Frings | Das Unglaubliche glauben | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Frings Das Unglaubliche glauben

Gott setzt bei der Sehnsucht an

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-451-82951-2
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



An einen Gott, der uns vor Gefahren rettet, vor dem Tod bewahrt und Wunder bewirkt, kann der Theologe und Priester Thomas Frings nicht mehr glauben. Also reflektiert er seinen eigenen Glauben, sein Gottesbild und seine Gebete und sucht nach neuen Antworten. Das Ergebnis ist ein Plädoyer für einen bescheidenen Glauben, der nicht versucht, Gott in den Griff zu bekommen, sondern suchend mit ihm in Beziehung tritt. Ein lesenswertes, herausforderndes Buch für Menschen, die neue Antworten suchen und ihren Glauben reflektieren wollen.
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Achtung: Lebensgefahr!
Ich halte nicht viel davon, Orten, Zeiten und Umständen rückwirkend eine besondere Bedeutung für das Leben zu verleihen. Trotzdem gibt es Ereignisse und Erlebnisse, die eine besondere Bedeutung haben. Für mich fand ein solches Ereignis in Afrika statt in der Nacht von Silvester 2000 auf Neujahr 2001, dem Jahrtausendwechsel. Ich war vierzig und besuchte mit meiner Schwester einen Bruder, der in Togo lebt. Gemeinsam fuhren wir nach Benin in den Pendjari-Nationalpark, wo André, ein guter Freund, arbeitete. Die Anreise war schon abenteuerlich: zwei geplatzte Reifen, ein Achsbruch und 24 Stunden zu spät am Ziel. André hatte geplant, die Silvesternacht im Nationalpark zu verbringen, so wie er es bereits häufig gemacht hatte. Alles war also vorbereitet und wir fuhren mit dem Jeep, Zelten und Proviant am letzten Tag des Jahres los. Das kleine Dorf, in dem André wohnte, hatten wir bald hinter uns gelassen und damit auch die letzte menschliche Siedlung. Von einer Straße nach europäischer Vorstellung konnte man schon weit vor dem Dorf nicht mehr sprechen, geschweige auf dem Weg in die Wildnis. Es war bestenfalls eine Piste, die uns in den Nationalpark führte. Dafür sahen wir Tiere, die wir nur aus Büchern kannten oder Pflanzen, die wir nicht einmal dort gesehen hatten. Unsere Stimmung war ausgezeichnet. Am Abend wurde ein Feuer entzündet. In einem Kamin sorgt es für Romantik, doch hier brauchten wir es, um das Essen zu kochen und die Dunkelheit zu erhellen, einigermaßen zumindest. Als die Gespräche und das Feuer erloschen waren, zogen wir uns bei völliger Dunkelheit ins Zelt zurück. Bis zum nächsten Haus waren es viele Kilometer und so war es nicht nur dunkel, sondern auch still. Ein bis dahin spannender letzter Tag des Jahres und eines Jahrtausends ging zu Ende, still und friedlich. Das neue Jahr und das neue Jahrtausend begann alles, nur nicht still und friedlich. Es war ziemlich genau um vier in der Nacht, zwei Stunden vor Sonnenaufgang, als in einer Entfernung von vielleicht zwanzig Metern Raubtiere laut brüllten und knurrten. »Hyänen!« Andrés erschrockener Kommentar ließ uns das Blut in den Adern gefrieren und überließ jeden im Zelt seiner individuellen Panik. Mein Körper zeigte schlagartig die unglaublichsten Reaktionen: Die Hände zitterten, als hätte ich Parkinson. Obwohl ich sie an den Körper presste, um sie ruhig zu halten und die anderen im Zelt meine Panik nicht auch noch spüren zu lassen, kriegte ich sie einfach nicht still. Sie zitterten und zitterten und zitterten. Weder der Befehl des Gehirns noch die stärkste Willensanstrengung zeigten irgendeine Wirkung. Mein Magen war ebenfalls eine einzige Vibration und die Füße so kalt, als wären sie in Eisklötze eingefroren. So wirkt sich also die pure Angst und blanke Panik bei mir körperlich aus. So fühlt sich Todesangst an! Zittern, Vibrieren und Kälte nahmen noch zu, als wir in der Stille der Nacht und der Einsamkeit hören konnten, wie die Tiere sich näherten. Langsam schnaufend und knurrend strichen sie um das Zelt, immer und immer wieder. Sie konnten uns nicht sehen, aber sicher riechen und ganz bestimmt auch die Todesangst erspüren, die da nur wenige Zentimeter entfernt im Zelt um sich griff. Was sie nicht riechen oder spüren konnten: Mein Kopf war ganz klar, erstaunlicherweise. An was habe ich in diesem Moment gedacht, einem Moment von immerhin zwei Stunden, der sich bis zum Sonnenaufgang in schier unendlicher Langsamkeit ausdehnte? Zwei Stunden lang hatte ich den Gedanken, dass dies die letzte Nacht meines Lebens sein würde. Wieder und wieder durchfuhr es mich: der letzte Sonnenuntergang, den du gesehen hast. Du wirst nie mehr Tageslicht sehen. Du wirst in Dunkelheit sterben. Gleich wird eines der Tiere, deren Atem und ständiges Umkreisen des Zeltes zu hören war, durch die Zeltbahn und dir ins Gesicht beißen. Und gleichzeitig, so klar blieb mein Kopf, war mir die Unlogik dieses Gedankens bewusst: Woher sollte das Tier wissen, wo mein Gesicht ist? Angst und Logik standen in einem merkwürdigen Widerspruch, der mir heute, wenn ich davon erzähle oder schreibe, noch bewusster wird. Was aber habe ich nicht gedacht, habe ich nicht getan in diesem Moment, obwohl man dies von mir wahrscheinlich erwarten würde und ich auch vorher von mir erwartet hätte? Ich habe nicht gebetet! Wenn auch der Körper auf keinen Befehl des Gehirns mehr reagierte, mein Denken war zu meinem eigenen Erstaunen ruhig und klar und ich habe mich selber gefragt: Warum betest du nicht? Hat mein Glaube mich in höchster Not verlassen? War all das, was mich anscheinend durch mein Leben getragen hatte, nur Einbildung und Wunschdenken gewesen? Nein, mein Glaube hatte mich nicht verlassen, gerade deshalb habe ich nicht gebetet. Weil mein Glaube nicht einem Gott gilt, der wilde Tiere verjagt, wenn ich ihn darum bitte. Weder glaube ich daran, dass Gott die Tiere geschickt hat, um mir damit etwas zu sagen oder vielleicht eine Lehre zu erteilen, noch glaube ich daran, dass er sie verscheuchen würde, würde ich ihn darum bitten. Wer in Afrika in der Wildnis sein Zelt aufschlägt, der nimmt solch eine Gefahr in Kauf und dann hilft auch kein Beten. Das ist so, als würde ich vom dreißigsten Stockwerk eines Hochhauses ohne Fallschirm springen und hoffen, dass Gott mir unterwegs irgendwie einen Fallschirm zukommen ließe. In einer solchen Situation, in die ich mich selber gebracht habe, kommt ein Gebet um Hilfe und Rettung doch etwas spät. Ich habe Gott in diesem Moment auch keine Angebote unterbreitet, habe nicht mit ihm gefeilscht und die unterschiedlichsten Versprechungen gemacht. Was hätte ich ihm denn auch versprechen sollen? Mein gesamtes Hab und Gut? Eine Anzahl an Gebeten bis zu einem hoffentlich späteren Lebensende? Eine treuere Befolgung seiner Gebote? Gesetzt den Fall, ich wäre dennoch gestorben, was hätte Gott mir denn dann gesagt? War mein Erspartes nicht ausreichend oder konnten die versprochenen Gebete die Waagschale meines Lebens nicht zu meinen Gunsten ausschlagen lassen? Nein, ich glaube nicht an einen Gott, der so ist. Ich glaube nicht an einen Gott, der sein Handeln in höchster Not von meinem Beten, Bitten und Betteln abhängig macht. Und als nach zwei Stunden die Tiere bei Sonnenaufgang verschwanden, hielt ich auch das nicht für eine Intervention Gottes, sondern für einen möglichen und natürlichen Ausgang einer lebensgefährlichen Situation. Für unser Überleben gab es natürliche und nicht übernatürliche Gründe und Atheisten können solche Situationen ebenso überleben, wie glaubende oder betende Menschen in ihnen sterben können. Ich habe überlebt und mein Glaube ist nicht gestorben. Wenn ich meine Geschichte von der Silvesternacht in Afrika erzähle, dann ist es schon öfter vorgekommen, dass Menschen mir widersprechen. In solch einer Situation Gott nicht um Hilfe anzurufen, das scheint ihnen unvorstellbar – und dann noch von einem Priester – das kann doch nicht sein! Wenn nicht in Not und Gefahr, wann denn sonst sollte ein Mensch beten? Ich erzähle dann die Geschichte meiner Großmutter, die anscheinend ganz anders gebetet und geglaubt hat als ich. Wie viele Menschen der Generation, die durch den Zweiten Weltkrieg geprägt wurde, berichtete auch sie ihren Enkeln immer wieder von den dramatischen Erlebnissen dieser Zeit. Unsere Heimatstadt Kleve lag in einer Einflugschneise britischer Bomber auf deren Weg zum Ruhrgebiet und bevor Kleve selber am 7. Oktober 1944 zu 97 Prozent in Schutte und Asche gelegt wurde, mussten die Großeltern und unsere Mutter viele Nächte bei Bombenalarm in den Keller fliehen. Während sie über sich in der Luft das Dröhnen der Flugzeuge mit ihrer tödlichen Last hörten, wiederholten sie unten im Keller ununterbrochen das Gebet »Hilf Maria, es ist Zeit«5. Die Großeltern und unsere Mutter überlebten den Krieg. Die beiden Söhne dagegen kamen als Soldaten in Russland und Lettland ums Leben. Ihr Tod führte zu einer Funkstille zwischen meiner Großmutter und Gott. Er hatte ihre Söhne sterben lassen und jetzt war er für sie gestorben. Unsere Mutter bekam später wie ihre Mutter drei Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen. Doch nicht nur die Reihenfolge der Kinder war gleich, sie wurden auch im fast gleichen Zeitabstand geboren. Inzwischen hatte unsere Großmutter den Kontakt zu Gott wieder aufgenommen und es war für sie, als hätte er ihr die beiden verlorenen Söhne wiedergeschenkt. Immer wieder kam es vor, dass wir Enkel von ihr mit den Namen ihrer Söhne angesprochen wurden. Wir sind nicht die wiedergeborenen Söhne, aber wir sind Teil einer Geschichte, in der Kinder und Gott verloren gegangen sind und wiedergefunden wurden. Wie sehr ich nicht nur den Verlauf meines Lebens selbstbestimmt gestalte, sondern auch in eine längere Geschichte verstrickt bin, wird mir deutlich, wenn ich vor einem Marienbild stehe. Bis heute bete ich dann das Gebet meiner Großmutter im Keller ihres Hauses und fühle mich ihr in ihrer Todesangst verbunden. Ich bete also immer wieder das Gebet meiner Großmutter an den unterschiedlichsten Orten. Doch als ich selbst in größter Gefahr war und meine eigene Todesangst erlebte, da betete ich nicht? Ja, da betete ich nicht um Rettung! Weil es mir schwer fällt, an einen solchen Gott zu glauben, und weil ich den Eindruck...


Frings, Thomas
Thomas Frings, geb. 1960, wurde 1987 zum Priester geweiht. Von 2009 an war er Pfarrer der Heilig-Kreuz-Gemeinde in Münster, seit 2010 Mitglied und seit 2014 Moderator des diözesanen Priesterrats. Durch seine Amtsniederlegung im Frühjahr 2016 wurde er national bekannt, sein Buch "Aus, Amen, Ende?" wurde ein Bestseller. Zwischenzeitlich wohnte er in einem Benediktinerkloster in den Niederlanden, jetzt lebt er in Köln. Aufgrund seines Buches wird er in ganz Deutschland als Redner und für Vorträge eingeladen. Thomas Frings ist Großneffe des Kölner Erzbischofs Kardinal Joseph Frings.

Thomas Frings, geb. 1960, wurde 1987 zum Priester geweiht. Von 2009 an war er Pfarrer der Heilig-Kreuz-Gemeinde in Münster, seit 2010 Mitglied und seit 2014 Moderator des diözesanen Priesterrats. Durch seine Amtsniederlegung im Frühjahr 2016 wurde er national bekannt, sein Buch "Aus, Amen, Ende?" wurde ein Bestseller. Zwischenzeitlich wohnte er in einem Benediktinerkloster in den Niederlanden, jetzt lebt er in Köln. Aufgrund seines Buches wird er in ganz Deutschland als Redner und für Vorträge eingeladen. Thomas Frings ist Großneffe des Kölner Erzbischofs Kardinal Joseph Frings.


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