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E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Imgrund Eine kleine Geschichte der Kneipe

Vom faszinierenden Treiben rund um den Tresen

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-7453-1093-1
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Eine Kneipe ist ein Raum mit Zapfhahn, Tresen und ein paar Tischen. Außerdem gibt es da einen Wirt oder eine Wirtin, die den Laden schmeißen. Speisen stehen eher nicht auf dem Programm, abgesehen vielleicht von Kleinigkeiten. In Kneipen gingen schon die Sumerer vor über 4000 Jahren, um sich von der Welt und ihrem Gewusel für eine Weile zu verabschieden. Ein seltsamer, widersprüchlicher Ort: Man ist dort öffentlich und zugleich unter sich. Zu allen Zeiten wurde in Kneipen getrunken und geredet, gesungen und getanzt, gespielt, geliebt und gemordet. Wie sich das im Lauf der Zeit gestaltet hat, davon erzählt dieses Buch – süffig, hochprozentig.
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WAS IST DAS EIGENTLICH, EINE KNEIPE?
Vielleicht fängt man besser andersherum an und fragt sich, was eine Kneipe nicht ist. Sie ist zum Beispiel kein Restaurant. In der Kneipe bekommt man eher eine Frikadelle als ein Frikassee und Schnaps statt Schampus. Kneipen sind auch keine Bars oder Clubs. Der raffinierteste Cocktail heißt hier Gedeck, und getanzt wird in der Wirtschaft recht selten. Aber wenn, dann auf den Tischen. Oft erkennt man sie schon am Namen. Eine Kneipe heißt normalerweise nicht »Zum Roten Ochsen« oder »Großer Kurfürst«. Sondern eher »Hansa-Eck« oder »Bürgerstübchen«. Oder direkt: »Bei Ellie«. Etymologisch kommt Kneipe von »Kneipschänke«. Das Verb »kneipen«/»knipen« meinte einst so etwas wie »zusammendrücken«. Man entdeckt es noch in unserem heutigen »kneifen«. Die Österreicher sagen lieber Beisl, die Bayern Boazn, und wieder andere sprechen von Kretscham, Quetsche oder Stampe. Aber sie meinen alle das gleiche: diesen zum Kneifen engen Raum, in dem man zusammenrückt. Umfragen zum Thema fördern wiederkehrende Merkmale zu Tage: Kneipen erkennt man äußerlich am Wirtshausschild, an der Leuchtreklame fürs Bier, den Bleiglasfenstern und dem Getränkekasten neben dem Eingang. Innen dominieren Brauntöne: Thekenschrank, Tresen, Hocker, Tische und Stühle bestehen zumeist ebenso aus Holz wie die Paneelen an den Wänden. Zur typischen Dekoration zählen Werbeschilder, historische Stiche und Stadtansichten, ausgediente Musikinstrumente, Werkzeuge und Wirtshausaccessoires – kurzum alles, was die Patina des Lokals verstärkt. Eine Fotopinnwand zeugt von vergangenen Festivitäten und betont das Familiäre ebenso wie das Sparkästchen, die Urlaubspostkarten der Stammgäste und die Pokale der Thekenmannschaft. Nicht alle Requisiten stehen heutzutage noch hoch im Kurs. Butzenscheiben etwa werden zunehmend durch Klarglas ersetzt. Allmählich aussterbend auch: die Wand mit den Geldscheinen aus aller Welt. Aber ob der Wirt nun auf alten Nippes oder Purismus schwört: Am spannendsten ist stets die Wandlung, die der Kneipenraum durchmacht, sobald sich dort Gäste tummeln. Dann wird er nämlich von einem rein physikalischen zu einem sozialen Ort. Erst die Menschen machen die Kneipe zur Kneipe. EIN PUBLIC HOUSE
Wesentlicher Zweck eines Kneipenbesuchs ist das gemeinsame Trinken. Mit Betonung auf »gemeinsam«! In der Kirche kommt man zusammen, um gemeinsam zu beten. Im Rathaus, um miteinander zu debattieren. Im Stadion, um unter Fans Fußball zu schauen. Und in der Kneipe, um mit den anderen dort einen zu heben. Der englische Ausdruck »Pub« bringt es auf den Punkt: Die Wirtschaft ist ein Public House, ein Ort für alle. Kneipen reizen die Sinne auf ihre ganz eigene Art. Denken wir an das Licht: gelblich, warm, lieber ein wenig schummrig als zu hell. Im Kneipenlicht schwimmt man mehr, als dass man geht. Oder die Gerüche: das alte Holz, ein feuchter Bierfilz, die Hefe aus dem Weizenglas nebenan; ein offener Senftopf, die Zwiebeln auf dem Mettbrötchen, ein Kümmelschnaps; oder auch: die Spülbürste, regennasse Kleider, rauchgeschwängerte Vorhänge – klar, in Kneipen riecht es nicht wie im Drogeriemarkt. Aber dafür kann der Griff an ein frisch gefülltes, feucht beschlagenes Glas ein haptischer Genuss sein. Ebenso das Streichen über den uralten, welligen Thekenbelag oder die kalt-glatte, verchromte Zapfanlage. Und wie die Augen, so trinken auch die Ohren mit. Kneipen belebt eine spezifische Geräuschkulisse. Dazu gehört das Klirren von Gläsern genauso wie das Ploppen eines Kronkorkens, das Rollen der Würfel, die Serie im Spielautomaten, das Klackern der Kickerbälle und Flipperkugeln. Aber vor allem: das Reden, Lachen und Singen der Gäste. Nirgendwo wird so viel palavert wie in der Kneipe. Das liegt unter anderem daran, dass das Wirtshaus größere Freiheiten offeriert als der Alltag. Zwar herrschen auch dort ungeschriebene Gesetze, es gibt Tabus, an denen man besser nicht kratzt. Aber der Kneipenkosmos bietet eine gewisse Sicherheit vor dem Einbruch der Realität ins Gesagte. »Die tausend Straßen von Romantik und Abenteuer liefen in der Kneipe zusammen und führten von dort über die ganze Erde«, schrieb Jack London (1876–1916) in König Alkohol. Der Alkohol lockert die Zungen und öffnet die Herzen – bis zu einem gewissen Punkt jedenfalls, ab dem er erstere lähmt und zweitere verhärmt. Und der beginnende Rausch beflügelt zudem die Fantasie. Kneipengespräche können Utopien entwickeln, die im Alltag keiner noch so laxen Prüfung standhielten. »Das müssen wir unbedingt demnächst mal machen …« – nirgends hört man den Satz häufiger als beim Bier. Dass von den hochfliegenden Plänen am nächsten Morgen nichts mehr übrig sein wird – geschenkt! Ist doch ohnehin niemand davon ausgegangen. KNEIPENENSEMBLE STATT KNEIPENPUBLIKUM
Ebenfalls dem magischen Ort geschuldet: die Nivellierung der Meinungen. »Kneipengespräche leben zu einem guten Teil von einem kollektivspontanen Situationskonsens«, schreibt der Schweizer Volkskundler Ueli Gyr. In der Kneipenrunde ist man sich lieber einig, anstatt zu streiten – wiederum in Abhängigkeit von der Menge des Konsumierten. Der Augenkontakt, das Kopfnicken, die Zustimmung per Schulterklaps gehören zum Ritualschatz der Kneipengestik. Sie schließen allerdings keineswegs aus, dass der Nachredner dann das komplette Gegenteil behauptet … Viel lieber als gegeneinander wendet man sich gegen andere, am besten gegen »die da oben«. Frotzelei, Spott und humorige Häme schweißen zusammen. Die Laune steigt, man lacht sich einen, oha, ich wollte doch gehen, aber Quatsch, hab’ dich nicht so, ich bestell noch ein Ründchen … Und weiter geht’s. Auch in der Kneipe existieren Hackordnungen. Es gibt den Aufschneider, der sich für den Größten hält; den Klugscheißer, der zu allem eine Meinung und sowieso immer recht hat; den Krakeeler, den Dampfplauderer und den Witzbold, der sich seine Stellung übers Clowneske erarbeitet. Denen gegenüber stehen die Stillen, die Bedachten und die Schüchternen, die es nicht nur in der Kneipe schwerer haben, zu Wort zu kommen. Aber auch der schweigende Trinker ganz hinten am Tresen nimmt Einfluss auf die Atmosphäre. Einen bedeutenden Unterschied zwischen Kneipenbesuch und sonstigen Freizeitaktivitäten haben die Soziologen Franz Dröge und Thomas Krämer-Badoni herausgearbeitet. Nirgendwo sei man mehr Subjekt als im Wirtshaus, heißt es in ihrer Studie Die Kneipe. Zur Soziologie einer Kulturform: Ins Museum, Kino und Theater begibt man sich hingegen lediglich als Beobachter. Man bekommt etwas vorgesetzt, auf das man keinen Einfluss hat, und lässt es auf sich wirken. Jeder sitzt für sich allein, Interaktion ist nicht vorgesehen – wer in der Oper tuschelt, erntet erzürnte »Psts!«. Besonders deutlich wird die Passivität der Zuschauerrolle vor dem Fernseher, der im Gegensatz zur Live-Situation nicht einmal spontane Äußerungen (Szenenapplaus) in den Ablauf integriert. Nicht viel anders ist es aber auch im Fußballstadion, obwohl der Fan durch seine Gesänge und Anfeuerung eine gewisse Aktivität entwickelt. Aber spielen tun die da unten auf dem Rasen. Die Rolle des Kneipengastes ist demgegenüber eine aktive, teilnehmende. Im Wirtshaus bringt man sich als prinzipiell gleichberechtigter Akteur ein. Man steht sozusagen selbst auf der Bühne beziehungsweise auf dem Platz. Tatsächlich verhalten sich manche Gäste im Schankraum ja auch recht theatralisch (Selbstdarsteller), andere ausgesprochen sportlich (Einarmiges Drücken!). Weil es kein festes Drehbuch gibt, entsteht im Kneipentheater jeden Tag ein anderes Stück. Die Darsteller agieren freihändig, improvisierend. Deshalb ist es gemäß Dröge und Krämer-Badoni auch falsch, von einem »Kneipenpublikum« zu sprechen. Richtiger wäre wohl: Kneipenensemble. »ALKOHOLIKER, HEIMATLOSE UND GESTÖRTE«
Sehen wir uns die üblichen Vorurteile an. Ueli Gyr zählt sie auf: »Die Kneipe zieht demnach insbesondere Angehörige von sozialen Unterschichten oder Subkulturen an, darunter Alkoholiker, Heimatlose, unverheiratete Erwachsene, Vereinsamte, Randseiter und Gestörte.« Dieser Raum voller »Lärm, Gestank und Schmutz« diene einzig dazu, »Existenzängste, Alltagsfrust, Sorgen und Probleme im Schutz der Kneipengesellschaft wirksam und regelmäßig wegzuspülen.« Nun ja, so kann man das sehen. Aber man könnte auch erwidern, dass Alkohol den Menschen entspannter, witziger, aufnahmebereiter und toleranter macht. Richtig ist, dass man in der Kneipe nicht nichts trinken kann. Und dass die Getränke dort in der Regel Alkohol enthalten. Der Konsum von Flüssigem definiere die Schänke sozial und ökonomisch, schreiben Dröge und Krämer-Badoni, aber zwischen dem Konsum von Alkohol um seiner selbst willen und dem in der Kneipe bestehe ein Unterschied wie Tag und Nacht. »Lass uns einen trinken gehen« – der Spruch hat wenig mit Alkohol zu tun, meint er doch eigentlich: »Lass uns Zeit miteinander verbringen, lass uns miteinander reden und unsere Freundschaft feiern.« Warum sonst trinken wir in der Schänke statt zuhause?! Der Heimzecher spart Geld, den Hin- und den Rückweg, er kann sich anziehen und benehmen wie’s beliebt und jederzeit ins Bett sinken, wenn die Stimmung umschlägt. Aber darum geht es eben nicht. Kein Küchentisch und keine Kellerbar können den Zauber einer echten Kneipe entfalten. Jack London schwärmt von der Taverne als dieser »herrlichen Stätte«, in der man auch als Fremder immer weiß, was einen erwartet. Für seinen englischen Kollegen Samuel Johnson ist »der Kneipenhocker der Thron menschlicher Glückseligkeit.« Sobald er ein Wirtshaus betrete, sei er »aller Sorgen ledig. Man versorgt mich mit Wein, der meine Sinne...


Bernd Imgrund wurde 1964 in Köln geboren und mit Kölsch getauft. Er war Messdiener, Kriegsdienstverweigerer und Redakteur. Seine 30 Romane und Sachbücher beschäftigen sich u. a. mit Köln, historischen Gaststätten, Tischtennis und Skat. Außerdem veröffentlichte er die Reisereportage Kein Bier vor Vier. Meine 100-tägige Kneipentour durch die Republik. Er lebt mit seiner Frau in der Kölner Südstadt.


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