Gottschalk | Das Glück kommt von oben | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 312 Seiten

Gottschalk Das Glück kommt von oben

Mein Leben als Schornsteinfeger

E-Book, Deutsch, 312 Seiten

ISBN: 978-3-8448-3974-6
Verlag: Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



50 Jahre Schornsteinfegerleben zeigen den Wandel der Gesellschaft in anschaulichen Geschichten und Anekdoten.
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Kapitel 1
Lehrzeit
1
Am 31.03.1959 begann ich meine Lehre als Schornsteinfeger. Eigentlich hätte ich die Lehrzeit erst am 01.04.1959 beginnen müssen. Mein Lehrmeister, Bezirkschornsteinfegermeister Michael Klinkenberg, machte mir den Vorschlag, schon einen Tag vorher anzufangen, um erste Eindrücke als Schornsteinfeger wahrzunehmen. Ich war erst 14 Jahre alt und hatte gerade die Schulbildung in der Volksschule abgeschlossen. Nun begann ein neuer Lebensabschnitt, den ich mit großer Freude beginnen wollte. Die Berufskleidung wurde nach Absprache meines Lehrmeisters im Vorstellungsgespräch passend bestellt, so dass ich schon am ersten Tag wie ein Schornsteinfeger aussehen sollte. Mein Wohnort und Elternhaus war in Übach-Palenberg. Ich musste mit der Deutschen Bundesbahn vom Bahnhof Palenberg bis nach Aachen-West fahren, um zur Arbeit zu kommen. Der Zug fuhr jeden Morgen um 7.05 h und war 7.35 h in Aachen-West. Damals fuhr man noch mit Kohle, Wasser und einer schwarzen Dampflok. Da wir als Schornsteinfeger sehr stark mit Ruß verschmutzt waren, durften wir nicht in einem normalen Zugabteil. Unser Mitfahrplatz war im Packwagon oder auch schon mal vorne auf der Dampflok. Somit lernte ich Lokführer, Heizer, Zugführer, Schaffner und Paketmeister kennen. Das war das Zugpersonal eines Zuges. Nach geraumer Zeit sah man die Bundesbahnbeamten durch den Wechsel des Fahrplanes immer wieder. Nun fuhr ich am ersten Tage mit einem sauberen, funkelnagelneuen Schornsteinfegeranzug nach Aachen-West. Zu Fuß ging es weiter bis zur Kruppstraße, die in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs lag. Dort erwartete mich schon mein Meistergeselle Josef Radermacher. Als ersten Eindruck empfand ich ihn sehr sympathisch und vorsorglich. Für mich eine absolute Respektperson. Er stellte sich mit seinem Namen vor und wünschte mir einen guten Anfang. Herr Radermacher kam mit einem alten Motorrad, Marke Miele, worauf eine selbstgebastelte Holzkiste auf dem Gepäckständer montiert war. Diese Kiste war unsere Werkstatt bei der Arbeit. Darin befanden sich Fegewerkzeuge, Schraubenschlüssel, Zangen und zur Stärkung auch Butterbrote. Als allererstes übergab mir Herr Radermacher eine Fegeleine mit Kugelschlagapperat, Kugel, Kette und einen Kehrbesen. Ein Spezialwerkzeug für den Schornsteinfeger. Ein weiteres Werkzeug bekam ich ausgehändigt, dass Schultereisen. Hinzu noch eine 5 Meter flexible Stahlstange und ein oval gedrückter Sauerkrauteimer, der als Rußgefäß benutzt werden sollte. Das war mein alltägliches Werkzeug. Nun stand ich da, mit dem typischen Kehrwerkzeug, auf dem Bürgersteig der Kruppstraße. Herr Radermacher klingelte auf alle Schellen im ersten Haus und rief sehr laut in den Hausflur hinein: „Schornsteinfeger, es wird gefegt!“ Im nächsten Haus sollte ich meine Stimme erschallen lassen. Trotz großer Anstrengung kam meine jugendliche Stimme sehr schwach an. Im Hausflur hörte ich ein lautes Gelächter der dort wohnenden Mieter. Auf Aachener Platt wurde mir zugerufen: „Mir hand et gehurt.“ Mein Meistergeselle ermunterte mich nun im nächsten Hausflur etwas lauter zu rufen, damit alle Mieter auch hören könnten, dass die Schornsteinfegerarbeiten gemacht werden sollten. Dies war erforderlich, damit die Bewohner ihre Feuerstellen vorher abdichten konnten. Meine Stimme war dann schon wieder viel zu leise. Es funktionierte nicht. Mein Rufen konnte ich nicht steigern. Die gleiche Belustigung der Bewohner bekam ich dann wieder zu hören. Mein Meistergeselle übernahm dann wieder mit seiner Bärenstimme die Ansage für die Schornsteinreinigung. Mehrere Häuser, die aneinandergebaut waren bildeten eine Häuserreihe. In einem der Häuser gingen wir bis zum Speicher. Durch ein Dachfenster stiegen wir aufs Dach. Vorher musste ich mein Schultereisen von der linken Schulter nehmen. Denn ein Schultereisen durfte nicht mit aufs Dach genommen werden. Es war strengstens untersagt. Wäre es von der Schulter gerutscht, hätte es großen Schaden anrichten können. Das Schultereisen wurde überwiegend zur Rußentnahme benötigt und für Schornsteine die vom Speicher gereinigt wurden. Dann diente das Werkzeug als Führung der Leine. An scharfkantigen Schornsteinöffnungen wurde dadurch der Verschleiß der Leine gemindert. Ausgerüstet mit der Fegeleine über die rechte Schulter sollte ich nun durch die Dachluke aufs Dach steigen. Die Dächer hatten ca. 45 Grad Dachneigung. Mein Meistergeselle erklärte mir die Form eines Satteldaches. Guter Rat war teuer. Die Dachluke war in Kopfhöhe zu erreichen. Ich machte unmögliche Anstrengungen, um aus diesem Dachfenster zu klettern. Doch Herr Rademacher gab mir Hilfestellung. Er drückte mein Hinterteil hoch. So kletterte ich sehr ungelenk aufs Dach. Jetzt befand ich mich am unteren Teil der Dachfläche. Ich musste feststellen, dass ein fünfstöckiges Haus eine beträchtliche Höhe sein kann. Das mulmige Gefühl in der Magengegend wurde automatisch angeregt. Mein Meistergeselle packte mit seiner rechten Hand unter meinem Koppel (Gürtel). Er gab mir damit eine gewisse Sicherheit und meine Angst wurde somit nicht noch größer bei der Besteigung des Daches. Es ging hinauf bis in die Nähe des Firstes. Nun musste ich mich auf eine Schornsteingruppe setzen. Von dieser Stelle hatte ich jetzt einen wunderschönen Ausblick über Aachen-West. Herr Rademacher tätigte die Fegearbeiten. Er ging von Schornsteingruppe zu Schornsteingruppe und fegte die Schornsteine. Seine jahrelange, praktische Erfahrung zeichnete seine Schnelligkeit aus. Nun dauerte die Reinigung der vielen Schornsteine etwa eine halbe Stunde. Ich durfte derweil auf keinen Fall meinen Sitzplatz auf der Schornsteingruppe verlassen. Es gab Vorschriften: ‘Wie gehe ich übers Dach und wie verhalte ich mich dort sicher‘. Außerdem hatte ich keine Unfallverhütungsschuhe an, die waren bestellt aber noch nicht da. Nach Beendigung der Arbeiten kam Herr Rademacher vom letzten Dach zu mir zurück. Dabei lief er über den First wie ein Seiltänzer. Ich war wieder sehr beeindruckt und zweifelte damals schon daran, ob ich das auch irgendwann so schaffen würde. Mein Meistergeselle griff zur Sicherheit wieder unter meinem Gürtel. Jetzt musste ich zurück zur Dachluke. Ich war heilfroh, dass ich den Speicherboden wieder unter meinen Füßen hatte. Es war meine erste gefährliche Dachbegehung, die ich in guter Erinnerung behalten habe. Als nächstes gingen wir bis in den Keller. An den Sohlen der Schornsteine wurde der abgekehrte Ruß in den Blecheimer gefüllt. Damals war noch sehr viel Ruß in den Schornsteinen und die Kehrordnung schrieb eine sechsmalige Reinigung jedes Jahr vor. Nach dem ersten Versuch, den Ruß zu entfernen, war ich schnell mit Ruß behaftet. Ich merkte zunächst umso mehr den Rußanteil, der sich auf Gesicht und Hände verteilte. So ging ich mit meinem Meistergesellen zum nächsten Haus. Hier erlebte ich die erste Beschwerde eines Mieters. Starke Rußeinstaubung hatte die Wohnung verschmutzt. Energisch, im Aachener Dialekt behauptete er, wir hätten zu schnell gefegt und er habe dadurch das Wohnzimmer voller Rußstaub. Freundlich erklärte mein Meistergeselle, dass er bei der nächsten Schornsteinreinigung seine Feuerungsanlage abdichten sollte, dann könne auch kein Ruß in die Wohnung dringen. Der Mieter schimpfte aber trotzdem weiter und knallte uns die Wohnungstür vor der Nase zu. So verging der Vormittag ziemlich rasch. Den ersten unzufriedenen Kunden hatte ich nun kennengelernt. Die Mittagspause war nur von kurzer Dauer. Gerade einige Butterbrote gegessen und schon standen die nächsten Schornsteinfegerarbeiten an. Der Pontwall ist eine Straße direkt an der Technischen Hochschule Aachen. Wir bestiegen wieder ein Dach und ich durfte mit dem passenden Werkzeug meinen ersten Schornstein fegen. Es war gar nicht so einfach, wie es aussah. Runter ging der Kehrbesen mit viel Mühe. Umso schwerer wurde das heraufziehen des Kehrbesens. Man brauchte schon eine gewisse Kraftanstrengung um das Kehrgerät wieder nach oben zu bekommen. Dabei muss ich wohl eine unbeholfene Figur gemacht haben. Herr Rademacher lachte sich ins Fäustchen. Er kannte nur zu gut die ersten Versuche eines Lehrlings, einen Schornstein zu fegen. Letztendlich half er mir beim Hochziehen des Kehrwerkzeugs. Schnell verging der erste Lehrtag. So stand ich am Bahnsteig und wartete auf den Zug. Schon am ersten Tag hatte ich keine Zweifel gehabt, dass dieser Beruf als Schornsteinfeger für mich der Richtige sei. Bei der Rückfahrt sprachen die Bundesbahnbeamten richtig kumpelhaft mit mir. Sie machten mir Mut mit einigen Sprüchen: ‘Aller Anfang ist schwer; Lehrjahre sind keine Herrenjahre‘. Diese Sprüche kannte ich allerdings von meinem Vater. Der Zielbahnhof war erreicht. Ich stieg aus dem Packwagen und winkte den Zugbegleitern zu. Einige Freunde und Schulkameraden aus Palenberg gingen mit mir gemeinsam zum Ausgang des Bahnhofs. Als sie mich in meiner Schornsteinfegerkleidung sahen, riefen sie: „Schornsteinfeger, schwarzer Neger; oder Schornsteinfeger Lampe ging zu seiner Tante usw.“ Viele Blicke trafen mich. Als jugendlicher schämte ich mich über diese Anmerkungen. Dabei stellte...


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