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E-Book, Deutsch, Band 60, 223 Seiten

Reihe: Konkret Texte

Hoffmann "Diese außerordentliche deutsche Bestialität"

Wie die Nazis die Spuren ihrer Massenmorde in Osteuropa beseitigten

E-Book, Deutsch, Band 60, 223 Seiten

Reihe: Konkret Texte

ISBN: 978-3-930786-77-0
Verlag: KVV "konkret"
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



„Aktion 1005“ nannten die Deutschen das Vorhaben, ab dem Frühjahr 1943 die Spuren ihrer Massenmorde in Osteuropa zu beseitigen. Nur sehr wenige der mehrheitlich jüdischen Häftlinge, die im Zusammenhang der „Aktion 1005“ gezwungen wurden, die Leichen ermordeter jüdischer Zivilisten und Kriegsgefangener zu verbrennen und die Tatorte einzuebnen, erlebten das Ende des Krieges. Was berichteten diese Überlebenden über die Verbrechen der Deutschen, über die Arbeit an den Massengräbern und Verbrennungsplätzen, über Akte von Widerstand und den Verlust geliebter Menschen? Wie gingen sie mit den Erfahrungen um, die ihnen von Deutschen aufgezwungen worden waren, und was erlebten sie als Zeugen in Strafprozessen gegen Täter der „Aktion 1005“ in der Bundesrepublik? Wie schließlich lebten diese Männer in Israel, und wie sprachen sie mit ihren eigenen Kindern und Enkelkindern über diesen Abschnitt ihres Lebens?
Anhand von sechs bislang unveröffentlichten Augenzeugenberichten aus Archiven in Israel und Polen sowie Interviews, die der Autor mit Angehörigen der Überlebenden in Israel geführt hat, zeichnet dieses Buch die Spuren nach, die die Verbrechen, die Deutsche zum Zweck der Vertuschung ihrer Massenmorde während des zweiten Weltkriegs begingen, nicht nur in der Generation der Überlebenden hinterlassen hat.
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Augenzeugenbericht Lipman Aronowicz




Aussage des Zeugen
 
 






ARONOWICZ Lipman,
geboren am 5. Januar 1917 in Wilna, Sohn von Benjamin und Chaja, geborene Chones, wohnhaft in Ramat Josef, Rechov Hadadi 137/12






Im Krieg umgekommen:
Vater Benjamin Aronowicz
Wilna 1943






 
Mutter Chaja
Wilna 1943






 
Schwester Rywa, geboren 1922
Wilna 1943






 
Bruder Hirsz, geboren 1928
Wilna 1943



Rückzug der polnischen Armeen im September 1939:

Nach Beendigung der Schule »Tarbut« in Wilna begann ich eine Pelzmacherlehre.
Ab 15. Februar 1939 absolvierte ich den aktiven militärischen Dienst in Molodeczno beim 19. PAL-Regiment. In den letzten Augusttagen fühlte ich, daß sich der Krieg näherte, und sandte meinen Eltern ein Telegramm, in dem ich schrieb, daß wir uns nie wiedersehen würden. Vater schickte eine Abschiedsdepesche zurück, in der er mich für meine Vorhersage auslachte, die grundlos erschien.
Aber ich hatte recht. Einen Tag später war Krieg, und ich habe keinen von meinen Nächsten je wiedergesehen, von deren tragischem Tod im Wilnaer Ghetto ich von den wenigen erfuhr, die es überlebt hatten.
Von Molodeczno schickte man uns nach Jackowice, wo wir schon auf verstreute, sich zurückziehende polnische Truppen ohne Offiziere trafen. Mit Pferden gelangten wir nach Garwolin, wo man uns den Befehl erteilte, zu Pferd die Wisla (Weichsel) zu überqueren. Als ich jedoch am Strand stand und die ertrinkenden Pferde mit den Reitern sah, entschied ich mich, den Befehl nicht auszuführen, und sprang in ein Boot, in dem Soldaten eines anderen Regiments übersetzten. In dem Durcheinander und Wirrwarr fiel das keinem auf.
Am anderen Ufer der Wisla traf ich den Korporal Karpowicz aus meinem Regiment, mit dem ich die Fußwanderung nach Minsk Mazowiecki begann, zuvor stärkten wir uns mit seinen Konserven. Von da mußten wir jedoch wieder nach Garwolin zurückkehren, wir fanden uns letztlich in Warszawa (Warschau) ein. Da wir kaum Aussichten hatten, nach Wilna zurückzukehren, beschlossen wir, einen Weg zur Armee zu suchen. Doch ein Feldwebel, der den Karpowicz aufnahm, wollte mich als Juden nicht. Karpowicz jedoch half mir, und ich wurde in die Einheit der Verteidiger des Belvedere7 aufgenommen. Dort blieb ich bis zur Kapitulation Warschaus. Dann sammelte uns der Oberleutnant und verkündete, daß Warschau kapituliert hat, die Offiziere in ein Gefangenenlager gehen, die Soldaten dagegen nach Hause.
Nach Erhalt des Proviants entfernte ich mich, einen Weg nach Wilna suchend. Bei Bekannten in Warschau wechselte ich in Zivilkleidung und machte mich wieder mit Karpowicz nach Praga auf.
Dort geschahen seltsame Dinge.
Als wir an einer Brücke ankamen, erklärten uns Deutsche, daß sie keine Zivilisten durchlassen, wenigstens hatte man uns genau davor gewarnt, unbedingt nicht in Uniformen zu gehen. Wir zogen also erneut unsere Uniformen an, und als wir die Gleise erreichten, hörten wir: »Halt«.8 Deutsche Kontrolle. Dann ließ man uns warten, gab uns etwas Rum und Brot mit Marmelade, bis man schließlich etwa 50 von uns mitnahm und zu Fuß zwei Tage und Nächte führte, bis man uns in Waggons verlud. Wir fahren also nach Hause.
Gefangenenlager Hohenstein/Tannenberg, Ostpreußen:

Leider hat man uns statt dessen nach Ostpreußen gebracht. Als wir im Lager ankamen, trafen wir verschiedene Männer an, sowohl Zivilisten als auch Armeeangehörige.
Und wieder Durchsuchung. Zum ersten Mal fiel auch: »Juden heraus!« Ich wollte aus der Reihe, als ein Pole mich am Ärmel packte und flüsterte: »Du bist Pole, geh nicht.« Ich blieb. Anschließend kamen wir in eine Baracke zusammen mit Volksdeutschen. Nach etwa zwei Wochen sagte mir ein Mitgefangener eines Abends, daß sie erfahren hätten, daß ich Jude bin, und sie das der Lagerleitung melden wollen. Ich habe den Kameraden zum Abschied geküßt und begab mich zur Kanzlei, wo ich den Deutschen militärisch meldete, daß ich ein Jude bin und bisher in einer Baracke mit Polen war. »Los, Hosen herunter!« Ich bekam 25 Hiebe, hinterher mußte ich noch diensteifrig sagen: Danke. Man schickte mich in die jüdische Baracke.
Hier war es natürlich bedeutend schlimmer. Aber es dauerte nicht lange, weil man uns nach kurzer Zeit in Gruppen nach Herkunftsländern einteilte und sagte, daß sie uns nach Hause zurückschicken.
Kriegsgefangenenlager Ilowa:

Ich schrieb mich in eine Gruppe von Litauern aus Wilna ein. Man brachte uns nach Ilowa. Das Lager befand sich in ehemaligen polnischen Kasernen. Es gab keinen Drahtzaun. Es war voller Gefangener, Offiziere und Soldaten. Man verpflegte uns schlecht.
Nach der Registrierung schickten sie uns zur Zwangsarbeit. Dadurch ergab sich die Möglichkeit, etwas zu essen zu stehlen. Auf den Straßen sammelten wir Zigarettenstummel.
Kriegsgefangenenlager Suwalki:

Die Gruppe von Litauern wurde bald nach Suwalki gebracht, wo sich das Lager ebenfalls in polnischen Kasernen befand. Obwohl ich angeschwollene Beine hatte und mir das Gehen Schwierigkeiten machte, mußte ich zur Zwangsarbeit gehen. Zusammen mit mir war ein Kollege aus Wilna, Kosower.
Eines Tages sagte man uns, daß alle, die nicht zur Arbeit gingen, zur litauischen Grenze fahren, unsere Gruppe dagegen wurde zurückgehalten. Es waren von uns an die 15. Wir sollten erst in ein paar Tagen fahren. Und tatsächlich wurde uns ein paar Tage später gesagt, daß wir frei seien und nach Hause führen.
Von Flucht aus dem Lager war keine Rede.
Am Morgen gingen wir zum Bahnhof. Mit einem Personenzug fuhren wir zur Grenze. Dort trafen wir auf litauische Grenzbeamte, die uns sagten, daß der Übergang an dieser Stelle nicht erlaubt sei; nach einigen Sekunden umstellten uns deutsche Soldaten und führten uns ab. Da begriffen wir, daß alles abgekartet war. Aber wozu?
Stalag 2B Hammerstein:

Man lieferte uns am Lager ab. Angeblich hatte es dort schon während des ersten Weltkriegs ein Kriegsgefangenenlager gegeben.
Obwohl wir dort nur kurze Zeit waren, war es jedoch sehr schwer für uns. Die unzureichende Ernährung und die schwere Arbeit nahmen uns sehr mit. Nach einiger Zeit überstellte man uns nach Biala Podlaska.
SS-Judenlager Biala Podlaska

Dort begann ich schon zu spüren, daß ich Jude bin und nicht Kriegsgefangener. Wir waren etwa 300–350 Männer, mehrheitlich Kriegsgefangene. Bewacht haben uns Ukrainer in schwarzen Uniformen.
Es war Winter, und wir mußten Schnee an einem Flughafen räumen.
Hilfe von seiten eines Deutschen bei der Flucht aus dem Lager:

Sein Name war Hans. Sein Nachname war mir nie bekannt. Aber ich erinnere mich an ihn als den einzigen Deutschen, der sich in der Kriegszeit menschlich zu mir verhalten hat. Grundsätzlich benahm er sich nur gegenüber den Soldaten gut, den Offizieren gegenüber nicht, über sie sagte er: Es werde eine Zeit kommen, in der sie uns die Schuhe putzen würden.
Einigen von uns Soldaten zeigte er Hilfe, indem er gestattete, Kartoffeln und Brot zur Verteilung zu sammeln. Ich erfreute mich seiner besonderen Sympathie. Ich habe ihm vertraut und erzählte ihm von den Fluchtplänen. Er sagte zu, mir nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub zu helfen, und hielt sein Wort. »Bist du fertig?« – fragte er. Ich war natürlich immer bereit, von dort wegzugehen. So also rief er nach der Arbeitsaufteilung mich und meinen Kollegen Chaim Musel, gab uns Brot und sogar etwas Geld, reichte uns die Hand und verabschiedete sich: Gott mit Euch.
Wir gingen. In irgendeinem Dorf unterwegs einigten wir uns mit einem Polen, daß er uns über den Bug bringt. Zur selben Zeit erkrankte ich an Typhus und bekam hohes Fieber. Mein Kollege ebenfalls. Der Pole wollte uns helfen und brachte uns in ein Krankenhaus nach Biala Podlaska. Dort erhielt ich auf unbekanntem Wege Dokumente von meinem Vater, mit denen ich nach Wilna zurückkommen konnte.
Als ich jedoch nach 11 Tagen genesen war, sagte mir eine Krankenschwester, daß sie mich wieder in ein Lager schicken wollten. Nein, um keinen Preis wollte ich dorthin gehen! Sie half mir, gab mir Zivilkleidung und ließ mich nachts aus dem Fenster nach draußen. Auf einen Stock gestützt ging ich in das Ghetto von Biala Podlaska, wo ich mich einige Tage versteckt hielt. Musel tat dasselbe. Als wir jedoch auf die Straße rausgingen, nahmen uns die Deutschen fest und brachten uns ins Lager, aber schon in ein anderes. Es war das Arbeits-Verpflegung-Lager, AVL, gelegen zwischen Biala Podlaska und Terespol. Dort hat man uns zur Feldarbeit geschickt. Es war schon Mai 1941. Als eines Tages das Lager bombardiert wurde, flohen wir in das Ghetto von Biala Podlaska. Aber man brachte uns wieder zur Arbeit.
Trawniki:

Ich kann mich heute nicht mehr daran erinnern, aus welchem Grund man mich in das Lager in Trawniki brachte. Dort traf ich einige Bekannte aus Wilna: Licki, Gielinski, Swirski, Sznajder und andere. Zusammen waren wir jetzt 16.
Eines Abends sahen wir, wie vor unserer Baracke Maschinengewehre aufgestellt wurden. Das war also unser Ende. Wir verabschiedeten uns voneinander; die wir noch saubere Wäsche bei uns hatten,...


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