Hamacher / Zecca / Baumert | Backnang Stories 2017 | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 4, 180 Seiten

Reihe: Backnang Stories

Hamacher / Zecca / Baumert Backnang Stories 2017

Die besten 20 Geschichten des Wettbewerbes

E-Book, Deutsch, Band 4, 180 Seiten

Reihe: Backnang Stories

ISBN: 978-3-945230-31-2
Verlag: Leseratten Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



In der Reihe der "Backnang Stories" erschien im Jahre 2017 eine Ausgabe mit den 20 besten Geschichten, die von Autoren der Stadt Backnang und der Region geschrieben worden sind.
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Der Brief
  Backnang, im Juni 1946 Nachdenklich schaut Edda Thiel auf den dicken Brief, der vor ihr auf dem einfachen Küchentisch liegt. Da steht als Empfänger nur: Edda Thiel, Bac-nang. Der Name der Absenderin auf der Rückseite ist ihr vollkommen unbekannt. Gerade ist Max, der junge Postbote, wieder auf seinem klapprigen Fahrrad davongerast. »Tari, trara, die Post ist da«, hatte er übermütig gerufen, als er ihr den Brief aushändigte. Er war sich sicher, dass sich Edda über diese private Post freuen würde. Sonst brachte er ihr meist offizielle Briefe von Behörden oder Rechnungen. Andererseits konnte er nur wegen diesen anderen Sendungen überhaupt vermuten, wer mit dem Empfänger gemeint sein könnte. Edda Thiel und ihre Schwester Irmi wohnten noch gar nicht lange in dem beschaulichen schwäbischen Städtchen. Durch Frau Hägele, die neugierige Nachbarin, hatte Max erfahren, dass die beiden Schwestern die einzigen Mitglieder ihrer Familie waren, die die Flucht aus dem weit enfernten Ostpreußen heil überstanden hatten. »Die schwätzet so komisch, wisset Se«, hatte Frau Hägele dem Max einmal vertraulich zugeflüstert. Und Sachen würden die beiden kochen – das könne er sich gar nicht vorstellen, wie seltsam das manchmal aus der Küche des kleinen Häuschens riechen würde. »Immerhin ist unser merkwürdiger Name gut dafür, dass man für Briefe an uns keine Straße dazuschreiben muss«, hatte Edda vorhin zu Max gesagt. Herr Maurer, Max’ Vorgesetzter im großen Backnanger Postamt, war allerdings gar nicht damit einverstanden gewesen, dass Max den Brief zustellte. Schließlich müsse ein Brief ordnungsgemäß mit Namen, Ort und Straße des Empfängers adressiert sein. Sonst sei er an den Absender zurückzuschicken. Doch die jungen Postbeamten hatten schließlich Herrn Maurer dazu überreden können, Max den Brief mit in seine große Posttasche zu geben. Der Brief sah so aus, als habe er schon einen sehr viel weiteren Weg zurückgelegt als nur von Heidelberg nach Backnang. An einigen Stellen war der Umschlag eingerissen, hinten sah er aus, als sei er in einen schweren Regenguss geraten. Nur weil der Absender mit Kugelschreiber geschrieben war, konnte man ihn überhaupt noch lesen. Und dann waren vorn so merkwürdige Zeichen, die aussahen wie kleine quadratische Bilder. Neben dem Empfänger stand in roten Buchstaben: Return to Germany. »Weiß einer, was das bedeutet?«, fragt Max in die Runde seiner jungen Kollegen. »Irgendwas Ausländisches«, vermutet der rothaarige Erwin. »Und, verstehst du es?«, fragt Max. »Noi, i kann a bissle Hochdeitsch, des langt mer«, findet Erwin. Und überhaupt, klar sei der Brief von weit her, schließlich käme er aus dem Land der Gelbfüßler. Nun sitzt die junge Frau mit dem dunklen Lockenkopf und den braunen Augen, in die Max ewig schauen könnte, in ihrem Häuschen und überlegt, was sie mit dem Brief machen soll. Einerseits brennt sie vor Neugier, ihn gleich zu öffnen. Andererseits möchte sie ihre Schwester Irmi an der Aufregung teilhaben lassen. Also warte ich lieber, bis Irmi von der Arbeit nach Hause kommt, denkt Edda. Die hat im Gegensatz zu ihr gleich Arbeit in einer Lederfabrik unten an der Murr gefunden und hat heute Frühschicht. In einer Stunde müsste sie zu Hause sein. So lange werde ich es schon noch aushalten, denkt Edda. Sie verbringt sowieso viel Zeit mit Warten. Denn die württembergische Schulbehörde tut sich offenbar schwer damit, Eddas Abschluss als ausgebildete Erzieherin von einer angesehenen ostpreußischen Fachschule anzuerkennen. Solange sie von dort keinen Bescheid hat, betreut Edda Peter, Ruth und Jochen, die Kinder der Nachbarsfamilie, die die junge Frau sofort in ihr Herz geschlossen haben.   Januar 1946, Nanchang in China »Schau mal, was da für ein merkwürdiger Brief bei uns eingegangen ist«, wendet sich die junge Postbeamtin Yulan an ihren gleichaltrigen Kollegen Tian. Dessen Name bedeutet Himmel und ihrer Magnolie. Beides passt insofern sehr gut zusammen, als Tian immer im siebten Himmel schwebt, wenn er in Yulans Mandelaugen schaut. Sie sieht so zart und zerbrechlich aus, dass Tian den Namen einer zarten Frühlingsblüte absolut passend für sie findet. Leider ist Yulan an der Arbeit weitaus mehr als an ihrem Kollegen interessiert. Obwohl sie den schon sehr nett findet. Aber Privates hat nun mal in der nüchternen Poststation nichts zu suchen. Tian seinerseits steigt unwillig von Wolke sieben ein paar Stufen tiefer in die Niederungen des chinesischen Postleralltags. Auch er inspiziert den Brief aus merkwürdigem Papier, der auch so seltsam verschlossen ist. »Stimmt, so etwas habe ich auch noch nie gesehen«, pflichtet er Yulan bei. Es ist den beiden ein Rätsel, wie die Sendung mit den seltsamen Zeichen auf der Vorderseite überhaupt in die große Stadt im Südosten Chinas gelangen konnte. Wie die chinesische Bilderschrift sehen die jedenfalls keinesfalls aus. Da würde man den zweiten Namensbestandteil von Nanchang mit Schriftzeichen schreiben, die ein wenig so aussehen wie ein kleiner Stapel Bücher. »Aber irgendwie müssen wir den Brief ja zustellen«, sagt Tian, der zwar nicht sonderlich ehrgeizig ist, aber immerhin einer Familie mit vielen Postbeamten entstammt, der Pflichterfüllung über alles geht. Der Abteilungsleiter der beiden ist gerade auf einer Schulung. Er hat gesagt, er habe großes Vertrauen zu seinen jungen Beamten. »Entscheidet ihr ruhig auch einmal etwas alleine.« »Ich habe auch schon eine Idee, wer uns da weiterhelfen könnte«, freut sich Yulan. Ihre jüngste Schwester arbeitet am Hauptbahnhof im Fahrkartenverkauf und hat ab und zu mit ausländischen Fahrgästen zu tun, die auf der Hauptstrecke von der Hauptstadt Peking in die große südchinesische Stadt Nanchang unterwegs sind. »Meine Familie müsste jetzt eigentlich zu Hause sein«, überlegt Yulan. »Dann können wir sie gleich mal fragen, und ich kann dich meiner Familie vorstellen. Die fragen sowieso schon immer, mit wem ich denn da arbeite.« Da ist Tian wieder auf seiner Wolke sieben angekommen. Dass er so schnell einmal zu Yulan nach Hause kommen könnte, hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt. Bei Yulan zu Hause wird er freundlich begrüßt. Ihre Eltern und Geschwister freuen sich, jemanden von ihrer Arbeitsstelle kennenzulernen, denn sie arbeitet noch nicht lange dort. Nun hält auch Tian eine Schale mit dampfendem Tee in der Hand. »Hast du schon einmal so etwas gesehen?«, fragt Yulan ihre Schwester Ling. »Doch, ich weiß zwar nicht, was es bedeutet. Aber ich weiß, dass Menschen aus Europa so schreiben. Manchmal kommen Fahrgäste zu uns, die Angaben zu ihrer Fahrt in dieser Schrift dabei haben. Morgen ist meine Kollegin Lien wieder da, die kann euch sicher weiterhelfen. Da kaufen die meisten schon ihre Fahrscheine für den Expresszug nach Peking, der übermorgen geht. Lien betreut die ausländischen Passagiere. Am besten kommt ihr bei ihr vorbei.« Am nächsten Morgen macht sich Yulan auf den Weg zum Hauptbahnhof. Beinahe hätte sie das Wichtigste vergessen, nämlich den Brief. Aber zum Glück hat Tian aufgepasst. Er geht nicht so gerne vom Büro weg, zumal sein Chef weg ist und wenigstens immer ein Beamter vor Ort sein sollte. Aber er ist sehr gewissenhaft und hat gleich gemerkt, dass seine temperamentvolle Kollegin beinahe den Brief vergessen hätte, weil sie in Gedanken schon am Bahnhof war. Dort heißt es sich allerdings in Geduld zu üben, denn an Liens Fahrkartenschalter warten jede Menge Leute darauf, sich eine Fahrkarte für den Zug zu sichern. Wer keinen Fahrschein mehr ergattert, muss dann nämlich eine Woche bis auf den nächsten Express warten. Doch schließlich hat Lien auch den letzten Kunden mit einer Fahrkarte versorgt und bittet Yulan zu sich hinter den Verkaufstresen. »Ich bin schon ganz gespannt«, begrüßt sie die jungen Postbediensteten. »Ling hat mir gleich heute früh von dem mysteriösen Brief erzählt. Jetzt lass mich mal sehen.« Yulan gibt ihr das Schreiben. »Da steht als Adresse Bac-nang darauf. Da hat sicher jemand gedacht, wir probieren es mal in Nanchang, das hat die gleichen Vokale und auch die gleiche Endung. Bac-nang gibt es aber in ganz China nicht. Da bin ich mir sicher, schließlich müssen wir die Namen aller Bahnhöfe im ganzen Land im Kopf haben.« »Ja, was sollen wir denn jetzt machen?«, fragt Yulan, die zur Abwechslung mal nicht sofort eine Lösung parat hat. »Am besten gebt ihr gleich morgen früh den Brief wieder im Postabteil ab. Die schicken den Brief wahrscheinlich wieder zurück. Ich bin mir ziemlich sicher, dass da ein Ort in Deutschland gemeint war. Ich schreibe also auf Englisch dazu: Zurück nach Deutschland. Hinten als Absender steht auf alle Fälle jemand in Heidelberg, das ist dort eine sehr bekannte Stadt. Mir ist es sowieso ein Rätsel, wieso man den hier nach China geschickt hat. Normalerweise steht da immer ein Ländername dabei, wenn die Sendung ins Ausland gehen soll.« »Danke, du hast uns sehr geholfen«, verabschiedet sich Yulan. Am nächsten Morgen, noch vor der Arbeit, begeben sich Yulan und Tian zum Expresszug nach Peking, der extra ein Postabteil hat, damit Sendungen in die Hauptstadt schnell transportiert werden können. So kann Tian das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Einerseits ist er so länger mit Yulan zusammen, andererseits kann er dem Beamten im Zug pflichtgemäß die Sendung persönlich aushändigen. »Wie gern würde ich mit euch im Postabteil mitfahren«, seufzt Yulan. ...


Bei den Backnang Stories handelt es sich um einen Schreibwettbewerb des Leseratten Verlages aus der Region rund um Backnang. Die Autoren sind in der Regel alles Newcomer, die hier ihre ersten Schreibversuche veröffentlichen. Die Altersspanne reicht von 11 bis 70 Jahren.


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