Hajen / Rottenkolber | Gesundheitsökonomie | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 360 Seiten

Hajen / Rottenkolber Gesundheitsökonomie

Strukturen - Methoden - Praxisbeispiele

E-Book, Deutsch, 360 Seiten

ISBN: 978-3-17-041941-4
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Das etablierte Lehrbuch vermittelt in bewährter Form einen fundierten Überblick über das Gebiet der Gesundheitsökonomie. Es werden die theoretischen Grundlagen von Markt und Wettbewerb und die problematische Übertragbarkeit auf den Gesundheitssektor erläutert. Der Schwerpunkt liegt auf den monetären und nicht-monetären Anreizen in der gesetzlichen Krankenversicherung, der ambulanten und stationären Versorgung und dem Arzneimittelmarkt. Als Beispiele für alternative Finanzierungs- und Versorgungssysteme werden die Gesundheitssysteme der USA, Englands und der Niederlande diskutiert. In der 9. Auflage ist das Werk umfassend überarbeitet und und aktualisiert sowie um ein neues Kapitel zum Thema "Pflegeversicherung" ergänzt worden.
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2 Bestimmungsgründe der Gesundheit
2.1 Gesundheitsbegriff
Gesundheit gehört zu den universellen Menschenrechten und hat in allen Gesellschaften eine hohe Priorität. Wie bei keinem anderen Grundrecht stimmen individuelle Wertschätzung und gesellschaftliche Priorität überein, denn eine gute Gesundheit ist Voraussetzung, um das Leben genießen zu können. Gesundheit ist zu einem großen Teil durch die genetische Prädisposition des Menschen bestimmt. Nur soweit persönliches Verhalten, soziale, ökonomische, ökologische und kulturelle Faktoren oder das medizinische Versorgungssystem die Gesundheit beeinflussen, kann Gesundheit auch gestaltet werden. Dadurch relativiert sich eine vorschnelle Aussage, dass Gesundheit das höchste Gut sei, das man um jeden Preis haben wolle, denn auch Gesundheit hat ihren Preis und der Aufwand für Gesundheitsleistungen steht in Konkurrenz zu anderen Bedürfnissen. Emissionsarme Maschinen erlauben einen höheren Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, aber in der Regel sind sie auch mit höheren Anschaffungs- und Betriebskosten verbunden. Ein abstraktes Bekenntnis zu einer hohen Bedeutung von Gesundheit kann sehr wohl mit einem gesundheitsschädlichen Verhalten von Individuen zusammenfallen. Es gibt zu viele Dinge in dieser Welt, die lustvoll zu genießen sind, aber der Gesundheit in der mittleren und langen Frist schaden. Deshalb kann es nicht überraschen, dass es keine unstreitige Definition von Gesundheit gibt (Schwartz et al. 1998, S. 8). Je zentraler ein Begriff für den zu untersuchenden Gegenstand, desto kontroverser sein Inhalt. Pädagoginnen und Pädagogen werden sich am schwersten darüber einigen, was Erziehung ist, Theologinnen und Theologen streiten mit Vehemenz über den Inhalt und Wahrheitsgehalt des Glaubens. Auch der Inhalt von Gesundheit ist in der wissenschaftlichen Diskussion und politischen Praxis umstritten. Ebenso bewerten einzelne Menschen unterschiedlich, ob sie sich gesund oder krank fühlen. Was unter Gesundheit verstanden wird, ist in hohem Maße von dem Zusammenhang abhängig, in dem der Begriff definiert wird (Franke 2006, S. 15?ff.). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat im Jahr 1946 in der Präambel ihrer Verfassung einen sehr weiten Begriff von Gesundheit gewählt, indem sie nicht auf die Abwesenheit von Krankheit abstellt, sondern Gesundheit als einen Zustand vollkommenen physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens beschreibt (»Health ist a state of complete physical, mental and social well-being, and not merely the absence of disease and infirmity«) (World Health Organization 1946, S. 1). In den 1980er Jahren ergänzte die WHO ihren Gesundheitsbegriff noch um die Dimensionen von Ökologie und Lebenssinn, so dass Gesundheit sehr umfassend bestimmt wird und alle möglichen Einflussfaktoren auf die Gesundheit miterfasst werden (Brößkamp-Stone et al. 1998, S. 143; Busse und Wismar 1997, S. 27?ff.). Der Vorteil dieser weiten Definition besteht darin, dass er die Vision einer gesunden Gesellschaft entwickelt. Gesundheit wird im Verständnis der WHO nicht auf die Abwesenheit von Krankheit reduziert, sondern als Ergebnis von sehr unterschiedlichen Lebensbedingungen begriffen, die durch Gesundheitspolitik gestaltet werden können. Jede Gesellschaft hat das Ziel, den Gesundheitszustand der Menschen zu verbessern oder zumindest den erreichten Status auch bei veränderten Ausgangsbedingungen (z.?B. neue Infektionskrankheiten wie AIDS) zu halten. Effizienz und Effektivität von Gesundheitspolitik ist nicht allein danach zu beurteilen, wie gut oder schlecht das Gesundheitsversorgungssystem ist, sondern in welchem Maße Gesundheitsförderung in den unterschiedlichsten Politikbereichen eine Rolle spielt. Letztlich zählen die Ergebnisse, nämlich der erreichte Gesundheitsstatus der Bevölkerung und seine Verteilung auf unterschiedliche Gruppen der Gesellschaft. Für eine Abwägung, welche Ressourcen wo am besten eingesetzt werden, um einen besseren Gesundheitszustand zu erreichen, ist eine weite Definition von Gesundheit unverzichtbar. Angelehnt an die WHO-Definition sind dann auch in vielen Ländern Ziele der Gesundheitspolitik definiert und in einer breiten Palette von Programmen operationalisiert worden (Schwartz et al. 1998, S. 174?ff.). Der Nachteil dieser weiten Definition des Gesundheitsbegriffes liegt auf der Hand: Wohlbefinden ist eine subjektive Kategorie. Wenn sie physische, psychische und soziale Dimensionen beinhaltet, besteht wenig Chance, einen Menschen zu treffen, der dauerhaft gesund ist. Bezogen auf Individuen, Gruppen der Bevölkerung, aber auch ein ganzes Volk müsste die Definition zumindest im Hinblick auf eine altersgemäße Mobilität und das Ausmaß sozialer Aktivitäten konkretisiert werden, um zu sinnvollen Abgrenzungen von Gesundheit und Krankheit zu kommen und das Idealbild eines beschwerdefreien Lebens der Wirklichkeit anzunähern. Die professionelle Medizin geht pragmatisch vor: »Die Medizin verwendet im Kern einen Gesundheitsbegriff, dem nicht Maximalität oder Optimalität eines Zustandes, sondern Normalität und Kontrollierbarkeit körperlicher und seelischer Reaktionen nähersteht« (Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen 1994, S. 36). Eine zweite Schwierigkeit besteht darin, dass Gesundheit sehr viel schwieriger durch Indikatoren zu beschreiben ist als Krankheit. Die Formen und die Entstehung von Krankheit (»Pathogenese«) sind seit Jahrhunderten durch Ärztinnen und Ärzte erforscht und beschrieben worden, wohingegen die »Salutogenese«, also die Analyse, welche Faktoren gesundheitsfördernd sind, ein Nischendasein fristet (Antonovsky 1997, S. 21?ff.). Was als gesund oder krank definiert wird, hängt von dem jeweils relevanten Bezugssystem ab und ist nach Ort und Zeit unterschiedlich. Eine Definition kann aus der Perspektive des betroffenen Individuums, der Gesellschaft oder der medizinischen Profession erfolgen. Die Inhalte müssen nicht übereinstimmen, sondern gerade unter dem Primat von Finanzierungsproblemen im Gesundheitssektor kann eine Diskrepanz zwischen dem entstehen, was die medizinische Profession als Krankheit definiert und was gesellschaftliche Anerkennung findet und in Leistungsgesetzen zur Krankenversicherung zu Ansprüchen auf Behandlung führt. Es lassen sich drei Bezugssysteme unterscheiden (Schwartz et al. 1998, S. 8?ff.): 1. Persönliches Bezugssystem
Eine einzelne Person beurteilt ihren Gesundheitszustand danach, ob sie sich »gut fühlt«. Gefühl ist dabei mehr als eine Emotion, es gehen vielmehr Erfahrungswerte und Kenntnisse über einen »Normalzustand« und eine altersgemäße Funktionalität von Gesundheit in die Bewertung ein. Es handelt sich primär um eine subjektive Bewertung der eigenen Befindlichkeit und der eigenen Fähigkeiten, Alltagsherausforderungen zu bewältigen, beschwerdefrei zu leben und soziale Aktivitäten zu entfalten. Fitness und Freude am Leben werden als gute Gesundheit wahrgenommen. Als krank werden hingegen Zustände erlebt, die mit Schmerz oder körperlichen und seelischen Beschwerden verbunden werden oder die zu Inaktivität und sozialer Isolation führen. 2. Gesellschaftliches Bezugssystem
Auch wenn Gesundheit von allen Gesellschaften als ein erstrebenswertes Gut angesehen wird, ist die inhaltliche Bestimmung von Gesundheit und Krankheit von den jeweiligen ökonomischen, sozialen, kulturellen und religiösen Bedingungen abhängig, die sich mit Raum und Zeit ändern. Eine Gesellschaft muss aber Gesundheit und Krankheit definieren, wenn Leistungsansprüche an den Staat oder eine gesetzliche Krankenversicherung daran geknüpft werden. In Deutschland hat der Gesetzgeber seit der Einführung der Krankenversicherung im Jahr 1883 jede Legaldefinition vermieden, sondern lediglich die Verfahren festgelegt, in denen zwischen Vertretungen der Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenkassen entschieden wird, welche Krankheiten anerkannt werden und zu Leistungspflichten der gesetzlichen Krankenkassen führen. In der Rechtsprechung ist beginnend mit einem Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1898 bis zum Bundessozialgericht die rechtliche Definitionslücke nicht gefüllt worden. Vielmehr wird Krankheit als ein Zustand des Körpers oder Geistes bezeichnet, der eine ärztliche Behandlung notwendig macht. Dadurch wird keine inhaltliche Antwort gegeben, sondern auf ein Verfahren verwiesen, in dem Ärztinnen und Ärzte entscheiden, ob eine Krankheit vorliegt. Sie erhalten ein Definitionsmonopol, ob bei einem Individuum Krankheit gesellschaftlich anerkannt wird. Ihre diagnostischen Entscheidungen sind dann Voraussetzung für Leistungsansprüche. 3. Professionelles Bezugssystem
In Anlehnung an die WHO-Definition von Gesundheit hat der Deutsche Ärztetag im Jahr 1994 Gesundheit als »[...] aus der Einheit von subjektivem Wohlbefinden und individueller Belastung erwachsende körperliche, seelische und soziale Leistungsfähigkeit des Menschen« beschrieben. Die große...


Prof. Dr. Leonhard Hajen, Senator a.D., Professor i.R. für Volkswirtschaftslehre am Fachbereich Sozialökonomie der Universität Hamburg. Prof. Dr. Dominik Rottenkolber, Professor für Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik an der Alice Salomon Hochschule Berlin.


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