Gschwend | Mütter ohne Liebe | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 121 Seiten, Gewicht: 240 g

Gschwend Mütter ohne Liebe

Vom Mythos der Mutter und seinen Tabus

E-Book, Deutsch, 121 Seiten, Gewicht: 240 g

ISBN: 978-3-456-74740-8
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Medien und Werbung setzen uns täglich eine heile, idyllische Mutter-Kind-Welt vor. Es gilt als ein Sakrileg, die Position der Mutter anzugreifen oder das Wesen der Mutter-Kind-Beziehung zu hinterfragen. Das vorliegende Buch strebt, jenseits der verklärenden Sicht des Muttermythos, eine sachlichere und vollständigere Wahrnehmung von Müttern und Mutter-Kind-Beziehungen an, denn es kann zu viel Verwirrung und unerkanntem Leid in der Beziehung zwischen Müttern und ihren Kindern führen, ein idealisiertes und falsches Bild der Mutter aufrechtzuerhalten. Zu den hier thematisierten 'Unaussprechlichkeiten' der Mutter-Kind-Beziehung gehören insbesondere Aspekte wie das Eigeninteresse der Mutter am Kind, die Ablehnung der Mutterschaft und das Phänomen der Abneigung, Aggression und Destruktivität gegen die eigenen Kinder, das wohl eines der letzten großen Tabuthemen unserer Gesellschaft ist. Das Buch rüttelt am Mythos der Mutter und thematisiert realitätsnah verborgene und verleugnete 'Schattenseiten', die dem gesellschaftlichen Bild der Mutter nicht entsprechen, jedoch zur alltäglichen Realität von Kindern und Müttern gehören. Dabei spricht es sowohl eine breite Öffentlichkeit als auch ein interessiertes Fachpublikum an und lädt zur Diskussion ein.
Gschwend Mütter ohne Liebe jetzt bestellen!

Zielgruppe


Psychologen, Therapeuten


Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1  Mutterliebe Dieses Kapitel beschäftigt sich unter historischen und psychologischen Vorzeichen mit dem Phänomen der Mutterliebe und wird von folgenden Fragen begleitet: Handelt es sich bei der Mutterliebe um einen Instinkt, ist sie naturgesetzlicher Art? Ist sie ein Gefühl oder eine bestimmte Art von Verhalten? Ist sie immer und überall gleich oder fällt sie, interkulturell und historisch betrachtet, verschieden aus? Entsteht Mutterliebe «automatisch», wenn eine Frau Mutter wird und ist sie überhaupt auf die biologische Mutter beschränkt? 1.1  Zur Geschichte der Mutterliebe Die meisten Menschen glauben, Mutterschaft und Mutterliebe seien zeitlose Phänomene. Wir machen uns wenig bewusst, dass unsere heutigen Vorstellungen davon eine Geschichte haben und ideologisch geprägt sind. Mutterliebe ist weder eine übergeschichtliche Konstante noch eine universelle Haltung von Müttern, die unabhängig von Zeit und Raum existiert. Zwar werden Kinder seit jeher «bemuttert» und erfahren Fürsorge und natürlich gab es zu allen Zeiten liebevolle Mütter. Vorstellungen, dass die Mutterschaft Sinn und Zweck, Beruf und die eigentliche wahre Erfüllung eines Frauenlebens sei und das Kind nur in mütterlicher Obhut gut gedeihen könne, sind jedoch kulturgeschichtlich gesehen vielleicht gerade einmal zehn Minuten alt und ein Produkt des (bürgerlichen) 19. Jahrhunderts. Vorher sah es ganz anders aus mit den Vorstellungen von Mutterliebe, der Bedeutung der Mutter und der Beziehung zwischen Mutter und Kind. Die folgenden Ausführungen zur Geschichte der Mutterliebe beziehen sich in erster Linie auf die Werke von Elisabeth Badinter und Yvonne Schütze, die zu diesem Thema über europäische und amerikanische Verhältnisse profund und aufschlussreich geforscht und geschrieben haben. 1.1.1  Das 18. Jahrhundert: Mutterschaft ohne Sentimentalitäten Noch bis weit ins 18. Jahrhundert hinein war Mutterliebe mit keinem speziellen sozialen und moralischen Wert verbunden. Mutterschaft lag fern jeder Idealisierung und mütterliche Aufgaben erfuhren keine besondere Beachtung oder Wertschätzung. Auch um Kinder wurde nicht viel Aufhebens gemacht. Ihre Wertigkeit, ihre Rolle und ihr Ansehen ist nicht zu vergleichen mit der heutigen Stellung des Kindes in unserer Gesellschaft. Im Allgemeinen zählten Kinder, insbesondere in der Kleinkindphase, nicht viel; vor allem von Frauen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten mussten, wurden sie nicht selten als Unglück betrachtet. Frauen aller Gesellschaftsschichten waren mehr oder weniger ständig schwanger und hatten oft sechs, acht oder mehr, natürlich nicht geplante Kinder. Und selbstverständlich arbeiteten die meisten Frauen schwer, in der Landwirtschaft oder im familiären Handwerksbetrieb, als Tagelöhnerinnen auf dem Land oder als Arbeiterinnen in der Stadt, mit Unterbrechungen nur für die Zeit des Wochenbetts. Die Säuglingssterblichkeit war hoch und das nicht nur in den ärmeren Bevölkerungsschichten. Kinder, so sie überlebten, begannen mit sechs oder sieben Jahren hart zu arbeiten oder absolvierten eine Lehrzeit,oft auswärts, fern der Familie. Schon früh hatten sie einen Beitrag zur Wirtschaft sgemeinschaft der Familie zu leisten und waren Kranken- und Alterssicherung der Eltern. In wohlhabenderen Schichten der Bevölkerung war es üblich, die Kinder schon früh in Instituten, Pensionaten und Internaten unterzubringen. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kind hatte nichts Sentimentales. Die meisten Kinder wuchsen auch gar nicht zu Hause auf. Im 18. Jahrhundert war die Unterbringung von Kindern bei einer Amme oder Pflegefamilie in allen Schichten der städtischen Bevölkerung verbreitet. Pariser Polizeiberichte aus dem Jahr 1780 belegen, dass von etwa 21 000 Kindern nach der Geburt nur 2000 im Haus der Eltern bleiben durften. Die anderen wurden zu Ammen verfrachtet, oft auf dem Land und so weit weg von Paris, dass sie bereits auf dem beschwerlichen Transport starben. Die meisten dieser Kinder erlebten das erste Lebensjahr nicht. Für die reiche und gebildete Bevölkerung galten Kinder als mindere, willens- und geistesschwache Erwachsene. Es wurde empfohlen, ihnen gegenüber kühle Reserviertheit und weder Zärtlichkeit noch Nachsicht zu zeigen, um ihre «natürliche Sündhaftigkeit und Bosheit» nicht zu unterstützen. Gewalt gegen Kinder war in allen Schichten der Bevölkerung alltäglich. Eine Analyse autobiografischer Aufzeichnungen von Frauen und Männern in Deutschland, die zwischen 1740 und 1820 geboren wurden, ergab im Rahmen einer Forschungsarbeit, dass es fast keinen untersuchten Text gab, in dem nicht über Gewalt gegen Kinder berichtet wurde, und fast keine Autoren, die nicht ausdrücklich sagten oder andeuteten, als Kind geschlagen worden zu sein (Deegener/Körner 2005, S. 14). Ein Gefühl für die Eigenart oder gar den Wert der Kindheit existierte in dieser Zeit nicht. Für ein gesondertes Arbeitsfeld «Kindererziehung» bestand weder eine Notwendigkeit noch die Möglichkeit dazu. Die Erziehung von Kindern fand im Zusammenleben und Zusammenarbeiten vieler Personen statt, denn auch die Familie, wie wir sie heute als «normal» ansehen, gab es zu dieser Zeit noch nicht. Weder arbeitete der Vater getrennt von der Familie außer Haus, noch blieb die Mutter mit den Kindern allein darin zurück. Die Menschen lebten in Hausgemeinschaften, die meist zugleich auch Produktionsgemeinschaften waren. Die Bauernfamilie umfasste Eltern, Kinder, Großeltern, unverheiratete Verwandte und das Gesinde. Die Handwerkerfamilie bestand aus Eltern, Kindern, Lehrlingen und Gesellen und auch die aristokratische Hausgemeinschaft bestand neben Eltern und Kindern aus der Dienerschaft, Verwandten und Freunden. Mütter und Kinder lebten also in einer Gemeinschaft von vielen Menschen. Mutterschaft und Haushalt als privates Refugium waren nicht das zentrale Lebensumfeld von Frauen, ebenso wenig waren Mutter und Kind auf eine isolierte Beziehung festgelegt. Frauen waren vollwertige Produktivkräfte in der Wirtschaft oder verfolgten als Adlige musische oder gesellschaftliche Interessen. Die Verantwortung der Mutter für das Kind war spätestens mit dem Ende der Stillzeit beendet, wenn denn überhaupt gestillt wurde. Das Stillen war bei Frauen aller Bevölkerungsschichten unbeliebt und insbesondere in ärmeren Schichten und Gebieten völlig unverbreitet, auch wenn es eine viel größere Überlebenschance für die Kinder bedeutet hätte. Spätestens also nach der Stillphase übernahmen die Geschwister, die Alten, das Gesinde, die Dienstboten, die Ammen Aufsicht und Erziehung des Kindes. In dieser Epoche finden sich noch viele andere Anzeichen für ein grundsätzliches Desinteresse am Kind und für die Vernachlässigung von Kindern: Eine nicht unübliche und sozial akzeptierte Praxis der Geburten kontrolle war die Kindstötung, denn zu viele Kinder bedrohten die Überlebenschancen der Großfamilie. Im 19. Jahrhundert wurde es dann gesetzlich verboten, Kleinkinder mit ins elterliche Bett zu nehmen, weil sie dort offensichtlich häufig erstickt wurden. Unerwünschte Kinder wurden auch oft ausgesetzt, verstoßen, fortgegeben oder in fremde Dienste verkauft. Natürlich sind Verzweiflung und wirtschaftliche Umstände für viele dieser Praktiken verantwortlich. Festzuhalten ist jedoch, dass sich der Überlebensinstinkt häufig dem vermeintlichen Mutterinstinkt gegenüber durchsetzte. Auch Frauen, denen es möglich gewesen wäre, ihr Kind bei sich aufzuziehen und es zu lieben, hatten über Jahrhunderte weg kein Interesse, dies zu tun. Bis ins 19. Jahrhundert haftete dem auch nicht in geringster Weise etwas Skandalöses an. Dementsprechend löste auch der Tod eines Kindes nicht unbedingt tiefe Trauer aus. Zu dieser Zeit war es nicht üblich, dass die Familie zur Beerdigung ging, wenn das verstorbene Kind unter fünf Jahre alt war. Kinder wurden nicht, wie heute, als besonders kostbar und unersetzlich angesehen, denn sie waren zahlreich und allzu leicht «ersetzbar». Viele Kinder starben – zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert erreichte nur knapp die Hälfte der Kinder überhaupt das zehnte Lebensjahr, 20-30 % starben bereits im Verlauf des ersten Lebensjahres. Eine allzu enge Gefühlsbindung konnten sich die Eltern also gar nicht «leisten». Elisabeth Badinter kommt angesichts der horrenden Kindersterblichkeit und aufgrund ihrer ausführlichen Untersuchungen der damals herrschenden gesellschaft lichen Verhältnisse zu der Feststellung: «Nicht weil die Kinder wie die Fliegen starben, haben sich die Mütter so wenig für sie interessiert, sondern die Kinder sind deshalb in so großer Zahl gestorben, weil die Mütter sich nicht für sie interessierten.» (Badinter 1980, S. 63) 1.1.2  Das 19. Jahrhundert: Idealisierung der Mutterschaft Mit Beginn des späten 18. Jahrhunderts wird die Stellung des Kindes in der Gesellschaft enorm aufgewertet und ebenso tiefgreifend verändert sich das Bild der Mutter, ihre Rolle und ihre Bedeutung. Neue Ansichten über Haushalt und Arbeit, Frauen und Kinder etablieren sich. Im Rahmen wirtschaftlicher Interessen und humanitärer Motive des Kinderschutzes entsteht eine historisch neue Ideologie von Familie und von der Beziehung zwischen Mutter und...


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.