Hyoung-su | Nana im Morgengrauen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 552 Seiten

Hyoung-su Nana im Morgengrauen

E-Book, Deutsch, 552 Seiten

ISBN: 978-3-903061-64-4
Verlag: Septime Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Der schüchterne Student Leo will sich nach seinem Studium auf eine Reise um die Welt begeben, bleibt jedoch in Bangkok im Prostituiertenbezirk Nana hängen. Durch eine Verkettung von Zufällen trifft er dort an einem Imbissstand auf eine Frau, die ihn augenblicklich in ihren Bann zieht. Fasziniert und abgestoßen zugleich von seiner Ahnung, dass es sich bei dieser unbekannten Schönen um eine Prostituierte handeln könnte, spricht er sie an. Wenige Tage später sucht er Ploy, so der Name der Frau, in ihrer Wohnung in Nana auf. Doch die Verhältnisse, in denen sie dort wohnt, geben einen sehr schlechten Hintergrund für die sich anbahnende Romanze ab. Zusammen mit drei anderen Prostituierten lebt Ploy in der völlig he­runtergekommenen Mietwohnung eines schäbigen Hauses, das einen bunten, stinkenden Haufen von verarmten, verzweifelten und verwirrten Menschen beherbergt. Der sensible, ja geradezu ängstliche Leo ist abgestoßen von der erbärmlichen Unterseite der Neonglitzerwelt Bangkoks, die von Stumpfheit, Drogen, Not und Gewalt geprägt ist. Für die reichen Erlebnistouristen ist hier jede Art von Ausschweifung, jede Form von Perversion käuflich zu erwerben. Leo jedoch erlebt die Schattenseite dieser Freiheit. Er lernt die stinkenden Eingeweide des Amüsiermolochs kennen, die in den ärmlichen Behausungen der Prostituierten und Drogensüchtigen keinem neugierigen Blick verborgen bleiben.

Park Hyoung Su, geboren 1972, gilt als der aufstrebende Stern unter den koreanischen Autoren. Nach seinem Studium trat er eine Professur für Kreatives Schreiben an der Korea University in Seoul an. Er veröffentlichte bisher zwei Bände mit Kurzgeschichten, für die er mit dem Daesan Literary Award ausgezeichnet wurde, und den vorliegenden Roman. Sein Stil, der mit innovativen Metaphern und dosiert eingesetzten Elementen eines magischen Realismus arbeitet, hat ihm unter Kritikern hohe Anerkennung eingetragen.
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1   Leo blieb stehen und blickte sich um. Jemand hatte ihn an der Schulter berührt, nicht aus Versehen, wie ihm schien, sondern weil er ihn gut kannte und ihm bedeuten wollte, dass er ihm etwas zu sagen hatte. Aber hinter ihm waren im Flackern der Neonschilder nur ein faul daliegender Hund, die Hitze, die an Geldscheinen klebend ausgetauscht wurde, und jene Menschen, die eben an ihm vorübergegangen waren. Und dahinter die thailändische Nacht, tiefblau und dunkel glänzend wie geöltes Ebenholz. Ein feiner, tropisch warmer Sprühregen ging nieder. Der unerwartet mitten in der Trockenzeit fallende Regen sorgte auf der ganzen Straße für ein Durcheinander. In der Sukhumvit Soi 4, am Eingang der sogenannten Nana Plaza, verkauften durchnässte Straßenhändler mitten unter den Prostituierten, die alle dasselbe Lächeln im Gesicht trugen, auf Holz gebratene Bananen, Hühnerflügelspießchen, gebratene Nudeln mit Ei und frittierte Schwimmkäfer. Es war nach elf Uhr abends, daher waren in der Straße die dunklen Winkel und die Strommasten voller Essensreste und halb verdautem Erbrochenen, das sich zum Teil erst vor Kurzem aus dem Mund eines Betrunkenen ergossen hatte. Die schmutzigen Hunde, an einer Epidemie leidend, die ihnen das Fell ausfallen ließ, blickten arglistig wie Kleinkriminelle umher, während unaufhörlich mit Werbung für Juwelierläden beklebte Honda-Taxis, klapprige Motorradrikschas und Porsches der neuesten Bauart die zweispurige Straße auf und ab rasten, als wollten sie alles, was sich ihnen in den Weg stellte, über den Haufen fahren, um dann doch mit scharfem Quietschen abzustoppen. Tiefer im Inneren der von Straßenhändlern gesäumten Straße reihte sich über eine Strecke von etwa fünfzig Metern eine Bar mit dröhnenden Lautsprechern an die nächste, waren entlang des linken und des rechten Fahrbahnrandes schmutzige Massagestudios zu sehen, vor deren Eingängen Gruppen von Masseusen in gelben T-Shirts saßen, die mit lauten Rufen dicke, ältere, an Scheckhaut leidende europäische Ehepaare anzulocken versuchten, war weiters ein teures Franchise-Steak-Restaurant zu sehen, in dem ein junges Mischlingsmädchen bediente, ein 7-Eleven-Minisupermarkt, sowie eine indische Imbissstube, die den Duft von Tandoori verströmte, ein mit etwa zehn Pentium-PCs bestücktes Internetcafé, in Rosarot beschilderte Lady-Bars, die von Herren in Armani-Anzügen frequentiert wurden, danach wieder ein 7-Eleven-Minimarkt, daneben Tattoo-Läden, aus denen der Rauch von Ganja-Haschischzigaretten drang, und wieder ein 7-Eleven. Dahinter ging es mit dem Nana der mittelpreisigen Hotels weiter, die ihre Zimmer für jeweils drei Stunden vermieteten, Nana war voll davon. Leo betrat eine Bar mit zur Straße hin offener Front und bestellte sich ein Bier. Nachdem er sein Gepäck im Hotel abgestellt hatte, war er seit sieben Uhr abends über vier Stunden lang herumgelaufen und nun völlig nassgeschwitzt. Dabei hatte er vor allem auf dem Parkplatz vor dem Haupteingang des Sukhumvit Nana Nightclubs gut drei Dutzend Drogenhändler und Prostituierte angesprochen, von denen die meisten ihr halbes Leben hier verbracht hatten und zu Lebzeiten höchstwahrscheinlich auch nicht mehr von hier wegkommen würden. Sie hörten sich erst geduldig Leos Ausführungen an, warteten lange zu, bis er ihnen möglichst viele Informationen über die Gesuchte gegeben hatte, sagten dann aber, dass sie ihren Namen noch nie gehört hatten, grinsten verschlagen und versprachen, später einen Freund nach ihr zu fragen, der allerhand über die Prostituierten der Sukhumvit-Straße wusste. Fürs Erste, empfahlen sie Leo, sollte er ihnen etwas von dem günstigen, aber qualitativ hochwertigen Ecstasy abnehmen, das sie anboten, die Schlampe, von deren Sorte hier ohnehin reichlich herumliefen, vergessen und stattdessen mit ihnen kommen, um eine zwölfjährige Sexmaschine aus dem Landesteil Isan zu treffen. Einige der Prostituierten, von billigem Rum betrunken, packten ihn kurzerhand am Gürtel und zerrten mit aller Kraft daran. Er ließ sich seine Gereiztheit nicht anmerken, wollte aber nichts mit ihnen zu tun haben. Er hätte sich erst gar keine Hoffnungen machen dürfen, es hier ohne Weiteres finden zu können. Jenes Mädchen, von dem er sich vor sechs Jahren in einer Seitengasse der Sukhumvit-Straße verabschiedet hatte, hatte er hier in Nana, wo Nacht für Nacht mehrere Tausend Prostituierte zusammenkamen, finden wollen? Ein fürwahr großartiger Plan! Aber da das menschliche Herz nun einmal die seltsamsten Wege ging, hatte er keinen Gedanken daran verschwendet, dass es unmöglich oder jedenfalls sehr schwierig werden könnte, das Mädchen zu finden, seit er sich vor drei Tagen auf den Weg hierher gemacht hatte, nachdem er von der Untreue seiner Ehefrau erfahren hatte. Stattdessen hatte er sich nur damit beschäftigt, was er beim Wiedersehen sagen oder was für ein Geschenk er vorbereiten sollte. Es war eine banale Floskel, für die er sich schließlich als ersten Satz entschied: ›Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!‹, außerdem hatte er als Mitbringsel in einem Tax-Free-Laden am Flughafen einen Flakon Chanel Allure besorgt. All dies war nun also umsonst. Dass es zu allem Überfluss, wie um ihm die Laune völlig zu verderben, auch noch mitten in der Trockenzeit sinnlos regnete, war einfach nur zum Kotzen. Eine schlanke Barfrau, die sich die Haare braun gefärbt hatte, kam zu ihm und brachte ihm ein Singha-Bier und dazu ein Gefäß mit kleinen runden Eiswürfeln. »Spielst du eine Runde Pool mit mir?« Da der Nachbartisch sehr nahe herangerückt war, reckte sie ihm ihren Unterleib entgegen, während sie die Frage stellte. Ihre Stirn stand in dem schmalen Gesicht ein Stück vor und sie hätte vielleicht ganz unschuldig ausgesehen, hätte sie sich nicht mehrere Ringe durch die Lippen stechen lassen. Aber vielleicht hatte sie sich die Piercings ja gerade deshalb machen lassen, weil sie Angst hatte, zu unschuldig auszusehen. Auf der einen Seite ihres Gesichts stieg eine traurige und schreckliche Erscheinung auf: Die großen Augen des Schamanen, der in der Dunkelheit langsam durchtrennte Hals einer jungen Indianerin, ihre im Augenblick des größten Schreckens schmerzverzerrten Lippen und Augenlider, die sich sogleich entspannten und ausdruckslos wurden wie der Nebel hinter den Wölkchen rosa Arterienblutes. Mein Gott, was geschieht da gerade? Lass mal ein wenig tiefer blicken, ein wenig tiefer da hinein, okay? Ja, aus dem Dorf herausgekommen bist du also auf dem Weg zum Birkenwald. Eine mondlose Nacht in der Taiga, ruft da nicht aus dem fernen Westen eine Eule »Huuhuu«? Die sich vor den Sternschnuppen ängstigenden Füchse haben sich in Richtung des eisigen Tals am Fluss Lena versammelt. Du läufst ganz allein auf dem sibirischen Waldweg, in der Hand eine Ledertasche, um den Kriegern kaltes Wasser zu bringen. Bis hierher kann man dein Herz schlagen hören. Lass mich sehen, lass mich noch ein Stück näher ran, ein kleines Stückchen nur … Das Ziegenleder, das deinen Rücken bedeckt, flattert im eisigen Wind, deinem leicht geöffneten Mund entströmt weißer Hauch. Deinen Ehemann, der seinen Mut mit den Zähnen eines Bären zeigt, und seine indianischen Gefährten hast du weit hinter dir gelassen, um dich herum kriecht in der Tiefe des Waldesdickichts der Schatten des Erdballs. Aber … mein Gott, was ist das?!? Ausgerechnet der alte Schamane, der vor ein paar Tagen aus dem Dorf verjagt wurde, hält sich dort versteckt. Als er mit einem sichelförmigen weißen Messer in der Hand hinter einer durch Blitzschlag verkohlten Fichte hervortritt, willst du, anstatt wegzulaufen, der Bedrohung mit gefasstem, keinerlei Regung erkennen lassendem Ausdruck begegnen, er aber hatte von Beginn an nicht die Absicht, dir nur zu drohen oder mit dir zu verhandeln. Auch wenn es sich häufig so darstellt, als hätten Zufälle und Fehlentscheidungen, Affekthandlungen und Fehler die Dinge aus dem Lot gebracht, ist rückblickend doch nur geschehen, was geschehen musste. Mein Gott! Sieh an, was er mit dir macht! Blutüberströmt brichst du zusammen, er aber hält dich noch immer an den Haaren gepackt und durchtrennt dir mit flinken Zügen den schlanken weißen Hals. Obwohl deine Seele den Körper noch nicht verlassen hat, verschwinden nach und nach Ausdruck, Wille und zuletzt auch alle Begierde aus deinem Gesicht, du bist nur noch ein langsam erkaltendes Stück Fleisch. Der Schamane hält den abgetrennten Kopf hoch, starrt ihn aus kurzer Distanz einen Moment lang durchdringend an und schleudert ihn dann in Richtung des hinter ihm in der Ferne liegenden Dorfes, das voll ist von Signalfeuern, von sich. Nun rollst du zwischen Bäumen und Büschen hindurch, über Abgründe und Felsen hinweg, rollst und rollst, ehe du schließlich deinem Ehemann zu Füßen landest, der gerade im Kreise seiner Gefährten steht und eine feurige Rede hält. Deine Seele verlässt den Körper, entschwindet in dem kurzen Moment des Abschieds, da sich der Blick deines vor Schreck sprachlosen Ehemannes mit dem deinen trifft. In der Tat, auf diese Art und Weise bist du gestorben. ›Woher, um alles in der Welt ...‹, murrte Leo bei sich und seufzte beim Blick auf das semi-transparente Trinkglas, an dem nach Grünzeug aussehende Essensreste klebten, ›… woher nahmst du bloß die Kühnheit, ganz allein dorthin aufzubrechen? Deinen Mann und die Tausenden freundlichen und loyalen indianischen Krieger zu verlassen, die alle für dich durchs Feuer gegangen wären.‹ Aber wer konnte eine solche Frage schon beantworten? Im Leben zählen nicht die Absichten, die wir hegen, am Ende kommen die Dinge einfach über uns. Leo schüttelte den Kopf und antwortete knapp: »Nein, ich mach mir nichts aus Pool.« Die Barfrau hatte seine Antwort gehört und setzte sich dennoch mit einem Plumps zu...


Park Hyoung Su, geboren 1972, gilt als der aufstrebende Stern unter den koreanischen Autoren. Nach seinem Studium trat er eine Professur für Kreatives Schreiben an der Korea University in Seoul an. Er veröffentlichte bisher zwei Bände mit Kurzgeschichten, für die er mit dem Daesan Literary Award ausgezeichnet wurde, und den vorliegenden Roman. Sein Stil, der mit innovativen Metaphern und dosiert eingesetzten Elementen eines magischen Realismus arbeitet, hat ihm unter Kritikern hohe Anerkennung eingetragen.


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