Franzius | Recht und Politik in der transnationalen Konstellation | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 22, 345 Seiten

Reihe: Staatlichkeit im Wandel

Franzius Recht und Politik in der transnationalen Konstellation

E-Book, Deutsch, Band 22, 345 Seiten

Reihe: Staatlichkeit im Wandel

ISBN: 978-3-593-42509-2
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Recht und Politik finden heute nicht länger im Staat zusammen, sondern scheinen in der transnationalen Konstellation auseinanderzutreten. Grenzen, wie die zwischen »öffentlich« und »privat« oder zwischen »innen« und »außen«, verschwimmen. Wie lässt sich vor diesem Hintergrund eine transnationale Demokratie denken? Und wie sehen die Konfliktbewältigungsmechanismen aus, um die unterschiedlichen Ebenen von internationalem, europäischem und nationalem Recht zu koordinieren? Die Antworten von Claudio Franzius auf diese Fragen verdeutlichen, dass der transnationale Raum sich als Herausforderung für Recht und Politik darstellt, was wiederum Fragen nach neuen Verkoppelungen aufwirft. Vor dem Hintergrund der sich stets wandelnden Grenzen plädiert der Autor für eine Neubestimmung von Recht und Politik in der transnationalen Konstellation.
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Inhalt

A. Transnationale Konstellation9

B. Grenzverschiebungen: Recht und Politik26
I. Versuch einer Verhältnisbestimmung26
II. Wandel des Staates32
III. Grenzverschiebungen40
1. Öffentlich und privat41
2. Aufbrechen der Innen-Außen-Grenze42
3. Territoriale und funktionale Grenzen47

C. Funktionswandel von Verfassung und Verwaltung55
I. Verfassung: Kopplung von Recht und Politik55
1. Rechtsstaat und Demokratie als lose Enden62
2. Rechtliche oder politische Konstitutionalisierung?71
3. Rolle der Gerichte77
II. Verwaltung zwischen Verrechtlichung und Politisierung84
1. Gesetzesbindung85
2. Verwaltungsinterne Politisierung91
3. Ebenengliederungen93
III. Veränderungen in der transnationalen Konstellation96
1. Unschärfen des konstitutionellen Pluralismus98
a) Lange Schatten des Kaiserreichs: Homogenität und Souveränität110
b) Nationale Identität: Öffnung des Europarechts gegenüber den Mitgliedstaaten116
c) Grenzen des Rechts: Euro-Rettungsmaßnahmen119
2. Governance und das Entstehen neuer Verwaltungsräume139
a) Recht und Nicht-Recht140
b) De-Territorialisierung als Transnationalisierung146
c) Grenzen der Politik: Unabhängige Regulierungsbehörden150
3. Neben Recht und Politik: Sozialregime164
a) Gesellschaftlicher Konstitutionalismus165
b) Kollisionsrecht, aber welches?167

D. Mechanismen der Konfliktverarbeitung171
I. Transnationale Demokratie171
1. Rechtsordnungen als politische Ordnungen172
a) Grenzen des kollektivistischen Modells177
b) Ausweg durch Individualismus? Wahl der Gemeinschaft181
c) Angebote dazwischen: Lebendige Demokratie189
2. Föderale Erfahrungen und Probleme nicht-staatszentrierter Demokratiemodelle197
a) Föderale Brechungen und Dezentrierung der Demokratie197
b) Das europäische "Wir der Anderen" als Modus des Politischen201
c) Modifikationen demokratischer Repräsentation und pluralistische Legitimation207
d) Transnationalismus und Funktionswandel der Grenzen211
3. Institutionalisierung kontestatorischer Legitimation215
II. Transnationale Rechtsstaatlichkeit: Bausteine justizieller Kollisionsbewältigung226
1. Rechtssprechungs- als Rechtsordnungskonflikte227
2. Vielfalt der Konfliktverarbeitungsmechanismen227
a) Kompetenzordnung228
b) Hierarchische Vorrangregeln230
c) Ebenenverklammernde Solange-Vorbehalte232
d) Verfassungsrechtliche Konformauslegung235
e) Berücksichtigungspflichten237
f) Ultra vires- und Identitätskontrolle241
g) Vorlageverfahren245
3. Prinzipien konstitutioneller Pluralität250
III. Transnationales Verwaltungsrecht263
1. Beispiele265
a) Migrationsrecht265
b) Umweltverwaltungsrecht267
c) Regulierungsrecht270
2. Vertrauen als Modus von Politik und Recht273
a) Vormoderne Kategorie?274
b) Horizontales Vertrauen als Legitimationsressource?275
c) Orte und Verfahren der Vertrauensbildung278
3. Rechtsschutzprobleme285

E. Konstitutioneller Pluralismus und transnationales Vertrauen292

Literatur302


A. Transnationale Konstellation

Vorliegendes Buch geht davon aus, dass sich Recht und Politik in der transnationalen Konstellation grundlegend wandeln. Das soll nicht am Beispiel der Herausbildung einer neuen Rechtsschicht »jenseits« der europäischen oder internationalen Rechtsordnung dargestellt, sondern an der These eines Funktionswandels von Verfassung und Verwaltung illustriert werden, der das nationale Recht einbezieht, für dieses aber nicht folgenlos bleibt. Erforderlich wird die Herausarbeitung von Mechanismen politischer und rechtlicher Konfliktverarbeitung. Das wirft Fragen auf, die als bedeutsam identifiziert, wenngleich nicht abschließend beantwortet werden können: Wie lässt sich transnationale Demokratie denken? Welche Bausteine transnationaler Rechtsstaatlichkeit können ausgemacht werden? Worauf stützt sich ein transnationales Verwaltungsrecht?
Transnationalisierungsprozesse lassen sich aus unterschiedlichen Perspektiven beobachten (Calliess 2013). Für das Privatrecht stehen häufig die Wirtschaftsbeziehungen »jenseits des Staates« im Vordergrund. Unter der Prämisse eines gesellschaftlichen Konstitutionalismus geht es nicht nur um Recht und Politik, sondern um die »trianguläre Konstellation« von Recht, Politik und gesellschaftlichem Teilsystem (Teubner 2012: 75), das von »Übergriffen« anderer Teilsysteme verschont bleiben soll. Dieser Ansatz eignet sich zur Beschreibung neuerer Rechtsentwicklungen, die sich in der Tat durch autokonstitutionelle, dem jeweiligen Sachbereich angepasste Beiträge auszeichnen, wie es auch im Topos der Wirtschaftsverfassung zum Ausdruck kommt. Eine Re-Integration in übergreifende Ordnungszusammenhänge macht dann keinen rechten Sinn und wird konzeptionell zurückgestellt. Zur positiven Beschreibung der Herausforderungen für die bestehenden Rechtsordnungen wie das Verfassungsrecht, das Verwaltungsrecht oder auch das »Europarecht« eignet sich diese Perspektive weniger gut. Damit ist keinem Primat des Rechts das Wort geredet. Ebensowenig liegt dieser Studie ein pauschaler Primat der Politik zugrunde. Leitend ist vielmehr die Differenz und das »Aufeinanderbezogensein« von Recht und Politik, wie es staatliche Rechtsordnungen auszeichnet, mit der herkömmlichen Fokussierung auf den Staat aber »vernebelt« wird. Löst man sich von dieser »Fusion« im Staat und hinterfragt die dem Staatsbegriff zugeschriebene Einheits- und Grenzfunktion, dann treten seine Elemente, nämlich Recht und Politik als aufeinander zu beziehende »Welten« in der jeweils eigenen Rationalität deutlicher hervor. Sie bilden den Ausgangspunkt für das Verständnis von Verfassung und Verwaltung in der hier »transnational« genannten Konstellation.
Um den Wandel von Verfassung und Verwaltung vor dem Hintergrund des »Verhältnisses« von Recht und Politik erfassen zu können, ist zunächst zu klären, wie Recht und Politik zueinander in Beziehung gesetzt sind (unten B.). Darüber lässt sich der Wandel des Staates beschreiben, der in der transnationalen Konstellation grundlegenden Grenzverschiebungen ausgesetzt ist. Diese Grenzverschiebungen werden für die »Verfassung« und die »Verwaltung« einzuordnen versucht (unten C.), bevor auf Mechanismen der Konfliktverarbeitung am Beispiel der Europäischen Union näher eingegangen wird (unten D.). Dabei werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Zugang des Verfassungs- und des Verwaltungsrechts auf transnationale Phänomene deutlich, was unter den Aspekten des konstitutionellen Pluralismus und des transnationalen Vertrauens am Ende zusammengefasst wird (unten E.).
Der Gang der Untersuchung sei in den Grundzügen knapp skizziert: Den Ausgangspunkt bilden drei Grenzverschiebungen, die für die transnationale Konstellation kennzeichnend sind. Eine erste Grenze, die sich verschoben hat, ist die Grenze zwischen öffentlich und privat. Das Öffentliche wird privat und das private öffentlich, also politisch. Heute rücke vieles, was früher als Frage des Lebenstils behandelt worden sei, aus dem Bereich des Privaten heraus und in die politische Arena hinein. Das hat Konsequenzen, wird man die öffentliche Ordnung doch nicht mehr abgeschirmt von den privaten Akteuren bestimmen können. Die für das Staatsrecht des 19. Jahrhunderts konstitutive Grenzziehung zwischen dem Öffentlichen und Pivaten verschwimmt. Transnationalität meint dieses Verschwimmen und Neuzuordnen unter Einbeziehung privater und zivilgesellschaftlicher Akteure.
Die zweite Grenzverschiebung betrifft das Aufbrechen der Innen-Außen-Grenze. Von neuen Grenzproblemen ist die Rede, welche »die Unterschiede zwischen inneren und äußeren Angelegenheiten, internen politischen Problemen und externen Fragen, souveränen Angelegenheiten des Nationalstaates und internationalen Faktoren« in Frage stellen. Sei ein politischer Raum »für die Entwicklung von und das Streben nach effektiver Regierung und Verantwortlichkeit von politischer Macht nicht länger gleichbedeutend mit einem abgegrenzten politischen Territorium«, werde es schwierig, das »eigentliche ›Zuhause‹ von Politik und Demokratie« zu bestimmen (Held 2002: 111 f.). Das wirft neue Fragen nach der Zukunft der Verfassung auf. Früher war das Verfassungsrecht das Innenrecht eines Staates, dem das Völkerrecht als Außenrecht gegenübergestellt wurde. Diese Rechtssphären wurden weitgehend unabhängig voneinander verstanden, waren aber durch die Vorstellung souveräner Staatlichkeit nach innen und außen miteinander verbunden. Ist der Staat nicht mehr alleinige Rechtsquelle auf seinem Territorium und löst sich die mit Souveränität umschriebene Identität von öffentlicher Gewalt und Staatsgewalt auf, dann kann die Staatsverfassung nicht mehr sämtliche Herrschaft erfassen und wandelt sich zu einer Teilverfassung, die durch konstitutionelle Schichten des europäischen Primärrechts ergänzt, aber nicht ersetzt wird (Grimm 2011: 390 ff.). Auch die »Euro-Rettung« macht für das Unionsrecht auf Grenzprobleme aufmerksam: Die klare Grenze zwischen »Innen« (Gesetzgebung) und »Außen« (Vertragsänderung) verwischt.
Eine dritte Grenzverschiebung betrifft das Wechselspiel von territorialen und funktionalen Grenzen. Die Verknüpfungen der unterschiedlichen Rechtsordnungen, wie sie für die transnationale Konstellation kennzeichnend sind, folgen keiner allein territorialen Logik. Über die alten Differenzen des raumbezogenen Staats- und Völkerrechts, aber auch des explizit einen »Raum« vermessenden Europarechts hat sich eine funktionale Logik der Regulierung und Sicherung unterschiedlicher Sektoren, Interessen, Güter und Werte gelegt. Die Entterritorialisierung des Rechts, wie insgesamt die Infragestellung der engen Verknüpfung von Staat und Recht führen das Öffentliche Recht zum Pluralismus. War Ausdruck des einheitlichen Geltungsanspruchs des Rechts die Rechtshierarchie und die Idee, dass es für einen Rechtskonflikt nur eine einzig richtige Lösung gibt, so erodieren diese Annahmen unter dem (neuen) Rechtspluralismus. Normative Ordnungen wurzeln in ihren Geltungsgrundlagen nicht (mehr) ausschließlich in staatlicher Territorialität, sondern in der rechtlichen Praxis transnationaler Akteure, die soziale Felder besetzen und gestalten. Sie handeln in rechtlichen Räumen, die durch nationales Recht strukturiert werden, in denen aber auch internationale, supranationale und transnationale Mächte rechtliche Ordnungsansprüche zur Geltung bringen. Die »transnationale« Konstellation meint deshalb kein Recht »jenseits« des Staates, sondern eine Zwischenform, in der überkommene Grenzen von nationalem, europäischem und internationalem Recht transzendiert werden.


Claudio Franzius, Dr. iur., ist Privatdozent an der Juristischen Fakultät der HU Berlin und vertritt den Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Universität Bochum.


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