Homolka / Hoppe / Krochmalnik | Der Messias kommt nicht | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Homolka / Hoppe / Krochmalnik Der Messias kommt nicht

Abschied vom jüdischen Erlöser

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-451-81584-3
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die Geschichte des Messias im Judentum ist eine Geschichte enttäuschter Hoffnungen. Immer wieder gab es Heilsfiguren, denen diese Rolle zugeschrieben wurde.  Doch die Erlösung von Besatzung und Fremdherrschaft, Exil, Unterdrückung und Verfolgung blieb aus. Deshalb geriet die Erwartung des Messias an die Peripherie jüdischer Theologie. In ihrem Gang durch die jüdische Geistesgeschichte zeigen die Autoren die Abkehr von einem personalen Messias und die Bekräftigung der Hoffnung der Propheten auf ein universales messianisches Zeitalter. Dies betont die Pflicht aller Menschen, an der Heilung der Welt mitzuwirken. Deutlich wird: Die Messiasidee kann keine Brücke zwischen Christentum und Judentum sein.
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»Jeder Messias,
der in der Gegenwart kommt,
ist ein falscher Messias«1
2014 erschien mit Die Jakobsbücher Olga Tokarczuks bisher ehrgeizigstes Werk.2 Sechs Jahre schrieb sie an einem Roman von fast 900 Seiten, den das Nobelpreiskomitee als ihr »magnum opus« pries – und ihr dafür 2018 den Literaturnobelpreis verlieh. Die Jakobsbücher beschreibt die fantastisch anmutende Reise des Kaufmanns Jakob Joseph Frank (1726–1791), der behauptete, eine Reinkarnation des Kabbalisten Sabbatai Zwi aus dem 17. Jahrhundert zu sein. Die etwa fünf Jahrzehnte, die sich zwischen den Buchdeckeln dieses umfangreichen Romans abspielen, bilden den Rahmen für den Aufstieg und Fall von Jakob Joseph Frank und seiner Gefolgschaft von »wahren Gläubigen«. Von ekstatischen Visionen heimgesucht, bekennt er sich abwechselnd zum Islam, zum Judentum und zum Christentum, mal von seinen Gegnern als Ketzer denunziert, mal von seinen Anhängern als Messias verehrt. Die konventionellen Vorstellungen von Gut und Böse stellt er auf den Kopf, wenn er der immer eifriger werdenden Schar seiner Jünger befiehlt, die Welt mit Sünde zu überschwemmen, um so das Ende der Zeit zu beschleunigen. Seine in Verruf geratene Religion ist wahrhaftig eine »Endzeitreligion, die alle drei Religionen […] in sich vereint«. Charismatisch und mit mehr als einer Prise Psychopathie bietet Frank eine unendlich faszinierende Charakterstudie, und es ist leicht zu erkennen, warum er eine so großzügige romanhafte Behandlung verdient hat. »Er ist ein Betrüger«, sagte Tokarczuk über ihn, »ein Charmeur und ein Betrüger.«3 Es ist schon erstaunlich: Die Erwartung eines Messias zur Errettung Israels aus dem Unheil dieser Welt kann ein so erfolgreiches Romanthema sein, dass es mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wird. Bekräftigt wird: Die Aufgabe des Messias besteht im Judentum darin, das Volk Israel aus seinem Leid und der Bedrängnis zu erlösen. Das heißt, dass alle Verfolgung, Entwürdigung und Verachtung aufhören und das Volk Israel zu seinem Recht in dieser Welt finden wird. Mit Erlösung ist nicht die von Sünde und Schuld gemeint. Denn das Judentum kennt – anders als das Christentum – keine Vorstellung von einer Erbsünde. Vielmehr geht es um eine Art nationale Befreiung, schalom als allumfassendes Heil für alle Völker und um die völlige Durchsetzung der Gottesherrschaft. Man erwartet die Erlösung immer dann, wenn das jüdische Volk in großer Bedrängnis lebt; die Größe des Leids entspricht der Größe des Retters und Erlösers, also des Messias. Man bezeichnet derartige Zeiten auch als die der »messianischen Wehen«. Sie kennzeichnen eine Zeit der Sittenlosigkeit, der Not und Armut. Legendäre Nationen, so die endzeitliche Vorstellung, ziehen unter den Königen Gog und Magog gegen Jerusalem zu Felde und werden besiegt. In diesem Kampf wird, so heißt es, der maschiach ha’milchama, der Kriegsmessias, ein Sohn aus dem Hause Josefs, getötet. Elija, der Vorläufer des wahren Messias aus dem Hause Davids, erschlägt daraufhin Samael, den Satan. Erst dann sollen die Tage des Messias anbrechen, die gekennzeichnet sind von der Rückführung des jüdischen Volkes aus der Diaspora, der Wiederherstellung Jerusalems und seines Tempels sowie der Wiederherstellung des Thrones Davids, also der jüdischen Souveränität. Messias-Prätendenten: historische Beispiele
Die Erwartung, dass diese Geburtswehen des Messias anbrechen würden, stieg in Zeiten nationalen Unglücks, etwa nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch die Römer im Jahr 70 u. Z. Damals lag die Hoffnung auf dem Freiheitskämpfer Simon Bar Kochba, den »Sternensohn«; dessen Befreiungskampf gegen Rom aber 135 mit einer Niederlage endete. Im 12. Jahrhundert wollte David Alroy aus Kurdistan zusammen mit einer Gruppe kriegerischer Bergjuden das Land Israel den Muslimen entreißen. Er wurde jedoch gefangen genommen und vor den Sultan gebracht und auf dessen Geheiß von seinem eigenen Schwiegervater umgebracht; unterdessen sollen Betrüger die Gelegenheit ausgenutzt und sich alles Hab und Gut der Bagdader Juden angeeignet haben, während diese auf den Dächern der Stadt den Messias erwarteten. In der Zeit der Verfolgung der Marranen im 16. Jahrhundert trat der arabische Jude David Reubeni (1485–1538) als Messiasanwärter auf. Er gab vor, er komme als ein Abgesandter seines Bruders Joseph, der als König über die verlorenen Stämme Ruben, Gad und Menasse in der Wüste von Khaibar nordwestlich vom arabischen Medina herrsche. Und tatsächlich gelang es ihm, Papst Clemens VII. und den König von Portugal dazu zu bewegen, ihn dabei zu unterstützen, das Land Israel von den Osmanen zu befreien. Als aber die Erwartungen der verfolgten Marranen auf eine Erlösung des Judentums immer lauter wurden und der Marrano Salomo Molcho aus Begeisterung für Reubeni offen zum Judentum zurückkehrte, wurde Reubeni inhaftiert und verlor schließlich seinen Rückhalt unter den Juden. Während der massiven Judenverfolgungen in Osteuropa ernannte sich Sabbatai Zwi (1626–1676) aus Smyrna selbst zum Messias und prophezeite den 18. Juni 1666 als den Tag der Erlösung. Er versetzte damit das ganze jüdische Europa in Erregung, das noch unter den Folgen des Dreißigjährigen Krieges litt. Zudem hatten der Kosakenaufstand unter Bohdan Chmelnicki und die damit verbundenen Pogrome die jüdische Gemeinschaft in Polen 1648/49 in Angst und Schrecken versetzt, und das jüdische Leben war in dieser Zeit von Bußbestimmung und messianischer Erwartung gezeichnet ? ein Phänomen, das durchaus dem Zeitgeist entsprach: Auch die christliche Bevölkerung lebte nach dem Dreißigjährigen Krieg in Erwartung des Tausendjährigen Reiches. Dieser Chiliasmus bezeichnet eine religiöse Haltung, die mit dem baldigen Ende der gegenwärtigen Welt rechnet. Jedoch wurde Sabbatai Zwi im vermeintlich messianischen Jahr 1666 in der Türkei als Gefangener zum Übertritt zum Islam gezwungen, was in der jüdischen Welt zu tiefer Enttäuschung und großen Glaubenszweifeln führte, von denen etwa Glückel von Hameln in ihren Denkwürdigkeiten sehr anschaulich berichtet. Von Jakob Frank und seinen »Frankisten« haben wir schon gesprochen. Und auch im Chassidismus gab und gibt es Formen des Messianismus. Nachman Ben Simcha von Bratslav (1772–1810) schien geglaubt zu haben, entweder er selbst oder sein Sohn sei der Messias gewesen, und in jüngster Zeit wurde es dem Lubawitscher Rebben Menachem Mendel Schneerson (1902–1994) von seinen ultraorthodoxen Anhängern des Chabad-Chassidismus zugeschrieben, als Messias infrage zu kommen. »Diese extremen Formen von Messianismus riefen starken Widerstand in säkularen wie religiösen Kreisen hervor und verstärken den Trend, sich von jeder Rede von Messias und messianischem Zeitalter fernzuhalten. Statt der Person eines Erlösers wird die Hoffnung auf Erlösung erwartet«.4 Wissenschaftliche Verortungen
Gershom Scholem (1897–1982)5 hat die pseudomessianischen Bewegungen wieder ins Bewusstsein gerufen und interpretiert. Überhaupt wird gerade im 20. Jahrhundert dem Phänomen des Sabbatianismus mit neuer Faszination nachgegangen, eng verbunden mit einem neuen Interesse an der jüdischen Mystik. 1967 schrieb Jacob Neusner: »Sabbatai Zwi war nicht einfach ›der Messias‹, sondern spielte eine zentrale Rolle in dem metaphysischen Drama, das durch Spannungen innerhalb der Gottheit selbst entstand.«6 Yehuda Liebes betont vor allem das Interesse zionistischer Gelehrter, die im Pseudomessianismus die Sehnsucht nach politischer Erlösung sahen.7 Der Religionswissenschaftler R. J. Zwi Werblowsky (1924–2015) weist zu Recht darauf hin, dass es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen katastrophalen Ereignissen in der jüdischen Geschichte und dem Entstehen (pseudo-)messianischer Bewegungen gibt. Eine Vielzahl schwerer Erschütterungen jüdischen Lebens im Exil hatte keineswegs messianische Erwartungen geweckt. Die Messiasidee sei damit »zweifellos Vorbedingung, wenn auch kein genügender Grund« für messianische Bewegungen, so das Fazit Wer­blowskys.8 Wenn es einen solchen ursächlichen Zusammenhang auch nicht geben mag, so hatte das Scheitern der pseudomessianischen Euphoriker auf jeden Fall Auswirkungen auf das Konzept des Messianismus. Die Hoffnung auf Erlösung durch einen Messias aus dem Hause Davids, der die Exilierten im Land Israel sammeln werde, geriet durch die Erfahrungen mit dem Sabbatianismus und Frankismus in eine grundlegende Krise. Zwi Werblowsky zieht den Schluss: »Messianismus im weiteren Sinne einer idealen Zukunft muss nicht den Glauben an eine bestimmte, individuelle Retter- oder Erlöserfigur implizieren.«9 Die Antwort auf diese Enttäuschung war eine ­Universalisierung. Die Ablehnung eines akuten Messianismus durch die Mehrheit des konservativ geprägten Rabbinertums hatte mehrere zusammenhängende Gründe: Die unveränderliche Ordnung der Halacha soll weitestgehend bewahrt werden. Gershom Scholem drückt das so aus: Die Bewahrer des traditionellen Elements, und das waren […] eben die Träger der rabbinischen Autorität, spürten in den akuten messianischen Ausbrüchen das Nicht-Konforme, das die Kontinuität der Autorität der Überlieferung gefährdete. Solche Befürchtungen, dass akuter...


Homolka, Walter
Walter Homolka B.D., M.Phil., PhD (King’s College London), PhD (Trinity St. David), D.H.L. (HUC-JIR New York), Rabbiner, Professor für Jüdische Religionsphilosophie der Neuzeit und stv. Geschäftsführender Direktor der School of Jewish Theology. Rektor des Abraham Geiger Kollegs an der Universität Potsdam.

Hoppe, Juni
Juni Hoppe, M.St. (Oxford), PhD (Cambridge), Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Encyclopedia of Jewish-Christian Relations des Abraham Geiger Kollegs Potsdam.

Krochmalnik, Daniel
Daniel Krochmalnik, geb. 1956, Dr. phil. Dr. h.c., 1999 – 2018 Professor für Moderne Jüdische Philosophie und Geistesgeschichte und für Jüdische Religionspädagogik  der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. Seit 2018 Professor für Jüdische Religion und Philosophie an der Universität Potsdam und Geschäftsführender Direktor der School of Jewish Theology.

Striet, Magnus
Magnus Striet, Dr. theol., Professor für Fundamentaltheologie und Philosophische Anthropologie der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg.

Walter Homolka B.D., M.Phil., PhD (King’s College London), PhD (Trinity St. David), D.H.L. (HUC-JIR New York), Rabbiner, Professor für Jüdische Religionsphilosophie der Neuzeit und stv. Geschäftsführender Direktor der School of Jewish Theology. Rektor des Abraham Geiger Kollegs an der Universität Potsdam.

Juni Hoppe, M.St. (Oxford), PhD (Cambridge), Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Encyclopedia of Jewish-Christian Relations des Abraham Geiger Kollegs Potsdam.
Daniel Krochmalnik, geb. 1956, Dr. phil. Dr. h.c., 1999 – 2018 Professor für Moderne Jüdische Philosophie und Geistesgeschichte und für Jüdische Religionspädagogik  der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. Seit 2018 Professor für Jüdische Religion und Philosophie an der Universität Potsdam und Geschäftsführender Direktor der School of Jewish Theology. 
Magnus Striet, Dr. theol., Professor für Fundamentaltheologie und Philosophische Anthropologie der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg.


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