Das Geheimnis der Mysterien
E-Book, Deutsch, 118 Seiten
ISBN: 978-3-03788-652-6
Verlag: Nachtschatten Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Passend zur Ernennung des griechischen Eleusis zur UNESCO-Kulturhauptstadt 2023, machen wir mit diesem Reprint eines echten Klassikers der Drogenforschung einen gesuchten Band aus der Feder dreier Pioniere wieder verfügbar.
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ZWEITES KAPITEL.
WASSONS FRAGE UND MEINE ANTWORT
Im Juli 1975 war ich bei meinem Freund Gordon Wasson in seinem Haus in Danbury zu Besuch, als er mir auf einmal die Frage stellte, ob der frühe Mensch im alten Griechenland auf eine Methode gestoßen sein könnte, um aus Mutterkorn ein Halluzinogen zu isolieren, das ihm eine mit LSD oder Psilocybin vergleichbare Erfahrung vermittelte. Ich erwiderte, das sei sehr wohl möglich gewesen, und versprach, ihm nach weiteren Überlegungen einen Bericht über unsere gegenwärtigen Kenntnisse zu der Frage zukommen zu lassen, von dem ich bereits vermutete, daß er meine provisorische Ansicht bestätigen würde. Zwei Jahre sind vergangen, und hier ist nun meine Antwort. Mutterkorn ist der deutsche Name für eine Pilzwucherung, das ›Sklerotium‹ eines Pilzes, den die Mykologen als Claviceps purpurea (Fr.) Tul. kennen. Er ist ein Parasit auf Roggen und anderen Getreidearten wie Gerste oder Weizen und ebenfalls auf gewissen Wildgräsern. Andere Arten der Gattung Claviceps, nämlich C. paspali Stev. und Hall, C. nigricans Tul., C. glabra Langdon usw. kommen parasitär auf zahlreichen Arten und Varietäten von Gräsern vor. Das Mutterkorn selbst hat keine gleichbleibende chemische Zusammensetzung: es kommt in ›biologischen‹ oder ›chemischen‹ Rassen vor, die sich untereinander vor allem in der Zusammensetzung ihrer Alkaloidbestandteile unterscheiden. (Die Chemiker definieren ›Alkaloide‹ als stickstoffhaltige alkalische Stubstanzen, welche die pharmakologisch aktiven Prinzipien vieler Pflanzen bilden.) So gibt es in der Schweiz drei Varietäten von Roggenmutterkorn: (a) im Mittelland eine Rasse, die vor allem das Alkaloid Ergotamin enthält, (b) im Wallis eine mit Alkaloiden der Ergotoxingruppe und (c) in Graubünden eine Varietät ohne Alkaloide. Außerdem kennt man in anderen Mutterkornarten, die auf Weizen, Gerste, Hirse, Lolium usw. wachsen, eine große Variationsbreite in der Alkaloidzusammensetzung, die manchmal vom geographischen Standort abhängig ist. Die weitaus bedeutendste von allen Mutterkornarten ist das Roggenmutterkorn, purpurbraune Auswüchse aus den Ähren des Roggens. Roggenmutterkorn ist in England als ›horned rye‹ (›Gehörnter Roggen‹), ›spiked rye‹ (›Stachelroggen‹), ›spurred rye‹ (›Gespornter Roggen‹) bezeichnet worden; am gebräuchlichsten ist jedoch ergot of rye, eine Übersetzung des französischen ergot de seigle. Im Petit Larousse wird das Wort ergot definiert als ›petit ongle pointu derrière le pied du coq‹, ›kleine spitze Klaue hinter dem Fuß des Hahns‹, aber die Herleitung des französischen Wortes ergot ist unsicher. Andere französische Namen sind blé cornu, seigle ergoté, seigle ivre. Im Deutschen scheinen mehr Varianten vorzukommen als in anderen Sprachen: ›Mutterkorn‹, ›Rockenmutter‹, ›Afterkorn‹, ›Todtenkorn‹, ›Tollkorn‹ und viele andere. Im deutschen Volksglauben gab es die Vorstellung, daß die Kornmutter (ein Dämon) durch das Feld ging, wenn das Korn im Wind wogte; ihre Kinder waren die Roggenwölfe (Mutterkorn). In unserem Zusammenhang können wir feststellen, daß zwei von diesen Namen, seigle ivre (›trunkener Roggen‹) und ›Tollkorn‹ auf eine Kenntnis der psychotropen Wirkungen des Mutterkorns hindeuten. Dieses Volkswissen über die bewußtseinsverändernden Wirkungen des Mutterkorns zeigt eine intime Kenntnis seiner Eigenschaften, zumindest unter Kräuterkundigen, die tief in europäischen Traditionen verwurzelt ist. Das Roggenmutterkorn hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Einstmals ein gefürchtetes Gift, ist es zu einer wahren Schatzkammer wertvoller Arzneimittel geworden. Im Mittelalter traten in Europa seltsame Epidemien auf, die Tausende von Menschen das Leben kosteten; verursacht wurden sie durch Brot, das aus mutterkornbefallenem Roggen hergestellt worden war. Diese Epidemien nahmen zwei Erscheinungsformen an, Ergotismus convulsivus, gekennzeichnet durch Nervenkrämpfe und epilepsieartige Symptome, und Ergotismus gangraenosus, bei der gangränöse Erscheinungen, die zur Mumifizierung der Gliedmaßen führten, ein vorherrschendes Merkmal waren. Der Ergotismus war auch als ignis sacer (›heiliges Feuer‹) oder ›St. Antonsfeuer‹ bekannt, da der Heilige Antonius der Schutzheilige eines zur Fürsorge für die Opfer des Ergotismus gegründeten geistlichen Ordens war. Die Ursache dieser Epidemien – von Mutterkorn verseuchtes Brot – wurde erst im siebzehnten Jahrhundert bekannt, und seit damals sind nur noch sporadische Ausbrüche von Mutterkornvergiftung vorgekommen. Als Medikament wurde das Mutterkorn erstmals vom deutschen Arzt Adam Lonitzer im Jahr 1582 erwähnt. Er schrieb, es werde von Hebammen zur Beschleunigung der Geburt verwendet. Der erste wissenschaftliche Bericht über den Gebrauch von Mutterkorn als uterotonisches Mittel wurde 1808 vom amerikanischen Arzt John Stearns vorgelegt: ›Account of the pulvis parturiens‹. Doch bereits 1824 empfahl Dr. David Hosack, ebenfalls ein Amerikaner, der die Gefahren des Gebrauchs von Mutterkorn zur Beschleunigung der Geburt erkannte, die Droge sollte nur zur Kontrolle nachgeburtlicher Blutungen eingesetzt werden. Seit dieser Zeit wird das Mutterkorn in der Geburtshilfe hauptsächlich zu diesem Zweck verwendet.1 (Dieser Dr. Hosack war ein bemerkenswerter Mann. Er war der Leibarzt vieler hervorragender New Yorker seiner Zeit, und er begleitete Alexander Hamilton nach Weehawken heights zu seinem fatalen Duell mit Aaron Burr. Das erfuhr ich aus der bewundernswerten Lebensbeschreibung Hosacks von Christine Robbins.) Das jüngste und wichtigste Kapitel in der Geschichte des Mutterkorns betrifft seine Rolle als reiche Quelle pharmakologisch nützlicher Alkaloide.2 Mehr als 30 Alkaloide sind aus dem Mutterkorn isoliert worden, und es ist wahrscheinlich, daß noch viele neue entdeckt werden. Hunderte von chemischen Abwandlungen dieser natürlichen Alkaloide wurden hergestellt und pharmakologisch erforscht. Heute lassen sich alle diese Alkaloide auch durch Vollsynthese gewinnen. Medizinisch betrachtet, stammen die nützlichsten Alkaloide vom Roggenmutterkorn. Das erste Mutterkornalkaloid, das weite therapeutische Verwendung fand, war das Ergotamin, das 1918 von A. Stoll isoliert worden ist. Es bildet den wesentlichen Bestandteil von pharmazeutischen Präparaten wie ›Cafergot‹ und ›Bellergal‹, die gegen Migräne und nervöse Störungen eingesetzt werden. Wertvolle moderne Mutterkornpräparate sind das von A. Stoll und A. Hofmann in den Laboratorien von Sandoz in Basel entwickelte, hydrierte Ergotoxinalkoloide enthaltene ›Hydergin‹, das bei der Behandlung geriatrischer Störungen verwendet wird; und ›Dihydergot‹ mit Dihydroergotamin als aktivem Bestandteil für die Therapie von Zirkulationsstörungen. Von besonderer Bedeutung für unser Problem sind die Untersuchungen mit dem Alkaloid Ergonovin, dem spezifisch uterotonischen, wasserlöslichen Prinzip des Mutterkorns. 1932 entdeckten H. W. Dudley und C. Moir in England, daß wasserlösliche Extrakte aus Mutterkorn, die keine der wasserunlöslichen Alkaloide des Ergotamin-Ergotoxin-Typus enthielten, starke uterotonische Aktivität auslösen. Diese Beobachtung führte drei Jahre später zur gleichzeitigen Isolierung des für diese Wirkung verantwortlichen Alkaloids in vier verschiedenen Laboratorien, die es ›Ergometrin‹, ›Ergobasin‹, ›Ergotocin‹ und ›Ergostetrin‹ nannten. Die Internationale Pharmakopöe-Kommission schlug einen Namen zur internationalen Annahme vor, um diese Synonyme zu ersetzen, nämlich ›Ergonovin‹. 1937 stellte ich ausgehend von natürlich vorkommender Lysergsäure Ergonovin her, das in seiner chemischen Zusammensetzung das in Fig. 1 dargestellte Lysergsäurepropanolamid ist. Lysergsäure ist der den meisten Mutterkornalkaloiden gemeinsame Kern. Sie wird aus speziellen Mutterkornkulturen gewonnen und könnte heute auch durch Vollsynthese hergestellt werden, wenn dieses Verfahren nicht zu kostenaufwendig wäre. Ich wandte die für die Synthese von Ergonovin entwickelte Methode bei der Herstellung vieler chemischer Abwandlungen von Ergonovin an. Eines dieser teilsynthetischen Derivate des Ergonovins war Lysergsäurebutanolamid. Es ersetzt heute in der Geburtshilfe unter dem Markennamen ›Methergin‹ weitgehend das Ergonovin zur Stillung nachgeburtlicher Blutungen. Ein weiteres Lysergsäurederivat, das ich in diesem Zusammenhang isolierte mit dem Ziel, ein Analeptikum (d. h. einen Wirkstoff mit kreislauf- und atmungsstimulierenden Eigenschaften) zu gewinnen, war Lysergsäurediäthylamid (Fig. 1, S. 39). Die pharmakologische Prüfung ergab eine ziemlich starke uterotonische Wirkung dieser Verbindung, fast so stark wie bei Ergonovin. Im Jahr 1943 entdeckte ich in...