Huber / Ermann | Autonomie und Bezogenheit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 126 Seiten

Huber / Ermann Autonomie und Bezogenheit

Neue Entwicklungen aus psychodynamischer Perspektive

E-Book, Deutsch, 126 Seiten

ISBN: 978-3-17-041852-3
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



As a result of rapid social and ecological changes, and exacerbated by the Corona pandemic, there has been an extreme upheaval in our social relationships. Issues involving autonomy and relatedness have become particularly topical. They touch on central concepts in our lives such as self-confidence and love, as well as freedom and loneliness. Where do we stand in the face of this upheaval? What are the resulting tasks facing psychodynamic psychotherapy? This volume addresses these and other important questions.
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Autonomie und Unsicherheit in der heutigen Zeit
Verena Kast
  Die Aktualität
Wir wollen unsere Autonomie zurück, wir wollen selbstbestimmt leben, wir wollen wieder selbst entscheiden – so tönt es heute an einigen Orten, nicht überall. Aber die »Autonomie« wird vermisst und beschworen. Dabei war es schon immer klar: Wir sind schneller mit dem Ruf nach Autonomie, die wir einfordern, als dass wir autonom handeln. Und dieser Ruf nach Autonomie erschallt angesichts einer weltweiten Pandemie, einer Verunsicherung, wie sie seit sehr langer Zeit nicht mehr erlebt worden ist, einer Situation der größten Unsicherheit und Bedrohung. Aber auch wenn wir es nicht lautstark fordern: Wir würden wohl alle gerne wieder selbst entscheiden, unser selbstbestimmtes Leben wieder führen. Die globale Pandemie löst eine existentielle Angst aus bis hin zu Todesangst. Wir wussten schon immer, dass wir sterblich sind, konnten es aber ganz gut verdrängen: Da ist jetzt aber ein Virus, das wir nicht wirklich verstehen, das uns fremd ist, das listig mutiert, und wir wissen nicht, wann und wie wir es in den Griff bekommen. Aber wir wissen, es kann uns krank machen und wir können in der Folge sterben. Ein Erschrecken, ein Aufwachen? So bedroht haben wir uns noch nie gefühlt, geben wir unter Freunden zu. Vielleicht wird uns das Leben angesichts der Bedrohung kostbarer? Die Wissenschaft bemüht sich um das Verstehen, und wird auch immer kundiger, immerhin sind in Rekordzeit Impfstoffe entwickelt worden, was ja ein größeres Wunder ist. Aber die Angst der Menschen will mehr: Sie will Sicherheit, will die alte Normalität zurück. Die Politik versucht, die Pandemie einzudämmen und das geht nur, indem man die Menschen etwas »eindämmt«, ihnen Freiheitsrechte wegnimmt. Unsere Autonomie wird beschnitten – auf nicht absehbare Zeit. Und psychisch fühlen wir uns auch etwas »eingedämmt«. Aber mehr noch: Selbstverständliches, Vertrautes ist in diesem Jahr verschwunden – die Vertrautheit mit der Welt, mit dem Körper, mit den Körpern der anderen. Die Begegnung mit unserer gemeinsamen sinnlichen Welt hat sich verändert, ist zum Teil verschwunden. Jetzt fällt uns auf, wie wichtig diese sinnliche Welt für uns ist – für uns war – und hoffentlich wieder sein wird. Anders wohl, aber wichtig. Und dann haben wir doch immer gedacht, dass die Welt, so wie sie ist, in etwa fortbestehen wird, auch in der Zukunft – da waren wir uns allerdings angesichts der Klimakrise auch schon nicht mehr ganz so sicher. Das löst große Unsicherheit aus, eine Ungewissheit – wir können das Leben nicht mehr kontrollieren, die Wissenschaft offenbar auch nicht in dem Maße, wie wir es wünschen. Wir stoßen an die Grenzen unseres Verstehens, an die Grenzen unseres Machens, und wir fühlen uns physisch bedroht. Wo bleibt das Vertrauen? Angesichts einer bedrohlichen Situation brauchen wir andere Menschen, denen wir vertrauen können. Solidarität gibt es auch – am Anfang noch mehr als jetzt gegen Ende der Pandemie, da die Geduld einfach inzwischen arg strapaziert ist. Und dennoch brauchen wir mehr denn je das Miteinander. Wir Menschen fühlen uns nicht gut, wenn wir fremdbestimmt werden, wenn wir nicht wissen, wie lange eine Bedrohung geht, wir ertragen Ungewissheit schlecht und wir sind nicht geduldig und auch nicht gut im Verzichten. Wir wollen die »alte Normalität« zurück – aber wahrscheinlich steht auch die auf dem Prüfstand. Vieles steht auf dem Prüfstand: Wie immer in Krisenzeiten, werden die Risse in einem System sichtbar. Das beunruhigt, gibt aber auch Möglichkeiten zu Veränderung. Die Frage ist: Wie können wir, trotz Angst, trotz Verzicht, trotz Trauer, trotz Wut unser Leben führen, so dass es doch noch unser Leben ist, das wir noch gestalten – vielleicht in einem bescheideneren Rahmen, das aber doch belebende Fantasien für die Zukunft erlaubt und eben nicht die alte Normalität. Eine neue Normalität wird es wohl werden – eine Zukunft, die wir hoffentlich miteinander gestalten und in der wir auch einiges justieren. Autonomie in unsicheren Zeiten
Autonomie ist ein komplexes Konzept: Entwicklungspsychologie, Psychopathologie, Philosophie, Soziologie, Politik etc. befassen sich damit. Kurz: Das Konzept »Autonomie« reicht in alle Lebensbereiche des Menschen hinein. In der Entwicklungspsychologie geht man davon aus, dass Kinder natürlicherweise autonom werden, aber auch mit den Eltern verbunden sein wollen. Sie grenzen sich in einem länger dauernden Prozess von den Eltern ab, haben Trennungsbestrebungen, werden selbständiger, aber auch selbstbestimmter, explorieren die Welt – und bleiben den Eltern doch auch verbunden, anerkennen deren Bedeutung für sie. Allgemein wird heute von der Individuations–Separationsphase gesprochen. Die Begriffe Autonomie und Individuation werden dabei aber in einem Atemzug genannt, verbunden mit der Betonung, dass dieses Streben nach Autonomie von den Eltern von Beginn an »beantwortet«, und diese Antwort dann vom Kind verinnerlicht wird. Kann ein Kind nicht beide Strebungen leben, ist es in einem »entweder – oder« gefangen: Entweder die Selbständigkeit aufgeben oder das Bedürfnis nach Nähe. Das ist der sogenannte Abhängigkeits–Autonomiekonflikt (OPD), der als ein primärer Konflikt zwischen Liebe im Sinne von Bindung, Altruismus etc. und Autonomie im Sinne von Selbstidentität, Selbstbestimmung, Selbstbezogenheit verstanden wird. Die frühkindliche Individuationserfahrung prägt spätere Erlebnisse. Hier wird auch die Beziehung zu den Angststörungen hergestellt. Die Entwicklungspsychologie kennt noch eine zweite Individuation; diese wird im Zusammenhang mit der emotionalen Unabhängigkeit der Adoleszenten von den Eltern, als die der Loslösung von der Kernfamilie, im Zusammenhang mit der romantischen Liebe, beschrieben. Es wird die Spannung zwischen Wünschen nach Abhängigkeit von den Eltern und Ablösungswünschen, Autonomiewünschen erlebt, der elterlichen Kontrolle steht die Selbstverantwortung der Jugendlichen gegenüber. Sichere Bindung: Autonomie und emotionale Verbundenheit
Die Bindungsforschung beschreibt im Moment wohl die umfassendste Theorie der Entwicklung zur Autonomie. Das autonome mentale Bindungsmodell wird von Ute Ziegenhain als sicheres Bindungsmodell im Sinne der Bindungstheorie beschrieben. Es besteht ein Gleichgewicht zwischen Sicherheits- und Bindungsbedürfnissen und dem Erkundungs- und Autonomiebestreben. Und das gilt für den ganzen Lebenslauf (Im Gegensatz zu der Idee, dass Sicherheits- und Bindungsbedürfnisse zugunsten von Autonomie durch die Entwicklung aufgehoben werden, wie es in älteren Theorien immer wieder mitschwingt.). »Psychologisch zeigt sich autonome oder sichere Bindung in der Fähigkeit, Bedürfnisse nach emotionaler Verbundenheit und Autonomiebestrebungen gleichermaßen kognitiv und emotional zu integrieren und ausgewogen zu repräsentieren.«1 Die Folge der sicheren Bindung sind positive soziale Kompetenzen, Flexibilität, emotionale Widerstandsfähigkeit, weniger Angst und Feindseligkeit. Regulationsmechanismen für unerträgliche Erregungszustände sind vorhanden.2 Diese Kompetenzen sind weiter verbunden mit einer positiven Selbsteinschätzung, einem robusteren Selbstwertgefühl, auch mit einem Gefühl, liebenswert zu sein und von anderen wertgeschätzt und geliebt zu werden.3 Die Perspektive anderer wahrzunehmen und zu respektieren (kognitiv und emotional), das Ausmaß, über sich und andere nachzudenken, gilt zudem als zentral für eine sichere Bindung, Das Erkundungs- und Autonomiestreben erfüllt sich in der erlaubten Neugier, fördert Kreativität und bewirkt, dass auch schwierige neue Lebenssituationen gut angegangen werden können. Eltern sind als eine sichere Basis erlebbar – und haben von dieser Basis aus zu Exploration ermutigt. Eine sichere Bindung und ein gesundes Explorationsverhalten haben einen inneren Zusammenhang, das Erleben von Fantasie und Realität durchdringen sich.4 Unabhängigkeit setzt eine internalisierte Umwelt voraus, die Annäherung an die Unabhängigkeit geschieht durch Fantasie, durch ein reiches Innenleben: Was im Selbst schon vorhanden ist, erlaubt Annäherung an Unabhängigkeit. Individuum und Umwelt werden als interdependent verstanden. Selbstbestimmung und die Anderen
Die Philosophie bringt das Thema der Autonomie, der Selbstbestimmung, in den Zusammenhang mit dem »guten Leben« und mit der Würde des Menschen. Selbstbestimmung zu praktizieren und sie anderen zuzugestehen, gibt dem Menschen Würde. Verliere ich in gewissen Bereichen meine Autonomie oder wird sie mir von außen aberkannt, verliere...


Prof. Dorothea Huber is a professor at the International Psychoanalytic University of Berlin. She was previously head physician in the Department of Psychosomatic Medicine and Psychotherapy in Munich. Prof. Michael Ermann is a psychoanalyst in Berlin and Emeritus Professor of Psychotherapy and Psychosomatics at Ludwig Maximilian University in Munich.


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