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E-Book, Deutsch, 376 Seiten

Gehler Europas Weg

Von der Utopie zur Zukunft der EU

E-Book, Deutsch, 376 Seiten

ISBN: 978-3-7065-6068-9
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



KOMPAKT UND ANSCHAULICH ERZÄHLT: VON DEN ANFÄNGEN EUROPAS BIS ZUR EU IN AKTUELLEN KRISENZEITEN
Die Zukunft der EU und der gegenwärtige Zustand Europas beherrschen die politischen Diskussionen unserer Tage. MICHAEL GEHLER liefert einen umfassenden Überblick über die lange Geschichte Europas – von den Anfängen bis zur Gegenwart der Europäischen Union in stürmischen Krisenzeiten. Entstehung, Aufbau und Funktionen der Institutionen sowie die Entwicklung von der Montanunion bis zur EU werden allgemein verständlich dargestellt. Chronologie, Glossar, Literatur sowie zahlreiche Bilder und Karten veranschaulichen die Entwicklung der europäischen Integration.
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II. Der Weg zum Europa der Institutionen
Europa-Konzepte erlebten nach 1945 ihre stärkste Konkretisierung und institutionelle Verankerung. Der Gedanke der Integration wurde „eine der machtvollsten Ideen internationalen ordnungspolitischen Denkens“ (Peter R. Weilemann). Europäischer Bürgerkrieg (1918–1941), Zweiter Weltkrieg (1941–1945), der Zusammenbruch des Transport- und Versorgungssystems (1945/46) sowie die Herausforderung des Kalten Krieges (ab 1947) machten eine koordinierte Europapolitik zur zwingenden Notwendigkeit. Sie erreichte im westlichen Teil des Kontinents eine noch nie dagewesene Gestaltungskraft, wobei das Spannungsfeld zwischen Nationalstaat und Supranationalität (S. 119 ff.) bis zuletzt bestand. Verglichen mit anderen geschichtlichen Perioden stellen die Jahrzehnte nach 1945 in Westeuropa eine lange Ruhe- und Stabilitätsphase dar. Die wesentlichen Motive waren der Wunsch nach politischer Kooperation und Friedenssicherung, Behebung der Not, Sicherheit vor der Sowjetunion und Schaffung von Wohlstand. Das machte einen engeren Zusammenschluss der Europäer erforderlich. Angesichts ihrer Schwäche war die militärische Hilfe der USA fast unvermeidlich. Zunächst ging es um die Beseitigung der kriegsbedingten Zerstörungen, die Rekonstruktion der Wirtschaft und den Aufbau demokratischer Strukturen. Die Einigungsbestrebungen beginnend mit der Marshall-Plan-Institution Organization for European Economic Cooperation (OEEC) 1948 in Paris bis zur Errichtung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt im ausgehenden 20. Jahrhundert zeigten, dass ein europäischer Bundesstaat nicht Grundbedingung für den Aufholprozess des Produktivitätsrückstandes, die Herstellung des „Binnenmarktes“ und die Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) war. Hierfür reichten politische Kooperation und partielle Übertragung von Hoheitsbefugnissen aus. Der Ost-West-Konflikt bildete den integrationspolitischen Hintergrund (S.135 ff.). Die Bundesrepublik war als antikommunistisches Bollwerk zentraler Faktor für die US-Europapolitik im Kalten Krieg. Sie wurde zur bewegenden Kraft des westeuropäischen Integrationsprozesses. Für Washington galt daher eine klare Priorität für Westdeutschland vor Frankreich. Als Juniorpartner der USA lieferte seine Wirtschaft Investitionsgüter, während sein Markt wichtiger Warenabnehmer wurde. Dieser Konstellation verdankte die Bundesrepublik ihre rasche Aufwertung als Partner in Westeuropa, gleichwohl sie argwöhnisch beäugt und misstrauisch beobachtet wurde. Der ökonomischen Vereinheitlichung folgte mit Verzögerung die politische Annäherung und Zusammenarbeit. 1. Vom Marshall-Plan zur EWG 1947–1957
In den Jahren von 1948 bis 1958 konstituierten sich eine Reihe westeuropäischer Institutionen. Nach Ankündigung des European Recovery Programs (ERP) durch US-Außenminister George C. Marshall am 5. Juni 1947, welches im Zeichen der containment-Doktrin von Präsident Harry S. Truman stand, bildete sich nach längeren Verhandlungen am 16. April 1948 in Paris die OEEC, um Koordination, Verteilung und Kontrolle der ERP-Mittel, die wirtschaftliche Kooperation der Mitgliedstaaten, gemeinsame Abstimmung der ökonomischen Bedürfnisse sowie Liberalisierung des Handels und Zahlungsverkehrs unter den 17 westeuropäischen Staaten in die Hand zu nehmen. Mitglieder waren Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, die Schweiz, die Türkei und die drei deutschen Westzonen, assoziiert Jugoslawien, Kanada und die USA, die europapolitisch als externe Förderer und ökonomische Impulsgeber (S. 128 ff.) agierten. Am 19. September 1946 hatte der konservative, im Vorjahr abgewählte, nunmehr britische Oppositionspolitiker Winston S. Churchill in Zürich „die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa“ vorgeschlagen, ein bedeutsamer Aufruf zur europäischen Versöhnung, v. a. zwischen Frankreich und Deutschland. Von seinem Schweizer Hauptquartier in Gstaad aus organisierte Coudenhove-Kalergi im Juli 1947 eine Konferenz von Abgeordneten verschiedener Nationen, bei der die „Europäische Parlamentarier Union“ (EPU), einer von vielen Europa-Verbänden, begründet wurde. Es gelang dem Altösterreicher im September eine Versammlung von 114 Abgeordneten aus zehn Ländern zusammenzutrommeln. Mit ihrer Teilnahme am Haager Europakongress vom 8. bis 10. Mai 1948 beabsichtigte die EPU, der „Europäischen Bewegung“ Elan zu geben. Der am 5. Mai 1949 begründete Europarat blieb aber weit hinter den Erwartungen der Konstitutionalisten zurück, die auf eine Verfassungsgebende Versammlung gehofft hatten. Der in Straßburg sitzende „Conseil d’Europe“ bildete mit seiner Beratenden Versammlung als konsultatives Gremium ein Forum zur Diskussion ambitionierter Vorhaben, die jedoch der Zustimmung der nationalen Parlamente bedurften. Mit dem Europarat verbunden sind v. a. die Unterzeichnung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. November 1950, deren verpflichtende Übernahme durch die Mitgliedstaaten sowie zahlreiche kulturpolitische Initiativen. Nach Ideen von Jean Monnet schlug am 9. Mai 1950 Außenminister Robert Schuman eine auf sektoriale Integration (S. 131 ff.) abzielende Initiative vor. Zur Kontrolle des westdeutschen Wirtschaftspotentials sollte die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) geschaffen werden. Nach längeren Verhandlungen zwischen Belgien, der Bundesrepublik, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden wurde am 18. April 1951 ein Vertrag unterzeichnet, der am 23. Juli 1952 in Kraft trat. Auf sicherheitspolitischer Ebene wurde der am 17. März 1948 begründete Brüsseler oder Fünf-Mächte-Pakt (Frankreich, Großbritannien, Belgien, Niederlande, Luxemburg) am 23. Oktober 1954 um Italien und die Bundesrepublik zur Westeuropäischen Union (WEU) erweitert, die u. a. für Rüstungskontrolle zuständig sein sollte. Bereits am 4. April 1949 war in Washington das Atlantische Bündnis, die North Atlantic Treaty Organization (NATO), geschaffen worden, der die USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Italien, die Benelux-Länder, Dänemark, Norwegen, Island und Portugal als Gründungsmitglieder angehörten. Der Vorschlag des französischen Ministerpräsidenten René Pleven zur Bildung einer integrierten Verteidigungsstruktur wurde wegen der günstigen Auswirkung auf die Integrationspolitik und die bundesdeutsch-französische Verständigung von den Föderalisten positiv aufgenommen. Die Absetzung des Themas Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) von der Assemblée Nationale am 30. August 1954 bedeutete aber das Scheitern der Europaarmee (S. 134 f.). Damit wurde nicht nur eine genuin europäische Sicherheitspolitik, sondern auch das Projekt einer die EVG überwölbenden Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) zu Grabe getragen. In sehr knapper Zeit waren eigenständige europäische Institutionen mit weitgehenden Entscheidungsbefugnissen vorgesehen. Was mit EVG und EPG beabsichtigt worden war, ging weit über das hinaus, was erst Jahrzehnte später mit dem Unionsvertrag in Maastricht vereinbart werden sollte! Die 1950er Jahre standen bereits im Zeichen von „Tauwetter“ und Integrationsverlust (S. 135 ff.). Der auch aufgrund einer Renationalisierungswelle in Europa erfolgte Rückschlag konnte von der EU bis heute nicht wettgemacht werden. Die historische Entscheidung vom 30. August 1954 ebnete der NATO-Mitgliedschaft der Bundesrepublik und damit auch der euro-atlantischen Sicherheitsgemeinschaft den Weg. Die französische Ablehnung der EVG trug zur Festschreibung der US-Militärpräsenz auf dem Kontinent bei. In Frankreich vermag sich heute kaum jemand mehr vorzustellen, welche Chance 1954 für Europa vergeben wurde, sich früher und dauerhafter von den USA militärisch zu emanzipieren. Auf der Londoner Neun-Mächtekonferenz (Belgien, die Bundesrepublik, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada, Luxemburg, die Niederlande und die USA, 28. September bis 3. Oktober 1954), die den Weg aus der Krise wies, wurde in der Schlussakte die Aufhebung des Besatzungsstatuts mit der Aufnahme der Bundesrepublik in WEU und NATO verkoppelt. Für die Bundesrepublik galten die Beschränkungen als Besatzungsrecht auch nach dem von Bundeskanzler Adenauer verkündeten „Tag der Souveränität“ vom 5. Mai 1955 nicht nur in Form der bekannten alliierten „Vorbehaltsrechte“ für den Vier-Mächte-Status von Berlin, „Deutschland als Ganzes“, das Truppenstationierungsrecht und den Schutz ihrer Streitkräfte, sondern auch für das Post- und Fernmeldewesen sowie unbeschränktes Agieren alliierter Geheim- und Nachrichtendienste. Diese auf Verhandlungen mit den Westmächten im Oktober 1954 in Paris zurückgehenden Ergänzungen wurden nicht in die offiziellen Verträge, sondern in geheimen Zusatzabkommen mit der NATO festgeschrieben. Die Briten frohlockten: „Das ist das erste Mal, dass wir es geschafft haben, die Deutschen in diesem Punkt festzunageln“ (Josef Foschepoth). Auf der Ratssitzung der NATO wurde...


MICHAEL GEHLER, geboren 1962. Seit 2006 Professor und Leiter des Instituts für Geschichte und Jean Monnet Chair für Vergleichende Europäische Zeitgeschichte an der Stiftung Universität Hildesheim. Senior Fellow am Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI) in Bonn seit 2000. 2013 bis 2017 Direktor des Instituts für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Mitglied der Verbindungsgruppe der Historiker bei der EU-Kommission, Korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Ausland. Gastprofessuren an den Universitäten in Rostock, Salzburg, Leuven, an der Babes-Bolyai Universität Cluj-Napoca sowie an der Ege Universitesi Izmir.


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