Hämmerle / Lamprecht / Überegger | Erinnerungsbilder und Gedächtniskonstruktionen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 258 Seiten

Hämmerle / Lamprecht / Überegger Erinnerungsbilder und Gedächtniskonstruktionen

Fallstudien zum Erbe des Ersten Weltkriegs in Zentraleuropa (1918–1939)

E-Book, Deutsch, 258 Seiten

ISBN: 978-3-593-45679-9
Verlag: Campus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Das Erbe des Ersten Weltkriegs ließ eine Vielfalt an erinnerungskulturellen Ausprägungen entstehen. In Zentraleuropa blieben diese in ihrer Intensität allerdings stets weit hinter jener Gedenkkultur zurück, die der »Große Krieg« in den westlichen Siegerstaaten hervorbrachte. Die hier veröffentlichten Beiträge beleuchten unterschiedliche Aspekte dieser vernachlässigten Geschichte: Sie beschäftigen sich mit den Erinnerungskulturen des Ersten Weltkriegs in der Zwischenkriegszeit, sind neueren Forschungsperspektiven verpflichtet und konzentrieren sich in räumlicher Hinsicht auf vormals habsburgische Territorien und deren Nachbarstaaten. Im Zentrum der Fallstudien steht das Spannungsfeld zwischen öffentlichen und privaten Kriegsdeutungen sowie jenen alternativen Erinnerungsbildern und Gedächtniskonstruktionen, die aufgrund der Konzentration auf die in der Forschung bislang dominante materielle Kriegserinnerungskultur unterbelichtet geblieben sind.
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Oberst Alexander Brosch von Aarenau und das Gefecht bei Hujcze 1914. Ein Kampf um Deutungshoheit
Richard Lein Der Tod des Kommandanten des 2. Regiments der Tiroler Kaiserjäger (KJR 2), Oberst Alexander Brosch von Aarenau, im Gefecht bei Hujcze nordöstlich von Rawa Ruska in der Nacht auf den 7. September 1914 hatte beachtenswerte, über die eigentliche Bedeutung des Ereignisses weit hinausreichende Folgen. Zu nennen sind hier vor allem das große Medieninteresse an dem Fall24 sowie die zweimalige, wenngleich erfolglose Eingabe von Brosch für die Verleihung des Militär-Maria-Theresienordens durch seinen ehemaligen Vorgesetzten beziehungsweise durch den Alt-Kaiserjägerklub.25 Auch das Gefecht selbst wurde, trotz seines überaus unglücklichen Ausgangs, Teil der Erinnerungskultur der Kaiserjäger. Dies fand seinen Ausdruck namentlich durch die Errichtung einer repräsentativen Grabanlage für die gefallenen Regimentsangehörigen nahe des Gefechtsschauplatzes26 sowie die Präsentation mehrerer Memorabilien im Kaiserjägermuseum in Innsbruck zur Erinnerung an den gefallenen Kommandanten des KJR 2.27 Gerade aus heutiger Sicht stellt sich die Frage, warum dem Schicksal von Oberst Brosch und seinem Regiment sowohl während des Kriegs als auch darüber hinaus ein so großer Stellenwert eingeräumt wurde, waren doch, gerade im zeitgenössischen Vergleich, weder die militärische Aktion noch die Todesumstände des Obersten als außergewöhnlich zu bezeichnen. Tatsächlich fielen zwischen August und Dezember 1914 insgesamt 26 Offiziere der k. u. k. Armee als Regimentskommandanten an der Spitze ihrer Truppen,28 ohne dass ihnen eine ähnliche, posthume Ehrung zuteil geworden wäre. Darüber hinaus ist das Gefecht bei Hujcze bei genauerem Studium des Archivmaterials nicht als »heldenhaft«, sondern eher als höchst unglücklich zu bezeichnen, insbesondere da die beteiligten k. u. k. Truppen erst durch Kommunikationsprobleme sowie die Vernachlässigung militärischer Grundregeln seitens ihrer Offiziere in die letztlich ausweglose Lage gebracht worden waren. Ziel dieses Beitrags ist es jedoch nicht, über die Handlungsweise der beteiligten Personen in einer überaus schwierigen militärischen Lage zu urteilen. Vielmehr soll dargelegt werden, warum dem Gefecht und dem Tod des Kommandanten des KJR 2 sowohl vor als auch nach Kriegsende eine überaus große Bedeutung beigemessen wurde und wie es letztlich gelang, trotz aller gegenläufiger Fakten erfolgreich eine Heldenerzählung rund um das Ereignis zu konstruieren.29 Der Fall Brosch ist in diesem Zusammenhang vor allem auch als anschauliches Beispiel für die Neu- und Umdeutung der Ereignisse des Ersten Weltkriegs in der Nachkriegshistoriografie sowie in der Erinnerungskultur in der Ersten Republik zu betrachten. Anstatt die Schrecken des Kriegs zu thematisieren und historisch-kritisch die Entscheidungen der politischen wie militärischen Führung zu hinterfragen, war die Zielsetzung der hier am Werk befindlichen Akteure ganz klar darauf ausgerichtet, die Ereignisse des zurückliegenden Konflikts in ein möglichst positives Licht zu rücken. In einer solchen Art der Darstellung hatten militärische Niederlagen, wie sie das KJR 2 bei Hujcze erlebt hatte, keinen Platz. Stattdessen gab es in solchen Erzählungen zumeist nur den Sieg oder den tragischen, wenngleich in der Regel einem höheren Zweck dienenden Heldentod. Der Ausschmückung des letzteren kam dabei, auch als Ansporn für künftige Generationen, oft eine besondere Bedeutung bei. Auch im Fall Brosch ist eine solche Entwicklung, die letztlich auf eine völlige Umdeutung der Ereignisse hinauslief, klar zu erkennen. Vor diesem Hintergrund wird in dem vorliegenden Beitrag zunächst das Gefecht bei Hujcze in all seinen Details rekapituliert und anschließend anhand dieser Darstellung aufgezeigt, in welch großem Maß von Seiten offizieller wie privater Exponenten sowohl vor als auch nach Kriegsende versucht wurde, durch eine mehrfache Uminterpretation des Geschehenen ein Narrativ zu etablieren, das bis heute die Historiografie zu der Thematik dominiert.30 1.Alexander Brosch von Aarenau – ein Karriereoffizier
Einer der wesentlichsten Gründe für das breite Medienecho, das der Fall auslöste, war der Umstand, dass es sich bei Oberst Brosch nicht nur um einen fähigen Karriereoffizier, sondern auch um eine weit über militärische Kreise hinaus bekannte Persönlichkeit handelte. Brosch war 1890 in die k. u. k. Armee eingetreten und hatte zunächst bei den Pionieren gedient, ehe er im Jahr 1899, zu diesem Zeitpunkt Hauptmann erster Klasse, ins k. u. k. Kriegsministerium versetzt worden war.31 Im Rahmen einer Truppendienstleistung beim KJR 1, die Brosch im Sommer 1905 absolvierte, fiel der als überaus fähig und einsatzfreudig beschriebene Offizier Thronfolger Franz Ferdinand auf, der ihn schließlich als Flügeladjutanten in seinen persönlichen Stab holte.32 In dieser Funktion baute Brosch, dem großes politisches wie diplomatisches Geschick beschieden wurde, den im Jahr 1908 in »Militärkanzlei Seiner k. u. k. Hoheit des Generals der Kavallerie Erzherzog Franz Ferdinand«33 umbenannten Stab zu einer politischen Schaltzentrale des Thronfolgers aus. Diese beschäftigte sich neben militärischen Fragen vor allem mit der unter der Herrschaft Franz Ferdinands durchzuführenden Umgestaltung des Habsburgerreiches. Als Leiter der Militärkanzlei, die mitunter als »Gegenregierung« zum kaiserlichen Hof bezeichnet wurde, verstand es Brosch, gezielt Personen an den Thronfolger heranzuführen, die als Ideengeber für die geplanten politischen und verwaltungstechnischen Reformen Österreich-Ungarns dienen konnten.34 Neben seiner eigentlichen, eher politischen Tätigkeit vernachlässigte Brosch jedoch auch seine militärische Karriere nicht. So nahm er in den folgenden Jahren mehrfach an Manövern teil, kommandierte dabei jedoch nie selbst Truppen im Feld, sondern diente in den Stäben der Übungsparteien beziehungsweise als Schiedsrichter.35 Abb. 1: Oberst Alexander Brosch von Aarenau, posthumes Portrait von 1934 Quelle: Sammlung HGM Wien Die Rückkehr Broschs, zu diesem Zeitpunkt Oberstleutnant, in eine militärische Verwendung als Truppenoffizier im Jahr 1911 – konkret die Versetzung zum KJR 2 bei gleichzeitiger Ernennung zu dessen Kommandanten36 – kam für viele Beobachter überraschend. Über die Gründe seiner Versetzung wird bis heute spekuliert, wobei für die diversen Theorien jedoch konkrete Beweise fehlen. Folglich kann weder die Behauptung, Franz Joseph hätte durch die Beförderung von Brosch dem Thronfolger seinen besten Mitarbeiter entziehen wollen,37 noch die Annahme, Brosch selbst habe ein prestigeträchtiges Truppenkommando angestrebt, um Franz Ferdinand nach dessen Thronbesteigung für ein hohes Regierungsamt zur Verfügung stehen zu können,38 verifiziert werden. Mit ins Kalkül zu ziehen ist in diesem Zusammenhang jedoch auch der mitunter schwierige Charakter des Erzherzogs, der viel Geschick und Augenmaß gerade seitens seiner engsten Mitarbeiter voraussetzte.39 Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass Brosch die sich bietende Gelegenheit, eine »Auszeit« von seiner politischen Tätigkeit in der Militärkanzlei zu nehmen, dankbar annahm, verbunden mit der Option, zu einem späteren Zeitpunkt wieder in die Dienste des Thronfolgers zurückzukehren. Aus militärischer Sicht war der Aufstieg von Brosch, der im Jänner 1913 zum Oberst befördert wurde, jedenfalls ungewöhnlich. So hatte er zuletzt im Jahr 1905 Truppendienst geleistet, wodurch ihm bei seinem Dienstantritt als Kommandant des KJR 2 praktische Erfahrung bei der Führung von Soldaten fehlte. Dies fiel jedoch in Friedenszeiten wenig bis gar nicht ins Gewicht, da Brosch in seiner neuen Funktion offenbar sehr gut entsprach,40 rasch das Vertrauen seiner Untergebenen erwarb und für die Leistungen seines Regiments bei regelmäßig abgehaltenen Manövern stets belobigt wurde. Ein für Brosch einschneidendes Ereignis bildete jedoch die Ermordung Franz Ferdinands in Sarajewo...


Überegger, Oswald
Oswald Überegger ist Professor für Zeitgeschichte und Inhaber einer Stiftungsprofessur für Regionalgeschichte an der Freien Universität Bozen, wo er auch das Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte leitet.

Lamprecht, Gerald
Gerald Lamprecht ist Professor für jüdische Geschichte und Zeitgeschichte am Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz.

Hämmerle, Christa
Christa Hämmerle ist außerordentliche Universitätsprofessorin für Neuere Geschichte und Frauen- und Geschlechtergeschichte am Institut für Geschichte der Universität Wien.

Christa Hämmerle ist außerordentliche Universitätsprofessorin für Neuere Geschichte und Frauen- und Geschlechtergeschichte am Institut für Geschichte der Universität Wien. Gerald Lamprecht ist Professor für jüdische Geschichte und Zeitgeschichte am Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz. Oswald Überegger ist Professor für Zeitgeschichte und Inhaber einer Stiftungsprofessur für Regionalgeschichte an der Freien Universität Bozen, wo er auch das Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte leitet.


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