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E-Book, Deutsch, 292 Seiten

Imhof Eidesbruch

Ärzte, Geschäftemacher und die verlorene Würde des Patienten

E-Book, Deutsch, 292 Seiten

ISBN: 978-3-593-42310-4
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Wo Ärzte sich vor Managern und Aktionären verantworten müssen, sind Behandlungsfehler ebenso wenig Zufall wie der jüngste Transplantationsskandal. Sie sind Folgen eines Systems, in dem die Nöte der Patienten als Störung des reibungslosen Betriebsablaufs gesehen werden. Der Chirurg Michael Imhof sieht als gefragter Gutachter täglich, wie Patienten abgefertigt und alleingelassen werden. Anhand erschütternder Beispiele schildert er, was geschieht, wenn die Medizin nur noch einem wirtschaftlichen Auftrag verpflichtet ist. Ein kenntnisreiches, aufwühlendes Plädoyer für die Menschenwürde.
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Autoren/Hrsg.


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Inhalt
Vorwort 9
Einleitung: Nachtfahrt ins Ungewisse 13
Teil 1
It from bit: Innenansichten der modernen Medizin
1. Moderne Onkologie und die Wiederkehr des Sisyphos-Mythos 21
2. Antikörpertherapie als moderne Waffe gegen den Krebs 30
3. Über die Sprachlosigkeit der modernen Medizin 36
4. Wem die Stunde schlägt: Ein persönlicher Zwischenruf 44
5. Ecce homo: Der Mensch im neuen Weltbild der Medizin 47
6. Wovon die Menschen leben: Die Geschichte des Herrn K. 51

Teil 2
Die sieben Todsünden der modernen Medizin
1. Die Kommerzialisierung von Krankheit und Leiden 57
Das Krankenhaus als Profit Center 57
Wie Universitätskliniken im Wirtschaftsmonopoly zerstört werden 79
Hygieneskandale als Folge von Budgetierungszwängen 86

2. Geldgier 98
Goldgräberstimmung in der Krebsmedizin 98
Beutezüge der Pharmaindustrie 100
Totschlag aus zweiter Hand: Silikonskandal und andere 105

3. Habsucht 112
Anwendungsbeobachtungen - eine zusätzliche Geldquelle 112
IGeL-Leistungen als lukrative Paramedizin 115
Maßlosigkeit in den Vorstandsetagen 120

4. Korruption 128
Gelenkte Patientenströme: Darf es ein wenig mehr sein? 128
Anrüchige Geschäfte mit dem Rezeptblock 137

5. Ethische Dammbrüche 148
Gefälschte Studien 148
Betrugsfälle 159
Organspendeskandale 164
Überflüssige Operationen 172
Vertuschte Behandlungsfehler 182

6. Mitleidlosigkeit 199
Gnadenlose Therapie bis zum Sterbebett 199
Würdeloses Sterben im Alter: Eine ethische Bankrotterklärung 207

7. Hochmut und Machbarkeitswahn 214
Erfundene Krankheiten und die Optimierung der Gesundheit 214
Forever young: Gesundheitsreligion als neue Weltreligion 229

Teil 3

Die moderne Medizin - ein Abgesang und ein Aufruf
1. Der epochale Wertewandel 239
2. Die Krise als Chance 249

Anmerkungen 261
Literatur 268
Abkürzungen und Glossar 279
Register 289


Vorwort

Gestern telefonierte ich wieder einmal mit einem sehr guten Bekannten, einem Studienfreund, der vor knapp zwei Jahren eine neue Leber erhalten hatte. Er fühlt sich blendend und kam gerade von einem Segelurlaub an der Nordsee zurück, wie er mir begeistert erzählte. Er ist unendlich dankbar für sein neues Leben, das ihm von der modernen Medizin geschenkt wurde.
Gestern bearbeitete ich als Gutachter auch den Fall einer jungen Patientin, die Monate zuvor mit starken Schmerzen im gesamten Unterbauch die Ambulanz eines Krankenhauses aufgesucht hatte. Dort wurde sie nach einer oberflächlichen und weitgehend wortlosen Untersuchung wieder nach Hause entlassen, wobei ihr der sichtlich überlastete Arzt knapp und im Vorbeigehen seine Vermutung einer Magenverstimmung mit auf den Weg gab. Am Nachmittag des folgenden Tages wurde die Patientin in einem anderen Krankenhaus notfallmäßig unter der Diagnose eines durchgebrochenen Blinddarms mit schwerster diffuser Bauchfellentzündung operiert.
Wäre diese junge Patientin im erstbehandelnden Krankenhaus wirklich eingehend und nicht nur hektisch-oberflächlich untersucht worden, hätte man ihren Beschwerden und der Schilderung ihrer Symptome aufmerksam zugehört, so hätte schon zu diesem Zeitpunkt die Verdachtsdiagnose einer akuten Blinddarmentzündung dringend naheliegen müssen. Die Patientin wäre dann nicht wortlos, aber mit einer Handvoll Schmerztabletten nach Hause geschickt, sondern gleich an Ort und Stelle operiert worden. Ihr wäre dann vieles erspart geblieben: die bleibenden seelischen und schweren körperlichen Beeinträchtigungen durch den lang dauernden Intensivaufenthalt mit zahlreichen operativen Eingriffen. Diese Patientin wäre nicht berufsunfähig geworden, und möglicherweise hätte sie auch ihren damaligen Lebenspartner nicht verloren.
Beide Fälle repräsentieren die moderne Medizin: ein Höchstmaß an wissenschaftlich-technischer Präzision auf der einen Seite, eine Präzision, die Leben schenkt - und auf der anderen Seite ein anonymisiertes Getriebe, in welchem die Sprache, das Verständnis für die Sprache der Patienten, über weite Strecken abhanden gekommen ist.
Von dieser Sprachlosigkeit soll dieses Buch handeln.
Wir leben in einer Welt der großen Siegeszüge der modernen Medizin: Die schweren und früher tödlichen Infektionskrankheiten wurden erfolgreich bekämpft, Herzinfarkte, ja selbst Schlaganfälle können in vielen Fällen erfolgreich und ohne bleibende Funktionsausfälle behandelt werden. Verstopfte Herzkranzgefäße werden wieder geöffnet oder mit Bypässen überbrückt. Maschinen übernehmen die Funktion von ausgefallenen Organen. Chronisch schmerzende und arthrotisch versteifte Gelenke werden problemlos durch Kunstgelenke ersetzt, sodass ältere und häufig auch betagte Patienten wieder schmerzfrei laufen können. Die Wissenschaft hat uns immer tiefer reichende Einblicke in die inneren Strukturen von Organen und Zellen und in die komplexen Netzwerke von miteinander kommunizierenden Genen und Abermillionen von Proteinen geliefert. Diese Wissenschaft hat es möglich gemacht, die Signale, die Morsezeichen von Genen und Proteinen immer weiter zu entschlüsseln und fehlerhafte Codierungen auf dieser Ebene als Ursachen von vielen Krankheiten zu erkennen. Je mehr diese Medizin es gelernt hat, die Grammatik, die Textsequenzen auf den fundamentalsten Ebenen des Lebens zu entziffern, umso mehr verliert sie jedoch ihr Gefühl für die Bedeutung dieser Sprache für den Patienten selbst, Die moderne und technisch hochgerüstete Medizin steht in Gefahr, nur noch technische Algorithmen zu verstehen. Ihr droht das Verständnis für die Sprache des Lebens und dafür abhanden zu kommen, was aus den Krankheiten zu ihr spricht. Insofern ist dieses Buch ein Buch über die Sprache von Krankheiten, über den Verlust von Bedeutung und Empathie in der modernen Medizin.
Dabei sind die Erfolge der Medizin im Kampf gegen Krankheiten, die bislang als unheilbar gelten, unleugbar. Am Beispiel der modernen Krebsbehandlung versuchte ich aufzuzeigen, mit welchen ungeheuer großen Herausforderungen sich die Wissenschaft konfrontiert sieht und dass es geradezu an ein Wunder grenzt, dass die Diagnose "Krebs" bei immer mehr Patienten kein Todesurteil mehr bedeutet. Vor den Leistungen dieser Medizin ist allergrößte Hochachtung angezeigt. Umso mehr muss aber verwundern, dass sich immer mehr Patienten von dieser Medizin abwenden, weil es ihnen nicht mehr möglich scheint, sich darin als kranker Mensch wiederzufinden.
Die technisch hochgerüstete, aber sprachlose Medizin hat das Gefühl für eine grundlegende gemeinsame Wirklichkeit von Arzt und Patient, von Krankheit und Heilung innerhalb der auf weite Strecken von Technik und Ökonomie dominierten Abläufe verloren. Eine verheerende Folge besteht darin, dass die Patienten zu Objekten degradiert wurden. Die Medizin steht in Gefahr, ihre angestammte Bedeutung dort zu verlieren, wo sie zur Industrialisierung von Gesundheitsprodukten verkommt. Hier verliert sie ihre Seele und gleichermaßen auch die Seelen ihrer Patienten. Unter der zunehmenden ökonomischen und kommerziellen Dominanz wird die Ethik in ein Nischendasein verbannt. Durch die Bindungsverluste an ihre ursprünglichen ethischen Grundsätze und Prinzipien begeht und erleidet die technisch hochgerüstete Medizin einen epochalen Sündenfall. Es sind vor allem sieben Todsünden, die ich in diesem Buch programmatisch und exemplarisch darstelle. An die Stelle einer Heilkunde, die auf dem Vertrauen der Patienten basiert und die Hoffnung spendet, tritt mehr und mehr eine Medizin, welche sich an der eigenen Bereicherung und am Profitdenken orientiert. Dieser Medizin begegnen deshalb immer mehr Patienten mit wachsendem Misstrauen, was die ansteigende Anzahl von Behandlungsfehlervorwürfen belegt. Als chirurgischer Gutachter auf dem Gebiet des Arzthaftungsrechtes erlebe ich täglich die Brüche und die ethischen Erosionen dieser Medizin. Oft bleibt es mir nur noch übrig, die Scherben von verlorenem Vertrauen aufgrund eines Systemversagens dieser Medizin wegräumen zu müssen.
Ich möchte aber nicht einstimmen in den vielfältigen Chor von einseitigen und oft marktschreierischen Skandalisierungen dieser Medizin, deren Beweggründe mir recht durchsichtig zu sein scheinen. Zwar müssen das ethische Versagen der Medizin und die aktuellen Skandale unserer Tage angesprochen und angeprangert, zugleich aber muss auch die Größe und Wirkmächtigkeit dieser Medizin respektiert werden, die meine berufliche Heimat ist und in der meine ärztliche Identität nach wie vor verankert bleibt. Wir leben heute in einer Zeit der chaotischen Umbrüche, in deren Zentrum die moderne Medizin, quasi als Spiegel oder Brennglas, zu verorten ist. Die Medizin war immer schon und ist auch heute ein Spiegel ihrer Zeit, ihrer sozialen und kulturellen Umbrüche und Verwerfungen. Wer unsere Gegenwart verstehen will, muss die modernen Krankenhäuser oder die großen Ambulanzen aufsuchen und sich dort umsehen. In diesem Sinne verweist die ethische Krise der modernen Medizin in einen übergeordneten Raum hinein, nämlich in die ethische und geistige Krise unserer Zeit selbst.


Dr. med. habil. Michael Imhof war viele Jahre an der Chirurgischen Universitätsklinik Würzburg tätig, wo er auf Tumorchirurgie spezialisiert war. Inzwischen ist er selbstständiger Gutachter für Behandlungsfehler.


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