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E-Book

E-Book, Deutsch, 250 Seiten

Imgrund Männer

Roman

E-Book, Deutsch, 250 Seiten

ISBN: 978-3-7562-8665-2
Verlag: Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz



100 Stories, eine Geschichte. Vom Mannsein und Manns genug sein "Nichts ist scheußlicher, als einen Mann zu beobachten, der ertappt worden ist." (Joseph Conrad)

Bernd Imgrund, geboren 1964, lebt in Köln und hat 35 Bücher veröffentlicht.
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Autoren/Hrsg.


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Nach London
„Ich hab mir das jetzt hundert Mal überlegt“, sagte Jonas. „Dann muss man´s auch irgendwann tun“, meinte Tim. Die beiden saßen in Jonas´ Zimmer in Zollstock, versunken in mit Styroporpellets gefüllte Sitzsäcken. Auf dem Computerschirm lief ein animiertes Fußballspiel, tonlos. Tim warf dem Freund einen neuen Kaugummi zu. „Wenn du willst, nehm ich irgendwas als Trommel mit.“ „Nett. Aber reicht, wenn du dabei bist, Alter.“ Die Sommerferien zogen sich, seit Jonas aus dem Urlaub bei seiner Großmutter zurück war. Er fuhr gern zu ihr in den Schwarzwald, aber die Vorfreude verpuffte immer recht schnell. Es war einfach zu still in diesem Haus. Selbst Omas Essen, mit dem seine Eltern ihm den Besuch stets schmackhaft zu machen versuchten, hing ihm bald zum Hals heraus. Am allerunglücklichsten jedoch machte ihn, dass sein zwölfter Geburtstag in diesen Urlaub gefallen war. Denn auf eine Party zuhause hätte er auch Johanna einladen können. „Und wenn ich ihr eine Nachricht schreibe. Ob sie nachher mit uns in die Stadt fährt auf ein Eis oder was.“ „Das ist nicht dasselbe. Manchmal muss man eben ne Nummer größer denken.“ Als Jonas vom Pinkeln wiederkam, bemerkte er die stickige Luft im Zimmer. Fast wie in der Jungsumkleide der Schulturnhalle, dachte er, zum Glück ist Mama nicht da. Dann ging er wieder seinen Plan durch. Johanna hatte langes blondes Haar, glatt und getrennt durch einen Mittelscheitel. Ihr Gang war athletisch, überhaupt nicht mädchenhaft. Im Schulsport sprang sie höher und lief sie schneller als die meisten Jungs. Ihre Finger waren wohl nicht sonderlich lang oder schlank. Aber dafür versteckte sie sie auch nicht unter Ringen oder albernem Nagellack. Wenn man ihr nahekam, roch sie nach nichts anderem als Johanna. Und ihre Augen, so empfand das Jonas, waren die eines Huskys. „Woher weißt du eigentlich, dass sie allein zuhause ist?“ fragte Tim. „Denk doch mal nach, Alter. Mittagszeit, mitten in der Woche. Wo sind Erwachsene da? Ist hier in der Wohnung etwa irgend jemand außer uns?“ Tim zog eine Grimasse, wie er das immer tat, wenn er sich bei einer Dummheit ertappt fühlte. Jonas liebte seinen Kumpel dafür, dass er sein Herz auf der Zunge trug. In der ganzen Klasse, in der gesamten Stufe war niemand lustiger als Tim. Und außerdem führten seine Eltern ein Restaurant in der Nähe der Schule, wo man die Freistunden bei einem Teller Nudeln verbringen konnte und dabei wie die Erwachsenen am eingedeckten Tisch saß. Johanna einmal ganz beiläufig hierhin einzuladen, war ein Fernziel. Seine Klassenkameradin wohnte in einer Genossenschaftssiedlung mit vierstöckigen Mietskasernen. Die rauverputzten Häuser stammten aus den 1950ern und waren vor einigen Jahren renoviert worden. Statt Bakelitgrau trugen sie nun einen bunten Anstrich, und zum Garten hin hatte man Balkone angesetzt. Die Sonne trennte die schmale Straße genau in der Mitte, als Jonas und Tim dort anlangten. Gegenüber Johannas Wohnung führte ein Stichweg zu den nächsten Häuserreihen. An seiner Mündung stand eine große Reklametafel, hinter der die Jungen, geschützt von Sträuchern und einer rückwärtigen Backsteinmauer, ihren Ausguck einrichteten. „Hängst du hier öfters rum?“ „Ganz schön oft sogar. Aber erzähl´s keinem weiter, sonst bring ich dich um.“ Jonas spuckte den Kaugummi ins Gebüsch und legte das Gepäck ab. Irgendwo hinter ihnen, weit oben, ging ein Fenster auf. Jemand goss seine Blumen, nach dem Strahl zu urteilen mit einem Schlauch. Und er schien dabei überlaut mit einem Haustier oder Baby zu reden. „Ja, meine Kleine, du kriegst auch gleich ...“ Die beiden Freunde sahen sich an, zugleich hoch konzentriert und mit einem leichten Grinsen. Hinter ihnen, jenseits der Mauer, tropfte Wasser aufs Trottoir. „Siehst du das Treppenhaus, die Glasbausteine? Rechts davon im ersten Stock, das einzelne Fenster: Das muss ihres sein, dahinter seh ich sie immer.“ „Was findest du eigentlich an der?“ „Sag nicht, du hast schonmal eine Schönere gesehen.“ „Also mir gefällt die Denise aus der B viel besser“, meinte Tim, seitlich an Jonas vorbeiblickend. „Die lacht über jeden Mist. Du sagst Spiegelei und die geiert. Voll das Mädchen.“ „Ja, vielleicht. Aber ist schön, wie die lacht. Die kriegt dann kleine Löcher in den Backen.“ „Meinetwegen können wir danach zu Denise gehen. Dann bist du dran.“ „Nie im Leben, Jonas. Ich würde sterben.“ Jonas fuhr sich durch das struppig-kurze Haar. Früher, noch mit zehn, hatte er es lang getragen, wie sein Vater. Aber damit war Schluss, seit er auf die Europaschule gewechselt war. Auch bei der Fortuna trug niemand mehr so eine weibische Matte. Die Sonne war über die Reklamewand geklettert. Jonas spürte sie auf seiner Kopfhaut und kniff, vom Licht benommen, die Augen zusammen. Warum kam ihm ausgerechnet jetzt in den Sinn, dass er eine kurze Hose trug? Und warum bemerkte er plötzlich den dünnen Schweißfilm auf Tims Oberlippe? Der Freund trat von einem Bein aufs andere und sah sich misstrauisch um. Als planten sie ein Verbrechen, einen Einbruch womöglich. Und, ja, genau so fühlte es sich auch an für Jonas. Aber es gab kein Zurück. Er löste die Gitarre aus dem Futteral, legte sich den Gurt um den Nacken und befestigte ihn am Bauch des Instruments. Mit vorsichtigen Anschlägen, als fürchte er, jemanden zu wecken, prüfte er die Saiten. Das tiefe E brummte ihn missgestimmt an. Zu hoch oder zu tief, Jonas hörte es nicht. Und er wusste, er würde es unter diesen Umständen auch nicht mehr hinbekommen. Ein letzter Blick in Tims halb geschlossene Augen, und die beiden marschierten los. Unter Johannas Fenster angekommen, sang Jonas sein Lied. Das Lied, das er im Schwarzwald für sie komponiert hatte. Das Lied, mit dessen Entstehung auch die Idee gewachsen war, es unter ihrem Fenster vorzutragen, eine Idee, die bald so deutlich vor ihm stand wie ein Kartenhaus, das man angefangen hatte und unter allen Umständen weiterbauen musste. Egal, ob es auf dem letzten Meter zusammenbräche oder triumphal vollendet würde. Mit dem ersten Ton war sein Lampenfieber verschwunden. Ein Kribbeln ergriff seine Füße, jagte wie ein Wirbelwind durch den Körper nach oben und ergriff schließlich von Jonas´ Kopf Besitz. Eine weiße Wolke namens Rock´n´Roll fuhr zur Erde, nahm ihn auf und katapultierte ihn in die Lüfte. So ähnlich war es ihm schon manches mal ergangen mit der Musik. Aber noch nie war er dermaßen hoch geflogen. Dass da jemand am offenen Fenster stand, bemerkte er erst nach dem letzten Refrain. „Das hast du wirklich schön gemacht, Junge. Aber lass jetzt mal gut sein. Johanna ist beim Turnen. Und ganz im übrigen geht ihr Zimmer zum Garten raus.“ Die Sonne verfinsterte sich. Der Bürgersteig schrumpfte, war fort, Jonas stand direkt vor Johannas Vater und blickte paralysiert zu ihm auf. Die Brille übers Haar geschoben, fuhr er fort: „Wir fahren nachher nochmal weg bis Sonntag. Vielleicht kannst du dein Ständchen ja nächste Woche bringen. Dann seht ihr euch doch sowieso in der Schule.“ Die Sache war brutal schief gelaufen. Als Jonas sich umdrehte, sah er Tim, wie der hinter der Reklametafel verschwand. Das tiefe E schwang nach wie die Begleitmusik eines Gruselfilms. Jonas war unerträglich heiß. „Wir hauen ab“, sagte er, kaum bei Tim angekommen. „Wie meinst du das?“ „Wir hauen hier ab, aus Köln meine ich. Wir verpissen uns nach London.“ „Ich komme mit, wenn du mich brauchst, ich mein, aber ...“ „ ... und werden Straßenmusiker oder was weiß ich, ich sammel auch Pfandflaschen.“ Auf dem Rückweg trug er die Gitarrentasche nicht mehr auf dem Rücken, sondern in der Hand. In seinem Zimmer raffte er ein paar Sachen zusammen und bildete zwei Haufen. Einen stopfte er in den kleinen Rucksack, den er auf dem Dachboden gefunden hatte. „Du meinst, das reicht für London?“, fragte Tim. Seine diffuse Verwirrung hatte sich der Realität geöffnet, die konkrete Zweifel gebar. „Braucht man nicht vielleicht auch ein Taschenmesser? Ein Feuerzeug? Ohne eine Trinkflasche können wir auf keinen Fall los, wir brauchen unbedingt was zu trinken, Jonas. Man stirbt schneller vom Durst als vom Hunger.“ Das Zimmer sah Jonas nun, kurz vor dem Verlassen, aufgeräumter denn je aus. Selbst der von Büchern, Heften und Krimskrams überwucherte Schreibtisch hatte etwas von einem blanken Altar. „Willst du nicht, ich meine“, setzte Tim an und deutete mit dem Kinn auf den von der Schreibtischlampe baumelnden Kuli. „Meiner Mutter einen Abschiedsbrief schreiben?“ „Ich dachte ja nur.“ „Bist du verrückt? Je später sie davon erfährt, desto besser. Dann sind wir...


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