Kachler | Damit aus meiner Trauer Liebe wird | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Kachler Damit aus meiner Trauer Liebe wird

Neue Wege in der Trauerarbeit

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-451-82510-1
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Roland Kachler, Psychotherapeut mit Spezialisierung in der Trauerbegleitung, hat nach dem Unfalltod seines Sohnes neue Wege in der Trauerarbeit entwickelt. Sein Ansatz: Nicht das Loslassen, sondern die Liebe zum Verstorbenen steht im Zentrum des Trauerprozesses. Die Liebe ist das Ziel der Trauerarbeit, sie führt durch den Trauerprozess und findet eine neue, innere Beziehung zum Verstorbenen. Nicht nur Betroffene und Hinterbliebene, sondern auch Trauerbegleiter erhalten eine Vielzahl konkreter Impulse für die wesentlichen Schritte auf dem Weg durch die Trauer hin zur Liebe. Für eine innere Beziehung zum Verstorbenen.
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Kapitel 1
Und meine Liebe will es nicht begreifen
So erträgt man es: Man ist nicht dabei. P. F. Thomése Ich stehe noch unter Schock, mein Sohn, ich fühle mich noch immer abgeschnitten von mir selbst … Ich agiere wie eine Marionette, funktioniere, bin nicht ich selbst. Ich spüre mich nicht mehr, mein Herz weigert sich anzunehmen, was mein Kopf ihm sagt. Gibt es mich denn überhaupt noch? Ich suche noch nach der ersten Stufe der Treppe in eine Realität, die zu betreten ich unendliche Angst habe … so halte ich mich fest am Gefühl des Irrealen. Du kannst nicht wirklich tot sein. Irgendjemand oder irgendetwas wird mich erlösen und befreien und du wirst zurückkehren und alles ist nur ein Spuk, ein böser fürchterlicher Traum. Gabriele Gérard »Du bist nicht tot und kannst nicht tot sein!«
Die Verweigerung der Realität ist zunächst sinnvoll
Mein geliebter Mensch lebt nicht mehr! Er liegt tot da! Seine Augen sind geschlossen. Er reagiert nicht mehr, er atmet nicht mehr. Ich berühre meinen lieben Menschen, seinen toten Leib und begreife es doch nicht. Das Schlimmste, das Allerschlimmste ist passiert. Das kann nicht wahr sein und ist nicht wahr, obwohl ich es jetzt mit meinen Augen sehen muss. Was liegt da näher, als die Augen zu schließen und das Schlimmste nicht sehen zu wollen, weil es dann nicht mehr da ist? Bei einem schweren Verlust steht am Anfang die Verweigerung der Realität. Wir können nicht glauben, dass unser geliebter Mensch tot ist. Was wir erleben, ist nicht wirklich real, sondern bleibt eigentümlich fern, unwirklich und unbegreiflich. Aber auch später wird es immer wieder Momente geben, in denen wir nicht glauben können und glauben wollen, dass der geliebte Mensch abwesend ist. Immer wieder bleibt diese nicht zu leugnende Realität irreal. Unsere Liebe kann und darf nicht zustimmen, dass das Schlimmste wahr sein soll. Ich muss deinen Tod jetzt noch nicht begreifen Erlauben Sie sich ganz zu Beginn Ihrer Trauer, aber auch später immer wieder, dass Sie nicht begreifen wollen, was zu schwer ist zu begreifen. Sie können sich die folgenden Sätze immer wieder sagen. »Ich kann nicht begreifen, was ich nicht begreifen will.« »Es geht über meine Kräfte, zu verstehen, dass du nicht mehr leben sollst.« »Es bleibt unwirklich, dass du nicht mehr da sein sollst.« Die Sorge, insbesondere von Angehörigen und Freunden, dass mit diesem Verständnis für das Nicht-begreifen-Wollen der Trauernde in einer Fantasiewelt bleibt, ist unbegründet. Auch das Nicht-begreifen-Können ist eine Realität, und zwar die besondere und außergewöhnliche Realität des Trauernden. Wir sollten uns als Trauernde darin liebevoll akzeptieren. Erst dann können wir ganz langsam und sehr behutsam einen Weg finden, den Tod unseres Angehörigen als äußere Realität wahrzunehmen. »Ich fühle überhaupt nichts – auch dich nicht«
Das Nichtfühlen als Überlebensreaktion
Im Schock schaltet unser Organismus fast alle Regungen ab und stellt unser Funktionieren auf niedrigstes Energieniveau ein. Es geht jetzt nur darum, das Entsetzliche zu überleben. In diesem Zustand fühlen wir kaum noch etwas, nicht einmal das Entsetzen, den Schmerz oder die Ohnmacht. Wir können nicht mehr richtig denken und fühlen. Nach außen wirken wir aber – für andere oft überraschend – gefasst und ruhig. Doch ist dies nur ein Zeichen dafür, dass der Organismus unsere Seele und damit alles Fühlen und Spüren abgeschaltet hat. Nichts ist mehr da, mein geliebter Mensch und ich selbst nicht. Alles ist einfach nur weg, meine Gefühle sind weg, mein Körper ist weg, meine Hoffnung ist weg. Auch die Liebe zu meinem geliebten Menschen ist einfach weg, eingefroren und unzugänglich. Wie soll meine Liebe jemals wieder erwachen? Wie soll ich überhaupt jemals wieder etwas fühlen können? Auch später wird uns die Fühllosigkeit immer dann einholen, wenn das Entsetzen und die Verzweiflung über die Abwesenheit unseres geliebten Menschen wieder übermächtig wird. Manche Menschen, insbesondere Männer, nutzen die Fühllosigkeit auch als eine – verständliche! – Abwehr gegenüber dem Schmerz. Wir sollten uns in unserer Fühllosigkeit immer wieder bewusst machen, dass wir im Augenblick nichts fühlen können, oft auch nichts fühlen wollen. Wenn wir uns diesen Zustand erlauben und zugestehen, kann er sich allmählich, entsprechend unseren seelischen Kräften, so verändern, dass wir nicht nur die Trauer, sondern auch das Leben in uns wieder zulassen können. Ich erlaube mir mein Nichtfühlen In Situationen, in denen wir nichts spüren, tut es gut, sich dies zu erlauben, sich zurückzuziehen oder im Schlaf wieder zu sich zu kommen. Dabei hilft es, wenn wir uns selbst mit folgenden Worten direkt ansprechen: »Keine Worte, keine Gedanken und keine Gefühle können begreifen, was mit deinem Tod passiert ist. Das geht über alle meine Fähigkeiten des Fühlens hinaus. Und deshalb kann ich jetzt gar nichts fühlen. Das ist in Ordnung so. Ich weiß, meine Seele und mein Körper brauchen das Nichtfühlen. Das schützt mich. Wenn meine Seele bereit ist, mehr zu wissen und zu spüren, wird sich mein jetziger Zustand verändern. Jetzt aber spüre ich, dass ich nicht fühle.« Um unsere eigene emotionale Situation im Nicht-begreifen-Wollen ein wenig besser zu verstehen, können wir für diesen Zustand Beschreibungen oder Bilder finden. So wird das Nicht-begreifen-Können ein klein wenig begreiflich. Oft wird auch in der Beschreibung schon deutlich, wozu dieser seelische Zustand jetzt nötig ist und wie er mir in meiner schrecklichen Situation hilft. Ein Bild für den Schock finden Wenn andere Sie oder Sie sich selbst befragen, wie es Ihnen jetzt geht, fallen Ihnen sehr häufig schon erste bildhafte Sätze ein, wie zum Beispiel »Ich stehe neben mir« oder »Ich kenne mich nicht mehr« oder »Ich bin mir ganz fremd«. Vielleicht haben Sie noch ganz andere beschreibende Sätze für Ihren Schockzustand. Vielleicht fällt Ihnen auch ein Bild für Ihre Situation ein. Fühlen Sie sich wie ein Eisblock oder wie zu Stein erstarrt? Befinden Sie sich wie unter einer Glasglocke oder wie in einem Vakuum? Vielleicht tauchen andere Bilder auf, die beschreiben, wie sich Ihre Seele jetzt schützen muss. Bei schweren Verlusten dauert der Zustand des Nichtfühlens und Nichtwahrhabens viel länger, als in den üblichen Trauerratgebern angegeben wird. Dort wird dieser Zustand als rasch vorübergehende Phase beschrieben, die dann vollständig überwunden sein soll. Insbesondere Eltern, die ihre Kinder verlieren, berichten, dass sie im ersten Trauerjahr nicht wirklich begreifen und fühlen konnten, dass ihr Kind tot sein soll. Für viele verwaiste Eltern setzt deshalb das eigentliche Trauerjahr, in dem bewusst getrauert werden kann, erst im zweiten Jahr ein. Trauernde brauchen auch später, wenn sie allmählich die Abwesenheit des Verstorbenen realisieren, immer wieder das Nicht-wahrhaben-Wollen als Schutz. Wir können das Wissen um den Tod des Angehörigen nicht ständig in voller Wucht ertragen. Unsere Seele braucht immer wieder »Auszeiten« von dieser Realität, und wir dürfen uns solche Auszeiten erlauben! »Irgendetwas muss man doch sagen können!«
Dem Nichtbegreifen Worte verleihen
Das Entsetzen ist nach dem Tod des geliebten Menschen übermächtig und verschlägt uns die Sprache. Es fehlen uns die Worte für das Unbegreifliche. Wir spüren auch, dass alle wohlmeinenden Worte das Ungeheure nicht ausdrücken können. Und dennoch wollen wir auch reden, schließlich geht es um den Menschen, den wir so sehr lieben. Und schließlich müssen wir auch wieder Worte finden, weil wir mit ihnen unsere Liebe zum Verstorbenen aussprechen können. Wenn wir unsere Sprache wiederfinden, dann kehrt auch die Sprache der Liebe wieder in unsere gelähmte Seele zurück. Dies beginnt damit, dass wir mit anderen darüber reden, was geschehen ist und wie unser geliebter Mensch starb. Dabei geht es zunächst nur um die äußeren Fakten. Es fällt uns am leichtesten, dies zu erzählen. Dann fragen aber unsere Mitmenschen weiter nach den näheren Umständen. Auch das ist gut so, denn dann befinden sich beide, die Fragenden und der Trauernde, auf »sicherem« Terrain. Das hilft den Hinterbliebenen, die Ereignisse auch im Schock für sich in Worte zu fassen, das Chaos im Kopf wenigstens ansatzweise zu ordnen und die Betäubung allmählich zu lösen. Doch nicht nur die Trauernden, sondern auch die Ereignisse selbst verlangen drängend nach einer Beschreibung, insbesondere bei einem plötzlichen, völlig unerwarteten Tod wie bei einem Unfall oder tödlichen Herzinfarkt. Bei einem erwarteten Tod nach langer Krankheit oder Altersschwäche ist es hilfreich, von den letzten Tagen, Stunden, den letzten Reaktionen und den letzten Worten des Verstorbenen zu berichten. Im ersten Erzählen deines Sterbens finde ich meine Worte wieder Erlauben Sie sich, all das, was in Ihnen an Bildern und Fragen zum Sterben und Tod Ihres Angehörigen aufbricht, immer wieder in Gedanken durchzugehen. Erzählen Sie alles Ihren Angehörigen, Freunden und Bekannten. Zögern Sie nicht, es immer wieder mit neuen Details zu erzählen. Wenn Sie unsicher sind, ob das für die anderen passt, fragen Sie: »Ist es in Ordnung, wenn ich es dir erzähle?« Wenn andere fragen oder Genaueres wissen wollen, dann nehmen Sie es als Ihre besondere Chance, die Sprache wiederzufinden. Wenn Trauernde alles über die äußeren...


Roland Kachler, Dipl.-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Evangelischer Theologe, arbeitet in Stuttgart an der Landesstelle der Psychologischen Beratungsstellen und in eigener therapeutischer Praxis. Er hat infolge der Verlusterfahrung durch den Tod seines Sohnes einen neuen Traueransatz entwickelt.


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