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E-Book

E-Book, Deutsch, 128 Seiten

Reihe: übermorgen

Kastner Dummheit

E-Book, Deutsch, 128 Seiten

Reihe: übermorgen

ISBN: 978-3-218-01300-0
Verlag: Kremayr & Scheriau
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



"Dummheit begegnet uns in vielerlei Form – doch woran kann man sie erkennen?"
Was haben so unterschiedliche Dinge wie "alternative Fakten", menschenleere Begegnungszonen in Satellitensiedlungen und Schönheits-OPs als Maturageschenk gemeinsam? Heidi Kastner wagt sich an den aufgeladenen Begriff der Dummheit und betrachtet sowohl die sogenannte messbare Intelligenz (IQ) sowie die "heilige Einfalt" und die emotionale Intelligenz, deren Fehlen immensen Schaden anrichten kann.
Was treibt Menschen, die an sich rational-kognitiv nachdenken könnten, dazu, sich und andere durch "dumme" Entscheidungen ins Unglück zu stürzen? Wie ist kollektive Bereitschaft zu Ignoranz zu erklären und warum nimmt dieses Phänomen scheinbar so eklatant zu? Gibt es einen Konsens darüber, dass langfristig fatales, aber unmittelbar subjektiv vorteilhaftes Verhalten als "dumm" anzusehen ist? Sind Abwägen und Nachdenken altmodisch? Und was, um Himmels Willen, ist so attraktiv am Konzept des Leithammels, der uns das Denken abnimmt, oder des Influencers, der uns den einzig wahren Weg zeigt?
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Säulen der Dummheit
In meiner langjährigen Tätigkeit als Gerichtssachverständige war ich immer wieder mit definitionsgemäß leicht intelligenzgeminderten Menschen konfrontiert, die irgendwelche Straftaten begangen hatten. Bei keinem einzigen von ihnen war die Intelligenz das zentrale Problem, meist waren ganz banale, alltägliche Beweggründe wie Gier, Wichtigtuerei oder die Unwilligkeit, Grenzen zu akzeptieren, ausschlaggebend dafür, dass sie mit dem Gericht in Kontakt kamen. Die 40-jährige Frau S., die nach Geburtskomplikationen eine Entwicklungsverzögerung gezeigt hatte und nach dem frühen Tod ihres Vaters als Einzelkind bei ihrer Mutter aufgewachsen war, wurde von dieser in gänzlich unrealistischer Weise idealisiert und hervorgehoben, wobei die im sonstigen Leben unauffällige Mutter ihrer Tochter laufend vermittelte, dass sie ein Genie sei, aber leider von allen (je nach Alter Lehrer oder Arbeitgeber) völlig verkannt werde, weshalb ihr im Leben der zustehende Erfolg versagt bleibe. Als die schon sehr betagte Mutter ins Krankenhaus gebracht wurde und die Tochter, auch für andere offensichtlich, mit den plötzlich anstehenden und alleine zu bewältigenden Aufgaben des Haushalts überfordert war, wurde sie vorübergehend in einer Betreuungseinrichtung untergebracht. Dort gefiel es ihr gar nicht, und schon überhaupt nicht gefiel ihr die Tatsache, dass sie nun mit „Behinderten“ in einem Haus lebte und von den Betreuern immer wieder darauf hingewiesen wurde, ihr abwertendes Verhalten gegenüber den anderen Mitbewohnern einzustellen, die eben „auch“ diverse Defizite hätten. Frau S. wollte weg und kontaktierte ihre Mutter, wobei sie beileibe nicht die wahren Gründe ihrer Unzufriedenheit berichtete, sondern mit beachtlicher Überlegung und Taktik von einem Missbrauch erzählte, der in der Einrichtung laufend an ihr begangen werde. Die Mutter setzte alle Hebel in Bewegung, ihre Tochter zu retten, und erstattete umgehend Anzeige, der benannte Betreuer wurde als Beschuldigter geführt. Erst in der Zeugenvernehmung wurden Ungereimtheiten und Unmöglichkeiten im Bericht offensichtlich, weshalb Frau S. auch relativ rasch den Sachverhalt richtigstellte. Bei der Begutachtung beklagte die von sich und ihren Fähigkeiten sehr überzeugte und ziemlich empathiebefreite Frau S., dass nun gegen sie ein Verfahren wegen Verleumdung eingeleitet wurde, was eine riesige Sauerei sei, weil ja gar niemandem etwas passiert sei, und berichtete von ihren Plänen, ihre gesammelten Lebenserfahrungen in Buchform zu veröffentlichen. Falls man Erfahrung als erfolgreiches Lernen am Erlebten definiert, müsste es sich freilich um ein eher dünnes Buch handeln, wobei Frau S. ja durchaus in der Lage war, Informationen aufzunehmen, schlussfolgernd zu denken und ihre Handlungen entsprechend zu planen, aber eben nur dort, wo diese Informationen nicht mit ihrem Selbstbild unvorteilhaft kollidierten. Herr M. wollte unbedingt ein Auto besitzen, und zwar nicht irgendeines, sondern eines, das wesentlich teurer und schöner war als das des Nachbarn, der immer wieder so provokant vor M.s Wohnhaus parkte, nur um ihm seinen autolosen Zustand vor Augen zu führen. Dass er schon mehrmals an der Führerscheinprüfung gescheitert war, spielte in seinen Überlegungen keine Rolle, man musste ja nicht fahren, es reichte, wenn man das Auto einfach herzeigen konnte. Die Wünsche scheiterten bisher immer an den finanziellen Mitteln, Besserung war diesbezüglich nicht in Aussicht, als Herr M. Herrn A. kennenlernte, der ihm einen genialen Plan unterbreitete: Herr A. würde die nötigen Papiere fälschen und Herr M. würde damit zu diversen Banken gehen und einen Kredit beantragen, die Rückzahlung könnte ja nie eingefordert werden, da die Personen in den gefälschten Papieren nicht existierten. Den ergaunerten Betrag könnte man sich teilen, immerhin waren Idee und Papiere von A. und die Durchführung von M. Herr M. war begeistert, Herr A. besorgte die Papiere, Herr M. besuchte mehrere Banken und schaffte es tatsächlich, zwei Kredite zu bekommen. Als er freudestrahlend A. aufsuchte und ihm das Geld zeigte, endete die Freude sehr plötzlich mit einer größeren Beule an M.s Kopf und einem verschwundenen A., was M. für eine derartige Schweinerei hielt, dass er in seiner Wut umgehend die Polizei aufsuchte und die Geschichte erzählte. Bei der Verhandlung war er geläutert und nur mehr auf sich selbst wütend, denn, so seine späte Erkenntnis, wenn er nicht selbst zur Polizei gegangen wäre, säße er jetzt nicht hier. Auch Herr M. war trotz seiner vermessenen Minderbegabung offensichtlich fähig zu schlussfolgerndem Denken (wenn auch mit einiger Latenz, die den heftigen Emotionen geschuldet war), Triebfeder waren simple Gier und Neid oder, anders formuliert, ein Mangel an Willen, sich mit dem, was er hatte, zu bescheiden. In der Motivation unterschied er sich da nicht wesentlich von dem Unternehmerehepaar, das einigen vazierenden Betrügern große Bargeldsummen überließ, weil die behaupteten, das Geld über Nacht mithilfe einer geheimen Flüssigkeit vermehren zu können. Die Firma der beiden war durchaus erfolgreich und die Lage keineswegs existenzbedrohlich, vor dem dubiosen Geschäft aber finanziell deutlich besser abgesichert. Obwohl die hier beschriebenen Personen intellektuell sehr unterschiedlich ausgestattet waren, handelten sie auf sehr ähnliche Weise „dumm“. Forrest Gump, diese moderne Version des einfältigen Parzival, der auf der Suche nach seinem Gral durch sämtliche weltpolitischen Ereignisse seiner Zeit stolpert, ohne sich im Geringsten beeindruckt zu zeigen, der aber immer weiß, was er will und dabei auch immer auf seinen moralischen Kompass vertrauen kann, formuliert denn auch, dass „dumm ist, wer Dummes tut“. In dieser Sichtweise spielt Intelligenz keine wesentliche Rolle, was auch ein Tankwart in San Francisco einmal treffend auf den Punkt brachte. Ich war gerade beim Bezahlen, als ein junger Mann raschen Schrittes auf die Tankstelle zuging und ansatzlos begann, die dort abgestellten Fässer mit heftigen Fußtritten zu attackieren. Auf meine Feststellung (USA, daher politisch korrekt), dass der wohl „mentally challenged“ sein müsse, antwortete der völlig gelassene und an solche Erlebnisse gewöhnte Mann: „No, he’s plain f*ing stupid.“ Was also ist Dummheit und wie kann man sie erkennen, wenn sie sich offensichtlich der Vermessung entzieht? Dummheit, aus der wieder dumme Handlungen resultieren, ruht, darauf können sich wohl die meisten einigen, unerschütterlich auf mehreren äußerst stabilen Säulen. Die Lernverweigerer
Eine davon und vermutlich die unwesentlichste ist der Mangel an denjenigen Fähigkeiten, die mit einem Intelligenztest abgefragt werden. Eine bedeutsamere Säule ist der Unwille, der bis zur gewollten Unfähigkeit reichen kann, aus Erfahrungen zu lernen, d.h. Wahrnehmungen und Erlebnisse (und die eigene Rolle darin) kritisch zu analysieren, Schlussfolgerungen zu ziehen, diese auf eine Meta-Ebene zu übertragen und analoge künftige Situationen so zu gestalten, dass die bestmögliche Entwicklung mit höherer Wahrscheinlichkeit eintritt. Teilweise beruhen dumme Handlungen auch auf unzureichendem Wissen, aber auch nur dann, wenn man den eigenen Wissensmangel nicht als problematisch erkennt oder dem heutzutage verbreiteten Irrtum aufsitzt, sowieso von allem ausreichend Ahnung und damit ausreichend Beurteilungsgrundlage zu haben, um ohne weiteren Kenntniserwerb Sachverhalte treffend bewerten zu können. Es erstaunt mich immer wieder, in wie vielen verschiedenen Bereichen sich Menschen solches Wissen und solche Fähigkeiten zuschreiben, Menschen, die für die Reparatur einer Waschmaschine mit größter Selbstverständlichkeit einen Fachmann oder zumindest einen einschlägig kundigen Bekannten rufen würden. Aber kaum fragt man sie zu einem deutlich komplexeren Thema, sprudeln die Gewissheiten nur so heraus und münden in ein Meer von guten Ratschlägen, das sich bei näherer Betrachtung als Sumpf mit unsicherem Boden erweist. Eine beliebte Spielwiese solcher unwissenden Besserwisserei oder schlimmer noch, ignoranten Ignoranz, ist die Medizin, wo es heute von selbst ernannten Fachleuten wimmelt, vor allem in Spezialfächern, in denen der zu behandelnde Schaden nicht offensichtlich ist. Kaum einer würde bei einem offenen Unterschenkelbruch auf das „bewährte Hausmittel der Tante Anni“ oder auf den kürzlich auf Facebook gelesenen Ratschlag zurückgreifen, Zinksalbe aufzulegen, um das Bein mit einem metallischen Schutzmantel zu stabilisieren. Aber wehe, wenn es um andere Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder Migräne geht: Tausende Menschen, die über keinerlei fundierte Vorstellung der ursächlichen Bedingtheiten verfügen (was sie auch nicht müssen, schließlich gehört ein Medizinstudium nicht zur Allgemeinbildung), wissen sofort, was zu tun und was zu meiden ist, und haben keinerlei Hemmungen, ihre teilweise abstrusen Empfehlungen an den Mann...


Heidi Kastner ist Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie. Seit 1997 Gerichtspsychiaterin; Aufbau und Leitung dreier forensischer Nachbetreuungsambulanzen; seit 2005 Chefärztin der forensischen Abteilung der Landesnervenklinik Linz; Gerichtsgutachterin für Strafrecht. Mehrere Buchveröffentlichungen bei Kremayr & Scheriau.


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