich hinab. Hinter ihr teilen sich die Wolken und entlassen genau im richtigen Winkel eine seltene Dosis Sonnenlicht zwischen die dicht gedrängten Türme der Innenstadt von San Francisco. Das Licht scheint die Fensterwand und Dahlia in Brand zu setzen. Ihre Haut glüht, die Lippen schimmern von dem Gloss, den sie gewissenhaft aufgetragen hat. Manchmal stellt sie mir den runden silbernen Stift auf den Kopf, dann halte ich still und balanciere ihn. Es ist nicht schwer, etwas zu balancieren. Dahlia dreht sich auf die Seite und lächelt mich schief an. »Erzähl mir die Geschichte noch einmal.« Ich nähere mich dem Bett, bis ich die Hand ausstrecken und ihr über die Haare streicheln könnte. Aber das tu ich nicht, so etwas würde ich ohne Aufforderung niemals machen. »Und wenn Mutter es hört?« »Bitte, Lilac, ich langweile mich so«, stöhnt Dahlia. Das kann ich gut verstehen. Sie ist schon mehrere Monate nicht mehr bei dem Gruppenabend im 143. Stock gewesen, und sie war seit zwei Jahren und siebzehn Tagen nicht mehr draußen. Und ich? Ich habe meine Erinnerungen an die Zeit davor, an das Leben im Freien, aber tatsächlich habe ich noch nie die Türschwelle überschritten und Dahlias Zimmer verlassen – das hat Mutter strengstens verboten. Ich rufe die Erinnerungen ab, lasse sie mein System überfluten und fange an zu erzählen. Nikki und ich hockten im Schneidersitz auf dem Hof und aßen unsere Pausenbrote. Dabei waren wir dem Trupp Mädchen, die alles wussten, so nah, dass ich sie gerade so verstehen konnte, wenn ich auf die Lippenbewegungen achtete. Sie sprachen über einen Jungen, genauer gesagt über seinen Penis. Das Mädchen mit dem roten Haar hielt die Hände hoch, als seien es Buchstützen, um den anderen die Länge zu zeigen. Sie hatte rosafarbene Haut, im Ausschnitt ihres Uniformhemds hob sich ein Muttermal ab wie ein abgerissener Knopf. Das bis zum Büstenhalter geöffnete Hemd war ein klarer Verstoß gegen die Bekleidungsvorschriften, der mit Nachsitzen bestraft werden konnte. Die Mädchen benutzten Wörter wie »Latte« oder »Riemen« die ich aus anderen Zusammenhängen kannte, und gaben ihnen eine neue Bedeutung. Ich biss in mein Putensandwich und prägte mir alles genau ein. Lachend umarmt Dahlia das Kopfkissen und wirft sich hin und her. Sie findet solche Bemerkungen über Penisse lustig. Für eine Jugendliche ist das ganz selbstverständlich. Ich dagegen finde es überhaupt nicht witzig. Trotzdem kann ich lachen, es ist gar nicht schwer, dieses bellende Geräusch zu erzeugen. Ich mache es jetzt und belle mit Dahlia, bis sie sich beruhigt hat und ich fortfahren kann. Die Rote erzählte von einer Begegnung mit einem älteren Mann, viel zu groß und viel zu schwer, und die Mädchen sprachen darüber, welche Nachteile und Vorteile es hatte, oben zu sein. Ich hörte zu und wagte nicht zu kauen, bis die Blonde mit dem orangefarbenen Selbstbräunerteint in meine Richtung blickte. »Wir haben Zuhörer«, sagte sie. Die Rote funkelte mich an und strich mit dem Finger über das Muttermal – eine unschöne Angewohnheit. Ich schluckte und würgte hustend einen Bissen hinunter, während die Mädchen, die alles wussten, die Haare zurückwarfen und empört davonzogen. »Mutter kommt«, zischelt Dahlia. Ich bin schon zu meinem Verschlag unterwegs. Dahlia stellt sich schlafend, während Mutter in der Tür steht. Die Schatten ihrer Füße fallen auf den beigen Teppich. Ich richte den Blick auf das Fenster, das mit lila Schmetterlingen beklebt ist, und betrachte das gleißende Metall und das Glas der Türme da draußen. Wenn mein Feed mich richtig informiert, kreist in den Wolken ein einsamer Raubvogel, ein Rotschwanzbussard. Mutter stelzt durch den Flur davon, und Dahlia flüstert: »Mach weiter.« Nikki ließ sich mir gegenüber nieder und würgte einen Schluck aus der Thermoskanne hinunter. »Was trinkst du da?« »Kräutertee. DeSoto ist der einzige Lehrer, der mich schlafen lässt.« Mr. DeSoto war unser Sozialkundelehrer. Er hatte eine erschreckend üppige Brustbehaarung, die sogar aus dem Hemdkragen wucherte. Wir alle – Schüler wie Lehrer – waren stillschweigend übereingekommen, dass wir in verschiedenen Welten lebten. Er schrieb und schrieb vorn an der Tafel, und wir waren mit unseren Nachrichten, Liebeleien und Powermoves beschäftigt. »Schlafen?«, erwiderte ich. »Warum musst du schlafen?« Nikki und ich lebten nicht getrennt. Wenn eine von uns lange aufblieb, war die andere am Telefon und hörte es. »Ich hatte schon wieder so einen Traum. Als wäre ich jemand anders. Eine runzlige alte Frau mit einem Mann.« Sie flüsterte nur noch. »Wir haben Sex. Im Traum machen wir Sachen, von denen ich nicht mal wusste, dass es sie gibt.« »Das ist widerlich.« Nikki biss die Spitze einer Snackkarotte ab. »Es fühlt sich aber überhaupt nicht widerlich an. Es fühlt sich sogar ganz wirklich an. Deshalb glaube ich auch an Reinkarnation. Ich bin sicher, dass ich das früher selbst erlebt habe. Ich bin einmal diese Frau gewesen.« »Also, im Unterricht kannst du das aber nicht machen«, warnte ich sie etwas zu laut. Ihr Blick irrte umher, sie sprach mit gedämpfter Stimme weiter. »Das weiß doch niemand.« »Ich weiß es.« »Und?« »Ich kann solche inneren Bilder nicht gebrauchen.« »Du könntest dir gar kein Bild davon machen.« Sie kippte den Rest ihres Tees hinunter und sammelte ihre Siebensachen ein. Ich wollte sie aufhalten und ihr sagen, dass es mir leidtat – sie war meine beste Freundin, sogar meine einzige –, doch ich fand nicht die richtigen Worte. Jetzt kann ich es aussprechen, sooft ich will. Es tut mir leid. Ich weiß nicht, warum es mir damals so schwerfiel. »Du hättest nach Einzelheiten fragen sollen«, schmollt Dahlia auf ihrem Laufband. Es ist Zeit für das Training, und sie darf nicht nachlassen. Sie kämpft sich einen steilen Hang hinauf und schlenkert heftig mit den pummeligen Armen. Die Haare hat sie sich auf dem Kopf zu einem unordentlichen Knoten gebunden. »Dann wäre die Geschichte viel besser.« »Du hast recht«, antworte ich. »Soll ich weitermachen?« Sie unterbricht mich immer. Sie hat sich angewöhnt, mir zu sagen, wie ich meine Geschichte erzählen soll. Ich widerspreche nicht. Es ist besser für uns beide, wenn ich lerne, die Geschichte so zu erzählen, wie sie es möchte. Nur dass sich das, was sie von mir hören will, immer wieder ändert. Große Fortschritte mache ich zwar nicht, aber ich versuche es und betone die Teile, die sie mag, während ich eher langweilige Details übergehe. Wenn ich im Schlafmodus sein sollte, zweige ich einen Teil meines Feeds ab und lerne neue Wörter und neue Arten, das zu sagen, was ich meine. Aber in meinem Kopf verändert sich die Geschichte nicht. Erinnerung nach Erinnerung spult sich in mir ab, jedes Wort, jeder Geruch, jedes kleine Zwicken. Die Rote saß weiter hinten und sah mich von ihrem Pult aus böse an. Ich bemühte mich, den Blickkontakt zu vermeiden, während ich mich an meinen Platz setzte. Glücklicherweise war Belinda McCormicks üppiger Pferdeschwanz zwischen uns. Vor mir hatte Nikki den Kopf auf das Pult gelegt. Ihre angespannten Schultern verrieten mir allerdings, dass sie wach war. Mr. DeSoto beschrieb unsere Rollen in der geplanten nachgespielten Verhandlung gegen Harry Truman. Ich entdeckte meinen Namen in der Liste der Geschworenen, die darüber zu befinden hatten, ob der Präsident mit der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki ein Kriegsverbrechen begangen hatte. Was wir hier lernten, bedeutete längst graue Vorzeit für uns. Doch Mr. DeSoto ließ sich einfach nicht überreden, ein Thema auszuwählen, das für uns mehr Relevanz hatte. Nikki schlief jetzt. Ihr Gesicht lag schlaff auf dem Unterarm, ein Speichelfaden rann ihr im Zickzack über das Kinn. Ich spielte mit dem Bleistift und kaute am Ende, als wäre ich völlig abwesend. Dabei war nur Nikki auf die Reise gegangen. Die Mitschülerinnen lachten, als sie bemerkten, dass sie schlief. Die Rote ließ einen Papierflieger über Nikkis Pult sausen. Mr. DeSoto schrieb ungerührt weiter. Natürlich bekam die Rote eine wichtige Rolle. Sie sollte als Verteidigerin des Angeklagten auftreten. Spöttisch lächelnd betrachtete sie die Tafel und erwiderte meinen Blick, als ich es wagte, ihre Reaktion zu beobachten. »Mister DeSoto? Darf ich die Geschworenen überprüfen?« Der Lehrer hielt an der Tafel inne, seufzte und schrieb dann weiter. »Tut mir leid, du musst dich wohl mit mir abfinden«, sagte ich zu der Roten. »Wie bitte?« »Du hast es doch gehört. Und ich lasse mich nicht einschüchtern und ändere meine Entscheidung.« »Ich mach dich fertig.« Ich zuckte mit den Achseln, als wär es mir egal, dass sie mich öffentlich demütigen wollte. »Du musst...


Flynn, Katie M.
Katie M. Flynn studierte in San Francisco und Los Angeles. Inzwischen arbeitet sie als Autorin, Lektorin und Pädagogin. Sie wurde für ihre Kurzgeschichten bereits mehrfach ausgezeichnet, bevor sie mit »The Companions« ihr Romandebüt vorlegte. Die Autorin lebt und arbeitet in San Francisco.


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