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E-Book, Deutsch, Band 21, 156 Seiten

Reihe: Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie

Goldbeck / Münzer / Allroggen Sexueller Missbrauch

E-Book, Deutsch, Band 21, 156 Seiten

Reihe: Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie

ISBN: 978-3-8409-1680-9
Verlag: Hogrefe Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Sexueller Missbrauch ist ein traumatisches Kindheitsereignis mit oftmals weitreichenden Folgen. Sowohl bei Betroffenen und ihren Bezugspersonen als auch bei Therapeuten lösen sexueller Missbrauch oder auch Verdachtsmomente, die auf einen möglichen Missbrauch hinweisen, häufig Verunsicherung aus. Ziel des Leitfadens ist es, therapeutisch tätigen Berufsgruppen Sicherheit im Umgang mit Missbrauchsfällen bzw. Verdachtsfällen zu vermitteln. Zu diesem Zweck werden aktuelle Erkenntnisse zur Epidemiologie sexuellen Missbrauchs, zu Folgeerscheinungen, zu rechtlichen Rahmenbedingungen, zur Diagnostik und zur Interventionsplanung dargestellt.
Kernstück des Bandes sind Handlungsempfehlungen und Leitlinien für das Erkennen sexuellen Missbrauchs, den Umgang mit Hinweisen darauf und für die Vernetzung mit der Jugendhilfe. Das konkrete Vorgehen bei der Diagnostik von Folgestörungen sowie bei der Durchführung von Interventionen mit Betroffenen wird beschrieben. Auch der Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die übergriffiges Verhalten zeigen, wird erläutert. Diagnostische Verfahren und Behandlungsprogramme, die im Zusammenhang von sexuellem Missbrauch eingesetzt werden können, werden kurz beschrieben. Materialien für die klinische Arbeit mit sexuell missbrauchten Kindern und Jugendlichen sowie die Darstellung von Fallbeispielen, die auch die Prinzipien der Kooperation mit außerklinischen Institutionen illustrieren, runden den Band ab.
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Zielgruppe


Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Kinder- und Jugendpsychiater, Kinder- und Jugendmediziner, Ärztliche und Psychologische Psychotherapeuten, Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Forensische Sachverständige, Schulpsychologen, (Sozial-) Pädagogen, Sozialarbeiter sowie Mitarbeiter in Familienberatungsstellen.

Weitere Infos & Material


1;Sexueller Missbrauch;1
1.1;Einleitung: Begriffe, Grundlagen, Zielsetzung und Aufbau des Buches;7
1.2;Inhaltsverzeichnis;15
2;1 Stand der Forschung;19
2.1;1.1 Definitionen;19
2.2;1.2 Epidemiologie;21
2.3;1.3 Entwicklung kindlicher Sexualität, Pubertät und neue Medien;23
2.4;1.4 Kontexte sexuellen Missbrauchs;27
2.5;1.5 Wer sind die Täter?;28
2.6;1.6 Psychische Folgen sexuellen Missbrauchs;32
2.7;1.7 Diagnostik und Therapie;37
3;2 Rechtliche Rahmenbedingungen, Leitlinien und Handlungsempfehlungen;45
3.1;2.1 Rechtlicher Rahmen der klinischen Versorgung sexuell missbrauchter Kinder und Jugendlicher;46
3.2;2.2 Zeitlicher Rahmen fu?r Diagnostik und Intervention;69
3.3;2.3 Aktives Trauma- und Belastungsscreening;70
3.4;2.4 Klärung von Hinweisen auf Missbrauch;72
3.5;2.5 Dokumentation der Hinweise auf einen sexuellen Missbrauch;74
3.6;2.6 Beratung und Psychoedukation nach Feststellung eines Missbrauchs;75
3.7;2.7 Kooperation im Kinderschutz;76
3.8;2.8 Gefährdungseinschätzung;78
3.9;2.9 Beteiligung des betroffenen Kindes oder Jugendlichen;79
3.10;2.10 Beteiligung von Bezugspersonen;82
3.11;2.11 Traumafokussierte Psychodiagnostik;84
3.12;2.12 Stellenwert körperlicher Untersuchungen;87
3.13;2.13 Traumafokussierte Psychotherapie;89
3.14;2.14 Komponenten traumafokussierte Psychotherapie;91
3.15;2.15 Stellenwert psychopharmakologischer Interventionen bei Missbrauchsfolgestörungen;94
3.16;2.16 Evaluation von Interventionen;95
3.17;2.17 Interventionen mit minderjährigen Tätern und Täterinnen;96
4;3 Verfahren zum Erkennen von Missbrauch, zur Diagnostik und Therapie bzw. der Linderung von Missbrauchsfolgen;98
4.1;3.1 Verfahren zur Diagnostik;98
4.2;3.2 Verfahren zur Therapie;102
5;4 Materialien;106
5.1;M01 Ablaufschema zum allgemeinen Vorgehen;107
5.2;M02 Exemplarischer Entscheidungsbaum: Vorgehen bei Hinweisen auf Kindeswohlgefährdung durch sexuellen Missbrauch, Vernachlässigung oder Misshandlung;108
5.3;M03 Checkliste potenziell traumatischer Erlebnisse;109
5.4;M04 Child and Adolescent Trauma Screening Questionnaire (CATS);113
5.5;M05 Hilfreiche Links;119
5.6;M06 Regionales Hilfesystem – Erstellen einer Kontaktliste;120
5.7;M07 Leitfragen fu?r die Psychoedukation zu sexuellem Missbrauch;123
6;5 Fallbeispiele;124
6.1;5.1 Martin;124
6.2;5.2 Melina;126
6.3;5.3 Susanne;129
6.4;5.4 David;133
6.5;5.5 Kevin;134
7;6 Literatur;136
8;Anhang;150
8.1;Abku?rzungsverzeichnis;150
8.2;Glossar;152


|V|Einleitung: Begriffe, Grundlagen, Zielsetzung und Aufbau des Buches
Begriffe
Kaum ein Gebiet im Bereich von Beratung und Psychotherapie ist in den letzten Jahrzehnten ideologisch so stark umstritten gewesen wie der Umgang mit Missbrauchsverdacht in der Therapie und der Umgang mit Betroffenen in Beratung und Therapie. Die ursprüngliche Einführung des Begriffs sexueller Missbrauch war eine an sich falsche Übersetzung aus dem Englischen, wo „Abuse“ für Misshandlung (child abuse?=?Kindesmisshandlung) steht. Im deutschsprachigen Gebrauch hat sich der Begriff sexueller Missbrauch eingebürgert, während wir im Zusammenhang von körperlichen Übergriffen von Misshandlung sprechen. Abweichend davon ist der Sprachgebrauch in der ICD-10-GM, also der regierungsamtlichen Fassung der ICD-10, die in den Codes T?74 alle Misshandlungsformen als Missbrauch bezeichnet. Vergleichbare Formulierungen finden sich auch in deutschen Publikationen, die den Childhood Trauma Questionnaire verwenden (z.?B. Häuser et?al. 2011), wo auf diese Kategorienbildung Bezug genommen wird. Während Kavemann und Lohstöter (1999) in ihrem Buch Väter als Täter den Begriff sexueller Missbrauch in Deutschland populär machten und ihn auch in der häufig feministisch orientierten Beratungsszene etablierten, grenzten sich systemisch- oder familienorientierte Beratungsangebote zur damaligen Zeit meist durch den Gebrauch von Begriffen wie Inzestfamilie etc. ab (vgl. Fegert, 1991). Zentral in der Debatte war schon damals die Frage, ob es sich bei diesen Übergriffen primär um Gewaltakte in einem Gewaltverhältnis, um Sexualstraftaten oder um ein Symptom einer dysfunktionalen Familie handelt. Je nach Einstellung der Autorinnen und Autoren weist der jeweilige Sprachgebrauch auf kausale Vorstellungen zur Entstehung hin, je nachdem, ob stärker der Gewaltaspekt, die Abhängigkeit und die strukturelle Gewalt in Institutionen betont wird oder ob – wie z.?B. im Zusammenhang mit der Pädophiliedebatte in der Sexualmedizin – stärker sexuelle Neigungen und Persönlichkeitsentwicklungen thematisiert werden. So gab es z.?B. lange Zeit in der systemischen Analyse, vor dem Hintergrund von Homöostase-Modellen, keinen Raum für eine Machtanalyse. In der Sicht auf die sogenannte „Inzestfamilie“ gab es deshalb häufig auch keine Verwendung der Begriffe „Täter“ und „Opfer“, sondern es wurde von Symptomträgern und der Funktionalität des Verhaltens im systemischen Zusammenhang gesprochen. Sowohl der Täterbegriff als auch der Opferbegriff sind ebenfalls belastet und sollten reflektiert verwendet werden. In der Forschungsliteratur wird unter „perpetrator“ häufig die Person beschrieben, welche den Übergriff begangen hat, unabhängig davon, ob der Übergriff nun im strafrechtlichen Sinne als Sexualstraftat eingeordnet werden kann. Sexualstraftäter („sexual offender“) sind also Personen, welche im strafrechtlichen Sinne gegen entsprechende Gesetzesnormen verstoßen haben. Gerade weil falsche Beschuldigungen erhebliche Folgen haben können, halten wir es im klinischen Kontext für wichtig, wenn sich ein Kind anvertraut oder Angehörige bestimmte Be|VI|schuldigungen vorbringen, nicht im Sinne einer Vorverurteilung generell vom Täter zu sprechen, sondern von Angeschuldigten, wenn Berichte oder Stellungnahmen abgefasst werden. Denn nicht alle Personen, die verdächtigt werden, sind im strafrechtlichen Sinne tatverdächtig. Hier muss es sich schon um einen rechtlich substanziierten Vorwurf handeln. Nicht alle von der Polizei als tatverdächtig Betrachteten werden von den Staatsanwaltschaften angeklagt, und nur ein Teil der Angeklagten wird verurteilt. Gerade im Fall von Sexualstraftaten gibt es auch noch andere Aburteilungswege, bei Ersttätern häufig Verfahrenseinstellung gegen Zahlung einer Geldbuße. All dies wird in Alltagsdiskussionen, aber auch in klinischen Supervisionen häufig unter dem Begriff Täter zusammengefasst. Hier sollten sich Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen sowie -therapeuten und alle, die sich um betroffene Kinder kümmern, um eine Präzision in der Sprache bemühen. Auch der Opferbegriff ist schillernd und problematisch. Betroffene selbst haben argumentiert, dass sie der Opfer-Begriff auf diese passive Sicht im Sinne des Strafrechts reduziert. Der Opfer-Begriff wird im Kontext sogenannter Opferentschädigungsverfahren im sozialen Entschädigungsrecht gebraucht. Er findet sich auch in anderen juristischen Kontexten wie Täter-Opfer-Ausgleich, Opferanwalt, Opferbegleitung im Sinne von Opfer einer Straftat. Wichtig ist, dass Betroffene stets Menschen mit unterschiedlichen Potenzialen und Ressourcen sind, die durchaus nicht alleine nur auf eine Opferrolle reduziert werden möchten. Metaphern wie die zum Teil in der populärpsychologischen Literatur verbreitete „Seelenmord-Metapher“ sind deshalb gefährliche Zuschreibungen. Immer wieder ist in der politischen Debatte um die Angemessenheit von Verjährungsfristen und Strafmaßen sexueller Missbrauch als „Seelenmord“ bezeichnet worden. In dieser Argumentation wurde dann gefordert, da Mord auch nicht verjähre, sexuellen Missbrauch ebenfalls nicht verjähren zu lassen. Manche Betroffene haben damit argumentiert: „Wir haben auch lebenslänglich, soll der Täter doch ebenfalls lebenslänglich bekommen.“ Empirisch wissen wir, dass unter bestimmten Umständen betroffene Kinder und Jugendliche auch relativ resilient selbst auf massive Belastungen wie sexuellen Missbrauch reagieren können. Insofern sind solche reduktionistischen Bilder und Festschreibungen aus therapeutischer Sicht abzulehnen. Ein weiteres sprachliches Missverständnis hat bei der Übertragung des Begriffs „Disclosure“ aus dem Englischen ins Deutsche in den 1990er Jahren eine erhebliche Rolle gespielt. Unter Disclosure wird der Prozess des sich Anvertrauens, der Offenbarung, z.?B. gegenüber einem Helfer, verstanden. In Deutschland wurde in den 1990er Jahren der Begriff „Aufdeckung“ als Übersetzung populär. Dieser implizierte aber im Gegensatz zum englischsprachigen, ursprünglichen Begriff ein aktives, investigatives Vorgehen. Unsere Untersuchung im beraterischen und strafrechtlichen Feld in Köln und Berlin (Fegert et?al., 2001) zeigte für das Ende der 1990er Jahre in den damals durchgeführten qualitativen Interviews und quantitativen Erhebungen eine ziemliche Verwirrung der verschiedenen Professionen, wo sich Strafverfolger vor allem als Helfer für die Kinder definierten, während Beratende und Behandelnde häufig über Beweissicherung, Aufdeckung usw. redeten. Besonders exponiert mit zum Teil skurrilen, suggestiven Vorschlägen zur Aufdeckungsarbeit in Gruppen hat sich der |VII|mittlerweile emeritierte Münsteraner Kinder- und Jugendpsychiater Tilmann Fürniss, der zu dieser Zeit systematisch Kurse zur „Aufdeckungsarbeit“ abgehalten hat. Er sprach von einem „Syndrom der Geheimhaltung“ (Fürniss, 1991). Die Auseinandersetzung um suggestive Methoden im Umgang mit dem von Fürniss postulierten „Syndrom der Geheimhaltung“ kulminierte in den Mainz-Wormser Prozessen und der damit verbundenen Debatte um den sogenannten „Missbrauch mit dem Missbrauch“, die letztendlich zum deutschen Sonderweg in der Glaubhaftigkeitsbegutachtung durch die Rechtsprechung des BGH in Strafsachen vom 30. Juli 1999 (1StR618/98) führte (vgl. Fegert 2001). Wir verwenden deshalb in diesem Buch und in unserer praktischen Tätigkeit den Begriff Aufdeckung nicht, sondern verwenden entweder den englischen Fachbegriff Disclosure oder sprechen von sich mitteilen oder sich offenbaren. In der Sexualwissenschaft wird sexueller Missbrauch sehr stark unter dem Aspekt des Sexualtriebs unter fantasierten oder vollzogenen sexuellen Handlungen betrachtet, wobei es um Neigungstäter, wie Menschen mit einer Pädophilie, also einer fixierten Sexualpräferenz geht, im Unterschied zu „Gelegenheitstätern“, welche unter bestimmten Bedingungen, bei ansonsten unauffälliger sexueller Orientierung auf erwachsene Sexualpartner als Objekte, dann Kinder als Sexualobjekte wählen. Generell im Vordergrund dieser häufig auch auf die Persönlichkeitsentwicklung und die Sexualentwicklung Bezug nehmenden sexualmedizinischen Debatte ist die Betrachtung der Taten in Bezug auf die sexuelle Komponente des Übergriffs. In der soziologischen Analyse, welche von der Betrachtung von Gewalt und Geschlechterverhältnissen ausgeht, wird zur Betonung dieses zentralen Machtgefälles häufig nicht von sexueller Gewalt, sondern von sexualisierter Gewalt gesprochen, um deutlich zu machen, dass es sich um eine Form der Macht- oder Gewaltausübung handelt, welche im scheinbar sexualisierten Gewande daherkommt (vgl. Gerstendörfer, 2007). In der Verhaltensbeschreibung hat durch die frühen Arbeiten von Friedrich das Adjektiv ...


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