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E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Hahn Entschwörung

Was man über Verschwörungstheorien wissen sollte und wie uns der Glaube Orientierung gibt

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-7751-7567-8
Verlag: SCM Hänssler
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Fühlen Sie sich manchmal wie in einem Dschungel aus Fakten und Falschaussagen und haben Schwierigkeiten, sich zu orientieren? Mit fundiertem Fachwissen lichtet dieses Buch das Dickicht aus Verschwörungstheorien und Halbwahrheiten. Der christliche Glaube dient dabei als Kompass auf dem Weg.
Ein Buch voller praktischer Tipps, die es ermöglichen, trotz aller Unsicherheiten eine klare Sicht zu bewahren!
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[ Zum Inhaltsverzeichnis ] Auf unserer Reise in die Welt der Verschwörungstheorien kommen wir nun in das Land der Religion und wollen schauen, wie es um den christlichen Glauben angesichts der Ausbreitung von Verschwörungstheorien steht. Wir treffen dabei auf empirische Forschungsergebnisse, auf radikalisierte Formen und die Esoterik, und machen halt bei der Frage: »Was unterscheidet eigentlich einen Verschwörungsglauben vom christlichen Gottesglauben?« Religiöser Glaube – Einfallstor für Verschwörungstheorien?
Ein Fotomotiv ging im Internet viral: Auf einer Querdenker-Demonstration im November 2021 in Berlin hält eine Demonstrantin ein großes Kreuz den Ordnungskräften entgegen. In München stehen bei einer solchen Veranstaltung der Fernsehpfarrer Jürgen Fliege und ein freikirchlicher Pfarrer auf der Bühne, es wird laut gebetet – die Demonstration wird zum Gottesdienst erklärt, um die Teilnahmebeschränkungen zu umgehen. Wiederum in Berlin nehmen die »Christen im Widerstand« um den freikirchlichen Pastor Christian Stockmann an den Querdenker-Protesten als einem »Weckruf« gegen den »Wahnsinn« der Einschränkungen teil.63 Auch wenn anschließend die Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF), die Deutsche Evangelische Allianz (DEA) und die Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gegen die Vereinnahmung des christlichen Glaubens und insbesondere gegen den Missbrauch des Kreuzes protestieren: Eine gewisse Nähe zwischen Verschwörungsgläubigen und Christinnen und Christen kann man angesichts dieser Beispiele nicht von der Hand weisen. Christlicher Glaube also als Türöffner für Verschwörungsglauben? So scheint es. In einigen Zeitschriften wurde sogar die These aufgestellt, der württembergische Pietismus habe schon immer eine obrigkeitskritische Haltung eingenommen und vor allem auf den Stuttgarter Demonstrationen seien Vertreterinnen und Vertreter aus seinen Reihen zu finden.64 Wie sieht nun die empirische Realität angesichts dieser Zuschreibungen aus? Stimmen sie wirklich? Machen wir uns auf den Weg zu aktuellen soziologischen Untersuchungen. Zweifellos gehörte zum historischen Pietismus von Anfang an eine Grundskepsis gegenüber staatlichen Autoritäten. Auch heute finden wir in pietistischen (und evangelikalen) Kreisen oft eine Ablehnung des gegenwärtigen Pluralismus in allen Lebensbereichen und eine Skepsis gegen neue gesellschaftliche Entwicklungen. Wenn diese Kreise für sie wichtige Grundwerte in Gefahr sehen, protestieren sie – beispielsweise gegen eine »Frühsexualisierung« von Grundschulkindern durch einen neuen Lehrplan 2015. Dies scheint aber nicht in gleichem Maße für die Kritik an den Corona-Maßnahmen zu gelten. In Feldstudien und Umfragen in Telegram-Gruppen wurden Ende 2020 1150 Personen mit Blick auf ihren sozialen Hintergrund und ihre gesellschaftspolitischen Einstellungen befragt. Die Studie »Politische Soziologie der Corona-Proteste« zeigte, dass die Demonstrierenden keine Gottesdienstbesucherinnen und -besucher waren: Wenn von diesen nur zwölf Prozent in den zurückliegenden drei Jahren eine religiöse Veranstaltung besucht hatten, kann es sich bei ihnen kaum um Evangelikale oder Pietisten handeln, die in der Mehrheit regelmäßig in den Gottesdienst gehen. Zwar ist diese Studie als Online-Befragung keineswegs repräsentativ, sie liefert aber wichtige Erkenntnisse: Unter anderem zeigt sie, dass es sich bei den Demonstrierenden um ein eher gebildetes Mittelschichtsmilieu handelt, bei dem Mitglieder aus linksalternativen Szenen ins politisch rechte Spektrum gewandert sind. Religiös zeigt sich bei ihnen eher eine Nähe zur Esoterik.65 Zu Recht hatte sich also die Deutsche Evangelische Allianz in einer Stellungnahme deutlich von den radikalen Querdenkern distanziert. Im Unterschied zu den Protesten gegen den Bildungsplan Jahre zuvor scheint das Corona-Thema Christinnen und Christen kaum zu triggern, obwohl teilweise ein solcher Schulterschluss von den Veranstaltenden der Demonstrationen gesucht wurde. Christinnen und Christen haben also nicht per se bereits eine Nähe zum Verschwörungsdenken. Carolin Hillenbrand betreibt an der Universität Münster am Exzellenzcluster »Religion und Politik« ebenfalls soziologische Forschungen. Auch hier geht es um den Zusammenhang von religiösem Glauben und Verschwörungsglauben.66 Ihre Ergebnisse weisen auf die religiöse Praxis als den zentralen Unterschied hin: Eine nur privat gelebte Religiosität hat eine Nähe zur Vorstellung von verborgenen Mächten und damit zum Verschwörungsdenken. Dort, wo Religion auch eine soziale Praxis hat, ist sie davor gefeit. Wird der eigene Glaube als die einzig akzeptable Religion gesehen und andere Religionen abgewertet, findet sich bei diesen Menschen ein ausgeprägter Glaube an verborgene Mächte, die das Weltgeschehen steuern. Und schließlich findet sich nach diesen Untersuchungen auch dort eine Nähe zum Verschwörungsdenken, wo das Gottesbild von Angst, Strafe und Schuldzuweisungen geprägt ist. Dasselbe gilt natürlich auch dort, wo die Pandemie als eine göttliche Strafe gepredigt wird. Ähnlich verhält es sich in diesen Studien auch mit dem Islam. Ein deutlicher Unterschied zwischen Verschwörungsglauben und Religionen besteht in der großen sozialen Verbundenheit in den Religionen. Dazu kommt – vor allem bei den großen traditionellen Gemeinschaften und Kirchen – die Förderung von prosozialem Verhalten, also von freiwilligem und von inneren Beweggründen motiviertem helfenden Handeln. Die Szene der Verschwörungsgläubigen hat bislang keine Gruppenstrukturen ausgebildet. Man begegnet sich bei Protestaktionen oder vernetzt sich im Internet, mehr aber auch nicht. Eine gewisse Ausnahme stellen die Reichsbürgerbewegung und sozialutopische Lebensgemeinschaften wie die Anastasia-Bewegung dar.67 Eine engere Verbindung von Religion und Verschwörungsdenken kann man jenseits des Atlantiks beobachten. In den USA gelten persönliche Freiheit und christlicher Glaube als Grundnormen, und dort hat der Schulterschluss zwischen US-Evangelikalen und der Republikanischen Partei eine lange Tradition. Besonders eng wurde diese Verbindung, als in den 1980er-Jahren die Organisation Moral Majority aktiv Ronald Reagans Präsidentschaftswahlkämpfe unterstützte. Der Prediger und vorübergehende Präsidentschaftskandidat Pat Robertson, der unter evangelikalen Christinnen und Christen in den USA durch den bereits 1961 gegründeten Privatsender Christian Broadcasting Network (CBN) großen Einfluss hatte, veröffentlichte 1991 sein Buch »The New World Order« (»Die neue Weltordnung«). Darin beschrieb er sein Land durch zwei Verschwörungen bedroht: eine Hochfinanz-Verschwörung an der Wall Street mit Weltherrschafts-Ambitionen, die sich bis zur Ermordung Abraham Lincolns zurückverfolgen lasse, und eine moralische Verschwörung aus Illuminaten, Freimaurern und Anhängern der New-Age-Bewegung mit dem Ziel, den christlichen Glauben zu vernichten. Als George Bush 1991 dieses Schlagwort von der »Neuen Weltordnung« für seine eigene politische Vision verwendete68, geriet auch er unter den Verdacht, zu dieser Eliten-Verschwörung zu gehören. »Radikalisierungsbeschleuniger« Kann man nach den vorliegenden empirischen Untersuchungen also nicht von einer grundsätzlichen Nähe zwischen christlichem Glauben und Verschwörungstheorien sprechen, so gilt dies nicht für radikalisierte Formen von Religiosität und Christentum. Dort findet sich nicht nur eine Offenheit für Verschwörungsglauben, sondern Verschwörungstheorien können dort geradezu als »Radikalisierungsbeschleuniger« dienen, indem sie zum Beispiel Feindbilder verstärken und die eigene Sichtweise gegen Kritik immunisieren. Wo solche Ansätze in Glaubensgemeinschaften vorhanden sind, werden sie verstärkt. Ein Beispiel für eine solche weltanschauliche Radikalisierung ist Jakob Tscharntke, Pastor einer Freikirche im württembergischen Riedlingen. In Predigtvideos warnt er vor »Merkel, Spahn, Söder und Co. und den Hintergrundmächten, die dahinterstehen« und sieht »die totale Unterjochung der Menschheit und die totale Überwachung und Herrschaft einer Elite« kommen.69 Bereits 2015 warnte er in der Migrationsdebatte vor »räuberische[n] Horden«, was ihm eine Anzeige wegen Volksverhetzung einbrachte.70 Als sich der Bund Evangelisch Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland (BEFG) von Tscharntkes Aussagen distanzierte, trat die Gemeinde aus dem Bund aus. Neben der Radikalisierung durch Verschwörungstheorien zeigt diese Entwicklung auch, dass christliche Gemeinden nicht generell als Brandbeschleunigender für Verschwörungsdenken dienen, wohl aber solche, in denen eine gewisse Radikalisierung und Abschottung stattgefunden hat. Dies gilt in gleicher Weise für den schon erwähnten Christian Stockmann aus Berlin: Auch er und seine Gemeinde gehören keinem der freikirchlichen Zusammenschlüsse wie der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) oder dem Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP) an. Eine solche Radikalisierungsbeschleunigung kann man besonders deutlich bei Ivo Sasek sehen: Seine Freikirche, die sich Organische Christus Generation (OCG) nennt, trat ursprünglich als radikale fundamentalistische Gruppierung in Erscheinung mit dem exklusiven Anspruch, die biblischen Botschaften durch die von ihm behaupteten Gotteserfahrungen vollenden zu können. Seine Anhängerschaft verpflichtete er zu radikalem Gehorsam und völliger Unterordnung. 2008 gründete er dann die Anti-Zensur-Koalition als Plattform für Verschwörungserzählungen, in der zahlreiche rechtsradikale und antisemitische Inhalte kursierten. Mit seinem Sender Klagemauer.tv (kla.tv) werden diese Inhalte online verbreitet. Grundsätzlich...


Hahn, Andreas
Andreas Hahn (Jg. 1962) ist Sekten- und Weltanschauungsbeauftragter der Evangelischen Kirche von Westfalen und berät Menschen sowie Institutionen inmitten der religiös-weltanschaulichen Vielfalt. Schwerpunkte seiner Arbeit sind u.a. Glaube und Wissenschaft sowie Gothic und Metal. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Andreas Hahn (Jg. 1962) ist Sekten- und Weltanschauungsbeauftragter der Evangelischen Kirche von Westfalen und berät Menschen sowie Institutionen inmitten der religiös-weltanschaulichen Vielfalt. Schwerpunkte seiner Arbeit sind u.a. Glaube und Wissenschaft sowie Gothic und Metal. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.


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