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E-Book

E-Book, Deutsch, Band 1, 220 Seiten

Reihe: Kommissarin Nora Nuspliger

Gerber Raclette chinoise

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, Band 1, 220 Seiten

Reihe: Kommissarin Nora Nuspliger

ISBN: 978-3-8392-6642-7
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



China ist mächtig und willkommen im globalen Business, daher halten sich Länder wie die Schweiz, Deutschland und Österreich mit Kritik an der Volksrepublik zurück. Kommissarin Nuspliger und Inspektor Schnyder stechen bei ihrem ersten Fall in ein doppelmoralisches Wespennest von Intrigen, Bestechung und Mord. Zankapfel ist ein monströses Überwachungssystem, das China in der Schweiz erforschen lässt. Die Bundeshauptstadt Bern bietet der scharf gewürzten Geschichte eine beschauliche Bühne mit lauschigem Lokalkolorit.
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2 SEXUELLE BELÄSTIGUNG
Montag, 08.14 Uhr Herrlich duften die zwei Tassen auf dem Küchentisch. Eine quadratische Wanduhr lässt den Sekundenzeiger kreisen, das Radio läuft. Aus den Lautsprechern plärrt der übliche Klamauk zum Tagesbeginn. Alice Nuspliger und Paul Pion, beide um die 30, zelebrieren geradezu förmlich den aromatischen Morgenkaffee, selbstverständlich mit dem obligaten Schäumchen. Für dieses verbindende Ritual haben sie sich eine italienische Topmaschine angeschafft. Kostete viel Geld, doch es hat sich gelohnt. Der Espresso schmeckt genauso wie in Bella Italia, dem besten Kaffeeland der Welt. Das unverheiratete Paar wohnt seit drei Jahren im Mattequartier, unterhalb des Berner Münsters. Zur Miete in einer kleinen, bescheidenen Wohnung, Teil eines ehemaligen Gewerbehauses, direkt an der Aare gelegen, mit Blick auf den Bärengraben. Die meisten Möbel stammen aus dem Brockenhaus, preiswert, doch stilsicher ausgesucht. Ein riesiges Büchergestell steht im Wohnraum, mit den gesammelten Werken von Karl Marx, Ernst Bloch und Bertolt Brecht, auch Soziologe Herbert Marcuse und Friedensforscher Johan Galtung sind vertreten. Irgendwie verzopft. Zeitgenössisch sind immerhin die Philosophen Peter Sloterdijk und Slavoj Žižek. Liberale und linke Ideologie vereint, im intellektuell hippen Gleichschritt der Moderne. Auffällig die unsägliche Menge gestapelter Zeitungen und Zeitschriften auf den alten Industrieböden. Jetzt sitzen Alice und Pion, wie häufig nach dem Aufstehen, am langen Küchentisch, einem angejahrten Juwel mit einer leicht gewölbten Platte aus Lindenholz. Auf dem Handy kontrollieren sie die eingetroffenen Mails, reagieren auf neue SMS und durchstöbern die aktuellen Tweets. Manchmal hört man einen Lacher, ab und zu eine Bemerkung zum Weltenlauf, meist herrscht aber disziplinierte Stille. Facebook lassen sie aus, zu aufwendig. Pion hat beim Bäcker in der Nähe bereits frische Gipfel gekauft, um den Montagmorgen zu überstehen. Der Wochenbeginn zählt nicht zu seinen Stärken. Das Gebäck mindert ein wenig den Blues. »Und wie war gestern die Meisterfeier im Wankdorf?«, fragt er. Alice schreibt als Reporterin für die »Berner Zeitung«, kurz BZ, und bekam eine Spezialerlaubnis zum Besuch der Party in der VIP-Loge des Stadions. Das Stelldichein der Berner Prominenz erwies sich als wahrer Fundus für aufschlussreiche Beobachtungen. Die Promis sind bekanntlich eitel und buhlen diskret, doch gierig um Medienpräsenz. »Sehr spannend, eine illustre Gesellschaft kam da zusammen«, sagt sie. »Komm, erzähl schon!« Pion wird neugierig. »Zuerst lobte unser adliger, wie gewohnt manierlicher Stadtpräsident die Mannschaft offiziell in den feinsten Tönen, dann dankte der poltrige YB-Sportdirektor der Stadt für das Gastrecht. Und natürlich den anwesenden Sponsoren für ihre großzügige Unterstützung.« »Wie heißt er denn, dieser stets herumbrüllende Sportdirektor?« »Fritz Fuhrimann, hemdsärmeliger Fußball-Apparatschik, aber mit allen Wassern gewaschen. Genauso wie der chinesische Milliardär Chung Chen, der auch herumstolzierte. Wie viele andere mehr oder weniger Prominente.« »Wer denn noch?«, fragt Pion ungeduldig. »Spann mich nicht auf die Folter, vor allem frühmorgens!« »Warte, warte, es kommt gleich.« Alice bedient die zischende Maschine und füllt sich eine zweite Tasse, diesmal einen doppelten Espresso. Genüsslich schnuppert sie daran. »Beispielsweise die chinesische Botschafterin und ihr Wissenschaftsattaché, die Staatssekretärin für Wissenschaft aus der Bundesverwaltung und dann eben, wie erwähnt, Chung Chen samt zwei Bodyguards.« »Das tönt ja richtig konspirativ.« Pion reibt sich demonstrativ die Hände. »Waren doch da die wesentlichen Personen versammelt, die mit ›Face & Feeling‹ zu tun haben.« »Face & was?« »Tu nicht so unwissend, meine Liebste. Das regt mich auf.« Pion wird plötzlich aufgebracht, sichtbar beleidigt, nimmt einen kräftigen Schluck aus seiner Tasse, beißt in den weichen Buttergipfel und brabbelt mit vollem Mund: »Du erinnerst dich sicher an meinen Post vor ein paar Wochen über die Machenschaften im Staatssekretariat für Wissenschaft?« Auf Bitte seines Informanten durfte er nicht die ganze Wahrheit aufdecken und hat sich maßlos geärgert. »Klar habe ich das nicht vergessen, Amore, dein Lieblingsstoff zurzeit!«, frotzelt Alice und lacht. »Face & Feeling« heißt das Forschungsprojekt zu einem neuartigen und extrem verlässlichen Gesichtserkennungssystem, dessen leistungsstarker Algorithmus gleichzeitig auch die Gefühle der Identifizierten bestimmen kann. Die Innovation, basierend auf künstlicher Intelligenz, kommt aus den Labors des Zürcher Polytechnikums, größtenteils finanziert von den Chinesen. Pion schreibt auf seinem Blog über wissenschaftliche Themen. Eigentlich ist er freischaffender Journalist, arbeitet zum Geldverdienen jedoch hauptsächlich für Broschüren und Magazine von Universitäten, Fachhochschulen und Bundesämtern. Selten auch für Printmedien, falls er eine heiße Story anbieten kann. Seine Spezialität sind die digitalen Technologien wie Robotik, künstliche Intelligenz und virtuelle Realität. Big Data ist Pions aktuelles Zauberwort, die Verarbeitung und Auswertung Abermilliarden von Daten aller Art. Für Pion führen diese Technologien zu Orwell 2.0, zum global total gläsernen Menschen. Im Westen zum Nutzen der Wirtschaft, im Osten im Dienst autoritärer Staatssysteme. »Und übrigens hat sich Chung Chen heftig an die Staatssekretärin rangemacht«, weiß Alice. »Wie heißt sie nur?« Pion reagiert wie aus der Kanone, immer noch gereizt: »Meret Moser, diese Ehrgeizlerin will alles unter dem Deckel halten, sämtliche Pressionen und Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit ›Face & Feeling‹, das die Chinesen unbedingt möglichst rasch und vor allem exklusiv als Produkt auf den Markt bringen wollen.« Er scheint aufgewühlt und knipst sich nervös eine elektronische Zigarette an. »Ich weiß, ich weiß. Du wiederholst dich, komm herunter!« Alice verfasste kürzlich in der BZ ein hintergründiges Porträt über Chen, das nicht überall gut angekommen ist. Der Chefredaktor selbst hat es redaktionsintern gerühmt, die chinesische Botschaft hingegen protestiert, weil darin »sicherheitsrelevante und ökonomisch heikle Informationen« publik geworden seien. Das werde Folgen haben, drohte die diplomatische Vertretung. So konnte man erfahren, dass Chen, einer der 400  US-Dollar-Milliardäre Chinas, kürzlich ein Viertel der Aktien der Schweizerischen Bundesbahnen erworben hat und nun lukrative Bahnstrecken wie diejenige zwischen Zürich und Bern mit Superschnellzügen befahren lassen will. Diese Nachricht löste in den sozialen Medien einen landesweiten Shitstorm aus. Die SBB in fremden Händen, hierzulande ein absolutes No-Go! Allerdings erfordert die geplante Expressbahn noch erhebliche Investitionen ins Schienennetz, denn die Schweiz hat die Bahninfrastruktur in den letzten Jahrzehnten sträflich vernachlässigt. Da die Bundesbahnen mehrheitlich im öffentlichen Besitz sind, muss der Staat hier einiges an Geld einsetzen. Der neureiche Chinese schert sich aber um langfristige Finanzvorhaben und will möglichst schnell absahnen. Genauso wie in Argentinien, wo Chen ein Dutzend Rinderfarmen aufgekauft hat, um dort die Steaks für den rasant wachsenden Mittelstand Chinas produzieren zu lassen. Auch der Schweizer Fußballmeister profitiert von Chens Geldsegen, konnte man lesen. Die Berner Young Boys sind ein traditionsreicher Verein, kennen aber keinerlei Skrupel gegenüber dem schnöden Mammon der Moderne. Den argentinischen Starspieler Benito Banegas, unangefochtener Torschützenkönig der helvetischen Meisterliga, verdankt YB dem chinesischen Mäzen. Chen hat den Mittelstürmer für eine traumhaft hohe Summe von den legendären Boca Juniors in Buenos Aires eingekauft. Alice brachte in der BZ auch die eitlen Seiten des Tycoons zur Sprache, der aus der südchinesischen Hightech-Metropole Shenzhen stammt. Er fährt einen knallroten Zotye SR9. Der luxuriös-sportliche SUV aus China ist dem Porsche Macan wie aus dem Gesicht geschnitten. Eine exakte Kopie, nur um einiges günstiger. Damit wolle er vor allem den Frauen imponieren, sagen böse Zungen. »Wie gesagt, gestern Abend ist Chen der Sprit nach einigen Gläsern Prosecco bös in den Kopf gestiegen. Genetisch bedingt bauen seine Enzyme den Alkohol sichtlich langsamer ab als bei anderen Ethnien«, nimmt Alice lakonisch den Faden wieder auf. »Stell dir den klein gewachsenen Chinesen vor, wie er sich vor der zwei Köpfe größeren Staatssekretärin Moser aufplustert. Sie im schicken, weißen Hosenanzug, er im zerknitterten Tenue und loser Krawatte. Mit seinen ausgelatschten, dunkelbraunen Schlupfschuhen trampelte er beinahe auf ihre dezent weinroten Pumps. Ich war nahe dabei.« »Wie in einem schlechten Film«, bemerkt Pion schnippisch und bläst den Dampf seiner E-Zigarette großzügig in die Küche. »Aber getoppt von der Realität«, ergänzt Alice schlagfertig. »Die Riesin und der Wicht, eng miteinander verstrickt«, meint Pion und grübelt stumm weiter: Moser managt im Auftrag des Bundes »Face & Feeling«. Das internationale Vorzeigeprojekt entscheidet über ihre weitere Karriere. Chen wirft dafür viel Geld ein und will die Resultate in Form von Patenten und Lizenzen einstreichen. Davon verspricht er sich ein Bombengeschäft, mehrere Regierungen zeigen großes Interesse. »Nun, gestern glaubte Chen,...


Gerber, Beat
Beat Gerber, Jahrgang 1949, ist studierter Ingenieur und Wissenschaftsjournalist im Unruhestand, mit langjähriger Berufserfahrung in Industrie, Umweltberatung, Medien und Hochschulkommunikation. Heute schreibt und zeichnet er allerlei Groteskes über unsere globalisierte Welt, meist mit satirischem Unterton. Auch Gastrokritiken sind sein Steckenpferd. Ansonsten streunt er durch die multikulturellen Städte dieses Planeten, besonders Buenos Aires hat es ihm angetan. Geboren und aufgewachsen in Bern, lebt er in seiner Heimatstadt und in Südfrankreich.

Beat Gerber, Jahrgang 1949, ist studierter Ingenieur und Wissenschaftsjournalist im Unruhestand, mit langjähriger Berufserfahrung in Industrie, Umweltberatung, Medien und Hochschulkommunikation. Heute schreibt und zeichnet er allerlei Groteskes über unsere globalisierte Welt, meist mit satirischem Unterton. Auch Gastrokritiken sind sein Steckenpferd. Ansonsten streunt er durch die multikulturellen Städte dieses Planeten, besonders Buenos Aires hat es ihm angetan. Geboren und aufgewachsen in Bern, lebt er in seiner Heimatstadt und in Südfrankreich.


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