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E-Book

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Huber Im freien Feld

Begegnungen mit Vögeln

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-7076-0695-9
Verlag: Czernin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Kaiser Friedrich II. und Franklin D. Roosevelt, Agatha Christie und James-Bond-Autor Ian Fleming, Walt Disney und der Komponist Olivier Messiaen, Albert Einstein, Konrad Lorenz, Jonathan Franzen und der Philosoph Henry David Thoreau haben etwas gemeinsam: Sie waren passionierte Vogelbeobachterinnen.

Mit der Schönheit ihres Gesangs und der Fähigkeit zum Fliegen, ihrem prächtigen Federkleid und vielschichtigen Sozialverhalten faszinieren Vögel seit jeher ihre zahllosen Bewunderer, die "Im freien Feld" zu Wort kommen.

Am Festland und auf hoher See, zu ebener Erde und in der Luft, an menschenverlassenen Orten und inmitten der Großstadt, im eigenen Garten und am Wegrand machen Erzählungen aus dem Leben der Vögel neben ihrer natur- und kulturgeschichtlichen Dimension auch ihre aktuelle Gefährdung erfahrbar. Die Texte historischer und heutiger Vogelbeobachterinnen formulieren ein eindringliches Plädoyer für das Studium der Vogelwelt und den Erhalt ihrer Vielfalt.

Mit Texten von Elizabeth Bishop, Peter Handke, Hermann Hesse, James Joyce, Karl Ove Knausgård, Brigitte Kronauer, Selma Lagerlöf, Katherine Mansfield, Sylvia Plath, Henry David Thoreau, Robert Walser u. a.
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Autoren/Hrsg.


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Katherine Mansfield (1888–1923) … Sehen Sie den großen Nagel rechts von der Haustür? Selbst jetzt noch mag ich kaum hinschauen, und doch bring’ ich’s nicht über mich, ihn rauszuziehen! Ich möchte gern denken, daß er immer dort bliebe, auch wenn ich nicht mehr da bin. Manchmal hör ich, wie die Leute, die nach mir hier wohnen, zueinander sagen: »Dort muß mal ein Käfig gehangen haben!« Und das tröstet mich; dann denke ich, er ist nicht ganz vergessen. … Sie können sich nicht vorstellen, wie wunderschön er sang! Gar nicht wie andere Kanarienvögel. Und das bilde ich mir nicht etwa bloß ein. Vom Fenster aus habe ich oft gesehen, wie die Leute an der Gartenpforte stehenblieben, um ihm zuzuhören, oder wie sie sich beim Jasmin über den Zaun lehnten und eine ganze Zeitlang zuhörten, so hingerissen waren sie. Wahrscheinlich kommt es Ihnen verrückt vor – aber nicht, wenn Sie ihn gehört hätten –, doch mir schien es wirklich immer, daß er ganze Lieder sang – mit einem Anfang und einem Ende. Wenn ich zum Beispiel am Nachmittag mit meiner Hausarbeit fertig war und eine andre Bluse angezogen hatte und meine Näharbeit hier auf die Veranda brachte, dann hüpfte er immer hopp-hopp-hopp von einer Stange auf die andre, klopfte gegen die Gitterstäbe, wie um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, nippte einen Schluck Wasser wie jeder Sänger und stimmte dann ein so herrliches Lied an, daß ich die Nadel sinken lassen mußte, um ihm zuzuhören. Ich kann’s nicht beschreiben – ich wollte, ich könnt’s. Dabei ging’s jeden Nachmittag so, und immer war mir, als hätte ich jeden Ton verstanden. … Ich habe ihn geliebt! Und wie ich ihn geliebt habe! Vielleicht kommt es nicht so sehr darauf an, was man in dieser Welt liebt. Aber etwas lieben muß man. Natürlich hatte ich immer mein kleines Haus und den Garten, aber aus irgendeinem Grund genügte mir das nicht. Blumen haben ihre eigene, wundervolle Sprache, aber Mitgefühl kennen sie nicht. Den Abendstern – den hab’ ich geliebt. Klingt Ihnen das töricht? Nach Sonnenuntergang bin ich immer in den Hof gegangen und hab’ auf ihn gewartet, bis er über dem dunklen Eukalyptus aufgegangen ist. Dann hab’ ich geflüstert: »Da bist du also, mein Guter!« Und genau in jenem ersten Moment schien er für mich allein zu leuchten. Er schien zu verstehen, was mich bewegte – etwas, was wie Sehnsucht und doch keine Sehnsucht war. Vielleicht Trauer – ja, eher wie Trauer. Aber weshalb denn Trauer? Es gibt vieles in meinem Leben, wofür ich dankbar sein muß. … Doch nachdem er in mein Leben gekommen war, vergaß ich den Abendstern. Ich brauchte ihn nicht mehr. Aber es war sonderbar. Als der Chinese, der immer an die Tür kommt und Vögel verkaufen will, ihn in seinem kleinen Käfig hochhielt, flatterte er nicht ängstlich herum, wie die armen kleinen Stieglitze, sondern er piepste nur einmal ganz leise, und ich – genau wie ich’s dem Stern über dem Eukalyptus immer zugeflüstert hatte – sagte: »Da bist du also, mein Guter!« Von dem Augenblick an war er mein. … Selbst jetzt in der Erinnerung wundert es mich, wie er und ich miteinander lebten. Sowie ich frühmorgens nach unten kam und das Tuch von seinem Käfig zog, begrüßte er mich mit einem schläfrigen kleinen Ton. Ich wußte, er meinte: ›Missie! Missie!‹ Dann hängte ich seinen Käfig draußen an den Nagel und machte für meine drei jungen Burschen das Frühstück zurecht, und ich holte ihn erst wieder herein, wenn wir das Haus ganz für uns allein hatten. Nachdem ich das Geschirr abgewaschen hatte, begann eine richtige kleine Vorstellung. Ich breitete auf der einen Tischecke eine Zeitung aus, und sowie ich den Käfig draufstellte, schlug er wie ein Verzweifelter mit den Flügeln, als wüßte er nicht, was käme. »Du bist ein richtiger kleiner Komödiant!« schalt ich dann. Ich schrubbte den Einsatz, streute frischen Sand drüber, füllte sein Körner- und Futternäpfchen und klemmte etwas Vogelmiere und eine halbe Paprikaschote zwischen die Stäbe. Und ich bin ganz sicher, daß er jede Einzelheit dieser kleinen Prozedur begriff und schätzte. Er war nämlich von Natur überaus reinlich. Nie hat er seine Stange bekleckert. Und man mußte nur sehen, wie er sein Bad genoß – dann wußte man sofort, daß er einen geradezu leidenschaftlichen Sauberkeitsfimmel hatte. Sein Bädchen kam immer zuletzt hinein. Und kaum hing es drin, da stürzte er sich förmlich hinein. Zuerst spreizte er den einen Flügel, dann den andern, dann tauchte er den Kopf ein und besprengte seine Brustfedern. Er hatte die ganze Küche voll Wassertropfen gespritzt, aber er wollte noch immer nicht heraus. Meistens sagte ich zu ihm: »Das genügt jetzt wirklich – du spielst dich nur auf!« Und endlich hüpfte er heraus, und auf einem Bein stehend, begann er sich trocken zu zupfen. Schließlich schüttelte er sich noch einmal, wippte und piepste und reckte die Kehle – oh, ich kann’s kaum ertragen, daran zu denken. Es war immer die Zeit, in der ich die Messer putzte, und es schien mir fast, als sängen auch die Messer, wenn ich sie auf dem Brett blank rieb. … Gesellschaft, verstehen Sie – das bedeutete er für mich. Eine einzigartige Gesellschaft! Wenn Sie allein gelebt haben, werden Sie einsehen, wie kostbar so etwas ist. Ich hatte natürlich meine drei jungen Burschen, die abends zum Essen kamen, und manchmal blieben sie hinterher im Eßzimmer und lasen die Zeitung. Aber ich konnte nicht von ihnen erwarten, daß sie sich für die hunderterlei Kleinigkeiten interessierten, die zu meinem Alltag gehörten. Warum auch? Ich bedeutete ihnen ja nichts. Eines Abends hörte ich sogar, wie sie auf der Treppe von mir als der ›Vogelscheuche‹ sprachen. Macht nichts. Es machte mir nichts aus. Nicht ein bißchen. Ich versteh’s gut. Sie sind jung. Warum sollte ich’s übelnehmen? Aber ich erinnere mich, daß ich an jenem Abend besonders dankbar war, nicht ganz allein zu sein. Nachdem sie weggegangen waren, hab’ ich’s ihm erzählt. Hab’ zu ihm gesagt: »Weißt du, wie sie deine Missie nennen?« Und er hat seinen Kopf auf die Seite gelegt und mich mit seinen glänzenden Äuglein angeschaut, bis ich lachen mußte. Ihm schien es Spaß zu machen. … Haben Sie sich je Vögel gehalten? Wenn nicht, dann muß Ihnen das alles vielleicht übertrieben vorkommen. Die Leute glauben immer, Vögel seien herzlos und kalt – nicht wie Hunde und Katzen. Meine Waschfrau, wenn die montags kam, wunderte sich, weshalb ich mir keinen ›netten Foxterrier‹ hielte, und sagte: »Ein Kanarienvogel kann einen doch nicht trösten, Miss!« Stimmt nicht. Stimmt überhaupt nicht! Ich kann mich an eine Nacht erinnern: ich hatte einen furchtbaren Traum gehabt – Träume können schrecklich grausam sein –, und noch, nachdem ich wach war, konnte ich ihn nicht abschütteln. Daher zog ich mir meinen Morgenrock über und bin in die Küche hinunter, ein Glas Wasser trinken. Es war eine Winternacht. und es regnete sehr. Vermutlich war ich noch halb im Schlaf, denn mir schien es, daß durchs Küchenfenster – es hatte keine Stores – die Finsternis hereinspähte und spionierte. Da fand ich es auf einmal unerträglich, daß ich niemanden hatte, dem ich hätte sagen können: »Mir hat was Furchtbares geträumt!« oder »Steh mir bei vor der Finsternis!« Eine Minute hab’ ich sogar die Hände vors Gesicht geschlagen. Und plötzlich hör’ ich ein kleines ›Piep! Piep!‹ Sein Käfig stand auf dem Tisch, und das Tuch war ein bißchen verrutscht, so daß ein Lichtspalt in den Käfig fiel. ›Piep! Piep!‹ sagte das liebe Kerlchen noch mal ganz leise, als wollt’s mir sagen: ›Ich bin hier, Missie! Ich bin hier!‹ Und das hat mich so wunderbar getröstet, daß ich beinah geweint hätte. … Und jetzt ist er nicht mehr da. Nie wieder will ich mir einen Vogel halten, auch kein andres Tier. Wie könnte ich wohl? Als ich ihn fand, wie er mit matten Augen und verkrampften Krällchen auf dem Rücken lag, und als ich begriff, daß mein kleiner Liebling nie wieder für mich singen würde, da war mir, als würde etwas in mir sterben. Mein Herz war ausgeleert, leer wie sein Käfig. Ich werd’s verwinden. Natürlich. Ich muß ja. Mit der Zeit kann man alles verwinden. Und die Leute sagen immer, ich hätt eine fröhliche Gemütsart. Da haben sie ganz recht. Dafür bin ich Gott dankbar. … Immerhin, auch ohne krankhaftes Grübeln und Nichtloskommen von – von Erinnerungen und dergleichen muß ich doch gestehen, daß das Leben was Trauriges zu haben scheint, finde ich. Es ist schwer zu sagen, was es eigentlich ist. Ich meine nicht den Kummer, den wir alle kennen: Krankheit und Armut und Sterben. Nein, es ist etwas anderes. Es ist da – tief innen ist es, ein Teil...


Florian Huber studierte Philosophie in Wien, verbrachte mehrere Forschungsaufenthalte an der Harvard University und lebt derzeit in Lüneburg, wo er am Lehrstuhl für Kulturgeschichte des Wissens der Leuphana Universität zum Verhältnis von Literatur und Naturwissenschaften forscht. Tätigkeiten als Verlagslektor und Literaturkritiker. Zahlreiche Publikationen zur Literatur- und Wissenschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Zuletzt veröffentlichte er u. a. gemeinsam mit Elizabeth Brill die Monografie "Sea Creatures in Glass – The Blaschka Marine Animals at Harvard" bei Scala Arts & Heritage Publishers New York.


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