Helleberg | Der Pflug des Zorns - Ein historischer Roman | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 376 Seiten

Helleberg Der Pflug des Zorns - Ein historischer Roman

E-Book, Deutsch, 376 Seiten

ISBN: 978-87-26-35092-0
Verlag: Saga Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Spannende Fortsetzung von Maria Hellebergs Mittelalterroman 'Vogelfrei'Schweden im 14. Jahrhundert: Jofrid, die uneheliche Königstochter, und Ritter Steen leben gemeinsam mit ihren Kindern und Pflegekindern auf einem Hof in Schweden. Im Alter von zehn Jahren verlässt Pflegekind Gunnar den Hof, um sich auf ein Leben im Konvent vorzubereiten. Einen guten Freund findet Gunnar in dem selbstsicheren Erik, der viel mehr über Gunnars geheimnisumwitterte Herkunft weiß, als dieser selbst ahnt. Die Jahre vergehen. Doch als sich Gunnar und Erik in die gleiche Frau verlieben, wird die Freundschaft der beiden Männer auf eine harte Probe gestellt...-

Maria Helleberg, geboren 1956, ist in ihrem Heimatland Dänemark als Königin der historischen Romane bekannt. Sie studierte Dänisch und Theaterwissenschaften und veröffentlicht seit 1986 Romane, Kinderbücher, Reiseliteratur und Theaterstücke. Ihre Werke, für die sie etliche Auszeichnungen und Stipendien erhalten hat, wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.
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1
GUNNAR
1324–28 Er nahm allen Mut zusammen und ging auf die hohe, spitze Tür der Kirche zu, wohl wissend, daß das ein unnötiges Risiko war. Der Pflegevater hatte ihm verboten, ohne Begleitung in die Stadt zu gehen. Es war nicht mehr wie damals in Norwegen, als sie vogelfrei und ohne Freunde gewesen waren. Dem Pflegevater standen Leute zu Diensten. Gunnar brauchte nicht allein und schutzlos zu gehen. Aber heute war er allein. Unmittelbar vor der Tür blieb er stehen, fiel beinahe über seine eigenen Füße und bereute zutiefst seine Waghalsigkeit. Aber irgendwann mußte es ja geschehen. Der Kirchenraum öffnete sich ihm, viel zu weit, zu grau und unbekannt. Aus einer nicht einsehbaren Ecke des Chorraums strömte Gesang, legte sich wie ein klingendes Zeichen von Abneigung und Verstimmung mit leichtem Druck auf seine Brust. Er benetzte die Finger mit Weihwasser und bekreuzigte sich, ein paar Tropfen fielen auf den grauen Steinfußboden, und ein kleiner, struppiger Hund stürzte sich blitzschnell darauf, sah dann wieder auf zu ihm, enttäuscht. Parasiten krabbelten in seinem Fell. Er machte einen Bogen um ihn und ging weiter, zaudernd und schwerfällig. Ein Grabstein ragte in Knöchelhöhe empor, er fiel fast darüber und dachte nicht einmal daran, daß die Toten das vielleicht als Verhöhnung auffassen könnten, hielt die eingepackte Figur dicht an seine Brust gedrückt. Stellte sich vor, was mit Cecilia hätte geschehen können, wenn er wirklich gefallen wäre: Es lief ihm kalt den Rücken hinunter, dann den Nacken hinauf, so daß er geradezu spüren konnte, wie die kleinen Haare sich voller Furcht sträubten. Seine Augen suchten die großen Gerüste, dort mußte der Holzschnitzer zu finden sein. Ging den Stimmen nach, dem fremdartigen Klang: Die Mehrzahl der Meister waren Deutsche, hatte er gehört, aber er ahnte nicht einmal, wie deren Sprache klang. Dieses hier war zumindest weder Schwedisch noch Norwegisch, Sprachen, die ihm vertraut waren. Einer der Gesellen bekam von einem größeren, älteren Mann eine Ohrfeige, und Gunnar blieb stehen, als habe ihn diese selbst getroffen. Auch hier gab es das also. Das hätte er nie gedacht. Als Kind hatte er lange die sündige Hoffnung gehegt, seine Eltern würden die gewohnte Haut abstreifen und ihr eigentliches Ich entschleiern – daß sie sich verwandeln würden wie Tiere, die die Farbe der Jahreszeiten annahmen, weiß im Winter, grau im Sommer. Oder daß er eines Tages entdecken würde, daß er ein vertauschtes Kind war, wie in den Volksweisen. Daß er irgendwo andere, richtige Eltern hätte, und daß diese richtigen Eltern ihn liebten, glücklich und gerührt wären, ihn wiederzubekommen. Aber das schien nie einzutreten, seine Eltern blieben sich ewig und unveränderlich gleich. Man konnte sich nicht auf ihre Wünsche einstellen, denn die Forderungen änderten sich von Tag zu Tag, ja, von Stunde zu Stunde, wenn man Pech hatte. Er hatte keine Ahnung, warum es Ohrfeigen nur so setzte, sobald er sich zeigte. Alle anderen in der Familie hatte man nach verstorbenen Familienmitgliedern benannt: Wenn es richtig zugegangen wäre, hätte man ihn Bengt oder Arvid, Finn oder Oluf getauft. Aber er hieß Gunnar. Es gab auch keinen Heiligen mit diesem Namen: Der Name war schrecklich, altmodisch und heidnisch. Und er hatte sich damit abgefunden, daß seine Eltern ihn schlugen, weil er häßlich, klein, dunkelhaarig und dünn war. Seine Pflegeeltern schlugen ihn nicht. Niemand in seinem neuen Zuhause schlug ihn. Das hatte zu Anfang sein tiefstes Mißtrauen erregt. Denn seine Pflegeeltern waren nicht krank, wie es sein Vater gewesen war, sie waren hübsch und sonderbar, und in ihren Augen mußte seine Häßlichkeit weit mehr auffallen. Es gab so viel an ihm auszusetzen. Er hörte schlecht und zog das eine Bein nach. Jeden Winter verbrachte er im Bett mit Augenentzündung und Fieber, die Schmerzen kamen wie kleine Fledermäuse aus der Lunge emporgewandert. Er hatte das Gefühl, daß sich die Pflegeeltern sehr erschrecken würden, wenn sie entdeckten, daß er weder im Garten des Bischofshofes saß und Blumenkränze flocht noch in den Ställen nach den Pferden sah. Er hatte zum ersten Mal lügen müssen, um für dieses unaufschiebbare Vorhaben entwischen zu können. Aber es war die Lüge wert. Er ließ den Gesellen fragen, ob der Meister einen Augenblick Zeit hätte – in dem klaren, knorrigen Gesicht war immer noch eine Spur von Demütigung zu erkennen. Gunnar wunderte sich. Der Geselle war nicht viel älter als er selbst. Mit nachlässig und unmittelbar über den Ohren geschnittenen Haaren, hohen Wangenknochen und schrägen Augen, einer speckigen, rötlichen Mütze. Er ähnelte jedem x-beliebigen Bauernjungen, aber er war der erste Deutsche, mit dem Gunnar je gesprochen hatte. Der Bescheid wurde in einer anderen Sprache weitervermittelt, die klang, als werde hoch oben unter dem Gaumen gesprochen, und der dicke Mann auf dem rohen, noch duftenden Holzgerüst ließ die Arbeit ruhen. Es sah aus, als ärgere er sich über die Unterbrechung. Gunnar wand sich und errötete unter dem bösen Blick. Aber der Meister trocknete seine roten, verschrammten Hände in der Schürze ab und legte seine Messer in einer Reihe in die Schale, bevor er schnaufend von oben herunterstieg. Gunnar zitterte so sehr mit den Händen, daß ihm Cecilia aus dem beschützenden Stoffetzen fiel. Der Deutsche fing sie in der Luft auf und hielt sie ein Stück von sich weg, hustete zugleich kräftig und tat der Heiligen die Ehre an, das Gesicht ein wenig abzuwenden, bevor er den Rotz ausspuckte. Cecilia war die einzige Figur, die er zu Ende gemacht hatte und vorzuzeigen wagte. Sie war so lang wie sein Unterarm, mit einer Laute in der einen Hand und scharfen Falten im Kleid, die Schleppe unter einen Ellbogen geklemmt, wie seine Pflegemutter, wenn sie ihr schönstes Zeug anhatte. So, wie er sie kaum jemals hatte sehen können, als sie in der Verbannung in Norwegen lebten. Als er noch an der Figur arbeitete, schnitzte und die kleinen Äste mit den Nägeln abkratzte, war Cecilia der Mittelpunkt in seinem Leben gewesen, und er hatte überall ihre Formen gesehen. Jetzt jedoch sah er sie so, wie alle anderen die Figur empfinden mußten – unansehnlich und unfertig, es fehlte an Verzierung und auch an Gold. Der Deutsche drehte sie unbarmherzig herum, wie eine Magd ein gerupftes Huhn dreht, bevor dieses in den Kochtopf wandert. Dann wandte er sich an den Gesellen und fragte etwas in seiner harten Sprache. Der Geselle zwinkerte ein paarmal mit den Augen, um anzudeuten, daß dies eigentlich weit unter seiner Würde war und übersetzte schließlich mit schleppender Stimme: – Meister Francke möchte gern wissen, bei wem du in der Lehre warst, kleiner Schwede? Der Deutsche wirbelte herum, auf einmal behende und leicht, trotz seines schweren Körpers – kniff ein Auge zu und balancierte Cecilia auf seiner flachen Hand. In seinem Gesicht konnte man keine Veränderung erkennen, aber Gunnar wurde es warm vor Seligkeit, und die Zunge brachte die schönen Worte, mit denen er zu antworten versuchte, nicht heraus. Der Mann glaubte, er habe dieses Fach gelernt, er, der nur gelegentlich mal geschnitzt hatte. Und nun wollte der Meister wissen, woher er kam, ob er zu einer Gilde oder Werkstatt gehörte, ob er ehelich geboren war und Auskunft über seine Familie geben konnte. Das war alles schwierig – er war unmündig, mußte seinen Pflegeeltern folgen, wie er es getan hatte, als der Pflegevater für vogelfrei erklärt worden war. Und während er versuchte, seine Herkunft zu erläutern, wurde ihm klar, daß Holzschnitzer wohl das war, was er zuallerletzt werden konnte. Er war zwar der verarmte Sohn eines verarmten jüngsten Sohnes, aber er entstammte dem Ängel-Geschlecht, und kein Mann, der diesen weiblichen Engel in seinem Wappen trug, konnte so tief sinken, daß er sich von seiner Hände Arbeit ernähren mußte. So einfach war das. Sein Platz war bereits vor der Empfängnis festgelegt. Sein Schicksal hieß Lindö. Ein Hof irgendwo in Uppland. Er konnte sich nicht daran erinnern – er hatte den Hof verlassen, als er zehn Jahre alt war, ohne zu wissen, wieviel Zeit vergehen würde, bis er zurückkehren könnte. Jetzt war es ihm einerlei.   Niemand hielt ihn auf, als er sich an den Schreibern vorbeischlängelte, hinein in die fensterlose Kammer. Der trockene Geruch von Pergament und Staub benahm ihm den Atem. Er hatte noch nie außerhalb einer Kirche Bücher gesehen. Aber hier standen sie in Regalen, als hätten sie einander gezeugt – große und kleine, abgenutzte und neue, ein paar zerschlissene, andere fest an die Regale gekettet. Auf Kalmarhus gab es keine anderen Angebote zur Zerstreuung. Seit er hierhergekommen war, hatte er sich gelangweilt – und er hatte seine Enttäuschung nicht einmal mit jemandem teilen können. Schon das Wort Hof hatte ihm das Herz in der Brust hüpfen lassen. Aber der Hof erfüllte nicht seine Erwartungen, die von den Erzählungen des Pflegevaters bestimmt worden waren. Hier auf Kalmarhus wohnten zwölf junge Männer, dazu ausersehen, dem König Magnus Eriksson zur Hand zu gehen, sollte es ihm eines Tages gefallen, Varberg zu verlassen, um sich sein Reich anzuschauen. Die Burschen schliefen zu zweit, um sich in den Winternächten zu wärmen, und bei Tische teilten sie Eßbretter und Becher. Aber keiner wollte mit Gunnar teilen, dem Neuankömmling. Wenn sie etwas brauchten, sahen sie durch ihn hindurch, als sei er aus klarem Glas....


Maria Helleberg, geboren 1956, ist in ihrem Heimatland Dänemark als Königin der historischen Romane bekannt. Sie studierte Dänisch und Theaterwissenschaften und veröffentlicht seit 1986 Romane, Kinderbücher, Reiseliteratur und Theaterstücke. Ihre Werke, für die sie etliche Auszeichnungen und Stipendien erhalten hat, wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.


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