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E-Book, Deutsch, 348 Seiten

Huber Hinter den Türen warten die Gespenster

Das deutsche Familiendrama der Nachkriegszeit

E-Book, Deutsch, 348 Seiten

ISBN: 978-3-8270-7929-9
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Nach dem Zusammenbruch des »Dritten Reiches« gab es einen unverrückbaren Ort, der Halt und Geborgenheit versprach: die Familie. Sie erwies sich als der einzige Wert, der den Nationalsozialismus weitgehend unversehrt überdauert hatte. Eines aber konnte die Familie nicht: Sie konnte nicht jene Widersprüche und Konflikte aussperren, die im ersten Nachkriegsjahrzehnt die Gesellschaft begleiteten. Zu ihrer vielleicht größten Hypothek wurde das Verdrängen und Verschweigen. Es war der Nährboden für die berüchtigten Familiengeheimnisse der deutschen Gesellschaft nach 1945, an deren Gift bisweilen noch die Enkelgeneration laborierte. So wurden aus großen Erwartungen nicht selten große Enttäuschungen, die bis heute nachwirken.
Der deutsche Familienkosmos der Nachkriegszeit war eine historisch einzigartige "Versuchsanordnung". Florian Huber liefert den Schlüssel zum Verständnis dieser Zeit und der folgenden Generationen.
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Deutschland ein Trümmermärchen
Wer in den ersten Jahren nach dem Krieg nach Deutschland reiste, verfiel mitunter in den Habitus eines Archäologen oder Insektenforschers. Auf den ersten Blick bot das Land den Eindruck eines Ameisenbaus, der unter dem Fußtritt eines Riesen auseinandergeborsten war. Zwischen den Bruchstücken aus den ehemals kunstvoll errichteten Gängen herrschten Chaos und zuckendes Hin und Her. Wer den Aufschlag überlebt hatte, fand sich in einem beinahe prähistorischen Schattenreich wieder. Die Zeit war zum Stillstand gekommen, wie ein britischer Reisender in Köln bemerkte: Die Bürger existieren weiter auf einer Stufe niederen mechanischen Lebens, wie Insekten in den Ritzen der Mauern, zu krabbelig und unscheinbar, um von den stürzenden Mauern vernichtet zu werden. Die Zerstörung der Stadt mit all ihrer Vergangenheit und all ihrer Gegenwart ist wie ein Vorwurf an die, die weiterhin in ihr leben. Stephen Spender war 36 Jahre alt, als er seinen Reisebericht verfasste. Er war Brite deutsch-jüdischer Abstammung. Vor dem Machtwechsel zu Hitler hatte er sich lange in Deutschland aufgehalten, wo er wie ein Pilger die Stätten seines Gelobten Landes bereiste. Spender gehörte zu den Ersten, die sich im Dienst der Alliierten Kontrollkommission ins zerstörte Deutschland aufmachten, um beim Aufbau des kulturellen Lebens mitzuhelfen. Früher hatte er Schiller, Wedekind und Rilke ins Englische übersetzt, nun baute er ihnen Häuser: Die öffentlichen Bibliotheken vieler Großstädte gehen auf sein Engagement zurück. So sehr Spender das NS-Regime verabscheute, hatte er doch seine Liebe zu diesem Land bewahrt. Es war ein Wiedersehen voller Zwiespalt. Er machte sich Notizen über das, was er in Deutschland erlebte. Überall sprach er mit Freunden von früher oder neuen Bekanntschaften, mit Intellektuellen ebenso wie mit schlichten Gemütern. Auf diese Weise entstand eine Sammlung von Erfahrungsberichten, Landschaftsbeschreibungen, Begegnungen und Kuriositäten. Ungewöhnlich an diesem Buch ist nur ein Thema, das jedoch ist von größter Bedeutung: Es geht um Deutschland nach dem Zusammenbruch der Nazidiktatur. Stephen Spender schrieb als Rückkehrer über seine verlorene zweite Heimat, deren Bewohner er kaum wiedererkannte. Kein Volk ist je so tief gefallen wie die Deutschen im 20. Jahrhundert. Ihr Staat, der sie zur Weltherrschaft aufgerufen hatte, hatte aufgehört zu existieren. Sie waren nicht mehr Herren ihres Geschicks, sondern standen nackt da, ohne Dach, ohne Werte, ohne Selbstbewusstsein. Die Regeln für das Zusammenleben gingen von den Feinden von gestern aus. Man hatte sich daran zu gewöhnen, fremdbestimmt im eigenen Haus zu leben. Schwer drückte das Gewicht der Niederlage. In den Schmerz über die Verluste mischte sich das Gefühl, die eigene Jugend verloren zu haben. Die Menschen, denen Spender begegnete, misstrauten dem Leben und beschuldigten dafür eine dunkle Macht namens Schicksal. Der Kurort Bad Oeynhausen in Ostwestfalen war der Sitz der britischen Militärbesatzung und das Hauptquartier der Rheinarmee. Die Sieger hatten die Innenstadt beschlagnahmt, Stacheldraht darum gewickelt und die Bewohner zwangsumgesiedelt. Hier verbrachte Spender die ersten Tage seines Aufenthalts in gepflegter Langeweile wie an einer englischen Privatschule. Er erschlug die Zeit mit Ausflügen ins Umland, die seinem Reisezweck dienen sollten. Er war auf Spurensuche nach dem Seelenzustand der Deutschen. Bei seinen Unternehmungen fühlte er sich erinnert an die Doppelbödigkeit jener deutschen Märchen, wo in schönster Kulisse Grausames geschieht. Er sah Kinder wie Puppen gekleidet, Häuser im Lebkuchenstil und wunderte sich über die Sprüche, mit denen die Hausbesitzer ihre Wände verziert hatten: »Wünsch mir einer, was er will, Gott schenk’ ihm noch mal so viel.« Spender überlegte, was dahinter stecken mochte. Vielleicht war es das Verlangen des Teufels, aus den Heiligen Schriften zu zitieren. Dieses Anheimelnde, das im Gegensatz zu den Gewaltexzessen der jüngsten Zeit stand, begegnete ihm auf Schritt und Tritt. Auf einer Parkbank in Oeynhausen belauschte er das Gespräch eines Liebespaars, das einen Heiratsantrag erörterte. Sie malten sich aus, wie sie nach der Trauung ihre Flitterwochen verbringen würden: Sie wollten sich einen Mercedes-Benz kaufen und aus dem tristen Deutschland hinaus in die Welt fahren. Das war erkennbar Fantasie, aber die beiden jungen Leute führten diese Unterhaltung in aller Treuherzigkeit, ohne ein Körnchen Schuldbewusstsein. Der Gedanke, dass sie in den Ländern ringsum nach sechs Jahren Krieg nicht willkommen sein könnten, trübte keinen Augenblick ihren Liebestraum. Von einem britischen Offizier hörte er die Geschichte, wie dieser einige SS-Männer in den letzten Kriegstagen erschießen ließ. Sie waren plündernd durchs Land gezogen und hatten Zivilisten an Bäumen aufgehängt. Als er die Hingerichteten durchsuchte, fand der britische Major Briefe an deren Eltern, die voller unschuldiger Landschaftsbeschreibungen und Botschaften waren. Ein paar von ihnen trugen Alben mit sich, in die sie Blumen vom Wegesrand gepresst hatten. Darunter standen Widmungen an ihre Familien. Wenn Spender bei seinen Begegnungen fragte, wie sich solches mit der Gefühlskälte des Handelns im Krieg vereinbaren ließe, hörte er Gemurmel von Pflicht und Gehorsam. Niemand schien bereit, die eigene Person mit den Taten in Verbindung zu bringen, die er im Namen der Pflicht zu verüben hatte. Der Zusammenhang funktionierte eher umgekehrt: Je brutaler sich die Deutschen unter Hitler verhalten hatten, desto stärker wuchs ihre Sentimentalität. Bad Oeynhausens geräumte Stadtvillen waren Schreine der Gefühligkeit. Andere Beobachter werden mir beipflichten, wenn ich sage, daß ich selbst in Deutschland nie so viele sentimentale Bilder, Bücher und Gedichte gesehen habe wie heute in den von Briten beschlagnahmten deutschen Häusern, wo sie von ihren Bewohnern zurückgelassen wurden: Unzählige Bilder von Babies und Schmetterlingen und Blumen, unzählige Bilder von leuchtenden Berggipfeln und Sonnenuntergängen, unzählige Mütter und Bauern und Hütten und Herdfeuer, unzählige Heimwehtränen, so viele Phrasen über Vater, Mutter, Gott und Schönheit. Ihre romantische Kehrseite war den Deutschen bei ihren Unternehmungen nicht abhandengekommen. In den Lagern der Kriegsgefangenen florierte das Genre der Lager-Lyrik, je nach Begabung auch von Zeichnungen flankiert. Sie verarbeiteten nicht den Tod auf dem Schlachtfeld, den Horror des Nahkampfs oder Gewissensqualen. Vielmehr erklang darin der Generalbass vom Heimweh, dem die dichtenden Gefangenen in Stücken wie »Seelenheimat«, »Erdenschwere« oder »Meiner Mutter« Ausdruck verliehen. Nie fehlte die Sehnsucht nach der Familie. In einem britischen Camp am Suezkanal in Ägypten schrieb ein unbekannter Kamerad in blassblauer Tinte: Die Sonne schien heiß, der Sand ist ganz weiß es ist nicht die Sonne der Heimat der Mond scheint ganz hell und wandert ganz schnell es ist nicht der Mond unserer Heimat und unser Denken geht, dort wo der Nordstern steht und in der Heimat, weit, ein Mädel weint. In Traumwelten wie dieser lebten Männer, die kurz zuvor dem Tod auf dem Schlachtfeld gegenübergestanden hatten. Selbstmitleid, Herzlosigkeit, Realitätsverweigerung. Bei ihrer Reise durch Deutschland fand die aus Königsberg stammende Exilschriftstellerin Hannah Arendt nichts Versöhnliches über ihre früheren Landsleute zu sagen. Schon die Aufgabe, mit der sie von der »Commission on Jewish Cultural Reconstruction« hergeschickt worden war, war beklemmend in ihrer Aussichtslosigkeit. Sie sollte die von Nazistiefeln zertrampelten Splitter der jüdischen Kultur in Deutschland aufspüren. Hannah Arendt war 42 Jahre alt und mehr als fünfzehn Jahre nicht in Deutschland gewesen. Sechs Monate lang fuhr sie durchs Land und beschrieb im Anschluss in einem schmalen Buch ihre Erlebnisse. Ihr Besuch in Deutschland wurde zum bekanntesten Reisebericht in die deutsche Nachkriegszeit. Arendt verspürte die gleiche Irritation wie Stephen Spender angesichts der Rührseligkeit der Deutschen, mit der sie Gefühlen wie Trauer, Schmerz, Scham und Schuld auszuweichen schienen. Sie machte darin ein Leitmotiv aus: Die Deutschen befanden sich auf der Flucht vor ihrer Verantwortung. Fast alle Begegnungen verliefen ähnlich. Sie spürte kaum Reaktionen auf das Geschehene. Ihr fiel auf, dass nirgendwo weniger über den Albtraum von Zerstörung gesprochen wurde als im Herzen der Zerstörung selbst. Angesichts der Massengräber nichts als kalte Herzen. Nicht einmal die eigenen Toten würden in den Familien angemessen betrauert. Ihre...


Huber, Florian
Florian Huber, geboren 1967, promovierte als Historiker zur Besatzungspolitik der Briten in Deutschland. Er ist der Autor von historischen Büchern wie »Meine DDR. Leben im anderen Deutschland« und »Schabowskis Irrtum. Das Drama des 9. November«. Als Filmemacher hat Florian Huber preisgekrönte Dokumentarfilme zu zeitgeschichtlichen Stoffen produziert, darunter der Mauerfall, das mysteriöse Ende des Dichters Antoine de Saint-Exupéry sowie die Olympischen Spiele von 1936.

Florian Huber, geboren 1967, promovierte zur Besatzungspolitik der Briten in Deutschland. Er ist der Autor von historischen Büchern wie »Meine DDR. Leben im anderen Deutschland« und »Schabowskis Irrtum. Das Drama des 9. November«. Als Filmemacher hat Florian Huber preisgekrönte Dokumentarfilme zu zeitgeschichtlichen Stoffen produziert, darunter der Mauerfall, das mysteriöse Ende des Dichters Antoine de Saint-Exupéry sowie die Olympischen Spiele von 1936. Zuletzt erschien sein von der Presse hochgelobter Bestseller »Kind, versprich mir, dass du dich erschießt. Der Untergang der kleinen Leute 1945«, der in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde.


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