Karila | Der Fluch des Hechts | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Karila Der Fluch des Hechts

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-946120-84-1
Verlag: homunculus verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Wie jedes Jahr kehrt Elina Ylijaako in ihr Heimatdorf im Osten Lapplands zurück – eine bedrückende Einöde, die nach ihren ganz eigenen Regeln funktioniert. Dort hat sie drei Tage Zeit, um einen Hecht zu fangen. Doch dieses Jahr läuft nichts wie geplant. Als ein Wassermann in den Sümpfen erscheint und sich Elina in den Weg stellt, wird ihr Angelausflug plötzlich zu einem Abenteuer auf Leben und Tod. Währenddessen sucht eine Polizistin wegen Mordverdachts nach ihr und wird selbst in das mysteriöse Treiben magischer Gestalten hineingezogen. Magie und Realität verschwimmen, doch in Ostlappland scheint das niemanden zu wundern. In einem fulminanten Showdown gilt es einen Fluch zu brechen, der tief in Elinas Vergangenheit verwurzelt ist.

Der Fluch des Hechts erzählt eine tragische Liebesgeschichte sowie eine Geschichte über die unberechenbare Macht der Natur, ihre Magie, und nicht zuletzt über den Menschen und was er mit der Natur anrichtet. Mit sprachlicher Virtuosität schafft es Karila in seinem Debütroman, dass seinen Leser:innen immer wieder das Lachen im Halse stecken bleibt.

Nach Übersetzungen u. a. ins Französische, Arabische und Polnische erscheint nun endlich auch die Übersetzung auf Deutsch.
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1
Eine Verkettung unglücklicher Umstände hatte dazu geführt, dass Elina den Hecht jedes Jahr vor dem 18. Juni aus dem Tümpel ziehen musste. Ihr Leben hing davon ab. Elina fuhr am 14. Juni los, als die Flut im Norden gewiss zurückgegangen und der Tümpel in Gummistiefeln zu erreichen war. Sie brach früh auf und fuhr den ganzen Tag. Je weiter sie kam, desto weniger Städte, Tankstellen, Dörfer gab es entlang des Wegs. Die Bäume wurden niedriger. Am Ende gab es nicht einmal mehr Dörfer. Nur Wald. Manchmal kam ihr hinter einer Kurve ein Auto entgegengedriftet, woraufhin sie das Tempo reichlich verlangsamte. Die Entgegenkommenden zeigten mit Gesten, dass sie auf der Stelle umdrehen sollte. Am Straßenrand stand ein Schild: Abbruch aller Datenverbindungen in 40 Kilometern. Elina erreichte einen kahlgeschlagenen, gute fünfzig Meter breiten Grenzstreifen. In dessen Mitte stand einsam ein weißes Wärterhäuschen. Den Weg versperrte ein Schlagbaum. Elina ließ das Auto vor den Schlagbaum rollen. Aus dem offenen Fenster des Häuschens lehnte sich ein gelangweilt wirkender Grenzwächter in einer grauen Uniform. Er hatte dunkle Schweißflecken unter den Armen. Im Häuschen summte ein Tischventilator. Elina kurbelte ihr Fenster nach unten und grüßte. Der Beamte begann umgehend seine Litanei: Der finnische Staat empfehle, nicht weiterzufahren. Sollte Elina dennoch weiterfahren, würden alle Versicherungen ihre Gültigkeit verlieren und Elina für sich selbst verantwortlich sein. »Ich komm von da«, sagte Elina. Der Beamte streckte die Hand aus. Elina reichte ihm ihren Personalausweis, und der Beamte betrachtete ihn. Er blickte zu Elina, dann wieder zu dem Ausweis. Er gab den Ausweis zurück und sagte, dass er sie schon mal gesehen habe. »Ja«, sagte Elina. »Verdammt heiß«, sagte der Beamte. Er drehte sich um und sah auf das Thermometer an der Wand seines Häuschens. »Achtundzwanzig Grad im Schatten«, rief er beinahe. »Oho.« »Arbeiten Sie niemals für den Staat«, sagte der Beamte. »Okay.« »Dann gute Weiterfahrt.« Der Beamte hob den Schlagbaum, Elina die Hand und fuhr weiter. Hinter dem Grenzstreifen kehrte der Wald zu beiden Seiten der Fahrbahn zurück. Die Straße war leer. Elina drückte aufs Gas. Der rechte Zeh, den sie sich bei dem Kampf gebrochen hatte, schmerzte. Nach dem Polarkreis hatte Elina stets ein Auge auf den Rückspiegel und den Straßengraben. Wann immer sie dunkle Umrisse am Straßenrand sah, fuhr sie langsamer, bis sie sicher war, dass es sich um Baumstümpfe oder Wurzelstöcke handelte. Sie stellte das Radio an. Auf allen Kanälen ging es um die Rekordhitze, die Waldbrände und Überschwemmungen. Zwischendurch stoppte sie das Auto in einer Haltebucht, ging zum Wald und stand mit geschlossenen Augen still da. Sie stellte sich zwei Balken vor, die sich vor ihr im Rhythmus ihres Atems hoben und senkten. Hoben und senkten. Von Haltebucht zu Haltebucht wurden es mehr Mücken. Sie fuhr an Kuikkaniemi vorbei und blickte nicht einmal zu dem steilen Flussufer hinüber. Das Kirchdorf erschien mitten im Wald wie ein Traum. Verschwand wie ein Traum. Sie erreichte Vuopio um zehn Uhr abends. Die Sonne stand noch immer hoch und tauchte die Welt in die Farbe einer alten Zeitung, gelb und verbraucht. Sie bog rechts auf die Brücke ab und fuhr langsam darüber. Der breite Fluss schimmerte. Hinter der Brücke bog sie nach links und fuhr den Fluss entlang in Richtung ihres Zuhauses. Vor der letzten Kurve befand sich linker Hand das Haus von Asko und Efraim, dahinter die Hütte von Eule. Die Fenster waren dunkel. Elina nahm die letzte Gerade. An deren Ende stand ein Schild: Ende des öffentlichen Wegs. Sie fuhr auf den Ylijaako-Hof. Zu diesem gehörten vier Gebäude. Eine alte Sauna, das Elternhaus ihres Vaters beziehungsweise der alte Teil, das Wohnhaus und ein Stall. Eine Reihe hoher Espen säumte den Hofweg. Elina hielt vor dem Stall und stieg aus dem Auto. Sie hörte die Mücken und die berauschte Melodie der Rotdrossel. Das gleichmäßige, des Lebens überdrüssige Gemurre des Bergfinken. Bei der Böschung stand eine Kiefer zwischen der alten Sauna und dem Stall, wie ein Wachturm auf der Grenze zweier Welten, Land und Sumpf, ein wenig zum Sumpf geneigt, der am Fuß der Böschung lag, nass und geduldig. Am Morgen wachte Elina von einem lauten Geräusch auf. Sie stieg aus dem Bett, blickte aus dem Fenster und sah einen Kuckuck. Er saß in einer Espe und schlug den Lebenden die Stunde. Sie hatte noch nie einen Kuckuck so nah gesehen. Er verstummte, als sie ans Fenster trat, und flog davon. Sie betrachtete die leere Espe und dachte an ihre Aufgabe für diesen Tag, den Hecht. Elina hatte in ihrem alten Zimmer geschlafen. Dort gab es ein Bett, ein Bücherregal, einen Tisch und einen Stuhl. Sonst nichts. Den Rest des Hauses hatte sie Eule überlassen. Elina setzte sich auf die Bettkante. Sie strich sich prüfend über die Haare, die sie mit dem Trimmer auf drei Millimeter gestutzt hatte. Das Haareschneiden war Teil des Rituals. Sie streckte das rechte Bein durch und kontrollierte den großen Zeh, er war schwarz und geschwollen. Er sah schlimmer aus, als er sich anfühlte. Sie musste etwas dagegen unternehmen. Sie hinkte in den Flur. Links gelangte man ins Wohnzimmer, an dessen Wänden Eule ornithologische Verbreitungskarten, Zugrouten, Tabellen und Zeichnungen mit Schwimmhäuten von Enten angebracht hatte. Elina ging nach rechts, in die Küche. Sie nahm eine mehrere Tage alte Ausgabe der Lapin Kansa vom Gefrierschrank, riss einen Streifen ab und wickelte das Papier um den verletzten Zeh sowie den gesunden Zeh daneben. Im Schrank fand sie eine Schere, schnitt damit ein Stück Universalklebeband ab, zog das Papier straff und fixierte das Ende. Ein festes Paket. Elina legte die Schere zurück in den Schrank. An der Schranktür hing eine topografische Karte, auf der Eule mit einem Bleistift Orte angekreuzt hatte, an denen er einem Pejooni begegnet war. Elina stellte die Kaffeemaschine an, öffnete die kleine Lüftungsklappe im Fenster und sah hinaus. Sie hatte am Abend nichts gegessen, aber das war normal. Den Appetit verlor sie als Erstes. Auf dem Hof tobten dieselben Vögel herum wie vor fünfzehn Jahren. Wacholderdrosseln, Bachstelzen, Schwalben. Es schienen dieselben Vögel zu sein, waren aber andere. Sie bevölkerten den Hof, die Bäume, die Gebäude. Wenn man auf den Hof blickte und an nichts als Vögel dachte, sah man sie überall. Die Schwalben flogen wie Düsenjäger durch die Fenster am Dachboden des Stalls. Die Drosseln machten Hocksprünge. Manchmal erstarrten sie an Ort und Stelle, und man musste genau hinsehen, ob dort ein Vogel war oder ein Erdklumpen. Sie stürzte den Kaffee runter und fühlte sich wie eine spröde Hülle. Ihr Vater hatte irgendwann einmal auf genau diesem Platz gesessen und Kreuzworträtsel gelöst, als er am Boden ein Kratzen hörte. Er hatte nach unten gesehen und ein Mauswiesel erblickt. Es hatte ihm in die Augen gestarrt, als sei es der eigentliche Besitzer des Hauses. »Woher weiß so’n Viech bloß, wo die Augen sind«, hatte ihr Vater sich gewundert. Bei der Beerdigung ihrer Mutter hatte Elina ihren Vater gefragt, warum das Haus unbedingt neben dem Sumpf gebaut werden musste. Ihr Vater hatte geantwortet, dass seine Familie schon immer an diesem Ort gewohnt und der Standort ihrer Mutter besonders gut gefallen habe. Vor der Eheschließung hatte ihre Mutter die Gegend gründlich geprüft. Sie hatte eine Karte angefertigt, auf der sie ihr zukünftiges Zuhause, dieses Haus, eingezeichnet hatte, in Ost-West-Richtung, sodass es wie eine Wasserwaage auf Lappland lag. Ihre Mutter hatte erklärt, dass das Gebäude auf diese Weise das Schema vervollständige, dessen andere Teile in der Landschaft bereitstanden. Der Fluss, die Wälder und die Hügel. Ihr Vater hatte sie damals angestarrt. Die kleine Frau mit den kurzen pechschwarzen Haaren und den kleinen pechschwarzen Augen, die das Licht nicht zurückwarfen. »Aha«, hatte ihr Vater gesagt. »Warum auch net …« Sie hatten das Haus gemeinsam gebaut. Es war einstöckig und lang. Ganz anders als die anderen Häuser des Dorfes, die eine große Wohnstube hatten und in der Mitte einen Kachelofen. In diesem Haus gab es gar keine Stube. Die kleine Küche, an deren Tisch Elina saß, war Teil des Flurs, der das ganze Haus durchzog. Am Westende des Flurs lag das Wohnzimmer und am Ostende der Heizraum. »Wie Cockpit und Motor«, hatte Elinas Vater gesagt, als sie ein Kind war. »Wir ham dir’n Raumschiff gebaut.« Nachts hatte Elina wach im Bett gelegen und dem Gepolter gelauscht, das aus den Wänden und vom Dach kam. Elina hatte sich vorgestellt, dass die Geräusche von den Motoren des Raumschiffs ausgingen, die das...


Karila, Juhani
JUHANI KARILA, *1985 in Ostlappland, ist ein finnischer Journalist und Schriftsteller. Seine erste Kurzgeschichtensammlung Gorilla (2013) wurde begeistert aufgenommen und belegte den zweiten Platz beim Helsingin-Sanomat-Preis für das beste Debüt des Jahres. Der Fluch des Hechts (2019) ist sein erster Roman und wurde mit dem Kalevi Jäntti Preis für junge Literatur, dem Tähtifantasia Preis für fantastische Literatur und dem Jarkko Laine Preis ausgezeichnet.

Murmann, Maximilian
MAXIMILIAN MURMANN, *1987 in Treuchtlingen, studierte in München, Helsinki und Budapest Finnougristik, Allgemeine Sprachwissenschaft und Germanistische Linguistik. 2018 promovierte er mit einer Arbeit über Emotionswörter im Finnischen zum Dr. phil. Inzwischen übersetzt er hauptberuflich aus dem Finnischen und Estnischen ins Deutsche. Zuletzt erschienen seine Übersetzungen von Karl Ristikivis »Die Nacht der Seelen« (Guggolz Verlag, 2019) und Juha Hurmes »Der Verrückte« (Kommode Verlag, 2019).

Juhani Karila, geboren 1985 in Ostlappland, ist ein finnischer Journalist und Schriftsteller. Seine erste Kurzgeschichtensammlung Gorilla (2013) wurde begeistert aufgenommen und belegte den zweiten Platz beim Helsingin-Sanomat-Preis für das beste Debüt des Jahres. Der Fluch des Hechts (2019) ist sein erster Roman und wurde mit dem Kalevi Jäntti Preis für junge Literatur, dem Tähtifantasia Preis für fantastische Literatur und dem Jarkko Laine Preis ausgezeichnet. 2022 wurde Der Fluch des Hechts für den Internationalen Literaturpreis nominiert."

Maximilian Murmann, 1987 in Treuchtlingen, studierte in München, Helsinki und Budapest Finnougristik, Allgemeine Sprachwissenschaft und Germanistische Linguistik. 2018 promovierte er mit einer Arbeit über Emotionswörter im Finnischen zum Dr. phil. Inzwischen übersetzt er hauptberuflich aus dem Finnischen und Estnischen ins Deutsche. Zuletzt erschienen seine Übersetzungen der Graphic Novel Zwischen den Tönen von Joonas Sildre (Voland & Quist, 2021), Paavo Matsins Gogols Disko (homunculus verlag, 2021) und Juhani Karilas Der Fluch des Hechts (homunculus verlag, 2022). 2021 erhielt er das Arbeitsstipendium des Freistaates Bayern für literarische Übersetzer:innen. Für die Übersetzerung von Der Fluch des Hechts wurde er für den Internationalen Literaturpreis 2022 nominiert.


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